Ich war 12 als wir in der Schule den Film, an Anfang war das Feuer gesehen haben. Die Geschichte ist einfach erzählt. Ein Paar ungepflegte grunzende Neandertaler treffen auf zivilisierte Homo sapiens – die sind natürlich nach allen Regeln der Rassistischen verunglimpfungskunst der Ethnoarchäologie Kannibalen (Nein Ethnoarchäologie ist nicht per se rassistisch, aber eben in diesem Fall). Ein Film, der auf meiner nicht-Empfehlungsliste, wegen mangelnder fachlicher Korrektheit, eingeordnet ist. Es ist bekannt, Neandertaler waren eine sehr geschickte Menschenart, sie grunzten nicht, denn sie konnten sprechen. Das wurde spätestens mit dem Fund eines Neandertaler-Zungenbeins bewiesen. Aber nicht nur Menschen können sprechen, sondern auch Tiere kommunizieren, Bonobos beispielsweise haben einen Wortschatz von bis zu 36 Worten. Also kurz gesagt, so war es schon einmal nicht:
Schaut man sich diese Szene an, so ist daran so ungefähr alles falsch. Kleidung gibt es schon sehr viel länger, als in der Zeit in der Neandertaler auf Homo sapiens trafen – es gab sie sogar schon vor den Neandertalern, wie Funde von Bärenknochen aus Schöningen belegen – das die Menschen mehr als 200.000 Jahre später undefinierte Fetzen getragen haben sollen, ist sehr unwahrscheinlich, denn nicht zuletzt konnte gezeigt werden, das auch die Neandertaler schon textilen Herstellen konnten. Am gleichen Fundplatz fanden sich auch frühe Speere, die 300.000 Jahre alt sind, also 250.000 Jahre älter als diese Filmszene zeigt – und diese Speere waren Hightechwaffen ihrer Zeit, und sind heute in einem Museum am Tagebau Schöningen zu sehen. Diese Speere wurden allerdings erst einige Jahre nach dem Filmdreh entdeckt – sie zeigen aber deutlich, dass sie nichts mit den seltsamen Zaunpfählen zu tun haben, die die her gezeigten Protagonisten in den Händen halten. Auch werden sich die Neandertaler tunlichst verkniffen haben ihre Beute mit lautem Gebrüll zu verjagen, viel mehr konnte man zeigen, dass sie sich in großen Gruppen zusammenschlossen um z.B. Elefanten zu jagen.
Aber immerhin: Es ist belegt, Neandertaler und Homo sapiens sind sich wirklich begegnet.
Svante Päboo konnte dies zeigen, da es ihm gelang, die Neandertaler DNA zu extrahieren – nicht zuletzt dafür bekam er einen Nobelpreis. Seine Forschung hilft unserer medizinischen Forschung, den zum Beispiel Demenz haben wir anscheinend von den Neandertalern vererbt bekommen. Und er konnte auch die Vermischung aufzeigen, die es zwischen Neandertalern und Homo sapiens gegeben hat. Deine und meine DNA sind der Beweis dafür, denn bis heute tragen wir alle ein Stück DNA aus dieser Zeit in uns. Aber wie ist es abgelaufen, das Rendezvous zwischen den beiden Menschenarten. War es wie im Film, ein paar brutale Neandertaler treffen auf eine hilflose Homo sapiens?

So wurde die Begegnung in der Ausstellung 2 Millionen Jahre Migration dargestellt (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Oder ist es so, wie auf dem Bild aus der Ausstellung 2 Millionen Jahre Migration und es kam zu romantischen Flirts und gegenseitigen Verführungen? Es ist das gleiche Problem wie so häufig, wenn es um Sexualität in der Vorgeschichte geht: Um einen solchen Flirt zu beobachten, müssten wir eine Zeitreise machen, denn was wir sehen können, ist nur: Es gab gemeinsame Kinder – ob es Romantisch war, als diese zustande gekommen sind, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Doch was können wir mit modernen Methoden denn eigentlich herausfinden?
Wie schon gesagt: Neandertaler haben ihre DNA auch in uns hinterlassen. Seit einigen Jahren ist nachgewiesen, dass sich Homo sapiens und Neandertaler nahe gekommen sind. Sehr nahe sogar, sie hatten gemeinsame Kinder. Und einige dieser Kinder sind unsere Vorfahren. Im Durchschnitt ist jeder von uns bis zu 4% Neandertaler.

Lebensbild zum Thema Steinzeit – wer saß an diesen Lagerfeuern, und was geschah dort (Bild: Pixabay)?
Das ist eine interessante Forschung, wenngleich sich schnell die Frage stellt, wie dieses Näherkommen vor 50.000 Jahren wirklich ausgesehen hat. Eine Analyse von Viren zeigt aber, dass der Virus Methanobrevibacter oralis, vom Neandertaler auf den Menschen überging – und dieser Virus wird durch Küsse übertragen. Das kann die Frage nach dem Flirtverhalten immer noch nicht ganz beantworten, im Gesamtbild wirkt die Begegnung mit dieser Information allerdings etwas zärtlicher.
Und warum sind die Neandertaler am Ende verschwunden, und der Homo sapiens lebt noch, wenn wir quasi eine Familie waren?
Das zu erforschen, steht eher auf einer komplizierteren Basis. Die Ideen sind ganz unterschiedlich. So gibt es zum Beispiel Annahmen, über das Verschwinden der Neandertaler vor 35.000 Jahren, die dies in den DNA-Analysen beobachten. Die Knochenanalysen zeigen: der Neandertaler ging zahlenmäßig zurück. Die Art damit umzugehen waren wohl in den einzelnen Gruppen verschieden. So gab es die einen, die sich den größeren Homo sapiens Gruppen anschlossen. Und es gab auch die anderen, die sich nur mit ihresgleichen fortpflanzten, und er Genpool immer kleiner wurde, und zwar so massiv, dass sie sich am Ende mit sehr engen Familienmitgliedern fortpflanzen. Solche Umstände können das Ende für jede Population sein. Wie zum Beispiel bei den letzten Mammuts. Inzucht wirkt sich auf schlecht auf die Gesundheit der Nachkommen aus.

Eine moderne Darstellung zweier Neandertaler aus dem Neandertalmuseum in Mettmann (Foto: Niesert CC BY-SA 3.0).
Bei diesem Beispiel wird sehr klar, DNA-Analysen sind auch eng gekoppelt an Analysen bzgl. des Sexualverhaltens. Die Frage wer mit wem lässt sich anhand des daraus entsprungenen Kindes klar beantworten. Doch wie das kulturell abgelaufen ist und wie z.B. die Kindererziehung ausgesehen hat, das beweist ein DNA-Test nicht. Und im Falle der schrumpfenden Neandertalerpopulation ist wegen der aufkommenden Inzucht die erhaltene DNA so wenig variabel, dass nur noch an einem Modell erdacht werden kann, wer mit wem wie verwand war. Wirklich beweisen lässt sich das alles nicht, so stark war die Inzucht ausgeprägt. Das klingt nach einem traurigen Ende der Neandertaler.
Und wie sah das Leben der letzten Neandertaler aus?
Wie es scheint, haben wir Homo sapiens mit unseren evolutionären Cousins*Cousinen einen gemeinsamen Draht gehabt. So gibt es die Vermutung, dass sich einige der letzten Neandertaler zu den Homo Sapiens Gruppen gesellten und mit ihnen zusammen lebten, ohne dabei groß aufzufallen. Die Neandertaler sahen zwar anders aus als wir – und betrachtet man die Schädel, dann werden diese Unterschiede deutlich – aber sie sahen nicht so anders aus, als dass man sich vor ihnen fürchtete, oder sie gar für wilde Affen hielt.

Ein Vergleich von Homo sapiens und Neandertaler Schädel – Neandertaler hatten ein viel größeres Gehirn als wird (Foto: (Begemot CC BY-SA 2.0)).
In unserer DNA sieht diese mögliche Integration so aus, dass sich bis heute mehr von der männlichen Neandertaler DNA in uns erhalten hat, hat als von der weiblichen. Aber, das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich mehr Neandertaler Männer eine Homo Sapiens Frau gesucht haben als anderes herum. Die genetische Entwicklung bis zum heutigen Tag kann auch etwas damit zu tun haben, wie DNA weiter vererbt wird. Männliche Chromosomen haben in dieser Hinsicht eine bessere Erhaltungschance. Das bedeutet: Über die kulturellen Abläufe der Flirts in der Altsteinzeit und welches Rollenbild vielleicht daran geknüpft war, wie vielleicht die gesamte Kultur geprägt hat, dass sich hier zwei Menschenarten begegneten und auch gemeinsam Kinder zeugten, kann nur spekuliert werden.

So ein Augenbrauenknochen, wie hier von einem Homo erectus aus Bilzingsleben, sagt viel aus – aber auch nicht alles (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
War es liebe, oder waren es vielleicht sogar gewalttätige Begegnungen – oder verlief jede Begegnung zwischen den beiden Menschenarten ohnehin ganz anders und einzigartig? Derzeit lässt sich das nur in Ansätzen erforschen. Und es ist fraglich, ob man jemals eine Antwort auf die Frage finden kann, wie er aussah, der Flirt mit dem Neandertaler. Das Problem liegt bei der Generalisierung. Wir können viele Dinge durch die DNA Forschung übergeordnet betrachten, wissen dadurch aber nichts über den individuellen Fall – und wir können einzelne Menschen finden und sie näher betrachten, wissen dann vielleicht wo sie herkamen, wer ihre Eltern wahren – aber ob es streit gab, was für ein Charakter jemand hatte, das wissen wir leider nicht. Und es gibt bisher auch keine Methoden, das zu erforschen.
Übrigens – ich freue mich über ein Trinkgeld als Wertschätzung für meine Arbeit. Danke sehr!
Anmerkung: Den Denisovamenschen habe ich aufgrund der noch sehr jungen Faktenlage bei diesem Artikel außen vor gelassen.
Literatur:
https://www.mpg.de/7666290/neandertaler_genomprojekt
https://science.sciencemag.org/content/351/6274/737
https://www.spektrum.de/news/das-erbgut-der-mensch-neandertaler-mischlinge/1374138
https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/die-neandertaler-konnten-sprechen/
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Da das Patriarchat menschheitsgeschichtlich noch sehr jung ist (max. 5000 Jahre), sind gewaltsame sexuelle Begegnungen ziemlich unwahrscheinlich. Und Rassismus ist historisch nochmal deutlich jünger. Das macht die Aussterben -durch-Inzest-Theorie erstaunlich, aber wer weiß?
Und ja, ich bevorzuge entschieden Deinen sachlichen (und trotzdem spannenden) Stil. Reißerisch aufgemachtes a la „Welt der Wunder“ finde ich schwer auszuhalten.
Dein Blog ist super.
Moin!
Erst einmal danke für das Lob. Aber – einfach erstmal als Punchline das Alter des Patriarchats herauszuhauen ohne jeden Beleg, das ist auch recht reißerisch. Und tatsächlich kann man das nicht wirklich belegen.
Aber du hast recht, es gibt Anzeichen verschiedenster Gesellschaftsstrukturen. Aber alles Weitere ist halt eher kompliziert zu beantworten.
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