Wie man sich das Leben ruiniert, wenn man Ruinen studiert

2022 wurde von der European Assoziation of Archeaologist eine Studie veröffentlich, die sich mit der Lage von Archäolog*innen am Beginn der Karriere auseinandersetzt. 419 Jungwissenschaftler*innen, im Alter bis 45, wurden weltweit befragt. Das Ergebnis war eine große Karriereangst:

Ein Teufelskreis

Der Konkurrenzkampf ist hart, es kommt zu Mobbing, Depressionen und Burnout. Ein Problem ist, dass extra viel geleistet wird, um auf dem weiteren Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Das erzeugt einen permanenten Stresslevel. Auf deutschen Fachtagungen wurde dies diskutiert. Bei der DGUF-Tagung 2016 in Berlin zum Beispiel, wo daraufhin der Berufsverband Cifa gegründet wurde.

18 Leergetrunkene weise Kaffeebecher von oben fotografiert. In einigen Kaffebechern kleben Kaffeereste.

Wenn es nach der Pause so aussieht bei einer Fachtagung, dann kann es gut sein, dass der Austausch über Probleme echt intensiv war.

Aber auch auf der 85. Verbandstagung des West- und Süd­deutschen Verbands für Altertumskunde und der 24. Verbandstagung des Mittel- und Ostdeut­schen Verbands für Altertumskunde wurde dieses Problem diskutiert. Das hat dazu geführt, dass die im European Journal of Archaeology 2022 erschienene weltweite Studie gemacht wurde, wie mir einer der Autoren anvertraut hat.

Absolut nichts ist in Ordnung

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie: Die größte Angst entsteht durch Jobunsicherheit. Gut die Hälfte der befragten Personen hat einen befristeten Vertrag. 18 % davon Verträge unter einem Jahr, 12 % von einem Jahr und 21,6 % einen Vertrag über zwei Jahre Laufzeit. Wenn man immer wieder befristete Verträge bekommt, entsteht die Angst, ob man wieder einen Job findet. Wenn ja: Wo?

Ein Balken und ein Tortendiagramm, das die Beschäftigungsverhältnisse zeigt.

18,9% der weltweit befragten Jungarchäolog*innen haben einen Arbeitsvertrag mit unter einem Jahr Laufzeit. Wer kann denn mit so kurzen Beschäftigungsverhältnissen sein Leben planen? (Die Grafik ist der Studie der EAA entnommen).

Hinzukommt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dass es einem nur eine gewisse Menge an befristeten Arbeitsverträgen erlaubt – danach darf man nur noch unbefristet arbeiten – aber was, wenn es denn keine unbefristete Arbeitsstelle gibt? Dann ist die Karriere beendet. Ein anderes Problem sind ultrakurze Arbeitsverträge:

Kurzzeitverträge

Ich hätte, während meiner mittlerweile 2 Jahre dauernden Jobsuche schon zweimal bei Ausgrabungen arbeiten können. Dazu hätte ich meine sicheren Nebenjobs kündigen müssen. Die Ausgrabungen hätten Verträge, für 6 bzw. 8 Wochen gehabt. Danach hätte ich zum Arbeitsamt gehen müssen. Das lohnt sich im Verhältnis nicht dafür sichere Jobs zu kündigen.

Ein Grün bewachsener Landsporn ragt in ein gigantisches Loch hinein.

Klar bin ich gerne auf Ausgrabungen (Diese hier ist in Schöningen) – aber es lohnt sich einfach nicht.

Zudem verdiene ich mit Miss Jones manchmal etwas Geld – und das heißt, dass das Arbeitslosengeld mir nicht sicher ist. Der größte Unsicherheitsfaktor ist für mich dabei die Krankenversicherung, die ich in solchen Monaten selbst zahlen muss, was sich aber nicht mit dem Einkommen deckt. Das Problem ist also: Die Archäologie ist in einer Form organisiert, die kaum Planungssicherheit bietet.

Es wird besser – aber viel zu langsam

Vor einigen Jahren wurden solche Ausgrabungen oft auf Werkvertragsbasis vergeben. Für Studierende in den Semesterferien ist das toll. Man arbeitet 6 Wochen, bekommt für jeden Tag einen Obolus und hat Grabungserfahrung gesammelt. Ich habe aber auch promovierte Archäologen kennengelernt, die immer unter solchen Verträgen arbeiten. Die im Auto leben, Ausgrabungen hinterherfahren und am Wochenende eine Putzstelle haben, um sich den Traumberuf zu finanzieren.

Die Rekonstruktion von Zigelbögen di einmal in den Gruooten des Catull standen. Die Ziglbögn Erstrecken sich bis ins schier unendliche.

Mit Pech wird aus dem Traumberuf ein Alptraumberuf, und man ruiniert sich selbst damit, Ruinen zu erforschen.

Mit einem Werkvertrag gilt man als selbständig – das heißt, sollte man im Anschluss keine andere Ausgrabung finden, bekommt man die ersten 3 Monate kein Arbeitslosengeld. Der Verdienst reicht aber nicht, sich einen 3 Monatspuffer anzusparen. Da im Winter seltener gegraben wird, gab es dann immer wieder Kolleg*innen, die hungern – ein oft hinter vorgehaltener Hand diskutiertes Thema auf Tagungen – Nicht nur in Deutschland. 100% der weltweit befragten Personen, gaben an, dass sie schon eine Phase der Arbeitslosigkeit hatten, ohne staatliche Unterstützung. Die Situation verbessert sich langsam: Heute muss nach dem Verursacherprinzip eine Ausgrabung von einer Baustelle bezahlt werden. Die engagieren direkt Grabungsfirmen. So haben viele Archäolog*innen feste Anstellungen in Grabungsfirmen bekommen. Aber nicht für alle Grabungsfirmen sind cool – Ich hatte z.B. schon einmal in Bewerbungsgespräch, wo mein Gehalt unter dem Mindestlohn gelegen hätte. Es gibt Leute, die nehmen solche Stellen an, weil die Verzweiflung so groß ist. Und ohnehin gibt es in der Archäologie viel Arbeit, die wir nach Feierabend machen.

Unbezahlte Arbeit

Der Anteil an Frauen, die unbezahlte Arbeit in der Archäologie leisten ist signifikant höher als der, der Männer. Unbezahlte Arbeit gibt es in verschiedenen Formen. Man findet keinen Job und wird erstmal ehrenamtliche Archäologin oder schreibt einen Blog. (okay, durch eure Spenden verdiene ich mittlerweile gut 80-90 Cent die Stunde). Vielleicht ist man auch gut in etwas – zum Beispiel GIS. Das wird gerne mal auf Jungforscher*innen abgewälzt. Natürlich, mit dem Köder in der Publikation auch genannt zu werden, um dann mehr Referenzen zu haben. Andere schreiben in ihrer Freizeit zusätzlich an Journalen. Unbezahlte Arbeit kann aber auch heißen: Telefon klingelt: „Notgrabung, dringend Leute gesucht! SOFORT!“. Dann geht man da hin: „Jetzt schnell Bergungen – über Geld reden wir später“. Dann arbeitet man Wochenlang 8 Stunden am Tag. Jedes Mal, wenn man über Geld reden will, ist keine Zeit dazu.

Ein Archäologe pinselt im Sand.

Ausgraben ist dabei nicht nur sanftes Pinseln wie hier, sondern teils körperlich harte Arbeit mit Schaufel und Spaten (Bild: Pokorna (Pixabaylizenz)).

Dann ist die Ausgrabung vorbei und man bekommt ein Zeugnis dafür, wie toll man doch ehrenamtlich geholfen hat. Es wurde einem die ganze Zeit vorgespielt, man würde für seine Arbeit einen Lohn bekommen. Auf ein Gehalt über 6 Wochen warte ich seit 2010. Solche Erfahrungen machen Angst – weil man nie weiß, ob man die Miete zahlen kann. Gleichzeitig ist die Fachwelt sehr klein, wenn man klagt, spricht sich das herum und die eigene Karriere ist vorbei. 19% der Jungarchäologen machen es deswegen wie ich – sie suchen sich sichere Nebenjobs.

Mobbing und Diskriminierung

49,9% der weltweit Befragten gaben an, dass sie Angst vor Diskriminierung oder sexuellen Übergriffen bei der Arbeit haben. Oft gibt es ein Machtgefälle. Es gibt Archäolog*innen, die auf jedes bisschen Möglichkeit am akademischen Apparat teilnehmen zu können, hin sparen. Man muss ja z.B. auch weiterhin Miete zahlen, wenn man Wochenlang auf Ausgrabung ist und da vielleicht nichts bekommt. Ist das Geld zur Überbrückung erstmal zusammengesparrt, kann man es sich nicht leisten, eine Chance hinzuschmeißen, weil man diskriminiert wird. Die Situation führt zu einem unglaublichen Konkurrenzdruck. Der entlädt sich zuweilen in hässlichen Formen.

Eine Reihe mit Streichhölzern. Alle haben einen lächelnden Kopf. Nur das Streichholz in der Mitte guckt traurig, denn es brennt.

Mobbing trifft immer eine Person, aber auch die anderen, die dadurch Angst haben (Bild: Succo (Pixabaylizenz)).

Von den 419 befragten Jungwissenschaftler*innen berichteten 180 von Diskriminierungserfahrungen. Bei der Hälfte der Geschichten handelte es sich um Mobbing, das von Archäolog*innen in ranghöherer Position ausgeübt wurde. Ohne das rechtfertigen zu wollen: Grabungsleiter*innen stehen immer wieder unter Druck, einen zu hohen Workload bewältigen zu müssen, weil den Ämtern zu wenige Stellen finanziert werden. Das entlädt sich dann im Umgang mit den Grabungshelfer*innen. Eine Gruppe unseres Kollegiums wird besonders häufig ausgeschlossen, gemobbt und belächelt: Mütter. Mir wurde schon im ersten Semester geraten: „sie haben Talent, lassen sie sich nicht rausschwängern“.

Was können wir tun?

Meine Ideen dazu sind: Mehr Selbstbewusstsein haben – es gibt diese Arbeitsverhältnisse, weil wir sie annehmen. Es wirkt, als hätten wir keine Wahl. Aber wenn alle sich verweigern würden, mit dem Verweis auf unsere Selbstachtung, dann würde sich etwas ändern. Ich selbst verweigere mich einigen Prozessen mittlerweile. Ich will einen anständigen Arbeitsplatz. Das heißt: Ein Gehalt, bei dem ich nicht hungern muss, mir mein WG-Zimmer leisten kann und eine Krankenversicherung habe. Wegen dieser Minimalforderung wurde ich tatsächlich mehrfach nicht eingestellt, von verdutzten Chefs, die nicht glauben, dass es Menschen gibt, die mit ihrem selbst verdienten Gehalt auch auskommen müssen. Chefs, die wegen ihrer wohlsituierten Herkunft selbst nie arbeiten mussten. Wir müssen diesen Menschen klarmachen, dass es zu einem richtigen Beruf gehört, dass das Gehalt angemessen ist.

10 Menschen schauen auf eine sehr dreckiege Frau, die ine eiem Erdloch steht und ihnen etwas erklärt.

Archäologie ist ein Beruf, um den uns viele Bewundern. Doch untereinander gehen wir miteinander und mit uns selbst nicht gut um. Das muss sich ändern.

Und ich glaube, wir müssen politische Forderungen stellen: Mehr Förderung für die Archäologie muss her. Wir haben viel Arbeit in den Landesämtern liegen – es fehlt der politische Wille, diese zu bezahlen. Deswegen müssen wir erklären, warum es wichtig ist, was wir tun. Wir müssen regelhaft gute Medienarbeit machen. Damit Steuerzahler*innen das befürworten. Und wir müssen an uns arbeiten, damit das Mobbing aufhört. Vielleicht wäre es gut, wenn es auf Fachtagungen Antimobbing-Coachings geben würde. Hast du weiter Ideen? Dann schreib sie in die Kommentare!

Und wenn du denkst: Gut das diese Sachen endlich jemand anspricht – Miss Jones bezahlt die Autorin komplett aus eigener Tasche. Sie geht dafür jobben. Aber du kannst sie mit einem Trinkgeld unterstützen.

Literatur:

M.Brami et.al: A Precarious Future: Reflections from a Survey of Early Career Researchers in Archaeology. In: European Journal of Archaeology 2022.

Stefan Schreiber – Archäologie am Abgrund – Abgründe der Archäologie: Menschenregierungskünste zwischen Prekarisierung und Selbstausbeutung, FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung.

Doris Gutsmiedl-Schümann et.al:  Prekariat und Selbstausbeutung zwischen einer Kultur des Jammerns und „Self-Empowerment“ – Einführung zur Diskussionsrunde des Forums Archäologie in Gesellschaft (FAiG), Archäologische Informationen 44, 2021, 105-110

Wilts: Aktivismus in der Archäologie als Chance, https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/40549

4 Gedanken zu „Wie man sich das Leben ruiniert, wenn man Ruinen studiert

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