Ein Hirschzahn schreibt Wissenschaftsgeschichte

20.000 Jahre vor heute. Eine Frau ist gestorben. Sie wird in der Denisovahöhle im heutigen Russland beigesetzt. Um den Hals trägt sie ihre geliebte Kette mit einem Hirschzahn. Sie hatte es schon zu Lebzeiten geliebt, diesen Anhänger zu tragen. Ihre Angehörigen geben ihn ihr mit auf ihre letzte Reise. Sie bleibt in der Höhle, bis Archäolog*innen sie schließlich finden und die werden mit diesem Hirschzahn Wissenschaftsgeschichte schreiben. Ein Blick auf eine neue Form der DNA-Forschung:

Was kann man mit DNA überhaupt untersuchen

Bisher wurden mit DNA-Analysen vor allem Verwandtschaften untersucht. Egal ob Mensch, Tier, Pflanze oder Bakterie – es ging darum, wie sich die DNA verändert hat. Wie sich Krankheitserreger verbreitet und verändert haben. Wie Tiere und Pflanzen domestiziert wurden, wie Menschen miteinander verwand sind. Und in Bezug auf die Geschichte der Menschen kann man Verwandtschaften auf einem Bestattungsplatz

Der Hirschzahn umgeben von Erdreich.

So sah der Hirschzahn aus, bei der Bergung. Skelettmaterial hat sich also kaum erhalten. Das konnte man also auch nicht untersuchen (Bild: Nature).

nachweisen, oder aber überregional erforschen, wo die engsten Verwandten zu finden sind. Genetische Erkrankungen lassen sich erkennen, oder aber auch, das biologische Geschlecht einer Person einordnen. Alles in Abhängigkeit vom Erhaltungsgrad der Knochen. Denn: Nicht aus jedem Knochen lässt sich heute noch DNA extrahieren – also so aus dem alten Knochen herauslösen, dass man sie untersuchen kann. Und deswegen war es eine Sensation, als man die Neandertaler-DNA erstmals extrahieren konnte. Svante Pääbo hat dafür völlig zurecht den Nobelpreis bekommen.

Was ist jetzt für eine Methode neu hinzugekommen?

Bei der neuen Untersuchung, die man nun erfolgreich ausprobiert hat, wurde ein Grab aus der weltberühmten Denisovahöhle betrachtet. Und in diesem Grab lag die Frau mit ihrer Hirschzahnkette. Doch hat man dieses Mal nicht die Frau untersucht, sie war dazu viel zu stark vergangen, stattdessen untersuchte man den Hirschzahn. Es ließ sich schnell feststellen, es handelt sich um einen für die Kette durchlochten Zahn eines Wapiti-Hirsches. Und dieser hatte einen Vorteil: Meist waschen Archäolog*innen die

Schematische Darstellung davon, wie der Zahn bei verschiedenen Temperaturen gewaschen wird, und welche Ergebnisse man auf der Oberfläche beobachten konnte.

Man hat den Zahn in einzelnen Schritten gereinigt und dabei jeweils das angeklebende Erdmaterial auf DNA Spuren untersucht (Bild: Nature).

Funde schon vor Ort gründlich, um sie von Erde zu befreien und genau betrachten zu können. Das hatte man bei diesem Zahn jedoch nicht gemacht, was das genaue, unverfälschte Betrachten und Untersuchen der Oberfläche ermöglichte. Das Besondere ist auch: Bei dieser Methode kann die DNA des Hirsches und die DNA der Trägerin erfasst werden und das ganz ohne den Fund zu zerstören. Dazu wird das Erdreich um den Zahn unter Laborbedingungen bei verschiedenen Temperaturen gewaschen und das dabei gewonnene Material untersucht.

Und was hat man an der Oberfläche untersucht?

Das Problem ist oft, durch den Umgang mit den Stücken kontaminieren Archäologen die Funde mit ihrer eigenen DNA. Wenn man dann die Funde untersucht, dann findet man oftmals die falsche DNA – also die der Menschen, die den Fund geborgen haben. Die Denisovahöhle ist vor allem deswegen so bekannt, weil hier in dieser Hinsicht besonders gründlich gearbeitet wurde. So konnte man in einem Zahn, der hier gefunden wurde, eine bislang gänzlich unbekannte DNA des Denisova-Menschen

Die Fundstelle mit vier Personen im Hintergrund. Alle tragen schwarze Gummihandschuhe.

Das sieht man selten: Die Ausgräber tragen Gummihandschuhe bei der Bergung (Bild: Sergey Zelensky).

finden. Und dieser, fehlte zuvor im Stammbaum unserer Geschichte. Damit das möglich war, trugen die Archäolog*innen zum Beispiel Schutzkleidung bei der Ausgrabung und Gummihandschuhe. Die Funde wurden nie direkt berührt, in Plastiktüten gesichert ins Labor gebracht und erst in einem Reinraum wieder geöffnet. Der Hirschzahn wurde also besonders sorgsam behandelt, sodass man nun die Anhaftungen an dem Zahn daraufhin untersuchen konnte, ob die Menschen vor 20.000 Jahren ihre DNA auf dem Zahn hinterlassen haben. Dabei stand eine Frage im Mittelpunkt: Wer trug diese Kette um den Hals?

Was sind die Ergebnisse dieser Untersuchung?

Die DNA, die in mehreren Schritten von dem Zahn genommen wurde, hat gezeigt: Es hat sich die prähistorische DNA der Person, die die Kette um den Hals trug, erhalten. Sie war im Erdreich, das an der Kette klebte, als Abrieb an dem Zahn zu finden. Und dieser Abrieb entsteht, wenn man die Kette im Alltag trägt. Hautschuppen und Schweiß bleiben an der Kette haften und hinterlassen diese Spur. Und so ein Hirschzahn ist porös genug in seiner Oberflächenstruktur, dass sich dies an seiner Oberfläche

Der etwa 10 cm Lange Hirschzahn neben einem Masstab.

Dieser kleine Hirschzahn kann der Beginn vieler neuer Einblicke in die Menschheitsgeschichte sein (Bild: MPI f. evolutionäre Anthropologie).

ablagert. Und die DNA zeigte, es war eine Frau. Sie war eng mit den Menschen verwand, die in dieser Zeit in dieser Gegend ansässig waren. Ihre Bestattung liegt weit im Westen der Region, in der ihre Verwandten lebten – es wurde nur die DNA dieser Person an der Kette gefunden, man kann also davon ausgehen: Dieser Kettenanhänger gehörte ihr. Dieses wenig überraschende Ergebnis ist dennoch ein Meilenstein in der Forschung. Denn zukünftige Untersuchungen dieser Art können mehr Aufschluss über das Leben in der Prähistorie geben:

Wie man in der Zukunft diese Methode nutzen kann

Oft gibt es gerade in der Prähistorie nur Vermutungen, wie die Gesellschaft strukturiert war. In den Genderwochen habe ich das ja bereits thematisiert. Die Frage ist: Wer hat Werkzeuge hergestellt? Wer hat welche Geräte benutzt und in der Hand gehalten? Bilder von Jäger, und Sammlerinnen oder Jägerinnen und Sammlern sind in der Diskussion, weil wir das eben anhand von Funden nur vermuten können. Fragen, wie: gab es überhaupt eine Arbeitsteilung und wie sah diese aus, kann man nur ganz bedingt rekonstruieren. Finden wir in Zukunft an verschiedenen Objekten immer wieder

Ein Mensch in einem Ganzkörperschutzanzug, in einem Reinraum, der mit Atemmaske und Handschuhen gekleidet, den Zahn untersucht.

Nur selten ist es der Fall, dass ein Fund von Anfang bis Ende unter Laborbedingungen betrachtet werden kann, wie hier von Elena Essel (Bild: MPI f. evolutionäre Anthropologie).

Überreste der DNA der Menschen, welche, die Werkzeuge, Waffen oder auch banale Alltagsgegenstände häufig genutzt haben, können wir diese Lebenswelt besser betrachten, weil wir mehr Hinweise auf das Leben lang vor unserer Zeit bekommen. Natürlich wird all diese Forschung noch lange dauern, vor allem weil sich an den oft erhaltenen Steinwerkzeugen aufgrund ihrer Oberflächenstruktur viel seltener DNA-Reste ablagern, weil diese Forschung teuer ist und weil nur selten bei Bergungen Laborbedingungen herrschen – aber ein Schritt für zukünftige Forschungen ist gemacht.

Literatur:

https://www.scinexx.de/news/archaeologie/erste-dna-analyse-bei-einem-steinzeit-objekt/

https://www.nature.com/articles/s41586-023-06035-2

https://www.mpg.de/20238006/0428-evan-spuren-aus-der-vergangenheit-150495-x?c=150520