Gastautor: Hannes von Anarchaeologie
Am 3. September 2019 wurde im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ein neuer Teil der Dauerausstellung eröffnet. Es handelt sich um einen Raum, in dem die späte Römische Kaiserzeit (ca. 160 – ca. 375) sowie die Völkerwanderungszeit (ca. 375 – ca. 450) veranschaulicht werden soll. Unter dem Titel “Barbarenmacht” bekam die jüngste vorgeschichtliche Epoche endlich auch einen Platz im sachsen-anhaltischen Landesmuseum und bildet vorerst den Abschluss der Dauerausstellung. In den kommenden Jahren sollen ein mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Teil hinzukommen.
Das Museum gilt als eines der besten prähistorischen Museen Deutschlands. Die Dauerausstellung bildet mit dem Ziel “das reiche kulturelle Erbe des Landes” auszustellen ein Fundament für diesen ausgezeichneten Ruf. Gerade wegen dieser Wahrnehmung des Museums, die unter anderem dazu führte, dass Halle ein Top-Standort für Archäologie ist, gehen allerdings manchmal kritische Einschätzungen unter. Dabei ist eine ernsthafte Kritik stets auch eine Möglichkeit der weiteren Verbesserung.
Aus diesem Grund habe ich mir vorgenommen, diesen Gastbeitrag zu schreiben. Ich habe mir die Eröffnung des neuen Ausstellungsteils zum Anlass genommen, sowohl den frühkaiserzeitlichen als auch den neuen spätkaiserzeitlichen Raum aus Sicht eines Besuchers, aber auch eines Archäologen der Römischen Kaiserzeit, beschreibend und einschätzend vorzustellen. Das heißt, einige Punkte sind sicherlich subjektiv und von meinen eigenen Vorstellungen geprägt.Zuerst bewegt man sich durch die älteren Abschnitte der Dauerausstellung, um dann zu den neuen Teilen zu gelangen. An diesen älteren Bereich schließt ein heller und farbenreicher Raum an. Es handelt sich um den Raum, welcher als ‘Schreibstube des Tacitus’ bezeichnet wird und die frühe Kaiserzeit thematisiert. Die Ausstellung trägt den Titel ‘Die Erfindung der Germanen’. Dieser Raum ist nach dem Vorbild pompejanischer Wandmalerei gestaltet. Sogar kleine Gewölbe wurden nachgebildet. Dieses Komplettdesign des relativ kleinen Raums ist qualitätvoll und durchaus beeindruckend. Ebenso enthalten die Schaukästen schöne Inszenierungen, wie man es aus dem Museum gewohnt ist. Über den in die Wand integrierten Vitrinen befinden sich nachgeahmte steinerne Inschriftentafeln. Auf diesen sind lateinische und griechische Texte zu lesen, die originalen antiken Quellen entnommen wurden und die Germanen beschreiben. Mithilfe von Übersetzungen können auch Nicht-Altphilolog*innen erfahren, wie die antiken Schriftsteller die mitteleuropäischen Barbaren wahrnahmen und einschätzten.
Doch ist dies gleichzeitig ein großer Schwachpunkt der Ausstellung: weder wird darauf eingegangen, dass die verschiedenen Schriftsteller aus verschiedenen Motivationen heraus ‘die Germanen’ beschrieben, noch wird das Problem der topoi thematisiert. Stattdessen deutet ein Erklärungstext sogar an, dass man den Quellen problemlos vertrauen kann: “Dank der antiken Schriftquellen kennen wir Namen, Aussehen und Gebräuche hiesiger Völker”. Unter topoi versteht man Beschreibungen und Erzählungen, die immer wieder wiederholt wurden und somit Stereotype und Klischees darstellen. Als Beispiele sind zu nennen: das schlechte Wetter, die dunklen Wälder und die Sümpfe Germaniens – oder dass es Menschenopfer gegeben habe – oder dass die Germanen freiheitsliebend gewesen seien. Die Germanen waren Träger*innen der ersten Kultur im sachsen-anhaltischen Gebiet, über die wir schriftliche Nachrichten haben. Dementsprechend kann man durchaus diese Quellen museal ins Spiel bringen. Nur sind sie eben größtenteils nicht vertrauenswürdig, da die Autoren mit bestimmten Absichten und der ‘römischen Brille’ schrieben, und dieser Hinweis fehlt.
Offensichtlich wird die Vermittlung der elbgermanischen Kultur, das ist die Kulturgruppe, die im weiteren Umfeld der Elbe ihre Spuren hinterlassen hat, während der ersten beiden Jahrhunderte nach der Zeitenwende also komplett aus römischer Sicht aufgezogen. Daher ist es auch nicht überraschend, dass die rechtsrheinischen Eroberungsbestrebungen Roms sowie schriftlich überlieferte politische Entwicklungen thematisiert werden. Nicht, dass ich falsch verstanden werde:
Aber durch diese Schwerpunktsetzung wirkt es fast so, als hätte es die germanische Kultur ohne die Römer nie gegeben und als hätte diese Kultur quasi nichts Eigenständiges, was nennenswert wäre.
In dem Ausstellungsraum sind einige römische Münzen sowie Grabausstattungen (Beigaben und Gefäße) augestellt. Interessanterweise werden die elbgermanischen Bestattungen durchweg als hermundurisch angesprochen, es wird demnach einer ethnischen Zuordnung gefolgt, ohne dass auf die Unterscheidung elbgermanisch – rhein-weser-germanisch eingegangen wird (die beiden großen Gruppen, die wir archäologisch anhand der Funde trennen können). Die Hermunduren waren ein schriftlich überlieferter Stamm, welcher in Mitteldeutschland ansässig gewesen sein soll. Ich kann nachvollziehen, dass eine Stammesbezeichnung, insbesondere für Nicht-Archäolog*innen, attraktiver ist als Fachbegriffe.
Darüber hinaus fällt auf, dass mit zwei Elitengräbern (Quetzdölsdorf und Bornitz) ein Fokus auf die Spitze der Gesellschaftspyramide gelegt wurde. Das heißt, es werden vorrangig Grabgefäße, Schmuck, Münzen und Objekte römischer Herkunft ausgestellt. Inhaltlich wird sich auf die römisch-germanischen Beziehungen, auf die Schriftquellen, auf auf die Krieger und auf die Eliten beschränkt. Folglich kann man in dem Raum nicht erfahren, wie die Germanen (im sachsen-anhaltischen Gebiet) tatsächlich lebten, wie ihre Häuser und Siedlungen aussahen, welche Dinge sie im Alltag verwendeten oder wie ihre Wirtschaft organisiert war. Ich will damit nicht sagen, dass das Museum streng an die Grenzen des Bundeslandes gebunden ist, da sich die Kulturen auch nicht an diese halten. Jedoch denke ich, dass man der materiellen Kultur aus Mitteldeutschland mehr Rechnung tragen sollte. So wird zum Beispiel nicht deutlich, dass die Germanen hauptsächlich bäuerlich lebten und nicht als Krieger.
Auch der Gang, welcher zum spätkaiserzeitlichen Raum überleitet, ist komplett im Stile römischer Architektur gestaltet. Eine Wand zeigt ein spätrömisches Mauerwerk, das in erodiertem Zustand erscheint und sogar Spolien (wiederverwendete Architekturteile) aufweist. Die anderen Wände weisen römische Graffiti auf, unter anderem ein Easter egg: “NEMO MURUM AEDIFICARE VULT” – Na, wer weiß, was das heißen soll?
Wieder ist die umfangreiche und detaillierte Gestaltung des Raums sehr eindrucksvoll. Dieser Übergangsbereich behandelt germanische Söldner im römischen Heer und den germanischen Einfluss auf dieses.
Der folgende Bereich hingegen sieht anders aus: man gelangt in einen hallenartigen Raum, dessen Wände weiß sind. Über einigen Vitrinen befinden sich die bekannten und bezaubernden Gemälde von Karol Schauer, die bestimmte Befunde oder Fundplätze rekonstruieren. Die Decke und die drei Pfeiler sind wie eine ‘germanische Versammlungshalle’ gestaltet. Im Einzelnen heißt das, dass die Pfeiler mit Holz verkleidet und im oberen Bereich in einer Mischung aus völkerwanderungszeitlichen und frühmittelalterlichen Stilen reliefartig verziert sind. An der Decke befinden sich große Abbildungen von goldenen Artefakten.
In diesem Teil der Ausstellung soll es um das 3. bis frühe 5. Jh. gehen. Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt wieder bei der Stammesgeschichte. So wird vermittelt, dass nach der Abwanderung der Hermunduren sich Chatten und Juthungen ansiedelten. Es wiederholt sich das Problem, dass eigentlich nicht Chatten nachgewiesen werden können, sondern rhein-weser-germanische Gruppen. Der Begriff ‘Volk’ begegnet einem immer wieder, wobei seit Längerem in der wissenschaftlichen Community allgemein gilt, dass dieser Begriff nicht auf archäologische Sachverhalte angewendet werden kann, da es sich um ein Konstrukt des 19. Jh. handelt.
Als neues Thema kommt nun die Geisteswelt und Religion hinzu. Hier werden Opferpraxis, kultische Objekte und Weihungen in gut verständlichen Texten vorgestellt. Aus Sachsen-Anhalt sind leider nur einzelne Funde oder selten auch als Opfergruben oder ähnliches interpretierte Befunde bekannt. Hierzu passt ebenfalls, dass eine der Säulen mit Nachahmungen von Goldgubbern (kleine Goldbleche in Form von Männchen) verziert ist, die assoziieren, dass diese ein Teil der hiesigen Kultur gewesen sind. Allerdings ist dieser Fundtyp nicht aus Sachsen-Anhalt bekannt.
Eine wichtige Rolle nehmen zudem skandinavische mittelalterliche und antike Quellen ein, um der Glaubenswelt der Germanen näher zu kommen. Vor allem Tacitus’ Germania wird bemüht, um das germanische Pantheon nachzuzeichnen. Wieder fehlt es an jeglicher kritischen Reflektion dieser Quellen, obschon es dazu umfängliche wissenschaftliche Literatur gibt. Ich habe darüber hinaus auch immer ein großes Problem mit der rückschreibenden Methode: nämlich sind die mittelalterlichen Quellen bis zu tausend Jahre jünger als die Epoche, um die es geht. Daher ist es sehr problematisch, sie unreflektiert auf die archäologischen Kulturen zu übertragen. Zum Beispiel thematisiert ein Schaufenster die Merseburger Zaubersprüche, welche dort auch in althochdeutsch zu hören sind, begleitet von einem gut gemachten Comic. Diese Quelle wird in das 8. Jh. datiert und nennt Wodan und einige seiner ihm zugesprochenen Fähigkeiten. Zweifelsohne handelt es sich um eine äußerst bedeutsame Quelle, jedoch fehlt der Hinweis, dass wir nicht wissen, ob der Gott schon im 3. Jh. als solcher existierte. Es geht bei dieser Kritik darum, dass die germanische Religion als kontinuierlich dargestellt wird, was wiederum deutsche Abstammungsfantasien untermauern kann. Und das auf einer Belegbasis, die für Besucher*innen stichhaltig aussieht, tatsächlich aber handelt es sich um eine wissenschaftlich umstrittene Faktenlage. Warum wird nicht gleichermaßen beleuchtet, dass die frühmittelalterliche, heidnische Religion durch römische und christliche Eindrücke beeinflusst wurde?Thematisch verwandt mit der Glaubenswelt sind zudem die Bestattungen, von denen einige zu sehen sind. Wieder nehmen die Elitengräber einen großen Anteil ein, weswegen wunderbare Objekte zu sehen sind. Der Fokus liegt, wieder auf metallenen Beigaben – diese sind selbstverständlich beeindruckend, vor allem, wenn sie römisch sind. So ist auch das berühmte ‘Fürstengrab von Gommern’ ausgestellt. Leider wurde dieses außergewöhnliche Fundensemble wie bei einer Preziosenschau inszeniert: die Objekte sind neben- und hintereinander aufgebaut und werden so angestrahlt, dass sie besonders intensiv glitzern. Dass die Grabkammer als solche und die dokumentierte Ausstattung dieser ebenso besonders sind, wird nicht betont. Ich hatte gehofft, dass man die Grabkammer nachbildet und die Funde dann entsprechend ihrer Lage präsentiert. Bei den anderen Elitengräbern wird anhand der Ausstattungsunterschiede erläutert, dass man zwischen Adligen und Hofherren unterscheiden könne. Inwieweit sich über die Beigaben rechtlicher Status (Erbrecht) ableiten lässt, ist umstritten.
Der neue Teil der Hallenser Dauerausstellung ist eher eine Ausstellung über die römisch-germanischen Beziehungen als eine über die römische Eisenzeit im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt. Ich frage mich, worin die Gründe für diese Schwerpunktsetzung liegen. Warum hat man nicht einen der Räume wie ein Wohnstallhaus gestaltet oder ein Gehöft in einem Wald nachgebildet? Mir ist bewusst, dass in Sachsen-Anhalt bisher keine große Siedlung ergraben worden ist und dass der römische Einfluss auf die germanische Oberschicht wichtig war. Trotzdem stellten Siedlungen den Lebensmittelpunkt der ‘gewöhnlichen’ Germanen dar und sind daher wichtiger als manch eine schriftliche Quelle, wenn man ihre Lebenswelt verstehen will.
Wie ich eingangs geschrieben habe, bin ich kein Laie und kenne mich einigermaßen mit der thematisierten Epoche aus. Deswegen kann es sein, dass bestimmte Punkte für mich schlimmer wirken als sie vielleicht tatsächlich sind. Grundlegend ist beispielsweise festzuhalten, dass das Design nicht nur sehr ideenreich ist, sondern auch bis ins kleinste Detail qualitätvoll umgesetzt wurde. Dennoch meine ich, dass sich das Landesmuseum in diesem Fall um mehr Wissenschaftlichkeit bemühen sollte, da man nie weiß, ob unreflektierte Formulierungen oder vereinfachte Darstellungen nicht doch manchmal zu etwas Schlimmerem führen können. Gerade in Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen muss die Wissenschaft, und Museen als ihre ‘Exekutive’, wieder mehr Aufklärung leisten. Das heißt, weg von einfachen Erklärungen hin zu der Befähigung Sachverhalte kritisch zu reflektieren.
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Oha! Da klingeln auch bei mir als Althistorikerin (die ihre Magisterarbeit über Tacitus geschrieben hat) gleich die Ohren. Volk? Die Germanen? Taciteische Bezeichnungen? Schwierig. Dabei kann man auch solche komplexen Themen durchaus in ihrer Komplexität abbilden. Und vor allem kann man sie nutzen, um nicht nur Objekte zu zeigen, sondern auch wissenschaftliches Arbeiten in der Archäologie. Woher wissen wir was (abgesehen von schriftlichen Quellen)? Wie ordnen wir Dinge warum zu? Welche Methoden nutzen wir dafür? Das ist doch alles super interessant und gibt den Besucher*innen ein ganz anderes Verständnis mit als hübsche Elitengräber. So schürt man das Feuer der Germanen- und Wikingeranhänger, die sich auf Abstammung berufen. Wieviel spannender wäre, Identitäten anhand von Methoden in Frage zu stellen; auf den Unterschied zu verweisen zwischen dem, was die Quellen sagen, und dem, was die Funde erzählen; klar zu machen, dass “Germane sein” verschiedenste Dimensionen hatte, ebenso wie heute “Deutsche*r” und damit eine andere Verbindung zwischen damals und heute herzustellen als über Einheit und “Leitkultur”. Und auch wenn es sicher nett ist, einen Raum nach römischer Wandmalerei zu gestalten, muss man sich klar machen, dass das mit der Kaiserzeit in Ostdeutschland einfach nichts zu tun hat. Dass man Ausstellungen heute auch anders, multiperspektivisch gestalten kann, sollte sich doch inzwischen herumgesprochen haben. Und dass man Tacitus nicht trauen kann auch 🙂
Hallo, danke für deinen Kommentar. Ich habe mich in meiner ersten Masterarbeit auch mit dem taciteischen Germanenbild beschäftigt..Vor allem fand ich A. A. Lund sehr aufschlussreich, der die ganzen Bilder, Metaphern und Topoi auseinander genommen hat. Und ja, man könnte damit auch die Besucher*innen zu einem kritischen Umgang mit Schriftquellen bringen…
Hallo!
In vielen Dingen kann ich Ihnen zustimmen, doch ein paar Dinge würde ich gerne ergänzen.
1.) Über die Sprache darf spekuliert werden, ob “die Germanen” nicht doch ein Bewusstsein dafür hatten, dass sie ein Volk sind. So besteht eine etymologische Ähnlichkeit zw. den Begriffen “Wenden, Welsh und Volcae.” Diese 3 Begriffe stammen aus unterschiedlichen Räumen und Zeitaltern, aber ich meine gelesen zu haben, dass alle in etwa sowas wie “Plapperer, oder Stammler” heißen sollen und ein Hinweis wären, dass “die Germanen” diese Völker sprachlich nicht verstanden haben. Ähnliches ist z.B. von den Slawen bekannt, die die Deutschen als “Nemitz” bezeichnen, was wohl so viel heißt wie “die Stummen.” Ergo: Wäre es nicht also möglich, dass “die Germanen” durchaus wussten, dass sie zumindest eine Sprachfamilie darstellen und sich daher durch ein schwaches “Wir” – Gefühl definiert, sogar unabhängig vom Imperium Romanum?
2.) “Wieder fehlt es an jeglicher kritischen Reflektion dieser Quellen, obschon es dazu umfängliche wissenschaftliche Literatur gibt. Ich habe darüber hinaus auch immer ein großes Problem mit der rückschreibenden Methode: nämlich sind die mittelalterlichen Quellen bis zu tausend Jahre jünger als die Epoche, um die es geht. Daher ist es sehr problematisch, sie unreflektiert auf die archäologischen Kulturen zu übertragen.”
Ihre Kritik ist berechtigt, dennoch sei auch erwähnt, dass hier die Archäologie durchaus Informationen aus anderen wissenschaftlichen Bereichen heranziehen sollte, bzw. diese genutzt werden, um Lücken der örtlichen Geschichte möglicherweise zu schließen. Etymologie, Volkskunde und Ethnologie. Tut man dies, findet man durchaus viele Motive einer Mythologie immer wieder, welche dann wieder herum ein größeres Bild ergeben.
3.) “Zweifelsohne handelt es sich um eine äußerst bedeutsame Quelle, jedoch fehlt der Hinweis, dass wir nicht wissen, ob der Gott schon im 3. Jh. als solcher existierte. Es geht bei dieser Kritik darum, dass die germanische Religion als kontinuierlich dargestellt wird, was wiederum deutsche Abstammungsfantasien untermauern kann.”
Ein wirklich guter Kritikpunkt, so war es doch Tacitus selbst, der Unterschiede im Götterpantheon der Stämme Germaniens (ist wohl eine bessere Beschreibung als “die Germanen”!?) beschrieb. Z.B. das die Stämme östlich der Elbe wohl einen “Nerthus-Kult” hatten, also dort stand wohl ein/e Nerthus/Njörd im Mittelpunkt stand und nicht Odin. Bzw. deutet die Entstehungslegende z.B. der Langobarden darauf hin, dass Odin ein eher jüngerer Hauptgott gewesen ist.
Außerdem gibt es auch eine etymologische Theorie, dass “Deutsch” vom westgermanischen Deuwaz (Tiwaz) abgeleitet sein könnte, also das sich die Bezeichnung “deutsch” eventuell in der Zeit der Stammeskonförderationen (ca. 4.5 Jhd., siehe Franken, Sachsen usw.) gebildet haben könnte. Ein Hinweis, dass Deuwaz/Tiwaz wohl mal der alte Hauptgott der Region war und nicht Odin. Des Weiteren sind viele lokale Gottheiten belegt, die es nur in bestimmten Regionen gab, bei den Ostgerman und in Teilen Norwegens und Schwedens tauchen auffallend viele weibliche Gottheiten auf.
4.) “Diese Quelle wird in das 8. Jh. datiert und nennt Wodan und einige seiner ihm zugesprochenen Fähigkeiten. Zweifelsohne handelt es sich um eine äußerst bedeutsame Quelle, jedoch fehlt der Hinweis, dass wir nicht wissen, ob der Gott schon im 3. Jh. als solcher existierte.”
Durch Deutungen der gotländischen, schwedischen Runensteine und einer Funde aus England, nimmt man an, dass Odin wohl etwa spätestens im 3. Jhd. nachgewiesen werden (könnte).
Also die vorchristliche Religion Mitteleuropas dürfte mit einiger Sicherheit nicht kontinuierlich gewesen sein, wobei man eine kontinuierliche Ausbreitung eines Odinkultes annehmen könnte.
5.) “Dass die Grabkammer als solche und die dokumentierte Ausstattung dieser ebenso besonders sind, wird nicht betont.” Das haben die in Halle nicht gemacht? o.O
6.) Bezügl. der Versammlungshallen usw. sei es noch erwähnt, dass Ptolemaios einige “Polis” im freien Germanien erwähnte und den Ort Marobudum, welcher eventuell als Königssitz von Marbod dem Markomannen gelten (könnte), allerdings ist auch durch die Römer überliefert, dass die Hauptstätte Marbods durch einen Konkurenten namens Catualda zerstört wurde.
Abseits davon ist Deutschland nicht umsonst “das Schlachtfeld Europas.” Zerstörung, Verwüstung und Vertreibungen kamen in Mitteleuropa wesentlich häufiger und extremer vor als es in Skandinavien der Fall wäre. Während vor allem in Norwegen, Island und Nordschweden sich fast jeder Einwohner in einem langen Stammbaum wieder findet und auch den eigenen Hof schon seit Xter Generation bewirtschaftet, können dies in Polen, oder Deutschland bestenfalls eine handvoll Adeliger von sich und seinen Besitzungen behaupten.
Alles in Allem freut mich aber Ihre Kritik am Hallenser Museum für Frühgeschichte.
Hallo, vielen Dank für die Anmerkungen!
Tatsächlich ist die Germanistik bzw. Sprachwissenschaft ein gewisser blinder Fleck bei mir, da ich mich einfach nur wenig damit auskenne. So bin ich mir auch immer unsicher, wie bestimmte Methoden und Schlussfolgerungen einzuschätzen sind. Bzgl. Ihrer These der gemeinsamen Identität über die Sprache, denke ich, dass es schwierig ist, anhand der sehr sehr wenigen originalen germanischen Worte aus dem 1.-3. Jh. eine überregional gleiche Sprache auszumachen. Viele der Quellen und Etymologien beziehen sich m.W.n. eher auf späteren Jahrhunderte.
Aber ja, ansonsten stellt die Sprache neben der materiellen Lebensweise ein wichtiges Indiz für kollektive Identität dar.
Bzgl. der Gottheiten zeigen auch die Weihinschriften aus den germanischen Provinzen, dass jeder Clan vermutlich seine eigenen Schutzgottheiten hatte. Viel deutet darauf hin, dass sich ein kanonisierter Pantheon mit männlicher Kriegergottheiten in der Mitte des 1. Jahrtausends durchgesetzt hat, als die germanischen Reiche das römische Machtvakuum ausfüllten.
Zuletzt zu Ihrem Punkg mit Marbods Sitz: wir kennen, rein archäologisch gesehen, aus Mitteldeutschland lediglich kleinere und größere Gehöfte, aber keine Siedlungen oder Gebäude, welche man eindeutig als politisches Machtzentrum bezeichnen würde – das steht im Widerspruch zu den sehr hochstehenden ‘Fürstengräbern’. Solche großen (Königs) Hallen kennen wir nur aus Nordeuropa.
“Zuletzt zu Ihrem Punkg mit Marbods Sitz: wir kennen, rein archäologisch gesehen, aus Mitteldeutschland lediglich kleinere und größere Gehöfte, aber keine Siedlungen oder Gebäude, welche man eindeutig als politisches Machtzentrum bezeichnen würde – das steht im Widerspruch zu den sehr hochstehenden ‚Fürstengräbern‘. Solche großen (Königs) Hallen kennen wir nur aus Nordeuropa.”
Ich denke, dass es u.a. einfach daran liegt, dass viele Orte, die Ptolemaios auf seiner Karte “Germania Magna” verzeichnet hat, stark mit heutigen Städten deckungsgleich sein könnten. Z.B. Lupfurdum = Dresden!?, Aregelia = Leipzig!? Rhougion = Rügenwalde (Pommern)?! Und viele mehr. Kurz um: Wenns welche in Deutschland/Mitteleuropa gegeben hat, wäre es möglich, dass diese nie aufgegeben wurden und heute Stadtzentren, oder Burgen auf ihnen stehen. Z.B. das Schwerin Schloss wäre so ein Fall, wo man Grabungen im Schlosshof durchgeführt hat und dabei auf die slawischen Vorgängerburgen, sowie auf noch frühere, germanischen Reste (angeblich) gestoßen ist.