Eifrig schlagen einige Maya den Putz von ihrer alten Pyramide. Sie wird abgerissen, denn ein neuer größerer Tempelbau soll hier entstehen. Die alten Wandmalereien werden einfach mit dem Putz von den Wänden geschlagen. Sie enden als Bauschutt. Schutt, der später verwendet wird – um Löcher zu stopfen. Es dauert 2200 Jahre, bis der texanische Archäologe Prof. David Stuart an dieser Stelle gräbt und den Bauschutt findet. Es ist bemerkenswerter Bauschutt – Stuart hat etwas Bemerkenswertes entdeckt:
Ein 7.000 Teile Puzzle aus der Zeit der Maya
Die 30 m hohe Las Pinturas Pyramide in San Bartolo steht im heutigen Guatemala. Erst 2001 wurde sie entdeckt und seit dem wird sie erforscht. Den Namen Las Pinturas hat sie, weil sich schnell zeigen ließ, dass dieser heilige Ort einst mit bunten Malereien bemalt war. Besonders bekannt ist eine Darstellung von der Westfassade. Von der Qualität können die Bilder mithalten mit den berühmten Wandmalereien in Pompeii. Die ersten Bilder, die hier gefunden wurden, stammen, aus der Zeit gegen 100 v. Chr. Doch da man hier immer neuere Pyramiden auf ältere gebaut hat, gräbt man sich mit Ausgrabungen immer tiefer in die Geschichte hinein. Und bei so einer Ausgrabung fand sich der Bauschutt, der entstanden ist, als die Pyramide erhöht wurde. Dass die früheren Wandmalereien so lieblos in einen Hohlraum gekippt wurden, klingt im ersten Moment traurig. Aber: Im Dunkel des Erdlochs haben sich die Malereien bis heute erhalten. Stückchen für Stückchen haben Archäolog*innen sie nun geborgen, nun sitzen sie vor einem 7000 Teile Puzzle, denn um die Geheimnisse der alten
Wandmalereien zu entschlüsseln müssen diese erstmal wieder zusammengesetzt werden. Dafür werden sie mit ganz unterschiedlichen Methoden untersucht.
Was untersucht werden kann
Bei den Farben war eine C14 Datierung möglich, so wissen wir genau, dass die alten Wandmalereien aus der Zeit zwischen 300 und 200 v. Chr. stammen. Das ist in etwa die Zeit, in der in Griechenland die allerschönsten Skulpturen entstehen, die ersten beiden Punischen Kriege toben und Archimedes den Flaschenzug entwickelt. Auf der anderen Seite der Welt malen die Maya Schriftzeichen auf ihre Tempelwände. Die Idee eine Schrift zu verwenden geht vmtl. auf die Olmeken zurück, die diese kulturelle Errungenschaft dann in Mittelamerika weiter verbreitet haben. Aber das ist nur eine
Vermutung, dass es so abgelaufen ist. Mit der Röntgenflurosenzanalyse lässt sich die Farbe der Malereien untersuchen – denn bestimmten Farben fluoreszieren, das gibt Aufschluss über ihre Zusammensetzung. Es zeigt sich: Die Schriftzeichen und Bilder waren zumeist Polychrom, also mehrfarbig. Die Maya, die das Rad nicht kannten und auch Metalle nicht verwendeten, nutzten eisenhaltige Mineralien, um Farben herzustellen. Und damit imposante Tempelanlagen fein säuberlich zu verzieren. Die Schriften an dem Heiligtum sind schwierig in einen Zusammenhang zu bringen. Der Grund: Sie stammen von ganz verschiedenen Malereien und Wandbildern. Und das heißt, man kann sie nicht immer zweifelsfrei einander zuordnen. Natürlich hilft es dabei, dass der Tempel farbenfroh bemalt war, Putzbrösel mit der gleichen Grundierung gehören dabei mutmaßlich zu einem Zusammenhang. Aber ist es auch ein heiliger Zusammenhang?
Oder ist es in einigen Fällen evtl. auch Graffiti, die Tempelbesucher*innen an die Wände geschmiert haben? Das lässt sich erst beantworten, wenn man ganze Zusammenhänge rekonstruieren kann. Was aber auffällt: Die Stilistiken der Schriftzeichen sind so unterschiedlich, dass man sie zu zwei verschiedenen Zeitabschnitten zuordnet.
Das Zusammenpuzzeln von wissenschaftlichen Sensationen
Es ist im Grunde ja schon eine Sensation Schriftzeichen der Maya zu finden, die älter sind, als alle Schriften, die man bislang von diesem Fundplatz kannte. Aber, beim Zusammensetzen der Fragmente konnte etwas noch spannenderes festgestellt werden. Die Mayaschrift, die aus ca. 800 Glyphen besteht, hat einige besondere Symbole und so ein besonders Zeichen konnte aus den Putzresten zusammengesetzt
werden. Es handelt sich um den 7. Hirsch. Der Hirsch hat für die Maya eine besondere Bedeutung. Eine Weißschwanzige Art ist in der Region häufig, sie wird gejagt, ist Fleischlieferant, aber auch die Felle haben eine Bedeutung, aus ihnen wird Kleidung gemacht. Die Maya sind eine komplexe Gesellschaft, mit einer starken religiösen Mythologie und komplexen Vorstellungen. Kein Wunder, dass es auch der Hirsch Bestandteil dieses religiösen Weltbildes ist. Er ist bei den Maya ein Kalenderzeichen.
Der älteste bekannte Mayakalender
Die Maya haben ein hochkomplexes Kalendersystem. Und dieser Fund zeigt, es ist älter als bislang bekannt. Diese Tempelwände zierte einst ein Kalender. Der 7. Hirsch ist dabei einer der vielen Tage, die eine Bezeichnung haben. Die Maya haben einen Kalender, der Tagen einzelne Namen gibt, so gibt es neben dem 7. Hirsch z.B. auch den 8. Hasen oder den 11. Affen. Das Kalenderprinzip beruht auf Beobachtungen des Mondes, der Sonne und der Bewegung von anderen Himmelskörpern. Damit orientierten sich die Maya und strukturierten das Jahr. Dieses war unterteilt in viele Abschnitte, die religiöse Bedeutungen hatten und besondere Tage, an denen ganz
bestimmte Zeremonien durchgeführt werden mussten. Die Maya berechneten dies mit einem System, das auf 260 Tagen beruhte, einem Kalender, den man Tzolk’in nennt. Besonders an Tzolk’in ist nicht nur, dass er offenbar viel älter ist als gedacht, er wurde auch in verschiedenen Regionen der Maya genutzt, auch wenn die Sprache zum Beispiel ganz unterschiedlich war. Der Maya Kalender funktioniert gut, so gut, dass er teils bis heute in Gebrauch ist. Der Fund dieser einen Glyphe, die zeigt, dass es schon so früh den Tzolk’in gab, gibt uns also einen ganz besonderen Einblick in die Kulturgeschichte der mesoamerikanischen Kulturen. Schon vor längerer Zeit wurde auf der mexikanischen Insel Jaina ein ähnlicher Fund gemacht: das Problem, hier konnte man das Material nicht datieren. Da man nun aber diesen Vergleich aus Guatemala hat ist es wahrscheinlich, dass der 260-Tage Kalender schon viel früher verbreitet war als
gedacht. Es bleibt also spannend. Denn wenn die Untersuchungen an der Las Pinturas Pyramide weiter gehen, werden wir vielleicht noch tiefer in die Geschichte der Maya eintauchen können. Doch im Moment ist es schon erstaunlich, wie zwei Brösel abgeschlagener Putz, die so klein sind, dass sie in eine Hand passen, uns so viel über die Kulturgeschichte erzählen können.
Literatur:
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abl9290
https://www.smithsonianmag.com/smart-news/oldest-known-mayan-calendar-found-inside-guatemalan-pyramid-180979933/
https://www.reuters.com/lifestyle/science/earliest-evidence-maya-calendar-found-inside-guatemalan-pyramid-2022-04-13/
https://www.spektrum.de/news/guatemala-der-kalender-der-maya-existierte-frueher-als-angenommen/2010277