Es ist im Sommer 1933. In Polen macht der Lehrer Walentin Szwajcer etwa 80 km von Poznan entfernt, einen Ausflug mit seiner Klasse an den See Biskupin. Irgendwann fällt dem Lehrer auf, ein paar Holzstücke ragen seltsam aus der Wasseroberfläche empor – also betrachtet er die seltsamen Hölzer. Was so harmlos und idyllisch beginnt, ist die Entdeckung des wichtigsten archäologischen Fundplatzes Polens. Eine Geschichte aus politischen Missbrauch und wissenschaftlicher Erkenntnis beginnt:
Was in Biskupin gefunden wurde
Bei dem Fundplatz, handelt es sich um eine 2.700 Jahre alte Reihenhaussiedlung, die auch als das Pompeji Polens bezeichnet wird. Sie wurde aus Holz gebaut – und wie alle archäologischen Fundplätzen mit guter Holzerhaltung, lässt sich hier besonders viel erforschen. In den 80ern wurde so anhand von Dendrodaten (Baumringanalyse) festgestellt, das Holz für den Bau der Siedlung wurde in der Zeit zwischen 727 und 722 v. Chr., also in der Früheisenzeit, gefällt. Neuere Untersuchungen an Hölzern, die für Reparaturen genutzt wurden, zeigen, dass diese Siedlung mindestens 70 Jahre lang gepflegt und immer wieder repariert wurde.
Die Siedlung war in der Eisenzeit etwa 2 Hektar groß. Sie bestand aus ordentlich angelegten Reihenhäusern, hinter einem Haupttor gab es einen kleinen Dorf- bzw. Stadtplatz. Der ganze Ort war von einer Wehranlage, deswegen spricht an auch von einer Wehrsiedlung, umgeben. Zusätzlich war die Siedlungsinsel durch Wellenbrecher geschützt. Der Fundplatz wird er Lausitzer Kultur zugerechnet. Besonders an dieser Siedlung ist der Entstehungszeitpunkt am Beginn der Eisenzeit, also einer Zeit des kulturellen Umbruchs. Die Lausitzerkultur hatte sich schon in der Bronzezeit aus Urnenfelderkultur heraus entwickelt, und wandelte sich aber nun als ganzes in eine eisenzeitliche Kultur. So entstand die ungewöhnliche Siedlung vielleicht in einem ganz neuen Weltverständnis.
Alles in allem wirkt der Ort gigantisch. Der massive Schutzwall aus Eichenholzkästen, eine 250 m lange Brücke zum Festland, das Tor mit der großen zweiflügeligen Tür. Oft wird davon ausgegangen, dass das Tor bis zu 9 m hoch war. Genau belegen kann man das aber nicht. Als Anhaltspunkt dient nur eine ca. 6 Meter hohe Leiter die bei den Grabungen gefunden wurde. Aber in Anbetracht dessen, dass die Siedlung vom Bauaufwand gigantisch wirkt, ist auch eine vergleichbar gigantische Torhöhe wahrscheinlich. Insgesamt finden sich hier 13 Reihenhäuser mit sehr ähnlichen Wohnungen. Sie alle waren mit Holzfußboden ausgestattet, hatten eine Unterteilung in Vorraum, Herdstelle und Schlafplatz. Verschiedene Untersuchungen sprechen von 1.000 bis 5.000 Einwohner*innen in Biskupin.
Wie wurde in Biskupin gelebt?
Aufgrund der gleichförmigen Art der Wohnungen wird eine egalitäre Gesellschaft vermutet. Da es kaum Platz für Werkplätze verschiedener Handwerksrichtungen, Viehhaltung oder Ackerbau gab, wurde die Arbeit wahrscheinlich gemeinsam außerhalb der Siedlung vorgenommen. Diese Lebensart brachte der Siedlung eine erste große Blüte im 8. Jahrhundert v. Chr., dann brannte alles nieder. Die Siedlung wurde wieder aufgebaut, dieses Mal aber nicht so ordentlich und strukturiert. Möglich ist aber, dass die egalitäre Gesellschaftsform hier weiter gelebt wurde. Ethnologische Vergleiche in Neu Guinea zeigen, dass ein gemeinsamer Bezug der Rohstoffquellen und eine gleichberechtigte Lebensweise Ausdruck einer kulturellen Identität sein kann. Aber wie immer sollte Vorsicht geboten sein – ethnologische Beobachtungen sind nur Möglichkeiten für Fundplatzinterpretationen und niemals Beweise (dazu folgt bald ein Artikel).
Es ist auch möglich, dass diese Wohnsiedlung mit Befestigung gar keinen Wehrcharakter hatte, sondern, dass die Wehranlage als Aussichtsplattform gedacht war. Zum Beispiel um das umliegende Land und Vieh im Auge zu behalten. Alles in allem lässt sich sagen: Für ihre Zeit und ihre Region ist die Siedlung Biskupin absolut ungewöhnlich. Fest steht aber – Fast 200 Jahre bleibt es hier friedlich. Und dann im Jahre 571 v. Chr. brennt der Ort endgültig nieder. Die Pfeilspitzen die im Wallholz gefunden wurden weisen auf einen Angriff der Skythen hin. In dieser Zeit beginnt die Lausitzer Kultur aber insgesammt zu verschwinden.
Vom sensationellen Fundplatz mit modernster Forschung zum Propagandaort
Wer sich diese Rahmendaten einmal durch den Kopf gehen lässt, der kommt schnell auf Ideen, wie man diesen Ort politisch instrumentalisieren kann – und vieles davon ist auch schon passiert. Unter polnischer Grabungsleitung wuchs das hier arbeitende Ausgrabungsteam zunächst kontinuierlich, denn in den 30er Jahren gab es absolut keine vergleichbare archäologische Sensation. Da der gute Holzerhalt den Fundplatz einzigartig macht, wurde mit den modernsten Methoden geforscht. Das hieß damals: Ein Heißluftballon wurde genutzt, um Luftbilder anzufertigen – Das war die erste luftbildarchäologische Untersuchung der Welt. Und weil die Reihenhaussiedlung auf einer versunkenen Halbinsel lag, gab es hier auch frühe Forschungen der Unterwasserarchäologie. 1937 wurde dann damit begonnen an Ort und Stelle das Dorf wieder aufzubauen. Dann wurde Polen durch die Nazis besetzt. Sie wollten die Geschichte neu schreiben – und zwar so, dass sie sich politisch für die Zwecke der NS-Ideologie eignete:
Biskupin zur Zeit der Nazibesatzung
Der neue Ausgräber Hans Schleif, ein Archäologe des SS-Ahnenerbes, erklärte den Fundplatz zu einer protogermanischen Fundstätte, und benannte ihn in “Urstädt” (es gibt diverse Schreibweisen) um. Das hatte den Effekt, dass quasi eine Rechtfertigung für die Blut- und Bodenpolitik der Nazis geschaffen wurde. Schließlich war die Region ja nun per Definition protogermanischer Boden. Das Problem dabei blieb aber: Es ließ sich beim besten Willen nie ein Beweis dafür finden, dass es hier einmal Protogermanen gab. Das Fundspektrum erstreckte sich nur auf die Lausitzer Kultur, und ein paar wenige Scherben Hallstattkeramik, also Spuren der Kelten. Den Nazis gelang es also nicht ihre Ideen zu belegen. Enttäuscht vergruben sie 1943 den Fundplatz wieder. Und gegen Ende des Krieges wurden dann auch noch die 1937 angefertigten Rekonstruktionen zerstört.
Ab 1946 fiel die Verantwortung wieder zurück in die Hände polnischer Wissenschaftler*innen. In den 60er Jahren wurde entschieden die Fundstätte gezielt zu fluten. Das ist eine kluge Entscheidung, um die im Boden liegenden Hölzer zu schützen. Das Holz hatte sich ja überhaupt erst aufgrund der Lage des Fundplatzes im feuchten Boden erhalten. 75% der Fundstätte war zu dieser Zeit bereits ausgegraben und untersucht – sodass weitere Untersuchungen zunächst nicht notwendig waren. Einen Teil eines Fundplatzes für spätere Forschungen mit besseren Geräten der Zukunft aufzubewahren ist in der Archäologie eine bewährte Praxis – Aber dabei sollte es nicht bleiben:
Biskupin und die Ostblockpropaganda
Nachdem dann etwa 10 Jahre lang Ruhe um den Fundplatz eingekehrt war, wurde eine Teilrekonstruktion gebaut. In dieser Zeit gehörte Polen zum Ostblock. Und wieder war es die Propaganda, die sich hier niederschlug. Begünstigend wirkte hier der Faktor, dass hier offenbar in irgend einer Weise egalitär gelebt wurde. Hinzu kam die Idee, den Fundplatz der slawischen Kultur zuzurechnen, welche oft zur Schaffung einer einheitlichen Identität innerhalb der Ostblockstaaten missbraucht wurde. Und so einen einzigartigen, schönen, stattlichen und auch noch ordentlich sortiert egalitären Fundplatz, den wollte man doch gerne in diese Identität mit einreihen. Es war wieder ein Versuch einer kulturellen Zuordnung, die völlig misslang – alleine schon, weil zwischen dem Verschwinden des Fundplatzes und dem ersten Auftauchen der Slawen ca. 1.000 Jahre vergangen sind. Die Lausitzer Kultur, die hier lebte, war schlichtweg und einfach die Lausitzer Kultur.
Und was ist heute von dem Fund geblieben?
Geblieben sind die erstaunlichen Rekonstruktionen. Sie beeindrucken bis heute. Es handelt sich um ein wichtiges nationales Symbol Polens und um ein beliebtes Ausflugsziel für die ganze Familie. Heute ist die rekonstruierte Siedlung umgeben von einem Naturpark und musealen Bestandteilen, die noch andere archäologische und auch paläontologische Zeitalter darstellen. Es gibt regelmäßige Veranstaltungen und Feste. Aber bis heute tauchen hier immer wieder Gruppen auf, die diesen Fundplatz instrumentalisieren wollen. So wurde auf der Fachtagung Odin mit uns, auch darüber diskutiert das Biskupin ein Identifikationsort für Rechtsextreme ist. Ich vermute, dass dieser Befund immer irgendwie politisch missbraucht werden wird, weil er sich dafür sehr gut eignet. Deswegen mein Tipp: Wenn ihr einmal in Polen seid, schaut euch diesen wunderbar einzigartigen Ort an und genießt die einzigartige Atmosphäre. Aber wenn ihr mehr drüber lest, glaubt nicht alles, was Leute so zu erzählen haben über Biskupin.
Literatur:
Dzięgielewskim Karol: The rise and fall of Biskupin and its counterparts, In: The Past Societies. Polish lands from the first evidence of human presence to the early Middle Ages (ed. by Przemysław Urbańczyk). Volume 3: 2000-500 BC, 2017.
Nebelsick, Louis D und Piotrowski, Wojciech: Biskupin – das polnische Troja. In: AiD 6/2017.
Zajaczkowski, Wieslaw: Biskupin I Okoloce, 2008.
Teile der Informationen habe ich auch einer Führung über das Gelände endnommen.
https://culture.pl/en/article/biskupin-the-polish-pompeii
https://exarc.net/members/venues/biskupin-pl
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