Es ist nun schon einige Zeit her, dass die Ausstellung “2 Millionen Jahre Migration” im Archäologischen Museum Hamburg eröffnet wurde und ich mich mit einigen Komiliton*innen durch eine ganze menge Besucher*innen, die sich zu diesem Anlass auf den Weg nach Harburg gemacht haben, zwängte. Der Ausstellungsraum war proppenvoll an diesem Tag, und das Thema war um so interessanter. Auch weil die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Neanderthalmuseum entstanden ist. Doch nur um es gleich vorweg zu sagen, von den großartigen Rekonstruktionen verschiedener Menschenarten, die in Mettman zu sehen sind, ist leider keine nach Hamburg gebracht worden, was bei mir für eine kleine Enttäuschung sorgte.
Die Ausstellung ist noch bis zum 2. September diesen Jahres zu bestaunen. Aber was erwartet den Besucher hier eigentlich?
Die Macher*innen der Ausstellung haben sich die aktuelle Migrationsdebatte zum Anlass genommen, um drauf hin zu weisen, dass Migration in der Menschheitsgeschichte eher die Regel, denn die Ausnahme ist. Dies haben sie versucht auf verschiedenste Art und Weise zu zeigen. Zu Beginn werden die Museumsbesucher*innen direkt vor die Entscheidung gestellt, ob sie sich selber als Migrant*innen begreifen. In der Ausstellung wird dann aufgezeigt, dass, geht man die Generationen zurück, im Grunde jeder Mensch einen Migrationshintergrund hat, der in Europa lebt. Aufgrund der Out of Africa Theorie ist das im Grunde nicht weiter verwunderlich, aber im Alltag der heutigen Welt ist dieser Teil der Geschichte lang vergessen.
Und das obwohl die Out of Africa Theorie weitestgehend bekannt ist. Sie stützt sich auf die frühesten Hominidenfunde. Der Australopithecus Africanus gilt dabei als einer der Vorfahren der Menschen. 2 Millionen Jahre alte Fossilien dieser Primatenart wurden am Südrand der Kalahari gefunden. Aber es gibt auch weitere Funde früher Hominidenarten auf dem afrikanischen Kontinent, sodass der exakte Ursprungsort der jeweiligen Hominidenarten unklar bleibt. Der Homo Sapiens entwickelte sich wahrscheinlich in der Umgebung von Äthiopien. Zumindest lässt der Fund eines Schädels, darauf schließen. Von hier aus wanderten unsere Vorfahren dann nach und nach aus, und besiedelten den ganzen Planet, und dabei eben auch Europa.
Doch, wer sich alleine auf die Out ouf Africa Theorie beruft, der übergeht viele weitere Wanderdungsbewegungen des Menschen in den letzten 2 Millionen Jahren. Wer die Ausstellung verlässt, nachdem er*sie sich mit diesen Migrationsbewegungen in der Menschheitsgeschichte konfrontiert hat, wird wiederum gefragt ob er*sie sich als Migrant*in begreift oder nicht. Die aktuelle Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg ist also eine, die zum Nachdenken anregen will.
Was gibt es denn für Besonderheiten in dieser Ausstellung?
Nicht nur, dass die Ausstellung ein wenig provokativ wirkt in diesen Zeiten, nein auch, dass sie teils sehr interaktiv gestaltet ist zeigt, sie passt nach Hamburg. Die Ideen sind dabei klassisch bis originell, aber manchmal auch ein wenig merkwürdig. Alles in allem ist es für den Besucher eine interessantere Erfahrung, eine Schublade zu öffnen, als nur in eine Vitrine zu schauen. Die Interaktivität ist in dieser Ausstellung nicht übertrieben, nicht jeder Gegenstand, und Inhalt wird interaktiv vermittelt, dennoch ausreichend viele Inhalte, sodass der Besuch dieser Ausstellung angenehm abwechslungsreich ist.
Diese angenehme Abwechslung wird ein wenig davon gestört, dass der Ausstellungsraum leider recht klein ist, und von daher alles etwas beengt wirkt. Ein sehr großer Inhalt, zu einem sehr großen Zeitabschnitt, und einem extrem wichtigen Thema, wird auf geringe Quadratmeter gequetscht. Es scheint mir Fast eher symbolisch, für die Hamburger Archäologie zu sein, dass aus kleinen Möglichkeiten versucht wird das beste heraus zu schlagen, aber eigentlich weiß jede Freund*in der Archäologie in Hamburg, dass dieses Fach einfach einen viel höheren Stellenwert verdient hätte, und damit auch größere Ausstellungsräume für so wichtige Themen.
Wo ist Dänemark?
Wenn ich an die Darstellung denke, dann auf jeden Fall daran, dass alles in einer vergleichbaren grafischen Darstellung gehalten wurde. Ich finde das relativ entspannend, weil sich so ein roter Faden durch die Ausstellung zieht, gleichzeitig, ist der Stil der Grafiken aber auch relativ gewöhnungsbedürftig. Der Über-stilisierende Zeichenstil, wirkte modern, und verwirrend zugleich. Klar muss eine Karte in einem Museum nicht GPS-getreu sein. Aber die Frage die sich mir stellt ist, was hat Dänemark dem Hamburger Museum für Archäologie getan, dass es vollständig von der Europakarte verschwunden ist? Tatsächlich sind die Darstellungen also so sehr stilisiert, dass ich mich Frage ob das noch mit der Aufgabe der Wissensvermittlung vereinbar ist.
Eine andere Darstellung gefiel mir allerdings außerordentlich gut. Und zwar die Definition von Begriffen. Der Museumsbesucher kann hier wirklich etwas dazu lernen, über Begriffe die er zwar aus den aktuellen Migrationsdebatten kennt, aber eigentlich nie definiert bekommen hat, was sie bedeuten. Gleichzeitig, wird durch die Definitionen auch ganz klar, was jeweilig mit den einzelnen Worten exakt gemeint ist. Dies beugt Missverständnissen vor. In dieser Form habe ich noch in keinem Museum eine Darstellung von Inhalten gesehen. Es besteht hier quasi Museal die Möglichkeit ein Begriff nachzuschlagen, ohne ein Buch in die Hand zu nehmen. Diese Art des nachlesens, was eigentlich gemeint, ist genial, und sollte viel öfter so gestaltet werden. Denn nur wenn klar ist welche Begriffe wir haben, können wir beginnen eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, und auf Augenhöhe kommunizieren. Und an genau dieser Kommunikation mit der Öffentlichkeit mangelt es derzeit viel zu oft, wie der Besuch der Sharing Heritage Tagungung der DGUF mir gezeigt hat.
Von DNA Analysen und rezenten Haselnüssen
Ein sehr modernes Thema, dass sich durch die Ausstellung zieht, ist das Thema Genetik. Die Erforschung der DNA des Menschen und die Verwandtschaftsverhältnisse einzelner Kulturgruppen ist dabei noch relativ neu. Damit ist dieser Teil der Ausstellung unglaublich aktuell, und auch für Fachkollegen, die sich noch nicht tiefer gehend mit dieser Analyseform beschäftigt haben, beispielsweise weil sie es für ihre Aufgabenbereiche nicht brauchen, ein schöner Einstieg in das Thema.
Anstelle von Vitrinen zeigen Koffer was die Menschen der Urgeschichte mit sich herum getragen haben. Diese Koffer sind thematisch und nach Zeitaltern gepackt. Teilweise thematisieren sie die Werkzeuge der Menschen verschiedener Zeitalter, und teilweise auch z.B. die Ernährung der Menschen. Die Koffer sind immer wieder mit kleinen Namensschildern zu versehen, auf denen sich die gröbsten Daten der hypothetischen Eigentümer*innen finden. Außerdem sind die Koffer mit Informationen und teils mit Karten ausgestattet, sodass sich für den Besucher nach und nach die Wanderdungsbewegungen nachvollziehen lassen.
Eine dieser frühen Wanderdungsbewegungen ist aktuell im Fokus der Wissenschaftler*innen. Es handelt sich um die Verbreitung der Glockenbecherkultur. Diese Kultur hat sich im Endneolithikum, also zum Ende der Jungsteinzeit, sehr weit verbreitet, während andere Kulturen verschwunden sind. Ob die Glockenbecherkultur diese Menschen verdrängt haben, oder ob sich die Menschen der neuen Kultur angeschlossen haben, wird diskutiert, und scheint regional ganz unterschiedlich zu sein. Es gibt aufgrund von Verletzungsmustern an Skeletten aber auch die Vermutung, dass es vor der Verbreitung der Glockenbecherkultur zu Kampfhandlungen und Konflikten zwischen den einzelnen jungsteinzeitlichen Kulturgruppen gekommen ist. Klar ist nur die rasche Verbreitung dieser Kultur. Derzeit gibt es DNA-Analysen von diesem Skelettmaterial, welche dazu behilflich sein sollen, diese Fragestellungen zu klären. Die ersten Erkenntnisse belaufen sich darauf, dass sich die Glockenbecherkultur von der Iberischen Halbinsel aus über den Kontinent ausgebreitet hat. Eine genetische Kombination, welche häufig innerhalb dieser Kultur gefunden wurde, wird als das Neolithisches-Paket bezeichnet. Viele Einwohner*innen Europas tragen diese Kombination auch heute noch in sich. Man darf also gespannt sein, was diese Analysen in den nächsten Jahren noch alles aufzeigen werden.
Neben diesen Interessanten Einblicken in die aktuelle Forschung, zeigt die Ausstellung teilweise Dinge, die wenig durchdacht, oder auch etwas wirr sind. Zum Thema Ernährung werden beispielsweise Haselnüsse gezeigt. Haselnüsse begleiten den Menschen tatsächlich schon sehr lange in seiner Ernährung. Von daher ist es inhaltlich richtig sie zu zeigen. tatsächlich handelt es sich aber um das einzige Nahrungsmittel, dass auch gezeigt wird. Es ist aber auch das einzige Nahrungsmittel, dass sich in einer Koffervitrine lange genug hält. Dennoch ist die Beschriftung relativ dürftig. Sie werden mir einem einzigen Wort erklärt, und das Wort ist “Rezent”. Während ich davor stehe, und mich frage warum es notwendig ist, dass offensichtliche zu beschreiben, wird sich eine andere Besucher*in, ohne Archäologiestudium fragen, was dieses Wort bedeutet (Es bedeutet soviel wie, aus dem hier und jetzt. Es handelt sich also um Haselnüsse aus unserer Zeit). Diese Art der Skurilität zeigt sich immer wieder in der Ausstellung. So wird zum Thema “Ernährung” grafisch ebenso ein Fliegenpilz gezeigt. Da diese giftig sind, dienten sie vermutlich nicht der Nahrung in der Urgeschichte, sondern maximal als Rauschmittel. Solche Kleinigkeit sind mir immer wieder aufgefallen innerhalb dieser Ausstellung. Und das ist sehr schade!
Eine weitere Idee, die sich in der Ausstellung findet, sind Würfel welche interaktiv verdrehbar sind. Die Würfel haben verschiedene Inhalte auf den verschiedenen Würfelseiten. Im Grunde genommen handelt es sich um eine tolle Idee. Gerade Kinder könnten viel Spaß dabei haben diese Würfel zu drehen und die verschiedenen Seiten zu entdecken. Die Grafiken sind dabei in der Regel leicht verständlich und anschaulich gestaltet. Würfel welche mit Karten bestückt waren wirkten so fast wie kubusförmige Globuse. Leider waren diese Würfel teilweise sehr hoch angebracht, sodass Kinder sie nicht unbedingt erreichen können. Ich bin dennoch gespannt, wann sich ein anderes Museum diese Darstellungsart abguckt.
Ein besonderes Projekt wird in dieser Ausstellung vorgestellt. Es heißt Humamae und hat sich zum Ziel gesetzte den genetischen Zusammenhang von Hautfarben zu untersuchen. Das Ziel ist es dabei die Verschiebung des Rassismusproblemes zu Thematisieren, und gleichzeitig alle Farben die Menschen haben können gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Teilnehmen kann an diesem Projekt jeder Mensch, von jedem Ort an dieser Welt, der teilnehmen möchte.
Klein aber mutig!
Im Archäologischen Museum Hamburg wird derzeit also eine Ausstellung gezeigt, mit einem bewusst politischen Hintergrund. Auch die aktuelle Ausstellung im Landesmuseum in Halle hat einen politischen Hintergrund, bei der es um den Klimawandel geht. Hamburg hat sich dabei im Vergleich, nicht nur das mutigere Thema gewählt, sondern positioniert sich dabei auch eindeutiger. In Halle werden die Zeiten nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachtet, sodass die aktuelle Klimaendwicklung gar nicht thematisiert wird. Damit regt Halle zwar dazu an, über wechselnde Lebensumstände in Bezug auf das Klima nachzudenken, bezieht aber in Bezug auf die aktuellen Probleme keinerlei Stellung. Die Ausstellung in Hamburg verfolgt im Vergleich ein ungleich klareres bildungspolitische Ziel, und Überzeugt dabei mit Argumenten die Betrachter*innen davon, über den Migrationsgedanken einmal nachzudenken, und lässt dabei das heute nicht aus. Deswegen ist diese Ausstellung, auch wenn sie klein ist, besonders erwähnenswert, und wie ich denke, auch besonders hervorzuheben. Ich komme mit Blick auf die Ausstellung in Halle also du dem Gedanken “Hamburg traut sich was!”
Auch wenn ich der netten alten Dame, leider recht geben muss, die mir auf der Ausstellungseröffnung zugeflüstert hat, dass sie befürchtet, dass diese tolle und informative Ausstellung vermutlich nicht die Menschen erreicht, die dieses Wissen am dringendsten bräuchten. Denn diese Menschen werden von einer Ausstellung in einem Museum nicht unbedingt angesprochen. Aber immerhin scheint die Provokation zu wirken, wie mir zerstörte Werbeposter für die Ausstellung, an Hamburger Bahnhöfen zeigen.
Besonders erwähnenswert ist an der Ausstellung in Hamburg noch etwas. Die interaktiven Programme gibt es nämlich nicht nur für Groß, sondern auch für Klein. An Kinder ist gedacht in dieser Ausstellung, und damit ist sie zusätzlich auch noch Familientauglich. Die Kinderprogramme sind dabei nett gestaltetet, und für Kinder ab dem Schulalter geeignet. Es ist besonders Lobenswert auch für die Kleinsten in unserer Gesellschaft einen Platz im Museum zu finden ist, denn oft genug gibt es das nicht, und Kinder stehen in der Kulturlandschaft außen vor. Ich habe die Kinderprogramme ausprobiert, und sie im Kopf mit dem Angebot im Schwedenspeichermuseum vergleichen, welche ich sehr schön finde. Tatsächlich musste ich feststellen, dass das Verhältnis von Erwachsenen und Kinderausstellung in Hamburg ausgewogener ist, und die Aktivitäten, die Kinder machen können vielfältiger sind. Die Ausstellung ist also für Klein und Groß ein Erlebnis, und bekommt von mir dafür einen extra Daumen nach oben!
Migration mit Innovation präsentiert
Zusammengefasst muss ich sagen, ist die Ausstellung teilweise so abstrakt wie die Grafiken, die sie verwendet. Auch die kleinen Merkwürdigkeiten, die ich hier und da entdeckt habe minderten meine Begeisterung ein wenig. Tatsächlich gibt es viele Texte zu verschiedenen Themen, welche ebenfalls etwas abstrakt sind, und die evtl. nicht für jeden Besucher eingängig. Aber in dieser Hinsicht ist die Ausstellung gleichsam auch keine Katastrophe, nur teilweise eben nicht ganz perfekt. Denn gleichzeitig wurde an viel Gedacht, und es wird immer wieder versucht den Besucher abzuholen. Tatsächlich findet sich soviel Innovation in dieser Ausstellung, dass ich in diesem Beitrag kaum dazu komme die Inhalte überhaupt zu erwähnen.
Besonders schön finde ich, dass Themen gewählt wurden, die für die Menschen greifbar sind, und diese in einer Art präsentiert wurden, die sehr anschaulich ist. Die Kreativität der Macher*innen schien dabei fast grenzenlos zu sein, nicht aber der Platz und das Budget. und so findet sich bei vielen Ausstellungsstücken der Hinweis “Replik” in der Erklärung, was manchmal natürlich sehr schade ist. Dennoch muss man Fest halten, dass eine ganze menge Mühe und Arbeit hinter dieser Ausstellung steckt, und das das Thema nicht nur mutig gewählt ist, sondern die Aktualität immer wieder aufgegriffen wird. Auch das bewerte ich mit Hochachtung.
Aber leider muss ich auch sagen, es ist oft der letzte der Schliff der fehlt. Ein Bücherregal und bereitgelegte Sitzkissen, sollen beispielsweise dem Besucher die Möglichkeit geben, sich ganz entspannt durch die Literatur zu diesem Thema zu blättern. Es ist ein großes Bücherregal dafür aufgebaut, in dem dann aber nur wenige Bücher stehen. An einer anderen Stelle wollte ich mir ein Video ansehen, bei dem sich der Ton partout nicht einschalten ließ, weswegen ich nur alte Männer sah, deren Lippen sich bewegten. Diese und andere Kleinigkeiten, lassen mich zu dem Schluss kommen, die Ausstellung ist mutig, kreativ, frisch, innovativ, aktuell, modern, durchdacht, und im Grunde genommen sehr schön, aber es fehlt der letzte Schliff.
Und wo kann ich was Nachlesen?
Du möchtest noch mehr zur Out of Africa-Theorie nachlesen, dann kann ich dir das Buch “Roots – Wurzeln der Menschheit” empfehlen. Das Buch ist reich bebildert, und leicht verständlich geschrieben. Aber aufgepasst! Bei diesem Buch gilt folgendes, wie so oft in der Urgeschichte: Die Erforschung dieser Zeit steht noch sehr am Beginn, und es gibt zu vielen Theorien nur wenig Funde. Nicht selten passiert es, dass ein*e Archäolog*in einen Urgeschichtlichen Fund macht, und danach stimmen viele alte Theorien und Annahmen nicht mehr. Und so verändert sich das Wissen über die Menschheitsendwicklung ständig.
Wenn du mehr über die Verbreitung der Glockenbecherkultur erfahren möchtest dann schau doch in diesen kleinen Artikel von wissenschaft.de. Und falls du dich dafür interessierst, wie die mögliche Deutung von kriegerischen Auseinandersetzungen hergeleitet wird, dann empfehle ich dir einmal das Buch “3300 BC – Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt” zur Hand zu nehmen. In dem reich bebilderten Werk wird auf Seite 42 die DNA Analyse zu diesem Thema erläutert, und ab Seite 239 teilt uns Harald Meller seine Ideen zur Entstehung des Krieges im Neolithikum mit.
Vorweg möchte ich mich herzlichst für den gelungenen Beitrag in Ihrem Blog bedanken Miss Jones! Die angesprochene Kritik an der Ausstellung teile ich und würde an einigen Stellen sogar noch ein wenig weitergehen. Es handelt sich jedoch um eine übernommene Sonderausstellung, deren Grafik und Architektur so „geschloßen“ ist, dass sie nur schlecht erweiterbar war. Wie Sie gesehen haben, konnten wir sie nicht einmal auf der, ohnehin knappen, kompletten Ausstellungsfläche des AMH zeigen. Hinsichtlich Layout, Texte und Grafik bin ich ebenfalls bei Ihnen! Das Thema ist relevant sowohl für die rezente Situation als auch für das Fach Vor- und Frühgeschichte, womit ich bei dem Thema der Diskussion auf Facebook (https://www.facebook.com/MissJonesTravel/posts/673368339694936) bin und den Anmerkungen von Dana Schle bin.
Das Museum zeigt selbstverständlich keine Rassestudien anhand von Skelettresten und weist im Text ausdrücklich darauf hin, dass diese Methode heute keine Verwendung mehr findet. Die Problematik der sogenannten „Glockenbecherfrage“ ist genau deshalb in die Ausstellung aufgenommen worden. Es soll gezeigt werden das die Vermessung von Schädeln keine belastbaren Ergebnisse liefert, die Analyse des Erbguts für sich sehr schön zeigt, wie große die Variationsbreite beim Menschen ist (Schaukasten rechts neben den Schädelrepliken).
Die Ausstellung ist im Mettmann Museum für eine breite Öffentlichkeit konzipiert und konzentriert sich chronologisch ausdrücklich auf die Steinzeit. Themen wie die Entwicklung von Nationalstaaten oder Migration in der modernen Gesellschaft wären in einem Archäologischen Museum, weder in Mettmann noch bei uns, nicht angebracht. Das AMH hat sich selbstverständlich dennoch auch dazu Gedanken gemacht und ist aus diesem Grunde eine Kooperation mit dem Auswanderermuseum BallinStadt eingegangen.
Die Ausstellung ist inhaltlich aus meiner Sicht gekonnt, wohl recherchiert und alles andere als „nur gewollt“, spürt man doch an jeder Ecke die Kompetenz der Kollegen im Neanderthal Museum.
Nun zu meinem „Zitat“ welches auch in einem populär wissenschaftlichen Kontext zu sehen ist. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass wir Prähistoriker uns erst einmal völlig neutral mit den Funden und Befunden auseinandersetzen sollten. Fund und Befund sind für mich echte „hard facts“, die wissenschaftlich zu interpretieren sind. Die Frage ist jedoch, wer es tut und in welchem Kontext. Die Informationsfülle die uns derzeit digital zur Verfügung steht, führt heutzutage zu unfassbaren Theorien und Gedanken, die nichts mehr mit einer wissenschaftlichen Interpretation von archäologischen Funden zu tun haben. Was wir übrigens in sehr extremen Maße bei unserer Ausstellung „Eiszeiten – Die Kunst der Mammutjäger“ zu spüren bekommen haben. Bei der aktuellen Ausstellung kommen ebenfalls Meinungen, übrigens auch von Fachkollegen, an die Oberfläche, für die ich mich als Prähistoriker nur schämen kann. Insofern kann ich Ihnen (Dana Schle) nur recht geben, wenn Sie schreiben, dass wir uns viel mehr um die eigene Forschungsgeschichte kümmern sollten, um zu erkennen, wie groß der Einfluss der jeweiligen politischen Situation auf die Wissenschaft ist. Ich leite hier im AMH übrigens ein größeres Projekt zur Geschichte der Archäologie in Hamburg und kann dazu sicherlich einiges zum Thema „ideologischer Bodensatz“ insbesondere in der VFG beitragen.
Ich bin auf der anderen Seite aber auch erstaunt, wie wenig sich Studenten für Funde interessieren. Die Magazine und Archive, auch die des AMH, sind voll mit Material und Grabungsdokumentationen, aber Masterarbeiten oder Dissertationsvorhaben, die sich mit Materialarbeiten beschäftigen werden nur noch selten vergeben. Es scheint das Themen die sich „theoretisch“ mit archäologischen Funden und Befunden, unter Zuhilfenahme naturwissenschaftlicher Quellen, eher vergeben werden und wesentlich und „beliebter“ sind.
Die Möglichkeiten die uns naturwissenschaftliche Methoden liefern sind wirklich großartig, sie sind dennoch immer noch nur ein Puzzleteil, welches einewissenschaftliche Interpretation unterstützen soll. Ich mahne aber, auch aus der Kenntnis der Forschungsgeschichte des Faches, hier zur Vorsicht, da hier ein vermeintliche Neutralität zu einer einseitigen Interpretation führen kann.
Im Übrigen lade ich herzlich dazu ein das AMH persönlich zu besuchen, um unsere Ausstellungen im Kontext kennenzulernen.
Liebe Miss Jones,
vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag zur Ausstellung “2 Millionen Jahre Migration”! In vielen Punkten möchte ich mich dieser Ausstellungsrezension anschließen, ich möchte aber auch ergänzend erwähnen, dass in der Ausstellung mit einigen Video-Hörstationen zu Migrant*innen in Hamburg auch noch ein zusätzlicher Gegenwarts- und Ortsbezug hergestellt wurde.
Ich habe die Ausstellung inzwischen mehrfach und mit verschiedenen Personen besucht: Mit Fachkolleg*innen, mit Studierenden, die im Rahmen einer Einführung in die Vor- und Frühgeschichte für Studierende nicht-archäologischer Fächer sich gerade mit den Grundbegriffen der Prähistorischen Archäologie auseinandergesetzt haben, und mit Personen aus meinem persönlichen Umfeld, die ebenfalls keine Archäolog*innen sind. Viele der Kleinigkeiten, die Sie genannt haben – wie die stilisierte Darstellung eines Fliegenpilzes unter dem Stichwort “Ernährung”, oder die rezenten Haselnüsse – sind auch einigen Studierenden sowie den Nicht-Fachkolleg*innen aufgefallen, und auch die deutliche Stellungnahme des Museums wurde von ihnen positiv bewertet, auch wenn vielleicht nicht alle immer der gleichen Meinung waren. Die Fachkolleg*innen hingegen waren von der deutlichen Stellungnahme interessanterweise eher etwas irritiert, und hätten sich mehr Originale statt Repliken gewünscht. Für mich war es auf jeden Fall sehr interessant zu sehen, auf welche Aspekte der Ausstellung die unterschiedlichen Besucher*innen, mit denen ich sie besucht habe, reagiert haben. Wahrscheinlich ist es für die Ausstellungsmacher*innen sehr schwer, die Reaktionen und Assoziationen der unterschiedlichen Besuchergruppen vorherzusehen, und gewissermaßen vorausschauend darauf zu reagieren. Ich kann mir vorstellen, viele der Kleinigkeiten, die in dieser Rezension zu der nicht ganz perfekten Ausstellung beschrieben wurden, ergeben sich aus diesem Problem.
Danke für diese Ergänzung!
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