Matriarchat trifft Inka-Reich – Das faszinierende Erbe von Ingapirca

Die Qhapaq Ñan ist eine Strasse, die von Cusco bis Quito führt. Eine Verbindung, die es nicht erst seit der Kolonialzeit gibt, sondern die zu einem Wegenetz gehört, welches die Kulturen Südamerikas schon sehr lange miteinander verbindet. Es ist eine Lebensader – ein Weg für Menschen und Wahren, des Austausches und der Kommunikation. Straßen verbinden Menschen – sie sind die Wege, an denen entlang Entwicklung passiert, weil Menschen sich hier begegnen. An wichtigen Wegpunkten entstehen deshalb immer wieder Siedlungen. So auch an der Qhapaq Ñan. Ein Blick nach:

Hatun Cañar

Vor 1.200 Jahren leben die ersten Menschen in Hatun Cañar – das liegt im heutigen Süden Ecuadors. Eine Kultur der Händler*innen lässt sich hier nieder. Die Cañari handelten nicht nur mit Waren aus dem Norden und Süden.

Ingapirca von weiten. Es sieht aus wie ein Berg aus runden Stufen.

Es ist deutlich zu sehen. Die Stadt war auf einem Bergsporn angelegt, der zu einer Terrassenlandschaft umgeformt wurde (Bild: Theis [CC BY-ND 2.0]).

Es gibt auch eine Anbindung nach Osten zu den Amazoaskulturen. Ein gut gelegener Kreuzungspunkt zwischen den verschiedenen Kulturen. Die Stadt Hatun Cañar hat seit dem eine lange Geschichte, in der sie immer wieder ausgebaut wird. Typisch für die Bergsiedlungen der Anden ist die terrassenartige Bauweise. So wird Ackerbau möglich, und auch qualitativ sehr hochwertige Bauwerke werden errichtet.

Matriarchat trifft auf Patriarchat

Die Cañari sind eine matriarchale Kultur, sie verehren den Mond und errichten dazu einen runden Mondtempel. Die Gesellschaftsstruktur lässt sich auch an den Bestattungen ablesen, auch wenn nur ein Grab in dieser Stadt geborgen werden konnte, das nicht im Laufe der Zeit geplündert, und seiner Schätze beraubt wurde. Ein rundes Grab, in dessen Hauptbestattung die Matriarchin beigesetzt wurde und das mit reichen Beigaben. Beispielsweise Muscheln, die nur aus der Amazonasregion bekannt sind, oder edle Kupferbeile. Um die Matriarchin herum sind 10 weitere Gräber angelegt. Nachbestattungen, die im Laufe der Zeit entstanden. Es scheinen die ihr nachfolgenden Frauen, die das Matriarchat fortführten, zu sein. Die in einer Art Ahnenverehrung, oder einfach großer Wertschätzung ihrer großen Vorfahrin in ihrer Nähe beigesetzt wurden.

Die Ruinen von Ingapirca. Kniehohe Mauern ziehen sich über einen Bergsporn, an der höchsten Stelle steht ein Rest eines kreisrunden Gebäudes.

Die Ruinen der Andenstadt heute (Bild: Ménard  [CC BY-SA 2.0 FR]).

Bei Haun Cañar handelt es sich möglicherweise um den Hauptort der Cañari. So wird diese Stadt Schauplatz von den Auseinanderersetzungen dieser Kultur mit den benachbarten Inka. Die Inka breiten sich zunehmend aus und kolonialisieren andere Kulturen. Sie sind nicht o friedlich wie die Cañari. In Haun Cañar sollen sie erstmals im 12. Jahrhundert aufgetaucht sein. Doch die Cañari lassen sich nicht so einfach erobern – Doch weil sie den Inka auf militärischem Wege eindeutig unterlegen sind, müssen sie sich etwas einfallen lassen. Und was tut man, wenn man seine Feinde nicht besiegen kann? Man heiratet sie! In Haun Cañari entsteht so etwas ganz Besonderes. Die Inka, welche eine Kultur haben, die patriarchal ist und die Sonne anbetet, können dabei nicht gegensätzlicher sein als die Cañari. Und doch gehen die beiden Kulturen im 15. Jahrhundert ein Bündnis ein. Inkaprinzen heirateten Cañariprinzessinnen, die Cañari bekommen mehr militärischen Schutz, die Inka Einfluss auf strategisch wichtige Orte der Cañari. Und die Hauptstadt bekommt den Namen Ingapirca. Es wird die Kombination aus dem Besten beider Kulturen.

Die kurze Verbindung von Cañari und Inka

Ingapirca ist Quechua (das ist die Inkasprache) für Inka-Mauern. Und das passt, denn die Stadt wird unter den Inka zu einer stark gesicherten Festung ausgebaut. Alles wirkt stark und sicher dadurch. Gebäude für die Sonnenverehrung, Wohnraum für die Soldaten, die nun in Ingapirca stationiert werden, entstehen und auch ein Sternenobservatorium – denn klar, die Inka bringen ihre Religiösen und kulturellen Vorstellungen mit, und dazu brauchen sie ihr Observatorium. Ingapirca wird zu einer Kolonie der Inka, welche sich aber nicht in die Vorstellungen der Cañari einmischen. Die leben weiterhin ihre eigenen Vorstellungen und ihre kulturellen und religiösen Gedanken. Es scheint so, dass über drei Generationen zwei gegensätzliche Kulturen in einer Siedlung mit und nebeneinander leben. Und das im vollen Respekt für die Vorstellungswelt der anderen. Die Kulturen kombinieren sich und ihre jeweiligen Vorzüge auf diese Art, in einer einzigartigen Mixtur. Ingapirca wird zu einem Ort des respektvollen Austausches – des Lebens und Leben lassen, und der Gemeinsamkeit in der Vielfalt.

Ein Foto von weitem von den Grundmauern von Ingapirca. Deutlich zu sehen, die Architektur ist sehr unterschiedlich. Teins schachbrettartige Grundmauern, neben Halbrunden, dreieckigen und Ovalen.

Blick auf die Grundmauern von Ingapirca. Deutlich ist zu sehen: Die Mauern haben die verschiedensten Zwecke. (Bild: Barlett [CC BY 2.0]).

Doch all das hat ein jähes Ende, als die spanischen Eroberer nahen. Angeblich sind es die Inka, die diesen Ort selber abreißen und mit Erde bedecken, damit er nicht den Spaniern in die Hände fällt. Die Inka, und die Cañari entscheiden unterschiedlich darüber, wie sie mit der neuen Situation umgehen wollen. Die Inka verlassen die Region, die Cañari blieben allein in den Ruinen ihrer Stadt zurück. Als die Spanier eintreffen, machen die Cañari das, von dem sie gelernt hatten, dass es sie am schnellsten weiter bringt – Kommunikation und Zusammenarbeit. Die mehr als 1.000 Jahre alte Händler*innenkultur schmiedet ein Bündnis mit den Spaniern. Gemeinsam bekämpfen sie nun die Inka und deren Anführer Atahualpa. In der gleichen Zeit beginnen die Spanier ganz in der Nähe wieder eine Siedlung aufzubauen. Die Ruinen von Ingapirca sind deswegen bis heute nicht überbaut. Es ist dadurch heute die größte archäologisch beobachtete Inkastadt Equadors. Ein Relikt einer ganz besonderen Geschichte.

Blick auf die Ruinen von Ingapirca. Im Vordergrund ein rundes Steingebäude, mit drei runden kellerartigen einschnitten - der ehemalige Sonnentempel.

Die Rune des Sonnentempels aus der Inka Periode (Cayambe (CC BY-SA 3.0)).

Ich muss sagen, dass mich diese Geschichte nachdenklich macht. Ich wäre gerne einmal in Ingapirca gewesen, um zu sehen, wie das Zusammenlaben der Kulturen funktioniert. Wie sich die Lebensweisen ergänzen, und wie daraus vielleicht ganz neue Ideen entstehen. Wer weiß, was hier erfunden worden wäre, wenn nicht die Spanier dazwischen gekommen währen. Aber ich finde es auch traurig, dass die Inka dieses Leben aufgegeben haben, und die Stadt auch gleich noch für die Cañari zerstört haben. Dass die dann mit den Spaniern gemeinsame Sache gegen ihre ehemaligen Nachbarn machen ist kaum verwunderlich – ich frage mich, was wir aus dieser Geschichte für die Zukunft lernen können. Schreibe doch einen Kommentar, wen dir etwas dazu einfällt.

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Anmerkung:

Dieser Beitrag entstand für den Miss Jones Adventskalender 2020. Aufgrund der Corona-Einschränkungen ein Adventskalender, der zum Träumen an Fremde Orte anregen soll. Eine Vorfreude auf die Zeit nach der Pandemie. Ich stelle hier ausschließlich Orte vor, an denen ich selber noch nicht war, wo ich aber selber gerne einmal hin möchte.

Literatur:

John Harrison: DuMont Reiseabenteuer: Wolkenpfad. Zu Fuß durch das Herzland der Inka, München 2013 (Nur in Auszügen vorliegend).

https://www.encyclopedia.com/humanities/encyclopedias-almanacs-transcripts-and-maps/ingapirca

https://www.ancient-origins.net/ancient-places-americas/ingapirca-proof-inca-respected-cultures-those-they-conquered-004175