Zugegeben, sie sieht kurios aus, die Figur, welche in Bayern auf einer Ausgrabung bei Mönchstockheim im Landkreis Schweinfurt ans Licht gekommen ist. Untersucht wurde eine Wasserrinne nahe dem Wasserlauf, der heute Unkenbach heißt. Diese Rinne diente in der Zeit zwischen 800 und 600 v. Chr. einer nahegelegenen Siedlung der Hallstattkultur (Stufe C) als Wasserstelle. Es ist also ein durchaus spannender
Fundplatz, an den ich euch heute mitnehme, denn an Alltagsorten kann man Spuren vergangener Lebenswelten finden, die einmal ganz alltäglich gewesen sind. Aber in diesem Falle finde ich nicht nur den Fund kurios, sondern auch die Interpretationen, die ich der Presseerklärung entnehmen konnte. Aber erst einmal zu der Frage:
Was wurde in Möchststockheim überhaupt gefunden?
Man hat diesen Ort untersucht, da hier bald eine Umgehungstrasse gebaut werden soll und dabei Spuren des Alltags der frühen Eisenzeit entdeckt. Z.B. Keramiken. Aber auch Werkzeuge, die man für die Keramikherstellung gebraucht hat und die zum Beispiel aus Knochen bestehen. Möglich ist es also, dass hier auch Wasser für die Keramikproduktion entnommen wurde, oder vielleicht sogar, dass man Keramiken
direkt hier am Wasser geformt hat. Auffällig ist, die Keramiken sind an den Rändern nicht durch das Wasser abgerundet, so wie ihr das vielleicht kennt, wenn man Objekte am Strand sammelt. Das heißt, die Bruchstücke lagen so positioniert, dass sie keinen Schaden nehmen von dem durchgehend vorbeifließendem Wasser. Das passiert eigentlich nur, beim gezielten Platzieren von Keramiken. Zum Beispiel, wenn die
Keramiken ein Stück in den Boden gedrückt wurden und das Wasser nicht mehr direkt an den Rändern vorbeirauscht. Bei der Untersuchung der Funde zeigte sich zusätzlich, wie die Keramiken sich durch die Lagerungsumstände verändert haben. Es kam zu Kalkausfällungen im Material. Das spricht dafür, dass hier einst Quellwasser einer naheliegenden Quelle entlang floss. Unter den Keramiken war dabei nicht nur übliche
Gebrauchskeramik, sondern auch eine Art Stempel. Dieser Fund ist echt cool. Er wurde nachgebaut und ausprobiert. Man kann damit z.B. Muster in Brotteig machen und z.B. gemusterte Brötchen produzieren. Ob man in der Hallstattkultur jetzt wirklich Brötchen gemustert hat, oder andere Materialien, sei dahingestellt. Es ist auf jeden Fall ein toller Fund, an dem Freilichtmuseen noch viel Spaß haben werden.
Die seltsame Tonfigur
Neben diesen Funden, gibt es noch den Fund der Figur, die nicht nur in Deutschland, durch die Fachpresse geistert. Eine Tonfigur, die dem Anschein nach einen Kopfschmuck trägt und gerade einmal 19 cm hoch ist. Ursprünglich war die Figur vmtl. viel größer – vielleicht bis zu 30 cm. Man weiß es nicht genau, denn die Beine sind abgebrochen. Auch ein Teil des Bauches ist abgebrochen, so lässt sie kaum sagen, ob hier ein bestimmtes Geschlecht dargestellt wurde. Allerdings hat die Figur einen
auffälligen Kopfschmuck, vielleicht eine Haube – ein Kleidungsstück, das Frauen zugesprochen wird. Aber diese Figur ist seltsam, denn: Sie passt nicht zu den Stilistiken dieser Zeit. Klar, das Gesicht ist fein modelliert, man kann es deutlich erkennen. Aber die Kunstfertigkeit der Hallstattzeit, die Stilistiken, sind eigentlich andere. Ich halte diese Figur für sehr viel älter. Hinzukommt: für den Zeitraum der früheisenzeitlichen Hallstattkultur gibt es keine Vergleichsstücke. Datiert wurde dieser Fund bislang nur anhand der umliegenden Funde. Es ist meines Erachtens gut möglich, dass passiert ist, was oft im Wasser, also in fluvialen Systemen passiert. Dass Sachen sich durch den
Wasserfluss bewegen und dann scheinbare Zusammenhänge entstehen, wo es gar keine gibt. Aufschluss darüber könnte eine Veröffentlichung der genauen Lageposition geben – aber dazu gibt es bisslang keine öffentlich einsehbaren Dokumentationen. Ich Denke deswegen: die Figur ist toll, aber ich sehe sie nicht in der Eisenzeit, sondern im Neolithikum, also der Jungsteinzeit. Und im Neolithikum, da gibt es dann auch Vergleichsbeispiele, es war das Zeitalter der kleinen Tonfigürchen (Klicke auf den Link, um mehr darüber zu lesen). Aber offiziell handelt es sich derzeit um ein eisenzeitliches Objekt, deswegen tu ich jetzt einfach mal so, als wäre dieses Objekt eisenzeitlich. Und damit kommen wir zu meinem Stirnrunzler Nummer 2:
Was man nicht erklären kann, sieht man gleich als kultisch an
Nach diesem Motto wurde aus der Figur, die in der Wasserrinne gefunden wurde, und zu der es keinen Passenden vergleich gibt, die Wassergöttin. Eine Vermutung, die zur Überschrift, und damit schnell zu einer vermeintlichen Gewissheit in der öffentlichen Wahrnehmung wurde. Dabei muss ich sagen, ja klar, die Figur ist besonders, sie passt nicht in die Kunststile der Zeit. Aber nicht, weil sie in Hinblick auf andere Objekte der Hallstadtkultur (Stufe C) besonders Filigran, oder schmuckvoll für diese Zeit wäre. Es
ist exakt das Gegenteil der Fall. Im Vergleich mit anderen gleichzeitigen Objekten ist diese Figur plump, ungelenk, handwerklich rückständig, geradezu stümperhaft und eben genau kein Aushängeschild. Es ist nicht das, was man erwarten würde, bei der Darstellung einer Göttin. Letzteres ist aber eine Interpretation, die sich in der Presseerklärung des zuständigen Denkmalamtes findet, hier immerhin mit dem Wörtchen “möglicherweise” gekennzeichnet. Eine Interpretation, die, wie ich finde, reichlich überzogen ist, in Anbetracht der bereits erwähnten Argumente.
Mein Vorschlag einer alternativen Interpretation, sollte sich die Datierung bestätigen: Ein Kind hat mit Ton gebastelt, vielleicht zusammen mit einem Erwachsenen diese Figur gemacht, hat mit ihr gespielt und dann hat es platsch gemacht und weg war das Spielzeug. Das würde zumindest die Größe der Figur erklären, auch die tatsächlich liebevolle Gestaltung, aber auch die Plumpheit, die sowenig in diese Zeitstellung passt. Ich finde es plausibel, dass an Alltagsorten, wie dies einer war, auch Kinder waren, die ihre Angehörigen im Alltag begleitet haben. Sollte es hier wirklich ein Ort gewesen sein,
an dem Keramik geformt wurde, wäre es noch plausibler, wenn Kinder auch mit diesem Material herumspielen. Aber ich wette, es dauert nicht mal 30 Minuten nach Veröffentlichung des Artikels, dass diese Interpretation für erste wütende Mails in meinem Postfach sorgt – Deswegen sei dazu gesagt: Es ist nur eine Idee, es kann noch mehr geben. Der Fund ist für die Zeitstellung einzigartig, Ideen dazu können also mannigfaltig sein. Wenn du eine andere tolle Idee hast, schreibe sie doch gerne in die Kommentare, Ideen zu sammeln, bringt schließlich mehr Spaß, als sich gegenseitig anzugiften. Aber beim Lesen der Presseerklärung musste ich noch ein weiteres Mal die Stirn runzeln:
Vom gescheiterten überhöhen der eigenen Vorfahren
Diplomtisch gesagt, gibt es in der Presseerklärung des Bayrischen Landesamtes für Denkmalpflege, Formulierungen, deren Sinn ich nur schwer nachvollziehen kann. Die
Figur sei ein Beleg dafür, dass Bayern seit 3.000 Jahren Kulturland sei. Zum einen finde ich es merkwürdig, dass man dies darstellen muss. Dass man an Narrative anknüpft, die eine vermeintlich lange Kontinuität gestalten. Das knüpft an Ideologien an, die die eigene Kultur besonders sensationell, toll, wertvoll, im Zweifel sogar heroisch und überlegen darstellen soll. Gedanken eben, die jenseits moderner Betrachtungen prähistorischer Fundplätze liegen. Zum einen ideologisch, zum anderen, weil sich eine Kontinuität wissenschaftlich nicht über einen so langen Zeitraum konstruieren lässt – denn es gab in den vergangenen 3.000 Jahren verdammt viele kulturelle Wechsel, Wanderungsbewegungen usw. De Facto ist das also geschwafelter Bullshit, der diesen Fund einfach nur aufbläst. Hinzu kommt: Eine einzelne Figur ist kein Beleg für eine Kulturlandschaft. Eine Kulturlandschaft definiert sich z.B. durch das Vorhandensein von Ackerbau. Und den gibt es in Bayern schon seit 7.500 Jahren. Das heißt, wenn man seine Kontinuität schon aufblasen muss, warum denn nicht gleich richtig? Und wie es der Zufall will, würde ich die Datierung der Figur, in genau diesem Zeitraum ansiedeln.
Aber nicht um den Fund heroischer zu machen, die Geschichte kleinfigürlicher Kunst ist sehr viel älter als dieser Zeitraum. Sondern weil ich diese Figur stilistisch in der Jungsteinzeit (Neolithikum) verorte und weil viele Figuren des Neolithikums ebenfalls zerbrochen wurden. Warum: Das ist wiederum ein echtes Rätsel der Archäologie, das auch ohne es aufzublasen spannend ist. Genauso wie es der eisenzeitliche Fundplatz an der Wasserrinne auch wäre, wenn man auf das Aufblasen in dieser Form verzichtet hätte.
Literatur:
https://www.heritagedaily.com/2022/07/clay-figurine-discovered-in-germany-may-represent-a-prehistoric-water-goddess/144144
https://www.blfd.bayern.de/blfd/presse/index.html#
https://www.blfd.bayern.de/meta/aktuelle_meldungen/003208/
https://aid-magazin.de/2022/07/15/einzigartige-tonskulptur-stellt-wissenschaft-vor-raetsel/