Der erste Kuss der Menschheitsgeschichte

Die Beiden sind schwer verliebt, sie küssen sich. Ein Homo Sapiens und seine Neandertalerin. Es ist 100.000 Jahre her, aber ihre Kinder werden lange vor unserer Zeit unsere direkten Vorfahren sein. Denn, wie die meisten wissen, bis heute haben wir ein bisschen Neandertaler DNA in uns. Dass sie also Sex hatten, ist klar, aber:

Woher wissen wir, dass sie sich geküsst haben?

Natürlich wissen wir nicht viel über die Romanzen zischen Homo Sapiens und Neandertaler. Wir wissen nicht, wie romantisch und liebevoll sie waren. Oder aber ob es Streitigkeiten beim Zusammentreffen gab, worüber man geredet hat. Aber – es ist

Ein Homosapiensmann gibt einer Neandertalerfrau einen Kuss auf die Wange. Herzchen fliegen herum. Darüber steht "Liebe kennt keine Grenzen"

Die Begegnung von Homo Sapiens und Neandertaler. So dargestellt in der Ausstellung 2 Millionen Jahre Migration.

klar, es wurde geknutscht, denn: Beim Küssen tauschen wir Viren aus. Das Virus Methanobrevibacter oralis ist dabei ganz offenbar vom Neandertaler zum Homo Sapiens gewandert. Das konnte man durch Zahnsteinanalysen zeigen. Ein Beleg, der uns zeigt: Es gab Küsse! Das klingt also danach, dass es liebevolle Begegnungen gab, da stellt sich die Frage:

Küssen sich wirklich Menschen in allen Kulturen?

Die Antwort ist: Jein! Man kann Küsse beobachten – übrigens auch bei Menschenaffen. Es ist also ein Verhalten, welches tief in uns drinnen steck. Auch entwickeln sich natürlich nur Krankheitserreger bei einem Phänomen, das regelhaft ist – so verbreitet sich zum Beispiel seit 5.000 Jahren Herpes, wie die Viren-DNA zeigt. Es gibt aber nicht nur den romantischen Kuss, sondern z.B. auch den der Mutter zu ihrem Kind. Oder aber den Freundschaftskuss. Es ist immer ein Ausdruck der Nähe – der Verbundenheit.

Nahaufnahme zweier Bonobos. Sie sind kurz vor einem Kuss, der eine Hält den Kopf des anderen.

Ja auch Menschenaffen küssen (Bild: Pixabay)

Daraus hat sich in vielen Gesellschaften irgendwann entwickelt, dass es geregelt ist, wen man küsst. Z. B., dass man nur Küsse innerhalb einer Partnerschaft austauscht. Das muss nicht immer so geregelt sein. Aber eine andere Person zu küssen, kann dementsprechend ein Affront sein, oder ein Übergriff. Überraschend ist dabei: Eine Untersuchung von 2015 zeigte, dass im Vergleich von 168 Kulturen, nur bei gut der Hälfte der Kulturen Küssen, als eine übliche Praxis, in einem romantischen Zusammenhang gesehen wird. Doch bei vielen aus der Archäologie bekannten Darstellungen, kann man nicht umhin zu sagen: Das sieht echt romantisch aus.

Figuren aus lang vergangener Zeit

Die älteste bekannte Darstellung eines Liebesaktes stammt aus dem Natufien (11.000 Jahre alt) – es handelt sich um eine Figur aus Calcit. Und in dieser Darstellung wird seit langen überlegt, ob sich das Paar, welches sich in inniger Umarmung hält, nicht vielleicht auch gerade küsst. Die Ain Sakhri Lovers (so heißt die Figur) sehen dabei etwas phallusförmig aus, was die ganze Szenerie eindrucksvoll unterstreicht. Die Figur

Das älteste Liebespaar der Welt in inniger umarmung. Die Körper sind total inneinander verschlungen, als Köpfe haben sie Eicheln, die sich aneinanderschmiege

Die Ain Sakhri Lovers (British Museum (CC BY-NC-SA 4.0)).

stammt aus der Phase der frühsten Sesshaftwerdung und zeigt, wie es auch in dieser Zeit Intimität gab. Wirklich deutlich zu sehen ist der romantische Kuss dann auf kleinen Tonplaketten aus dem mesopotamischen Raum. Babylonische Tonmodelle aus der Zeit gegen 1800 v. Chr. zeigen immer wieder intime Begegnungen von Paaren in ihrem Bett. Auch dabei: Küsse, die eindeutig romantischer Natur sind. Und dass man Küssen mit Romantik in Verbindung brachte, das kann man auch in recht frühen Texten nachlesen:

Ein Blick in Liebesromane

Meine Oberlippe wird feucht, während meine Unterlippe zittert! Ich werde ihn umarmen, ich werde ihn küssen. – das steht in einem der ältesten bekannten Texte, der einen Kuss beschreibt. Dieser Text ist zwischen 3.900 und 3.500 Jahre alt. Er stammt von einer Tontafel, die in Sippar gefunden wurde. Aber es gibt auch

Ein Mesopotamisches Tonmodell, das ein Paar beim Knutschen, nackt im Bett zeigt.

Ein Mesopotamisches Tonmodell aus der Zeit um 1800 v. Chr. (Bild: (CC BY-NC-SA 4.0).

altägyptische sowie frühe indische Texte, die romantische Küsse beschreiben und die sind sogar bis zu 4.500 Jahre alt. Solche Texte geben natürlich einen Einblick in das sehr private Leben lange vor unserer Zeit. Es zeigt: Romantik und Zärtlichkeit waren in diesen Kulturen relevant. Aber: Nicht in allen Kulturen wird das so gesehen. Das heißt aber nicht, dass es in diesen Zeiten weniger Zärtlichkeiten gibt, nur das Küssen gehört eben nicht zwangsläufig dazu. Vielleicht hat sich das ja so entwickelt, weil man vom Küssen auch krank werden kann – also:

Küsse nicht einfach jeden

Schon früh gibt es ebenso Berichte darüber, dass Küssen krank machen kann. Wir wissen ja heute, dass man sich dabei einen Herpes hohlen kann. Auch z.B. das Epstein Barr Virus kann mit Küssen übertragen werden. Tatsächlich sprechen frühe medizinische Keilschriften aus dem mesopotamischen Raum bereits davon, dass man

Der Kopf von Kaiser Tiberius als Sandsteinfigur.

Tiberus – versuchte als Kaiser das Küssen zu verbieten (Das Bild habe ich im Römisch-Germanischen Museum in Köln gemacht).

mit küssen Krankheiten übertragen kann. Zum Beispiel berichten diese Texte von bu’šānu – eine Krankheit, die den Mund und den Rachenraum befällt. bu’šānu heißt frei übersetzt so viel wie “Beule” oder “Pustel” –  Es handelt sich vermutlich wirklich um Herpes. Und diese Beulen waren später, im Antiken Rom ebenso bekannt. Kaiser Tiberius fand das so ekelig, dass er das Küssen bei Staatsveranstaltungen verbieten ließ. Allerdings ohne Erfolg. Das Geknutschte ging trotzdem weiter. Vielleicht, weil man Liebe und Zärtlichkeit einfach nicht verbieten kann.

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Literatur:

https://www.science.org/doi/10.1126/science.adf0512

https://www.smithsonianmag.com/science-nature/humanitys-first-kiss-was-earlier-than-we-thought-180982206/

https://www.britishmuseum.org/collection/object/H_1958-1007-1

https://www.britishmuseum.org/collection/object/W_1923-0106-1