Es war 2013, als ich auf Facebook eine Anzeige entdeckte. Da stand so ungefähr: Nachwuchsarchäologin für lebensgefährliche Mission in Südafrika gesucht. “Well thats me”, dachte ich für eine Sekunde, dann las ich weiter. Ich hatte gerade den Bacelor bestanden, aber hier wurde ein Masterabschluss verlangt. Außerdem sollte man sehr, sehr klein sein und sehr, sehr dünn sein. Eine Maximalkörperhöhe war angegeben. Ich habe mich an diesem Tag mehrfach gemessen, schrumpfte aber einfach nicht.
Ich ärgerte mich über die seltsame Ausschreibung und zog stattdessen kurz darauf nach Wien, um mit dem Master zu beginnen. Und während ich mit meinen eigenen Abenteuern weiter machte, geschah in Südafrika einzigartiges.
Ich möchte euch heute die Geschichte des Homo Naledi erzählen:
Forscherinnen aus der ganzen Welt hatten sich beworben. Einige wenige wurden ausgewählt, sich in eine Höhle zu quetschen. Der Grund für die seltsame Ausschreibung: Das Rising Star Höhlensystem hatte enge Passagen, es besteht die Gefahr stecken zu bleiben.
Man hatte Hominide Fossilien gefunden. Dies braucht professionelle Hände. Lee Burger, der Leiter der Untersuchung selbst, passt ebenfalls nicht in die wichtigen Bereiche der Höhle.
Einzigartige Knochen werden gefunden
Bei den Untersuchungen 2013 werden 2.000 Knochen gefunden. Seltsame Knochen. Es zeichnet sich ab, der Schädel sieht ganz anders aus, als unserer. Die erste Vermutung, vielleicht handelt es sich um eine Art des Australopithecus, also eine Vormenschenform, die vor 4-2 Millionen Jahren lebte.
Das, was aus der Höhle geborgen wird, ist seltsam. Die Füße gleichen eher dem des Homo Sapiens, ein zweibeiniger Gang kann mit ihnen rekonstruiert werden – man kann davon ausgehen, dass der Homo Naledi ausdauernd weite Wege zu Fuß bewältigt hat. Auch der Daumen sieht aus, wie bei uns. Aber der Rest der Hand ist gebogen, also gut
geeignet zum Klettern. Einige Knochen wirken dann eher wie bei einem Homo Erectus, andere wiederum eher wie Schimpansenknochen, die Schienbeine wie die des Homo Habilis, andere Körperteile lassen einen an einen Neandertaler denken. Ein wildes Mosaik, doch alles gehörte zu ein und derselben Menschenart. Hier ist etwas ganz Neues, bislang unbekanntes ans Tageslicht gekommen. Eine unbekannte Art. Sie wird
Homo Naledi getauft, nach dem Fundort der Risig Star Höhle. Naledi, das ist Setswana für Stern. Die Überraschung ist perfekt. Niemand hatte damit gerechnet, dass es einmal einen solchen Menschen gegeben hat. Man ist sich einig, dass es sich um eine sehr alte Art im Menschheitsstammbaum handeln müsste. Doch dann kommen die ersten Ergebnisse der Datierung der Knochen mit naturwissenschaftlichen Methoden. Man hat, um die Ergebnisse sicherzustellen, gleich 20 verschiedene verblindete Untersuchungen, mit verschiedensten Methoden, durchgeführt.
Die Datierung verblüfft noch mehr:
Diese Knochen waren erst 250.000 Jahre alt. Der Homo Naledi lebte also in einer Zeit, in der man bislang annahm, dass es in Afrika nur den Homo Sapiens gab. Die menschliche Evolution scheint also anders verlaufen zu sein – viel komplexer als bislang gedacht. Der Homo Naledi war anders. Er war klein, wurde nur etwa 1,50 m groß und 45 Kilo schwer, sein Gehirn hatte in etwa sie Ausmaße einer Orange. Der ganze Fundplatz ist ein Glück.
2013 werden bei der ersten Untersuchung gleich 15 Individuen geborgen, sodass man mehr vergleichend betrachten und forschen kann als bei den meisten anderen Hominidenarten. Bei einer späteren Untersuchung wird dann Neo gefunden. Ein männliches Individuum mit einer Besonderheit: Der Schädel ist so gut erhalten, dass man ihm noch in das Gesicht sehen kann. Die Knochen zeigen, der Homo Naledi hatte starke Augenbrauenwülste und ein flaches Gesicht.
Wie sind die Knochen da hingekommen?
Doch etwas ist merkwürdig an diesem Fundplatz: Warum gab es hier keine Tierknochen? Es ist leicht vorstellbar, dass ein großes Raubtier ein so kleines Wesen wie einen Homo Naledi als Frühstück in seine Höhle schleppt. Doch keine Spur von anderen Beutetieren, oder gar Spuren von Raubtieren. Die Knochen waren so tief in der Höhle, Tiere waren nie so weit vorgedrungen, oder hatten sich durch die engen Durchgänge gequetscht. Eine geologische Untersuchung zeigt: Die Höhle hat sich seit
damals nicht mehr verändert. Warum aber waren so viele tote Homo Naledi in dieser Höhle? Waren sie hineingeklettert und kamen nicht mehr hinaus? Auch das ist unwahrscheinlich. Denn die Knochenuntersuchungen zeigten, die Datierungen liegen weit auseinander. Und: Es gab viele Junge, aber auch viel sehr alte Individuen – die Mitte fehlte. Das ist typisch für einen Friedhof. In der Rising Star Höhle fand sich der älteste Friedhof der Welt – Eine Vermutung, die einen ebenfalls zum Staunen bringt,
denn Bestattungen werden dem Homo Sapiens und teils dem Neandertaler zugeschrieben – Es gilt als spezifisch menschliches Verhalten. Und es wird diskutiert, ob sich der Neandertaler dieses Verhalten nicht möglicherweise beim Homo Sapiens abgeschaut hat. Dass eine Menschenform, die so anders ist als wir, Bestattungen durchgeführt hat, war bislang undenkbar. Doch die Befunde zeigen: Es sind nicht einfach nur Bestattungen, es ist ein komplexes Trauerritual, das sich hier findet, und das eine lange Tradition hatte. Es ist anstrengend und es muss eine Bedeutung haben, dass der Homo Naledi diese Höhle immer wieder aufgesucht hat, um seine Toten beizusetzen. An diesem sichern Ort, wo kein Raubtier mehr hinkommt, der aber auch
extrem schwer zu erreichen ist. Besonders auffällig ist: Es gibt einzelne Gräber, in denen nur der Kopf beigesetzt wurde. Das wirkt erst einmal grausam, aber es gibt immer wieder Kulturen, bei denen ist das Beisetzen der Angehörigen an bestimmten Orten wichtig. Wenn ein Mensch zu weit entfernt von diesem Ort stirbt, muss er dort hintransportiert werden. Das ist aber einfacher, und manchmal nur möglich, wenn man nur einen Teil des Körpers dort hinbringt. Deswegen gibt es das Phänomen von Kopfbestattungen immer wieder.
Leti – ein ganz besonderer Schädel
2015 taucht dann ein weiterer bemerkenswerter Fund auf: Ein Kinderschädel, 6 Jahre alt, der Name: Leti – das ist Setswana und bedeutet alleingelassen – Der Schädel lag in einer abgelegenen Gegend der Höhle. Da Kinderschädel sehr Filigran sind, ist es schon eine Sensation, dass er sich über eine so lange Zeit hinweg erhalten hat. 28 Schädelfragmente und 6 Zähne können Leti zugeordnet werden. Es zeigt sich, das etwa 6-jährige Kind hatte ein Gehirn, dass schon zu 95% ausgewachsen war.
Ein großer Unterschied zum Homo Sapiens, der sehr viel länger braucht, bis das Gehirn ausgewachsen ist. Ein Vorteil, durch die langsame Reife des Gehirns gibt es eine lange Phase in unserem Leben, in der wir die Welt verstehen lernen. Beim Homo Naledi war dies also viel kürzer. Die kognitiven Fähigkeiten des Homo Naledi waren also vmtl. geringer. Die Datierung zeigte, dieses Kind hat vor ca. 300.000 Jahren gelebt. Das heißt, in etwa zur gleichen Zeit, als in der Region des heutigen Niedersachsens, eine Gruppe Homo Erectus, mit den heute ältesten bekannten Holzspeeren, am Rande eines eiszeitlichen Sees auf Wildpferdejagd gegangen ist, wurde in Afrika ein Kind
beigesetzt. In einer kleinen Passage der Höhle, die nur etwa 15 cm breit und 80 cm lang ist. Dieser Fund ist besonders. Er zeigt: Auch Kinder wurden beim Homo Naledi wertgeschätzt und betrauert. Das alte Gerücht, dass in früheren Zeiten Kinder eine geringe Bedeutung hatten und nicht betrauert werden, kann also endgültig mit diesem Blick auf den ältesten Friedhof der Welt widerlegt werden. Es zeigt: Der Homo Naledi war ein liebevolles Wesen.
Es gibt noch soviel zu entdecken
Wenn man 2013 im Sommer der Archäologie so einen Fundplatz prophezeit hätte – Niemand hätte einen solchen Fund für möglich gehalten. Er erweitert unser Wissen über die Menschheitsgeschichte nicht um neue Puzzleteile, sondern um ganz neue Puzzle. Es ist ein Fund, der so spannend ist, dass ich mich immer noch ärgere, dass
ich einfach zu groß war und noch keinen Masterabschluss hatte, als ich 2013 die Jobanzeige bei Facebook entdeckte. Aber es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass es heißt “Archäologin für lebensgefährliche Expedition gesucht” – denn dieser Fund zeigt: Es gibt bis heute unzählige ungeklärte Rätsel der Forschung, das Abenteuer hat gerade erst begonnen.
Literatur:
https://www.wits.ac.za/homonaledi/whats-new/news/young-homo-naledi-surprises.html
https://elifesciences.org/articles/24231
https://www.wits.ac.za/homonaledi/whats-new/news/a-child-of-darkness.html
https://www.nature.com/articles/ncomms9432/whats-new/news/a-child-of-darkness.html
https://www.nature.com/articles/ncomms9432
https://www.nature.com/articles/nature.2017.21961
https://elifesciences.org/articles/09560
https://www.mpg.de/forschung/homo-naledi
Danke für den sehr interessanten Beitrag.
Um in einer solchen Höhle gezielt Beisetzungen vorzunehmen brauchte es Licht? Feuer?
Herzlicher Gruß
Martin Freesmeyer
Ja, die Frage habe ich mir auch gestellt. Dazu habe ich keine Informationen. Aber Spuren von Feuer hätten sich sicher erwähnt. Auf allen Bildern von der Höhle ist licht. Es gibt auch noch mehr Filmaufnahmen auf YouTube. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das neu angebracht wurde, oder ob es irgendwo einen Lichteinfall durch einen kleinen Schacht gibt.
Aus meiner Blätterhöhlenerfahrung weiß ich aber, es kann in so einer Höhle absolut dunkel und absolut still sein. Aber irgendwann spürt man, man kann sich trotzdem orientieren.
Und: Es gibt in der Bestattungskammer (nenne ich das jetzt mal) eine geologische Formation an der Decke, die unfassbar hübsch ist. Die hat der Homo Naledi möglicherweise gesehen, denn die Positionierung der Gräber passt dazu. Aber Genaueres weiß ich auch nicht.
Danke dennoch für die kluge Rückfrage. Vielleicht werden wir es irgendwann wissen. Wenn, dann schreibe ich bestimmt darüber. Denn dieser Fundplatz ist in meinem Herzen.
lee Berger erwähnt in einer Doku das es gelang die Reste einer Feuerstelle zu sichern. Daher ist davon auszugehen, dass es an verschiedenen Stellen kleine Feuer gab, um den Weg damit “auszuleuchten”.
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