Die schwarzen Mander – Gilg Sesselschreibers schlimmster Auftrag

Es ist Gilg Sesselschreibers großer Tag. Er wird Hofmaler unter Maximilian dem I. Das ist etwas Besonderes. Gilg hat keine hohe Herkunft. Er spricht den Dialekt der Bauern, weswegen er am Hof zeitlebens für dumm gehalten wird. Doch er hat es an den Hof geschafft. Was 1502 so verheißungsvoll beginnt, soll für Sesselschreiber die nervenaufreibendste Erfahrung seines Lebens werden und ihn sogar ins Gefängnis bringen. Der Hofmaler wird mit einer Aufgabe betraut, der er nicht gewachsen ist:

Die Anfertigung von den Bronzefiguren, die heute als die schwarzen Mander bekannt sind:

Es ist der neue Schick dieser Zeit: Ein Grab, umgeben mit Bronzefiguren, die die wichtigen Leute aus dem Umfeld der verstorbenen Person zeigen und relevante Personen aus vergangenen Epochen. Philipp der Gute in Brügge lässt Figuren für seine Bestattung anfertigen. Isabelle von Bourbon ebenso.

Blick auf den Kenotaph. Ein Grab in einem Goldenen floralen Zaun, auf dem Grab ist eine Bronzefigur, die Maximilian kniend zeigt.

Der Kenotaph in der Innsbrucker Hofkirche.

Auch Maximilian I. wünscht so ein Monument und beginnt schon zu seinen Lebzeiten sein gewaltiges Grab in Innsbruck anfertigen zu lassen. Als er 1519 stirbt, ist es noch immer nicht fertig. Es stellt sich heraus, das Grab ist für den angedachten Standort zu schwer. Deswegen wurde Maximilian I bis heute nicht in diesem Grab bestattet.

Doch das ist nicht das einzig chaotische an dieser Geschichte:

Die ersten Entwürfe für den Kenotaph werden schon 1509 von Konrad Peutinger angefertigt. Das Problem ist: So große Figuren in Bronzeguss herzustellen. Gesundheitsgefährdende Dämpfe steigen beim Gießen auf. Deswegen gibt es Absagen von Künstlern und Werkstätten. Werkstätten, die schon wenige Skulpturen angefertigt haben, sagen weitere ab. Peter Löffler z.B., fertigte nur Ferdinand von Portugal, dann quittierte er. Er beauftragte extra einen Goldschmied, der die Feinarbeiten erledigte, damit er selbst die Dämpfe nicht mehr einatmen musste.

Eine dunkle Bronzefigur. Ein Mann mit Schnurrbart in einer schmuckvollen Rüstung mit Helm. Der Plattenpanzer der Rüstung ist mit Blumen verziert.

Die Darstellung von Theoderich von Vischer.

Peter Vischer, dem die Lunge zu sehr schmerzt, quittiert nach zwei Figuren. Er gestaltet 1513 die Bildnisse von König Arthus und Theoderich im Stil der Frührenaissance – weil es keine Originalvorbilder für diese Figuren gibt, lässt er seiner Fantasie freien Lauf. Kaum fertiggestellt, pfändet der Bischof von Augsburg die Figuren in Vischers Werkstatt in Nürnberg. Die Stadt hat Schulden, die der Bischof so eintreibt. Erst 1523 gelangen die beiden Bronzen nach Tirol.

Federführend war die Werkstatt des Hofmalers Gilg Sesselschreibers

Maximilian I hatte ihm die Werkstatt extra dafür errichten lassen. Sesselschreiber fertigt hier Holzmodelle als Vorbild, um die Figur dann in Wachs auszuformen. Dann gehen die Holzmodelle auf Reise in verschiedenste Werkstätten in Tirol, wo feinere Applikationen hergestellt werden. Unterdessen werden aus den Wachsfiguren Tonformen hergestellt, in denen dann Bronze gegossen werden soll. Einzelteile, teils von verschiedenen Personen. Am Ende hat man die Figuren, die hohl sind, mit Eisengestängen im Inneren zusammengesetzt – so der Ablauf in der Theorie – In der Praxis sind die ersten Wachsfiguren 1509 fertig.

Eine schwarze Bronzefigur eines Ritters mit einem Helm, der das ganze Gesicht verdeckt

Ferdinand von Portugal

Sesselschreiber ist mit seiner Arbeit offenbar überfordert. Ein Dokument beklagt einen Besuch seiner Werkstatt, als Ferdinand von Portugal schon fast fertig ist, während Eleonora von Portugal nur als Wachsfigur existiert. Die Schenkel von Phillip dem Schönen sind gegossen und stehen einsam in der Werkstatt herum, seine Arme sind noch gar nicht geplant. Maria von Burgund steht als Wachsfigur in Einzelteilen drei Jahre in der Werkstatt, bevor Sesselschreiber 1513 endlich damit beginnt, sie zu gießen. Ein besonders Problem: Sesselschreiber fehlt es an Ideen, Frauen zu gestalten – mit der Körperhaltung tut er sich schwer. Einem Mann kann man ja ein Schwert in die Hand legen. Aber wie beschäftigt man die linke Hand einer Frau? Und dann wird Eleonora von Portugal auch noch ein Fehlguss.

Ein Problem: Die Figuren sollen per Gewicht bezahlt werden

Es wurden 16 Zentner pro Figur vereinbart. 4 Figuren pro Jahr soll Sesselschreiber fertigen. Davon ist jedoch keine Spur zu sehen. Er ist Maler und kein Gießer, alles, was er gießt, wird wegen seiner wenigen Erfahrung dicker und schwerer als vereinbart. Die Materialkosten steigen, die Figuren werden teurer als gedacht. Als 1513/14 Maria von Burgund immer noch ohne Arme und Kopf in Sesselschreibers Werkstatt steht, schreitet Maximilian I ein.

Er gibt schließlich Peter Vischer den Auftrag, die Darstellung seiner geliebten, verstorbenen Gattin zu Ende zu bringen. Entwürfe für Theoderich und König Arthus fordert er von Albrecht Dürer an – er verkleinert den Auftrag an Sesselschreiber. Nur noch 2 Figuren sollen pro Jahr fertiggestellt werden. In der chaotischen Werkstatt, in der immer mehr Körperteile herumstehen, soll das Chaos mit einer neuen Vertragsklausel gelöst werden: Sesselschreiber darf erst mit neuen Figuren beginnen, wenn 7 andere vollständig fertig sind. Denn wenn die Wachsfiguren zu lange liegen, verformen sie sich – durch das Bummeln wird also Schaden verursacht.

Eine Frau mit einem schmuckvollen Turban als schwarze Bronzefigur. Sie bewegt sich annähernd tanzend grazil.

Cimburgis von Masowien.

1515 wird Sesselschreiber dann vertragsbrüchig und beginnt mit Graf Theodobert und Ladislaus – beide Figuren werden Fehlgüsse. Pfingsten 1515 soll Sesselschreiber nun die ersten fertigen Figuren präsentieren. Er fährt eine Hinhaltetaktik, verspricht Weihnachten fertig zu sein. Doch anstelle, dass er Figuren präsentiert, verschwindet er. Es ist mittlerweile 1516 – in Sesselschreibers Werkstatt herrscht immer noch Chaos und dann fällt auf – Er hat 2369 Gulden zu viel für seine Arbeit kassiert.

Sesselschreiber flieht nach Augsburg

Maximilian I reißt daraufhin endgültig die Hutschnur. Am 11. Juni 1516 erlässt er den Beschluss Gilg Sesselschreiber aufzuspüren. Nur wenige Wochen später wird er entdeckt. Maximilians Wachen bringen ihn nach Innsbruck und setzen ihn fest. Gilg Sesselschreiber sitzt nun nachts im Gefängnis und wird tagsüber in der Werkstatt bei der Arbeit bewacht. So soll er gezwungen werden, die Figuren fertig zu stellen. Es gibt nur zwei Wege für Sesselschreiber aus dem Gefängnis: entweder jemand bürgt für ihn – was niemand tut, oder er hat bis Weihnachten die Figuren fertig.

Zwei Figuren aus Bronze. Kundigunde und Elisabeth von Görz. Elisabeth trägt eine Krone, Kunigunde einen Hut.

Elisabeth von Görz und Kunigunde (Maximilians Schwester).

1517 arbeitet Sesselschreiber zusammen mit seinem Sohn und seinem Schwiegersohn – den letzteren Beiden wurde die Aufgabe übertragen, die Figuren zu gießen, da Sesselschreiber, diplomatisch gesagt, ein gutes Händchen für Fehlgüsse hat. Jetzt ist es der Kaiser persönlich, der das Kupfer überwacht. Und dann sind die Figuren tatsächlich fertig. Sesselschreiber hat zu diesem Zeitpunkt Philipp den Schönen, Ernst den Eisernen, (vmtl.) Eleonora von Portugal, König Rudolf von Habsburg, Elisabeth von Götz-Tirol, Maria von Burgund zu teilen, Kunigunde und ein paar Schilde und Wappen angefertigt und wird aus der Haft entlassen. Doch er ist hoch verschuldet und in einem Streit bricht er endgültig mit Maximilian I. Am 6. März ist klar: Er ist abermals geflohen – dieses Mal in die Niederlande.

Jetzt ist es an Stephan Godl weitere Figuren zu fertigen

Der Nürnberger Künstler bietet Maximilian I an, sie für nur 500 Gulden pro Stück zu fertigen – das ist im Gegensatz zur bisherigen Arbeit der halbe Preis. Doch der Sohn von Sesselschreiber, Eidem, weigert sich, die Werkstatt zu verlassen. Alle haben Angst vor dem gewalttätigen Mann, der wie sein Vater den Dialekt, der als dumm geltenden Bauern spricht. Es kommt zu Anklagen aufgrund der Sprachunterschiede, die sich dann aber als Missverständnisse entpuppen. Doch Godl kommt nicht in die Werkstatt, bis Maximilian I endgültig durchsetzt, dass Eidem die Werkstatt verlassen muss.

Eine schwarz-Braune Bronzeskulptur. Ein Frau mit einer Königskrone in einem aufwändigen Gewand.

Die Bronzefigur der Bianca Maria Sforza

Godl ist gelernter Bildgießer und konnte Figuren in einem Stück gießen. Das macht alles schneller und günstiger. 1519 verstarb Maximilian I, sein Nachfolger Ferdinand I ist mit der Arbeit von Godel zufrieden und beschäftigte ihn weiterhin. Godel selbst stirbt 1532 an Schäden in seinen Atemwegen. Er erschuf: Albrecht von Habsburg, Herzog Leopold III, Leopold von Babenberg, Phillip der Gute (nach Vorbild Sesselschreibers), Margaretha von Österreich, Kaiser Friedrich III, Erzherzog Sigmund, Karl der Kühne (mit einer Nachbildung eines im Original erhaltenen Hutes), Herzog Friedrich mit der leeren Tasche und Maria Blancka Sforza.

Eine Bronzefigur, die einen Bann mit einem Langen Bart zeigt

Frankenkönig Chlodwig I

Mit Godls tot ist das Grab noch lange nicht fertig. Tatsächlich wird die letzte Figur, Chlodwig, erst 1550 gegossen.

Maximilians Entschuldigung

Ein halbes Jahr bevor Maximilian I starb, gestand er, dass es nicht der Fehler Sesselschreibers war, sondern sein eigener. Er zahlt ihm sogar eine kleine Summe von 400 Gulden als Entschuldigung. Sesselschreiber war Hofmaler. Er hatte keinerlei Erfahrung bzgl. der ihm anvertrauten Aufgabe und Maximilian I hatte ihm auch keine Zeit gegeben, die notwendigen Handwerkstechnicken zu erlernen. Das hatte Sesselschreiber überfordert – dieser hatte das auch 1509 in einem Protestschreiben erklärt.

Philipp der Gute gestaltet von Godl nach Sesselschreibers Vorbild.

Doch damals dachte Maximilian I, Sesselschreiber flüchte sich in Ausreden, in seiner vulgären bäuerlichen Art zu sprechen. Er hatte Sesselschreibers Problem nicht die richtige Aufmerksamkeit geschenkt. Maximilian war damals enttäuscht, als er Putingers Entwürfe, sah und dann beobachtete, wie Sesselschreiber an der Umsetzung scheiterte. Godl, der seine Figuren pünktlich ablieferte, war kein Künstler. Seine Figuren wurden fertig, haben aber einen stilistisch geringeren Anspruch. Vielleicht wäre eine andere Art der Arbeitsteilung ja klug gewesen. Eine, die sich an den Taleten und Fähigkeiten orientiert.

Und wenn du jetzt denkst – lehrreiche Geschichte aus der Vergangenheit die kannte ich garnicht – ich finanziere diese Homepage komplett selbst, aber du kannst mich mit einem Trinkgeld untertützen für weitere Geschichten aus der Geschichte.

Literatur:

Erich Egg: Die Hofkirche in Innsbruck – Das Grabdenkmal Kaiser Maximilian I und die silberne Kapelle, Innsbruck 1974

Vinzenz Oberhammer: Die Bronzestatuen am Grabmal Maximilians I., Innsbruck 1943.

Karl Oettinger: Die Bildhauer Maximilians – Am Innsbrucker Kaisergrabmal, Nürnberg