Seit wann gibt es eigentlich Hühnersuppe?

Zugegeben, diese Frage ist plakativ gestellt, nicht zuletzt, weil man die exakten Umstände einer Zubereitung eines Huhnes nur unter ganz bestimmten Umständen rekonstruieren kann. So einen Fundplatz zu finden, ist reine Glückssache. Aber die Frage, seit wann gibt es eigentlich Hühnerfleisch auf unserem Speiseplan, die ist mir gerade in gleich mehreren aktuellen Publikationen entgegen gekullert und deswegen, schauen wir einmal auf die Geschichte von Mensch und Federvieh. Die erste Frage, die sich dabei stellt, ist:

Seit wann stehen Vögel überhaupt auf dem Speiseplan?

Lange, sehr lange sogar, ist die Antwort. Zum Beispiel wurden in Schöningen Wurfhölzer gefunden, mit denen sich bereits er Homo Heidelbergensis vor 300.000 Jahren sein Frühstück vom Himmel geholt hat. Lange hat man gerätselt, worum es sich bei den Holzobjekten handelt, nun aber ist man sich in der Fachdiskussion relativ sicher. Die kleinen Hölzer haben boomerangähnlich funktioniert und man hat damit

Eine Aquqrellzeichnung von Zwei Männeren, die mit Stöcken Vögel bewerfen.

So wird die Vogeljagd des Homo Heidelbergensis aktuell rekonstruiert. (Bild: Benoit Clarys)

verschiedene Vögel gejagt. Das ist ein besonderer Fund, weil sich Holz nur sehr selten so lange erhält. Im ehemaligen Braunkohletagebau von Schöningen, waren die Bodenumstände aber so gut, dass man hier gesamte Lebenswelten vergangener Tage finden kann, inkl., eines prähistorischen Lagerplatzes, auf dem offensichtlich eine ganze Wildpferdherde verspeist wurde. Gegessen wurden aber u.a. auch Vögel.

Und seit wann gibt es jetzt Hühner auf dem Speiseplan?

Wie die Universität Tübingen jüngst veröffentlicht hat, standen Hühner bereits auf dem Speiseplan der Neandertaler. Aber Achtung: Ich schreibe hier nicht von unseren niedlichen Haushühnern, sondern von Wildhuhnarten. Knochen von Raufußhühnern, zu denen Schneehühner, Auerhühner und Birkhühner zählen, wurden bei aktuellen

Ein Knochen mit einer Vergrößerung, die gut 4 mm lange Schnitte an dem Knochen aufzeigt.

Die Schnittspuren zeigen, dieses Tier wurde verarbeitet. (Bild: Universität Tübingen)

Untersuchungen am paläolithischen (altsteinzeitlichen) Fundplatz Hohle Fels gefunden. Diese Knochen konnten auf die Zeit vor 65.000 Jahren datiert werden und man sieht deutlich, sie wurden zubereitet. Es sind nämlich an einigen Knochen Schnittspuren erhalten, die daher kommen, dass die Hühner zerteilt wurden. Das gilt derzeit als wissenschaftliche Sensation – aber auch nur aufgrund der Forschungsgeschichte.

Warum ist es sensationell, dass Neandertaler Vögel gejagt haben?

Tatsächlich sollte das niemanden erstaunen, wenn der Homo Heidelbergensis es konnte, warum dann nicht der Neandertaler in viel späteren Zeiten? Tatsächlich sind die Ergebnisse aus dem Fundplatz Schöningen noch relativ neu. Hinzu kommt aber: Neandertaler, das sind Menschen mit einem teils immer noch schlechten Ruf, der durch die Forschungsgeschichte entstanden ist. Neandertaler waren die ersten Urmenschenknochen, die als solche bekannt wurden. Ursprünglich, haben viele

Eine völlig veraltete Darstellung des Neandertalers von 1908. Sie zeigt eine Interpretation des Fundplatzes La Chapelle aux Saint. Leider ist dieses Bild bis heute in der Gesellschaft aktuell.

Forscher vermutet, dass es das Skelett eines behinderten Menschen sei und eben kein Vormensch. Als dann mehr und mehr Neandertalerknochen gefunden wurden, und klar war, dass es sich um eine Vormenschenform handelte, ist die Idee des Behinderten dann als Narrativ aber irgendwie an dieser Menschenart kleben geblieben. Hinzu kam die Kulturstufen Idee, nach der Menschen sich von niederen Stufen in höhere entwickeln. Neandertaler galten schnell als dumm und plump und haarig. Viele frühe Forschungen haben dazu beigetragen.

Ein Beispiel für die Verzerrung unseres Blickes auf die Neandertaler

Der Fundplatz Krapina wurde früh entdeckt. Die Ausgrabungen wurden von einem Geologen durchgeführt, der im Briefwechsel mit einem Archäologen stand, der unbedingt seine Position, dass es prähistorischen Kannibalismus gab, durchsetzen wollte. Der Briefwechsel, in dem er den Geologen davon überzeugte, der Fundplatz Krapina sei ein Kannibalenfundplatz ist bis heute erhalten. Als Begründung wurde damals der hohe Fragmentierungsgrad und die vielen Brandspuren an den Knochen erwähnt. Was nicht erwähnt wurde: der Fundplatz Krapina wurde nicht ausgegraben, sondern in Luft die gesprengt. Und wenn man prähistorische Skelette in die Luft jagt, muss man sich über eine starke Fragmentierung und über Brandspuren nicht mehr wundern.

Ein Neandertaler. Er hat seinen Kopf auf seine Faust gestützt und schaut grübelnd in die Welt. Er hat einen Dreitagebart und eine Kurzhaarfrisur.

Das aktuelle Bild des Neandertalers (hier gezeigt im Landesmuseum in Halle) ist dabei ein ganz anders. Bedachtes, intelligentes und geschicktes.

Die Folge war. Der Neandertaler galt als Kannibale. Als triebhafter, grunzender, intellektuell minderbegabtes Wesen, das ungeschickt war. Ein Tölpel der vom besseren Homos Sapiens verdrängt, oder wahlweise auch ausgerottet wurde. Ein Bild, das mit aktueller Forschung schon lange nicht mehr standhält, das sich aber immer noch in unseren Köpfen, auch den Köpfen von Forscher*innen befindet. Deswegen wird bei Neandertalern oft an die Großwildjagd gedacht. Die kräftigen, kleinen, aber dummen, dafür rabiaten Mammutjäger. Paläolithforscher*innen kämpfen schon lange dagegen an – und wer sich länger damit beschäftigt, der rollt nur die Augen. Eine Hühnersuppe bei den Neandertalern kommt dann auch wenig überraschend. Aber: Wegen dieser Geschichte löst es immer noch Erstaunen aus. Hühnerjagd bei den Neandertalern ist nun also eines der vielen Argumente gegen Verstaubte und fehlerhafte Ansichten über die Steinzeiten.

Und seit wann gibt es jetzt so richtig echte Haushühner?

Dazu möchte ich jetzt einmal einen Blick auf die neuste Forschung zu den ältesten bekannten Hühnerknochen werfen. Denn: In den 80er Jahren wurde festgestellt, vor 8.000 Jahren wurde in Südostasien das Huhn domestiziert und es verbreitete sich schnell in heute chinesische Regionen. Im Neolithikum (Jungsteinzeit) verbreitete es sich dann in Osteuropa, wie Funde aus der Ukraine zeigen und erst später in der

Vier Hühner und ein Hahn auf einer grünen Wiese.

Also, die Frage lautet auch, seit wann leben wir mit Hühnern zusammen.

Bronzezeit gelangte es dann auch in den Mittelmeerraum. In Mitteleuropa ist es erst seit der Bronzezeit bekannt. Das Huhn gilt seit diesen Forschungsergebnissen, für unsere Region, als eines der jüngsten Haustiere. Doch bei diesen Annahmen gibt es Probleme. Denn diese Funde wurden oftmals nur Stratigrafisch datiert. Das heißt, die Bodenschicht, in der ein Knochen gefunden wurde, wurde zum Anlass genommen, das Alter zu bestimmen. Deswegen gibt es aktuell neue naturwissenschaftliche Untersuchungen zu diesen Knochen. Das Problem ist nämlich Hühnerknochen sind teils so klein, dass sie sich im Boden nachträglich bewegen können. Es sind also unsichere Datierungen.

Und was ist das Ergebnis der aktuellen Forschungen?

Bei den Untersuchungen zeigte sich, im Mittelmeerraum wurden die Hühnerknochen zu alt gemacht, diese Hühner haben erst rund 1000 Jahre später gelebt als gedacht. Damit ist das Huhn relativ gleichzeitig im Mittelmeerraum und in Mitteleuropa angekommen. Andere Hühnerknochen passten nach den neuen Untersuchungen gar nicht mehr in diese Untersuchungsreihe. Es zeigte sich, die vermeintlich archäologisch dokumentierten Hühnerknochen aus Marokko stammen aus den 1950er Jahren. Im Falle eines Vergleichsknochens aus Bulgarien konnte das 11te-12te Jahrhundert n. Chr. festgestellt werden. Ich könnte noch viele weitere Fallbeispiele erwähnen.

Eier

Zugegeben, das Ganze ist etwas plakativ verfasst, natürlich legen Hühner auch Eier und es gibt mehr Gerichte mit Hühnerfleisch als Suppe. Aber weil ich beides einfach nicht mag, habe ich auch nicht die größte Ahnung davon, und dachte Hühnersuppe ist ein guter Aufhänger. (Bild: Public Domain Pictures/ Pixabaylizenz)

Den neuen Analysen zufolge wurde Hühnersuppe im Mittelmeerraum nur etwas früher gekocht als in Mitteleuropa, ein italienisches Huhn konnte auf die Zeit um 800 v. Chr., eines von den Balearen auf die Zeit um 600. v. Chr. datiert werden, in Mitteleuropa und Nordeuropa sind die ältesten Hühner in der Zeit zwischen 600 und 100 v. Chr. im Kochtopf gelandet. Es wird davon ausgegangen, dass das Haushuhn dann von Europa aus nach Afrika gelangte. Dass es aber auch einen anderen, östlichen, Pfad gab, über den Hühner auf diesen Kontinent gelangten, denn am Horn von Afrika können sie bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. beobachtet werden. Das ist jedenfalls der Stand derzeit! Ich sage mit Absicht derzeit. Denn es hat sich durch diese Forschung offenbart, dass an dieser Stelle grundlegend neu geforscht werden muss und dass wir Archäolog*innen in Zukunft mit Hühnerknochen anders umgehen müssen, weil wir sie sonst aus Versehen ganz schnell in falsche Kontexte setzen. Abschließend bleibt also nur zu sagen, dass es faszinierend ist, wie schwierig es ist, die Geschichte nur einer Tierart nachzuvollziehen.

Waaaas? Miss Jones geht jobben, um hier Artikel über die Archäologie veröffentlichen zu können? Das ist es doch nett ihr ein kleines Trinkgeld dazulassen, nutze dazu diesen Paypallink.

Literatur:

https://www.cambridge.org/core/journals/antiquity/article/redefining-the-timing-and-circumstances-of-the-chickens-introduction-to-europe-and-northwest-africa/0797DAA570D51D988B0514C37C2EC534

https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/pressemitteilungen/newsfullview-pressemitteilungen/article/voegel-bereicherten-den-speiseplan-der-neandertaler/

https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/300-000-jahre-alter-wurfstock-dokumentiert-die-evolution-der-jagd-4606/

Anmerkung: zu teilen habe ich den Inhalt meiner eigenen Masterarbeit entnommen. Veröffentlichung dieser folgt bald.

 

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