Nur Trümmer sind übrig, von einem der berühmtesten Klöster Britanniens. Die Schätze sind gestohlen, die Mönche sind geschändet, kalter Rauch steigt auf. Auf den Reliquien wurde herumgetrampelt im Jahr 793. Es ist der Überfall mit dem die Wikinger als Schrecken der Meere die Weltbühne betreten. Rasend schnell machen blutrünstigste Gerüchte über die wilden Piraten aus dem Norden im ganzen christlichen Europa die Runde. In der Geschichtserzählung wirkt es manchmal als ob die Wikinger an diesem Tag plötzlich, aus dem Nichts heraus, die Weltbühne betreten haben. Ein Leser fand das nicht ganz logisch, und hat mir deswegen diese tolle Frage geschickt:
Woher kamen die Wikinger?
Oder sind die einfach vom Himmel gefallen? Ich glaub’ kaum! Aber es wirkt immer so, als ob die plötzlich einfach da waren. Das glaube ich nicht!
Die Anfänge dieser nordischen Kulturen sind stark verwoben mit Mythen und Sagen.
Spannende Geschichten entstanden zum Beispiel, weil spätere Wikingerherrscher sich einen möglichst sensationellen Stammbaum zusammenbasteln wollten. Aber: es gibt auch Vorkommnisse, da sind gleiche mehrere Perspektiven erhalten. So zum Beispiel eine Erzählung aus dem Beowulfepos. Ein Raubzug nach Friesland wird beschrieben. Reiche Beute wurde von einem König davon geschafft. Nur um wenig später von den Franken überfallen zu werden, die ihm die reiche Beute gleich wieder abknöpften. Eine
solche Erzählung allein wäre nur ein Mythos, doch in diesem Fall ist es anders. Der christliche Chronist Gregor von Tours schrieb diese Geschichte ebenfalls nieder. Beide Geschichten haben so viele Übereinstimmungen, dass man überlegen kann, ob es dieses Ereignis vielleicht wirklich gab. Das Schriftstück von Gregor von Tours lässt sich auf das Jahr 516 datieren. Damit kennen wir die Geschichte eines Überfalls lange vor der Wikingerzeit. Und auch noch vor der Zeit, in der wir archäologisch die Kultur festmachen können, aus denen die Wikinger entstehen.
550 die Vendelzeit beginnt
In Dänemark und dem restlichen Skandinavien, gibt es eine Vielzahl an Königreichen. Die Kultur wird archäologisch anhand einer wunderschönen Kunstfertigkeit festgemacht, mit der Objekte gefertigt werden. Der Name Vendel wurde dafür nach einem schwedischen Fundplatz vergeben. Das Gräberfeld Vendel in Uppland. Als dieses Gräberfeld, dass im 7. Jahrhundert gegründet wird, untersucht wurde, konnte das erste Mal die Sachkultur von diesen Menschen archäologisch erfasst werden. Und die aufgefundenen Objekte erzählen viel über das Leben der Zeitgenossen der Merowinger und der Franken:
Vendelzeitliche Gräber
Es sind reiche Gräber, an denen sich ablesen lässt: Die Vendelkultur war eine Gruppe im Aufbruch. Sie haben Kontakte zu anderen, weit entfernten Regionen. Besonders interessant, die Bootsbestattungen von Vendel, Valsgärde und Tuna. Reiche Beigaben wurde den verstorbenen Angehörigen mitgegeben. Ganze Boote in Hügeln mit ihnen
beigesetzt. Anscheinend gab es einen Jenseitsglauben. Mit Schmuck, Spielen und reichen Lebensmitteln wird eine gute Basis für dieses Jenseits geschaffen. Eine Idee die Möglicherweise aus dem fränkischen Raum kommt. Dort gibt es solche Beisetzungen bereits seit dem 4. Jahrhundert. Doch das man die Toten dabei in Booten beisetzt, ist eine vendelkulturzeitliche Sonderentwicklung.
Das Grab von Sutton Hoo
Besonders bekannt ist auch das Grab von Sutton Hoo. Es stammt aus dem 7. Jahrhundert, und liegt im Osten des heutigen England. Interessant an diesem Grab ist. Helm, Schild und andere Objekte, die hier beigegeben werden, sind typisch vendelkulturzeitlich gestaltet – Haben also ein skandinavisches Aussehen. Andere Beigaben sind offenbar irischer Herkunft. Hinzu kommen importierte fränkische Güter, italienisches und byzantinisches Silber, und koptisches Bronzegeschirr aus Ägypten.
Das Grab ist sehr reich, sogar Jagdfalken werden mit beigesetzt. Möglicherweise ist dies eine Spur von einer der frühen skandinavischen Kolonisierung. Das Grab ist alles in allem sehr aufwändig und auch sehr schwedisch gestaltet. Dabei zeigt sich deutlich: der überregionale Kontakt zu anderen Ecken der Welt. Dieser zeigt sich nicht nur in Sutto Hoo. Bereits in der Vendelkulturzeit gibt es skandinavische Gräberfelder in Lettland und Litauen. Im 8. Jahrhundert entwickelt sich dann ein besonders bemerkenswerter Ort.
Helgö und die weite Welt
Bei Helgö handelt es sich um eine Siedlung mit einem außergewöhnlichen Charakter. Der gesamte östliche Bereich des Ortes besteht nur aus Schmiedewerkstätten, in denen Objekte für den Handel angefertigt werden. Der Ort sitzt wie eine Spinne in einem weit verzweigten Handelsnetz. Davon sprechen die interessanten Funde: Gläser und Keramik aus Westeuropa. Eine römische Münze, arabische Spielsteine und Münzen, koptische Bronzekellen, Beschläge aus Irland. Am bekanntesten: eine
Buddhafigur aus dem 6. Jahrhundert. Es gibt Spuren erster christlicher Missionarstätigkeiten. Alles in allem sind der Handel und die Kontakte in alle Welt ein wichtiges Merkmal der späteren Wikingerkulturen. Und das ist auch schon in dieser Zeit in solide Startlöcher gestellt. Helgö ist damit ein Vorläufer der späteren großen Handelssiedlungen wie Haithabu oder Birka. Und diese überregionalen Kontakte der Vendelkultur zeigen sich auch an anderer Stelle:Die Vendelkulturzeit als Epoche der Kunst
Die Kunst dieser Epoche lässt sich heute vor allem noch an Eisenobjekten ablesen, die sehr reich verziert, sind. Interessant dabei ist: die fränkische und die skandinavische Kunst beeinflussen sich gegenseitig. Man orientiert sich am Vorbild des anderen und erschafft dabei etwas Neues. Besonders beliebt in der Vendelzeit ist die
Kerbschnitttechick – eine ursprünglich römisches Kunsthandwerk, dass in Skandinavien große Beliebtheit erlangt. Wichtigstes Merkmal der Kunst der Vendelkultur: Die Tierstilornamentik. Tierfiguren verknoten sich in Zierelementen bis ins schier unermessliche. Ab dem 8. Jahrhundert entwickelt sich daraus ein Stil der zurecht Flechtstil genannt wird. Wirken die Tiere in dieser Zeit doch besonders stark in sich verwoben. Aber auch auf anderer Ebene entwickelt die Vendelkultur ihr Handwerk weiter. Und das führt schließlich endgültig zu dem, was wir heute Wikinger nennen.
Die Klinkerbeplankung
Dabei handelt es sich um eine bestimmte Art wie man Schiffe baut. An anderer Stelle werde ich euch das einmal ganz genau erklären – Für den Überblick ist wichtig zu wissen: Diese Art des Bootsbaus macht es möglich sich schnell auch in Gewässern mit wenig Tiefgang fortzubewegen. Den Skandinaviern ist es so möglich plötzlich und überraschend aufzutauchen. Das Geheimrezept der Wikingerüberfälle. Als dann 793 Lindesfarne überfallen wird, ist dieses Geheimrezept brandneu.
Es ist ein Schock für die christliche Welt und tatsächlich ein bisschen so als seien die Wikinger >>PLOPP<< vom Himmel gefallen. Es gibt Vermutungen, dass nur 3 Wikingerschiffe bei diesem Überfall beteiligt waren, spätere Überfälle sind da von einem ganz anderen Kaliber. Der Schock kam in Lindesfarne durch das rasante Auftreten und Verschwinden der Angreifer*innen. Plötzlich gab es Gewalt, von einer Sekunde auf die andere, an einem Ort der als Wallfahrtsstätte und besonders heilig galt. Wo regelmäßig Menschen empfangen werden und grundsätzlich Frieden herrscht. Dieses Überraschungsmoment gilt in gewisser Weise die Geburtsstunde der Wikinger.
Literatur:
Torsten Capelle: Die Wikiger, Mainz 1971.
Wolfgang Froese: Wikinger – Germanen – Nordische Königreiche – Die Geschichte der Ostseestaaten, Köln 2002.
https://www.deutschlandfunk.de/vor-1225-jahren-wikingerueberfall-auf-kloster-lindisfarne.871.de.html?dram:article_id=419771
Die folgende Literatur gilt als archäologisches Basiswerk; wenn du Archäologie Studieren möchtest, oder dich intensiv mit ihr beschäftigst sollte dieses Buch in deiner heimischen Bibliothek einen festen Platz haben: Hans Jürgen Eggers: Einführung in die Vorgeschichte, Berlin 2006 (fünfte Auflage).
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