Zugegeben, die Archäologie kann ekelig sein. Denn: Wieso genau sollte man sich über Zahnstein freuen? Aber die Archäologie tut genau das. In den letzten Monaten wurde es geradezu schick, sich mit den Ablagerungen zu beschäftigen. Und dabei wird es alles andere als ekelig. Ich möchte euch heute einen kleinen Einblick in die Forschung geben und zeigen, warum Zahnstein ein echter archäologischer Juwel ist:
Was ist Zahnstein?
Bei Zahnstein handelt es sich um Verhärtete, verklumpte und verkalkte Reste, die sich zwischen den Zähnen sammeln. Vmtl. kennen viele von euch diese Zahnarztbesuche, wo dieser Zahnstein entfernt wird. In früheren Zeiten gab es diese Zahnarztbesuche nicht. Das heißt, der Zahnstein bildete sich munter weiter. Und dieser besteht natürlich aus Sachen, die ein Mensch in den Mund nimmt – z.B. Lebensmittel. Reste von Lebensmitteln werden in den Verhärtungen gebunden. Und das macht Zahnstein für die Archäologie spannend:
Warum freut sich die Archäologie über Zahnstein?
Weil es sich vielfach um Essensreste handelt, die sich hier verklumpen, kann man manchmal noch nach Jahrtausenden erkennen, was ein Mensch gegessen hat. Der Clou: Die Proteine müssen erhalten sein – also die Proteine der Nahrungsmittel. Diese lassen sich dann teils noch bestimmten Lebensmitteln zuordnen. Dafür muss es sich natürlich um Proteine handeln, welche sich lange erhalten. Die also nicht inzwischen zerfallen sind. Beta-Lactoglobulin zum Beispiel. Das ist ein Protein, das in Milchprodukten enthalten ist. Und Milchprodukte sind für unsere Geschichte sehr
aufschlussreich. Man braucht für sie nämlich eines: Milch – dass Milch verwendet wurde, heißt wiederum, dass es Milchwirtschaft gab. Aber: Es heißt nicht zwangsläufig, dass die Menschen nicht Laktoseintolerant gewesen sind. Es gibt viele Arten Käse herzustellen, bei der die Laktose im Endprodukt nicht erhalten sind. Das heißt, man kann bei so einer Zahnanalyse mit Milchspuren, wenn es in der gleichen Kultur nur Laktoseintolerante Menschen gab, überlegen, ob diese Menschen evtl. Käse hergestellt haben. Und einen Vorteil hat Käse gegenüber Milch: Er ist haltbar.
Ein überraschendes Ergebnis
So einen Fall gibt es nun. Und zwar im Nordkaukasus. Hier wurde der Zahnstein von 45 Individuen aus 29 verschiedenen Fundplätzen des Neolithikums (Jungsteinzeit) untersucht. Es zeigte sich bei Zahnstein aus dem 5. Jahrtausend v. Chr.: Milch war in dieser Region vmtl. ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Sie liefert Proteine, Fett,
Zucker und Vitamine. Okay, zugegeben, die Untersuchung nur 45 Individuen ist statistisch noch recht gering, aber bei wircklich jeder Person fanden sich Rückstände von Milchproteinen und dadurch zeichnet sich eine deutliche Tendenz ab. Die Menschen experimentierten mit Milch und fanden Wege, sie genießbar und haltbar zu machen. Vmtl. entstanden so auch Joghurt, Quark und Butter in der Zeit der frühen Milchwirtschaft.
Entwicklungsgeschichte von Gesellschaften gesehen an Zahnstein
Wann das passiert ist, war bislang in der Wissenschaft eine heiß diskutierte Frage. Schon im 6. Jahrtausend, oder erst im 4. Jahrtausend v. Chr.? Man geht dabei davon aus, dass Tiere zunächst als Fleischlieferanten und als Zugtiere dienten, sodass man die Milch erst nach und nach als Nahrungsmittel entdeckt hat.
Aber: Es war noch tiefe Jungsteinzeit als man begann, mit Milch zu experimentieren. Rückstände in Keramiken zeigen deutlich: Man hatte Milch erhitzt. Mit Zahnsteinanalysen kann man nun zeigen: Milchwirtschaft gab es schon lange, aber im 4. Jahrtausend v. Chr. wurde sie professionalisiert. Die Frage ist, wann kam es zu diesem Wandel in der Gesellschaft, der dazu führte, dass Milchwirtschaft sodominant betrieben wurde. Der Zahnstein sagt dazu: Früher als gedacht – Laktosetoleranz nämlich offenbar keine Voraussetzung.
Mehr als einen gesellschaftlichen Wandel
Bleiben wir noch einen Moment bei der Milch im Kaukasus, so kann man eine weitere Erkenntnis aus den Zahnsteinanalysen ziehen: Die Art der Milchwirtschaft änderte sich. Es gibt schließlich verschiedene Tiere, die Milch geben und so auch verschiedene Milchproteine, die man im Zahnstein finden kann. Dabei zeigt sich etwas Überraschendes: Während zunächst die Milch verschiedener Nutztiere konsumiert
wurde, ändert sich dies. In der Maykopkultur (4000 – 3200 v. Chr), fällt auf, dass die Tendenz hier zu Ziegen und Schafsmilch übergeht, in der Jamnajakultur (3600–2300 v. Chr.) lässt sich dann ausschließlich Schafsmilch im Zahnstein zeigen. Jedenfalls bei den bisher untersuchten Proben. Das heißt, es gibt möglicherweise einen Wandel in der Lebensweise, der irgendwie mit der Spezialisierung auf Schafe als Milchvieh zusammenhängt. Möglich, dass das Schaf auch als Wolllieferant diente – möglich ist aber auch ein kultureller Grund. Die Frage ist also: Warum hat sich die
Wirtschaftsweise zu Beginn der frühen Bronzezeit in dieser Region geändert. Klar ist: Ohne die Zahnsteinanalyse hätten wir diese Entwicklung nicht so genau beobachten können. Und: In der späteren Jamnajakultur ist noch ein Wandel zu sehen. Plötzlich wird auch Kuhmilch konsumiert.
Doch Zahnstein kann noch mehr – ein Blick auf den Lebensmittelhandel
Nicht nur Milchproteine halten sich im Zahnstein, sondern auch andere Lebensmittel hinterlassen ihre Spuren. Besonders auffällig: Die Proteine, die oft erhalten sind, die also am widerstandsfähigsten sind, sind oftmals auch diejenigen, die Allergien auslösen. Und in dem Beispiel, dass ich euch gleich zeige, wurde festgestellt, dass Sesam ein Grundnahrungsmittel in dieser Region war – ich habe eine Allergie gegen Sesam und kann das mit den Allergieauslösern also leidvoll bestätigen. Dennoch,
die Zahnsteinanalysen können noch spannender sein. Wenn man zum Beispiel einen Rückstand findet, von einem Lebensmittel, dass man bei einem Menschen aus einer bestimmen Region und Zeit nicht erwarten würde. Die Frage ist dann, ist dieser Mensch verreist und hat so dieses Lebensmittel gegessen, oder aber, gab es Lebensmittelhandel? Zahnsteinanalysen nehmen uns also mit auf einen Marktplatz in einer anderen Zeit, hierzu ein Beispiel:
Zu Gast auf dem Markt von Megiddo
Die Levante. Hier liegt Meggido. Vor 3000 Jahren gibt es hier ein buntes Markttreiben. An Ständen werden Waren feilgeboten. Es gibt alles, was das Herz dieses Zeitalters begehrt. Und dazu gehören auch wohlriechende Lebensmittel aus allen hier bekannten Bereichen der Welt. Zum Beispiel: Bananen, Kurkuma, aber auch Soja. Für die
Forschung ist das überraschend: Das hätte niemand gedacht, denn solche Lebensmittel sind bis heute vergangen und lassen sich im Befund nicht nachweisen, weil sie nur sehr selten Spuren hinterlassen. Aber Zahnsteinanalysen aus Skelettfunden in Meggido und Tel Erani zeigen es deutlich, dass es diese Lebensmittel aus Asien hier gegeben hat.
Die Bronzezeit war globalisiert
Das zeigen viele Funde, aber kaum einer zeigt es so sehr wie südostasiatische Bananenproteine im Zahnstein von Menschen aus der Levante, oder auch in ägyptischen Zahnstein. Denn über das Mittelmeer wurden Bananen von der Levante aus noch weiter gehandelt. Und das in einer Zeit, wo sie nur in Südostasien bekannt waren. Denn Bananen stammen ursprünglich aus dieser Region. In Afrika werden sie
erst etwa ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. angebaut. Sie sind durch Handel nach Westafrika gelangt. Untersucht wurde aber Zahnstein, der 1000 Jahre älter war. Die Banane ist in diesem Falle also Beleg für ein weit verstricktes Handelsnetz in der Bronzezeit. Dass die Handelswege so weit verzweigt waren, ist zwar immer wieder überraschend, aber gar nicht so neu für die Forschung. Schließlich hatte man bereits in
der Mumie von Ramses II (1.213 v. Chr.) festgestellt, dass seine Nase mit indischem Pfeffer gefüllt war. Aber Ramses II war ein Pharao – eine gewisse Dekadenz erwartet man bei einer solchen Mumie. Die Zahnsteinanalyse zeigt nun aber auch, welche weit gehandelten Produkte im alltäglichen Leben vorgekommen sind. Und es zeigt sich eine mediterrane Küche, welche schon sehr früh mit exotischen Geschmäckern experimentierte.
Zahnsteinanalyse sollte ein Standardverfahren werden
Man sieht also: mit Zahnsteinanalysen kommt man der Lebenswelt früherer Epochen, aber auch der Genusswelt vergangener Zeiten sehr nahe. Man kann zwar immer noch nicht alle Lebensmittel nachweisen, aber wenigstens einige, die wir anders nicht erfassen können. Daran kann man auch wichtige Bestandteile der Gesellschaft erkennen. Wieweit Menschen vernetzt waren oder auch wie die Wirtschaftsweisen funktionierten, oder ob es Lebensmittel gab, die bestimmten Gruppen Vorbehalten gewesen sind. Das tolle ist: Man zerstört nicht den Zahn bei der Analyse, sondern nur
den Zahnstein – das Skelett selbst bleibt erhalten. Deswegen plädieren jetzt einige Forscher*innen dafür, die Zahnsteinanalyse zu einem Standardverfahren bei Skelettanalysen zu machen. Ich denke zwar, dass das teuer und zu aufwendig werden könnte, diese Analysen serienmäßig durchzuführen, aber ich würde es begrüßen, wenn wir viel mehr Zahnsteinanalysen machen würden und so Speisepläne vergangener Tage zum Leben zu erwecken. Viele Forschungslücken könnten wir so entdecken, und füllen. Und deswegen bin ich absolut Pro Zahnsteinanalyse.
Literatur:
https://www.shh.mpg.de/1930220/dental-calculus-asia?c=1606645
https://www.dainst.org/-/erster-nachweis-fur-kaseproduktion?redirect=%2Fdai%2Fmeldungen
https://aid-magazin.de/2022/05/11/erster-nachweis-fuer-produktion-von-kaese/