Die einstürzenden Turmbauten – der Dom zu Ribe

850 ist Ribe nichts weiter als ein befestigter Marktplatz der Wikinger. Nahe liegen ein paar Höfe. Und ebenso wenig weit entfernt schlagen Familien aus allen bekannten Ecken der Welt ihre Zelte auf, um mit ihren Waren zu handeln. Es ist wie in Haithabu ein buntes Treiben, ein fröhlicher Ort des Frühmittelalters.

Hier will Ansgar von Bremen eine Kirche bauen und das Christentum hoch in den Norden bringen

Der Missionar bekommt die Erlaubnis, hier eine Kirche zu errichten. Nicht aus religiösen Gründen, sondern weil die Wikinger eines lange verstanden: Toleranz regt den Handel an, es lohnt sich, es den Christen in Ribe gemütlich zu machen. Und Christen gibt es hier zu dieser Zeit schon, sie gehören zu den Reisenden, die Handelswaren auf dem Marktplatz preisen.

Eine Bronzeskulptur vor einer Backsteinwand. Die Skulptur zeit einen Hochgewachsenen glatzköpfigen Mann. Eine Hälfe von ihm besteht aus einer Art Knotenornament.

St. Ansgar wird bis heute geehrt. z. B. mit dieser Skulptur vor dem Dom zu Ribe.

Ausgrabungen zeigen: seit Ansgar eine erste Holzkirche in Ribe bauen ließ, gibt es auch christliche Bestattungen. Einheimische schließen sich erst nach und nach dem neuen Glauben an. Die alten Götter werden langsam durch das Christentum ersetzt. Das zeigt sich in einem Funfact: erst 1043 kommt der erste Bischof zu Ribe auch tatsächlich selbst aus Ribe und sein Name war Odinkar.

Aus der Missionskirche wird ein Dom

In der Mitte des zwölften Jahrhunderts wird um die Holzkirchen herum gebaut. Ein Dom wird um die alte Kirche herum errichtet, damit man den alten Gebetsraum noch verwenden kann, während der neue entsteht. Schon seit 1134 importiert Bischof Thure blauen Tuffstein aus dem rheinischen Raum. Sein Nachfolger Elias macht dann 1150 den Plan für den Kernbau des Domes, dessen Mittelschiff den alten Kirchbau umfasst.

Der Dom - man sieht den Chor aus blaugrauem Stein, und weiter hinten Backsteinbauteile.

Der Dom zu Ribe

Warum man ausgerechnet mit rheinischem Tuffstein gebaut hat – vmtl. gab es hierfür 2 Gründe: in Jütland selbst gibt es keine geeigneten Steinvorkommen, und: Durch die Seefahrt war die Anbindung an rheinische Regionen sehr ausgeprägt, bereits sehr früh lässt sich das an archäologischen Funden zeigen. So wurde zum Beispiel Pingsdorfer Keramik gefunden. Man nutzte also Handelskontakte für die Gestaltung des Domes – so bestehen die Säulen aus Wesersandstein.

Ein romanischer Dom entsteht langsam

Gegen 1175 ist der Chor fertig, als 1176 die Holzkirche in der Mitte der Dombaustelle abbrennt. Man munkelt, es sei eine Strafe Gottes, weil man hier die Gebeine von Bischof Luifdag als Reliquien verehrte – ganz ohne päpstliche Erlaubnis. Der Brand hinterlässt keine heute analysierbaren Spuren. Drumherum wird weiter gearbeitet. Ein romanisches Granatgewölbe wird gebaut – es soll eine kreisrunde Öffnung mit einer Kuppel bekommen, durch die Licht in das Innere der Kirche fallen soll.

Ein Gang mit Rundbögen, diese sind schwarz weiß gemauert

Ein Blick auf die Rundbögen der Seitenschiffe, die zu dieser Zeit entstehen.

Das Vorbild dafür ist die Grabeskirche in Jerusalem. Eine achtseitige Laterne über der Kuppel wird geplant. Doch gebaut wird all dies ebenso wenig, wie der massive Kirchturm. Die neuste Mode kommt dazwischen, es wird umgeplant. Eine Bogengalerie mit einem zweiten Geschoss in den Seitenschiffen, wie in Noyon entsteht. Der Grund:

Plötzlich ist die Gotik modern

1205 ist ein besonderes Jahr: König Waldemar heiratet Königin Dagmar. Eine Blütezeit der Stadt Ribe, die die mildtätige Dagmar bis heute verehrt. Das Königspaar lebt im Schloss von Ribe und Waldemar plant schließlich den Dom um. Die neuen modernen gotischen Bauformen sollen auch in Ribe entstehen.

Blick auf das Mittelschiff. Erdgeschoss: Romanische Bögen: erster Stock: Umlaufender gotischer Gang mit romanischen Bögen. Darüber gotische Spitzbögenfenster.

Der Dom wird also romanisch begonnen und dann gotisch weiter gebaut. Daher dieser Stilmix.

Mehr Licht soll durch Kreuzrippengewölbe in den Raum fallen, die Fenster des Mittelschiffes dafür viel größer werden als geplant. Es entsteht ein einzigartiges Architekturgemisch.

Blick durch das Mittelschiff auf die Orgel. Links und rechts sind Säulen, ein umlaufender Gang und darüber gotische Fenster.

Der Blick durch das Mittelschiff zeigt, wie sich der Architekturstil nach oben hin ändert.

Das führt auch dazu, dass sich 1259 erste Baumängel zeigen und 1266 wird für eine Sanierung des Domes gesammelt – die romanischen Seitenschiffe drohen nach außen umgestoßen zu werden. Die Außenwände sind nicht dafür gemacht ein gotisches Gewölbe zu tragen, sie werden zwar um einen Stock erhöht, doch all das funktioniert nicht und so kommt es zur:

Weihnachtskatastrophe von 1283

Die Christmette wird im Dom gefeiert. Es ist Weihrauch zu riechen. Gesang ist zu hören. Dann plötzlich das rumpelnde Geräusch des einstürzenden Nordturmes. Er fällt zu teilen auf das Dach. Die Statik gibt nach. Drei Gewölbe eines Seitenschiffes werden zertrümmert und krachen mitten in die Weihnachtsmesse.

Ein weiterer Blick auf die drei Ebenen des Mittelschiffes, dieses Mal vom umlaufenden Gang der zweiten Etage aus.

Es gibt Schwerstverletzte. Drei Menschen sterben. Auf die Trauer folgt die Erkenntnis – die Stadt hat ihr Wahrzeichen verloren und ihre Sturmglocke. Ein neuer Turm muss her. Und generell braucht es dringende Arbeiten am Dom zu Ribe.

Das neue Gesicht des Domes

1333 sind die Reparaturen fertig. Ein neuer Turm, der Bürgerturm, trägt nun eine neue Sturmglocke. In 50 m Höhe warnt sie die ganze Stadt bei Gefahren. In 50 m Höhe gibt es jetzt einen Wachraum für die Stadtwachen. Von hier aus haben sie einen Blick in alle Richtungen.

Eine Holzschnitzerei von einem Ritter auf einem Pferd, der mit einer Lanze einen Drachen angreift

St. Jürgen im Kampf mit dem Drachen

An die Kirchenschiffe sind nun kleine Backsteinkapellen gebaut. Der Dom läuft fast über vor Schenkungen, darunter sogar ein angebliches Ei eines Greifens – vmtl. ein Straußenei aus Afrika. Die Reichen bringen Schätze und diese finden in den Backsteinkapellen Platz. Neben der Kirche wird zudem ein Backstein-Kreuzgang für feierliche Prozessionen gebaut. Zwischen 1400 und 1450 kommt dann auch noch ein wirklich ansehnliches Taufbecken hinzu.

Ein Dunkles Taufbecken aus Metall mit kleinen Figuren n den Seiten. Die Taufe steht auf Löwenfüßen.

Das Taufbecken steht bis heute im Dom.

Das gibt es auch heute noch. Doch von den Schätzen, die die Riber Familien in den Dom brachten, hat nur einer überlebt: Eine Darstellung vom Heiligen St. Jürgen im Kampf mit dem Drachen. Alles andere wurde Opfer einer weiteren neuen Zeit:

Die Reformation

Es ist 1535, der Dom ist inzwischen kein katholisches Gotteshaus mehr. Es ist ein Haus der Versammlung der Riber. Es gibt hier jetzt einen Morgen und einen Abendgottesdienst und das in der Sprache der Menschen. Die Heiligenbilder und der Pomp werden aus dem Dom geschafft.

Ein schwarzer Hut, ein schwarzer Umhang mit langen Ärmeln, der bis zum Boden geht und ein Weißer kragen.

Auch die Bischofskleidung bzw. Pastorentracht ändert sich mit der Reformation zu einem schlichten Gewand.

Es wird peinlich genau darauf geachtet, dass von vergoldeten Bronzen das Gold penibel angekratzt wird. Zwischen 1541 und 1561 ist es dann Hans Tavesen der hier im Dom zu Ribe die Messe liest. Er ist ein direkter Schüler von Martin Luther. Doch auch das reformierte Beten hilft gegen eines nicht – die Statik des Doms:

1596 Bürgerturm stürzt wieder ein – die Sturmglocke stürzt ab

Danach wird nicht restauriert, sondern geflickt. Der Turm bekommt ein Flachdach mit einer Balustrade. Zum Weihnachtsabend 1597 soll der Dom schön aussehen. Deswegen bekommt z.B. der Hochaltar einen neuen Aufsatz mit dänischem Wappen, doch vor allem gibt es ein neues Schmuckstück:

Eine Blau golden gestrichene Kanzel mit feinen Holzreliefs

Der Dom hat eine unfassbar hübsche Kanzel.

Eine Kanzel, die von Jens Asmussen geschnitzt wurde. Zwei Jahre später bekommt der Bürgerturm die neue Sturmglocke, Meister Lukas Melcior hat sie in Husum gefertigt. Seitdem sie in Ribe in den Dienst gestellt wurde, hat sie die Stadt schon so manches Mal gewarnt. Bei Feuer und bei Krieg.

Die Sturmglocke. Sie hängt an Holzbalken und ist staubig. Sie ist riesengroß und dunkel

Man darf für ein paar Kronen den Bürgerturm erklimmen und auch die Glocken sehen.

Vor allem aber bei der großen Sturmflut von 1634, die auch den Dom unter Wasser setzte. 1645 dient der Dom dann als eine Art Festung – die Schweden greifen an. Der Dom bekommt einige Kanonenkugeln ab, nach dem Krieg ist es nicht möglich Reparaturen zu finanzieren.

Einmal mehr droht der Einsturz

Dreimal gab es dann einzelne Sanierungsphasen. Sie alle hatten knappe Finanzmittel gemein. Deswegen wurden unnötige Gebäudeteile, wie der Kreuzgang, abgerissen. 1836 wurden die Bilder an den Pfeilern abgenommen – seitdem kann man die alten Malereien an den Wänden bewundern. Es ist ein Rätsel, wer hier gezeigt wird – haben sich die Kirchenbauer selbst ein Denkmal gesetzt?

Malerei zwei Männer mit Bart

Wer wird hier gezeigt?

Bis 1904 wurde der Dom dann von dem Architekten H. C. Amberg restauriert und dabei versucht, die ursprüngliche Bemalung auf den Stützen im Innenraum nach den erhaltenen Farbresten nachzubilden. Amberg restaurierte hochwertig und legte einen äußerlich nicht sichtbaren Strebebogen über die Kirchenschiffe, um endlich die Statikprobleme zu lösen. Außerdem gräbt der die Domkirche wieder aus – über Jahrhunderte war der Bau im natürlich wachsenden Sediment verschwunden, die Stadt drumherum liegt deswegen heute höher. Zudem wird dem Marienturm ein ursprüngliches Äußeres gegeben.

Der Dom von der Seite, ein Backsteintürmchen ist im vordergrund, dahinter der große Marienturm aus Tuffstein.

So sieht der Marienturm heute aus.

Eine aufwändige Arbeit, für die einmal mehr blauer Tuffstein aus dem rheinischen Gebiet importiert wird. Doch nicht nur das – im rheinischen Raum werden Tuffsteintürme betrachtet, um die Frage zu beantworten, wie der Marienturm ausgesehen haben könnte.

Der Dom ist eine Sammlung von Spuren der Zeit

So ist es in jeder älteren Kirche. An eine Sache denkt man oft nicht beim Betrachten der historischen Kunst und Architektur: In dem Moment, wo das angefertigt wurde, war das gerade top modern – und was modern ist, ändert sich. Deswegen kennt der Dom zu Ribe gleich zwei Skandälchen. Zum einen eine Figur eines breitbeinig stehenden Mannes, mit einem Phallus.

Die breitbeinige Sandsteinfigur.

Der breitbeinige Mann heute.

Eine Figur, die vielleicht eine ähnliche Idee hatte wie Sheelan-na-Gig. Doch 1865 wird diese Figur entmannt, sie passt nicht mehr zum Zeitgeist. Sehr in den Zeitgeist passte wiederum die Kunst in der Apsis des Chores. Diese Kunst wurde von Carl-Henning Pedersen in den 80er Jahren gefertigt. Er besorgte dafür norditalienisches Glas und beachtete die Mosaikkunst von Ravenna, um diese Techniken in seine Domkunst mit einfließen zu lassen. Schließlich geht der Dom auf die Gründung von St. Ansgar zurück und es gab damals, zur Zeit der Wikinger, auch Handelskontakte bis Norditalien, norditalienische Glasperlen wurden in Ribe gefunden, und in Norditalien selbst wurden mit Glassteinen wundervolle Mosaike gemacht. Carl Hennig Pedersen erschuf mit diesen Techniken zwischen 1982 und 1987 moderne Kunst in der Kirchenapsis.

Kubistisch anmutende Malereien in der Apsis des Chores. Sie sind überwiegend golden und Blau.

Die Bemalung des Chores.

Ein Aufschrei ging durch Dänemark – darf man das? Moderne Kunst, in einer so alten Kirche?

Ich auf dem Turm, der Wind ist so stark, dass mir die Haare in alle Richtungen wehen.

Der Bürgerturm ist derzeit übrigens nicht vom Einsturz bedroht. Wenn man ganz nach oben klettert, hat man einen guten Blick auf das Schloss von Ribe.

Hey, das war spannend, da muss ich auch mal hin – wen du das denkst, denke auch daran, das ich jobben gehe um für diech diese Artikel zu schreiben. du kannst die Hompage aber mit einem Trinkgeld unterstützen – für mehr interessante Geschichten aus der Menschheitsgeschichte.

Literatur:

Ebbe Nyborg: Der St. Mariendom zu Ribe.

Richard Kavero: Ribe Domkirke – Carl-Henning Pedersens udsmykning af korbuen, Ribe 2002.