Ein Schluck Tabak zur Geburt

Cotzumalhuapa vor 1.000 Jahren. Ein Baby kommt auf die Welt. Die Frauen versammeln sich. Es ist gesund und schreit. Mit einer Obsidianklinge wird die Nabelschnur getrennt und das Neugeborene wird der Mutter in der Schwitzhütte direkt in die Arme gelegt. Es wird ein Gefäß gereicht. Ein heiliger Sud aus Tabak. Er ist beruhigend und schnell schläft die frisch gebackene Mutter mit dem Baby auf der Brust ein und beide erholen sich von den Strapazen der Geburt.

Aber woher wissen wir das eigentlich?

Kurz gesagt: Wir wissen es gar nicht. Es sind Vermutungen. Aber es gibt Untersuchungen in der Stadt Cotzumalhuapa, die in Guatemala liegt. Hier wurden einige Befunde freigelegt, die solche oder ähnliche Ereignisse nahelegen.

Tabakblätter zum trocknen aufgehangen an drei leinen. Es sind hunderte Tabakblätter in hellgelb.

Hier trocknet Tabak (Bild: Gliwi [CC BY-SA 3.0]).

Das Besondere ist das Herstellen eines Suds aus Tabak. Ein Kuriosum, wurde Tabak doch sonst auch in seinen amerikanischen Herkunftsregionen eher geraucht und nicht getrunken. Doch in Cotzumalhuapa entwickelte sich ein anderer Brauch:

Die Überraschung kam mit einer Restanalyse in Gefäßen

In Cotzumalhuapa wurden einige Keramikgefäße ausgegraben. Es handelt sich dabei um sehr hübsche, lang schmale Gefäße, welche vmtl. Trinkbecher gewesen sind. Und diese Gefäße wurden, nach der archäologischen Freilegung, weiter untersucht. Man hat dafür die Rückstände der inneren Gefäßwände chemisch analysieren lassen. Die Idee solcher Analysen: Man kann herausfinden, was einmal in dem Gefäß aufbewahrt wurde.

vier keramiken. Sie sind alle schmal, aber hoch, eine ist etwas bauchig.

Vier der untersuchten Gefäße (Bild: Oswaldo Chinchilla Mazariegos)

Egal ob minoische Essgewohnheiten, keltische Trinkgewohnheiten, oder sogar Mumifizierungsstrategien, die Analyse von Rückständen in Gefäßen gibt oft spannende Einblicke in vergangene Zeiten. Und die Analyse der Becher aus Cotzumalhuapa mit der Liquid chromatography-mass spectrometry zeigte überraschend: hier wurde Tabak getrunken! Es ist der bislang einzige Zusammenhang, bei dem man das beobachtet hat. Und: Es ist gleichzeitig der nun älteste bekannte Ort, an dem Tabak zu rituellen Zwecken genutzt wurde.

Und woher weiß man, dass die Leute nicht einfach Lust auf einen kleinen Rausch haben wollten, und dieses Getränk deswegen getrunken haben?

Das Forschungsergebnis mit dem Tabakgetränk löst ein lange geheimes Rätsel dieser Zeit. Denn es sind seit langem Tabakblätter in Darstellungen im Zusammenhang mit rituellen Praktiken und Kontexten der Cotzumalhuapa-Kultur bekannt. Nur den Tabak selbst, den hatte man bisher umsonst gesucht. Nun ist aber klar – der Tabak war in den Bechern in Form von Getränken. Und diese Gefäße wurden zudem anscheinend sorgfältig rituell vergraben. Man hat diese Becher in Zusammenhang mit Schwitzhütten gefunden, welche Ritualorte gewesen zu sein scheinen.

Der Befundplan mit den eingezeichneten Schwitzhütten und den Keramiken in der Umgebung.

Plan der aufgefundenen Situation (Bild: Negrin et. al).

Also war es Bestandteil des Rituals, den Tabak nicht nur zu trinken, sich an ihm zu berauschen, sondern auch das Gefäß danach zu vergraben. Sie wurden also gezielt niedergelegt. Die Flüssigkeit in dem Becher bestand allerdings nicht nur aus Tabak, sondern es gab noch weitere Zutaten in dem Ritusgetränk. Beispielsweise Kakao. Doch der Tabak hatte eine wichtige Rolle – Jedenfalls wird dies überlegt-, denn eine hier gefundene Figur, welche anscheinende zu dieser religiösen Vorstellung gehört, trägt Tabakblätter im Kopfschmuck.

Und wie kommt man nun zu der Interpretation mit der Geburt?

Diese Interpretation hängt zu einem damit zusammen, dass alles in der Umgebung der Schwitzbäder gefunden wurde. Und die haben oft irgendetwas mit einem Reinigungsritual zu tun. Sie werden bei verschiedenen Krankheiten aufgesucht, aber es gibt hier auch mit Geburten zusammenhängende Praktiken. Dabei handelt es sich um das Ergebnis ethnologischer Vergleiche mit heute lebenden Maya in dieser Region.

Eine große graue Skulptur mit einem riesigen Kopfputz,

Eine Royale Skulptur aus Cotzumalhuapa. Die Person trägt Tabakblätter als Kopfschmuck (Bild: Oswaldo Chinchilla Mazariegos).

Möglich also, dass sich Teile des Rituals über 1 Jahrtausend erhalten haben, möglich auch, dass es nur ähnlich ist, und sich eigentlich inhaltlich sowie auch in der Praxis im Laufe der Zeit sehr verändert hat. Aber in Bezug auf den Befund wird über Geburtshilfe nachgedacht, denn eine aufgefundene Obsidianklinge wird als Werkzeug zum Durchtrennen der Nabelschnur vermutet. Allerdings gibt es recht viele gesundheitliche Situationen, wo in der guatemalischen Region bis heute das Schwitzbad für die Heilung genutzt wird und dabei wird bis heute zum Teil Pulver aus Tabakblätter geschluckt.

Heißt das, Tabak war in Cotzumalhuapa Ritualen vorbehalten?

Nein – oder besser gesagt Jein! Denn man kann das gar nicht unbedingt untersuchen. Tabak ist eine Pflanze und Pflanzen vergehen mit der Zeit. Mit Pollenanalysen kann man sie teilweise rekonstruieren. Oder man findet sie, mit anderen Überbleibseln floraler Reste bzw. Textilien aus pflanzlichen Stoffen. Aber es ist eine komplizierte, feingliedrige Arbeit. Dementsprechend hat man bislang zu wenig Tabak im archäologischen Befund gefunden, um weitere Nutzungen von Tabak zu bestätigen oder zu widerlegen. Ein Problem ist dabei auch: im mittel- und südamerikanischen Raum ist die Tabakpfeife bis in die Neuzeit unbekannt.

Drei der aufgefundenen Ritualgefäße

Drei der aufgefundenen Ritualgefäße (Bild: Oswaldo Chinchilla Mazariegos).

Man hat wenn, dann Zigarre geraucht. Reste von Zigarren kann man aber nach so langer Zeit archäologisch kaum noch feststellen. Alles, was wir kennen, sind z.B. Maya-Gottheiten, die Zigarre rauchend dargestellt wurden. Aber: es ist davon auszugehen, dass Tabak als Heilpflanze genutzt wurde. Tabak war dabei nicht die eine Ritualgetränkpflanze. Tatsächlich wurde Tabak in 3 von 7 Ritualbechern nachgewiesen. Interessant ist aber: in dieser Region gibt es immer wieder den Nutzen von bestimmten anderen Pflanzen in der rituellen Praxis – beispielsweise Chili. Doch in Cotzumalhuapa fehlen dazu gerade die Anzeichen.

Und was macht diesen Befund so besonders?

Und die Arten des religiösen Tabakkonsums, welche in der frühen Kolonialzeit beobachtet und niedergeschrieben wurden, beziehen sich alle auf das Rauchen von Tabak. Da gibt es dann zum Beispiel die Idee, Tabakrauch auf bestimmte rituelle Gegenstände zu pusten.

Bilder von der Ausgrabung, mit den Funden in Situ fotografiert.

Bilder von der Ausgrabung, mit den Funden in Situ fotografiert. (Bild: Oswaldo Chinchilla Mazariegos).

In dieser Zeit kennt man Tabak aber eben nicht nur als religiöses Mittel, sondern Rauchen ist Teil der Geselligkeit, Zeichen der Gastfreundschaft und weiteres. Er galt als gesundheitsfördernd und als gefährlich, als Talisman und Schutz vor Hexen. Doch man hat ihn dekorativ verwendet, ihn dargestellt, ihn geraucht, oder als Pulver eingenommen. Dass man ihn getrunken hat, ist in dieser Form bislang nur in Cotzumalhuapa bekannt.

Heißt das ich kann mir jetzt am Kiosk Tabak hohlen und mir davon Tee kochen und dann werde ich High?

Ein schwarzer Farmer läuft durch ein Tabakfeld

Nichteinmal für die Umwelt ist Tabek gesund – wobei das an der heute bei allen Pflanzen gängigen Anbauweise als Monokultur zu tun hat.

Please don´t try at home! Tabak ist Giftig. Und der Tabak, den du im Laden kaufen kannst, mit Zusatzstoffen versetzt und im Zweifelsfalle ist er vollgepumpt mit Dünger etc. wenn du dir daraus etwas brühst, kann das im besten Falle ekelig und im schlechtesten Falle tödlich sein. Vor allem ist der Konsum von Tabak aber auf bislang keine bekannte Art und Weise gesund. Der Tabak bei den Maya in Cotzumalhuapa war mit weiteren Pflanzen in einem Sud, genaue Rezepte sind dabei nicht ganz einwandfrei analysierbar. Das heißt wir wissen gar nicht ganz genau, wie dieser Sud gebraucht wurde – und wenn er getrunken wurde von wem – und in welchem Ausmaß. Und ich hoffe, ihr habe mittlerweile auch gemerkt, die Idee, dass Tabaksud zur Geburt gereicht wurde, steht auf verdammt wackeligen Beinen. Es ist also eine unsichere Interpretation. Denn das einzige Argument ist der Fund eines einzigen Messers. Und mit so einer Obsidianklinge hätte man genauso gut eine Operation durchführen, oder einfach nur Kartoffeln schälen können. Ich habe euch also einen ganz schönen Bären aufgebunden – hoffe aber, dass ihr die Reise in die Geschichte des Tabaks interessant findet.

Übrigens Ich finanziere Miss Jones selbst – ihr könnt meine Arbeit aber mit einem Trinkgeld unterstützen, für mehr Geschichten aus der Menschheitsgeschichte.

Literatur:

https://www.smithsonianmag.com/smart-news/1000-year-old-residues-suggest-ancient-mayans-consumed-liquid-nicotine-180983921/

https://www.facebook.com/photo/?fbid=833233765483553&set=a.438057335001200

https://www.cambridge.org/core/journals/antiquity/article/residue-analysis-suggests-ritual-use-of-tobacco-at-the-ancient-mesoamerican-city-of-cotzumalhuapa-guatemala/B8DE0CCECF3F7F378013E4D17DF7E0A2#article