Archäologie und Konkurrenzpogo

Pogo kenne ich von Punkkonzerten zur Genüge. Es ist ein Tanz, bei dem man sich gegenseitig anrempelt und man auch immer wieder den ein oder anderen Ellenbogen in der Magengrube findet. Tatsächlich eine unglaublich gute Möglichkeit, Alltagsfrust einfach wegzutanzen. Ich glaube, würden mehr Leute Pogo tanzen, dann hätten sie ein Ventil und müssten nicht Ihre Ellenbogen im Alltag gegen ihre Mitmenschen ausfahren. Aber weil der Konkurrenzdruck in der Archäologie sehr hoch ist, gibt es immer wieder Gruppendynamiken, die mehr oder weniger ungesund sind:

Die Sache mit dem Alkohol

Das fällt vor allem auf Fachtagungen und gemeinsamen Exkursionen auf. Es wird verdammt viel Alkohol getrunken. Ein älterer Kollege erzählte mir einmal, dass es zu seiner Studienzeit normal war, dass man auch auf der Ausgrabung getrunken hat. Betrunken auf einer Baustelle – das ist ein starkes Sicherheitsrisiko. Deswegen ist das mittlerweile verboten. Heute wird nach der Arbeit gemeinsam gebechert. Man erkennt ein Archäologen-Bier daran, dass es nur wenige Minuten Flüssigkeit enthält. Das löst Gruppendynamiken aus. Manchmal entsteht Streit. Oft ist es anstrengend für Leute wie mich – die keinen Alkohol trinken. Die fallen unangenehm auf und das kann dazu führen, dass sich eine Gruppendynamik gegen sie wendet. Das muss natürlich nicht passieren. Gerade in den ersten Semestern kommt es immer wieder dazu, dass Jungarchäologen, die eigentlich gar nicht trinken, sich dann, nur um dazuzugehören, übernehmen. Ich finde das schade und wir sollten innerfachlich mehr über Alkoholismus reden.

Ein Volltrunkener an einer Bar

Ja, gerade in intensiven Arbeitszeiten kann einfach mal feiern helfen. Aber in der Archäologie wird übertrieben (Bild: Michael Jarmoluk – Pixabaylizenz).

Tatsächlich bin ich mit meiner Entscheidung, die ich 2009 getroffen habe, nur noch einmal im Jahr Alkohol zu trinken, sehr gut durch alle Probleme in meinem Leben gekommen. – und mein Leben war trotzdem verdammt Punkrock – Denn: Die innere Stärke, die mir das gegeben hat, konnte ich auch jüngeren Semestern, mitgeben, sodass sie einfach sie selbst sein konnten. Ich würde mir wünschen, dass das auf diese Weise öfter thematisiert wird.

Die Sache mit der Abenteuerlust

Ein bisschen Indiana Jones sind wir doch alle. Viele Archäologen lieben das Abenteuer. Wenn ich in einer x-beliebigen Kneipe erzähle, dass es mein Traum ist, eines Tages zu Fuß, um die Welt zu laufen, werde ich oft nur ausgelacht. Sagt man so einen Satz unter Archäologen, gibt es dann immer jemanden, der sein Handy zückt und sowas sagt wie „letztes Jahr bin ich durch Dänemark gelaufen, ich kann dir eine Liste mit den besten Zeltplätzen schicken“. Wir sind also unter uns durch unsere Abenteuerlust verbunden. Das ist schön. Das gehört zu uns und das ist manchmal auch ganz schön lebensgefährlich – erst im Herbst 2023 ist ein 21-jähriger Nachwuchskollege bei einer Ausgrabung in Deutschland gestorben.

Eine Frau in einem höhlenanzug hängt zur Hälfte von oben in einer Höhle hereb, zur hälfte ist sie zwischen zwei Höhlenwänden mit ihren beinen in sitzpostition eingeklemmt, und auf dem schoss arbeitet sie mit einem Laptop.

Der Fundplatz des Homo Naledi z.B. ist doch ein traumhafter Arbeitsplatz für Abenteuerlustige – aber eben auch gefährlich (©Wits University).

Ein Problem, das ich sehe: Es gibt Menschen, die übertreiben und gefährliche Gruppendynamiken entstehen. Es gibt auch weniger abenteuerlustige Archäolog*innen, die sich dazu genötigt fühlen gefährlichere Aufgaben zu übernehmen, auch wenn sie eigentlich zu viel Angst haben und dann eher Fehler machen. Auf der anderen Seite, gibt es Kolleg*innen, die vor lauter Abenteuerlust auf ausreichende Schutzmaßnahmen wie z.B. einen Helm verzichten.

Ein Taucher im Wasser über ein Paar Holzplanken

Auch Unterwasser forschen wir – und das ist cool und spannend, trotzdem ist es wichtig, dass die Ausrüstung unsere Sicherheit gewährleistet (Bild: © Forschungstaucher Christian Howe ).

Manchmal gibt es Gruppendynamiken, wo gesundheitsgefährdende Aufgaben übernommen werden, nur um sich untereinander zu beweisen, ohne ausreichenden Schutz. Das ist die Stelle, wo ich mir wünschen würde, dass wir alle unsere Abenteuerlust etwas zurücknehmen und auf Schutzkleidung beharren. Wenn man sagt, „Nein, das mache ich nicht, ich verlange einen Schutzhelm!“, dann steht man zu sich selbst. In einer solchen Dynamik ist das schwer, aber unendlich wichtig – zusätzlich, wenn eine Dynamik entsteht, bei der es “peinlich” ist dein Schutzhelm aufzusetzen. Und dieses trotz der Gruppendynamik Nein sagen und darauf beharren, egal ob man für die anderen dann seltsam wirkt, dass ist Punk!

Die Sache mit der Politik

In Teilen der Archäologiecommunity gelten Archäologie und Politik als Widerspruch. Das Gerücht besagt, wenn man politisch ist, dann zeigt man Archäologie verzerrt. Meine Antwort ist: Jeder zeigt Archäologie durch seine ganz persönliche Brille verzerrt. Man tut es nur mehr oder weniger bewusst. Mir ist es deswegen lieber, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die ganz öffentlich zu ihrer Meinung stehen. Dann weiß ich an, was ich bin. Ich kann sogar leichter Interpretationsfehler entlarven, die durch die Sichtweise der Person entstanden sind und die Person darauf hinweisen. Und wenn die mich auf meine Fehler hinweisen, kann ich es auch eher annehmen, weil Augenhöhe da ist!

Ich stehe auf einem Fluchtboot an eine Steilküste

Am Ende ist es für mich wichtiger auf Lampedusa die Fluchtboote zu erkunden, um ganz genau zu zeigen, was dort passiert. Weil mir liegen Menschenrechte mehr am Herzen als mein Ruf im Kollegium – Was liegt dir am Herzen? Schreibe mir doch gerne einen Kommentar, was dein Grund ist, morgens aufzustehen.

Selbst habe ich lange nichts zu einer Auffassung geschrieben, obwohl ich ein sehr politischer Mensch bin. Das Problem: Es gab Mobbing deswegen. Es wurden Lügen über mich in der Fachwelt verbreitet. Mir wurde in Aussicht gestellt, dass wenn ich zu meiner Meinung stehe, dann wird mich niemals jemand einstellen und ich bin völlig untern durch. Deswegen habe ich mich sehr stark zurückgehalten. Das Ergebnis: Auch so stellt mich niemand ein. Es ist also egal, wie ich damit umgehe. Aber wenn ich zu mir selbst stehe, kann ich wenigstens ich selbst sein. In der Folge habe ich angefangen, meine Arbeit über Lampedusa öffentlich zu gestalten. Und: Wenn ich die Dinge, die ich tun will, trotzdem mache, dann habe ich am Ende gewonnen – den Hauptpreis: Mein ganz eigenes Leben. Diese Motivation wünsche ich all denen, die genau wie ich einfach keinen Job finden: Sei du selbst und versuche es trotzdem!

Die Sache mit den Krankheiten

Krankheiten sind ein Riesenproblem. Ein Epileptiker auf der Ausgrabung – schwierig. Eine Legasthenikerin schreibt die Dokumentation – besser nicht. Ein Depressiver schaut auf die Einhaltung der Fristen – auch keine gute Idee. Deswegen redet man nicht unbedingt über Probleme und beißt die Zähne zusammen. Die Archäologiecomnunity hat eine Gerüchteküche, die schneller ist als man das Wort Internet aussprechen kann. Deswegen halten viele mit ihren Problemen hinter dem Berg.

Ein Mann sitzt vor dem Laptop und schlägt verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.

Ein großes Problem, über das kaum jemand spricht in der Archäologie: Burnout – ich glaube, es ist fast jeder betroffen. Aber das erfährt man nur, wenn man mit Kolleg*innen mal privat redet (Bild: Lukas Bieri (Pixabaylizenz)):

Das Problem: Das macht alles eigentlich erst wirklich gefährlich. Denn für viele Probleme gibt es eine Lösung. Und eines habe ich noch nie erlebt: Dass ich im vertrauten zwei Augengespräch mit einem Kollegen geredet habe, der dann gesagt hat, er sei völlig gesund. Großteile des Kollegiums sind von psychischen Problemen betroffen. Immer wieder ausgelöst durch den Konkurrenzdruck und durch damit verbundenes Mobbing. Alle Archäolog*innen wissen, wovon ich rede. Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir auch in dieser Hinsicht zu uns selbst stehen. Denn nur mit einer gewissen Offenheit können wir gemeinsam das Berufsfeld gesünder gestalten.

Hör auf mit Konkurrenzpogo

Unsere Gesundheit ist wichtig. Allein deswegen hoffe ich, mein kleiner Appell ist angekommen. Sei auch Du bitte Du selbst. Steh zu dir. Ich versuche es auch bei mir. Ich kann dir vor allem eines versprechen: Es ist unglaublich befreiend. Es bringt dich näher an deine Träume. Klar, es wirkt wie ein Fehler – jedenfalls werden Leute versuchen es dir einzureden. Aber: Mein Vater hat immer gesagt „man muss nur den falschen Fehler im richtigen Moment machen!“. Damit ist gemeint: Es wird einen Weg geben, dass Du du selbst sein kannst und eine Zukunft hast, die zu dir passt.

Ein fröhliches Mädchen mit zerrissenen Klamotten, dazu der spruch "Eines Tages werde ich sagen, es war wirklich nicht immer einfach, aber ich habe es Trotzdem Geschafft"

Genau diese Lebensfreude würde ich dir gerne mitgeben (Bild: Ich weiß leider nicht, wer der Urheber ist, weil es den Namen mehrfach gibt, wenn Copyrightprobleme sind, schreibt mich einfach an)

Das ist sehr viel besser, als wenn du in einer Zukunft landest, in der nichts zu dir passt und in der du psychosozialen Pogo mit deinen Mitmenschen tanzen musst. Wenn Du du selbst bist, wird es Leute geben, die das als Qualität sehen und nicht als einen Fehler. Das sind die Leute, die dich in eine Zukunft begleiten, in der du voll und ganz hinter dir und deiner Unvergleichlichkeit stehen kannst. Und ein selbstbewusster Mensch, der hinter sich selbst steht, der wiederum tanzt Pogo, wenn, dann nur auf Punkkonzerten – vielleicht sollte also auf Fachkonferenzen mehr Punkrock gespielt und Pogo getanzt werden 😉