Die Miss Jones Genderwochen sind eröffnet

Ich möchte euch herzlich willkommen heißen zu den Miss Jones Genderwochen 2020. Hier geht es um die Archäologie der Geschlechter. Klar kann das nicht allumfassend sein. Zum einen liegt das am Forschungsstand, zum anderen aber auch daran, dass das Thema sehr groß ist, aber es ist dennoch sehr spannend sich mit den Geschlechterverhältnissen und damit auch mit den Gesellschaften der Vergangenheit in der Menschheitsgeschichte auseinander zu setzen.

Pergament mit der Aufschrift: "Aber warum sind Geschlechter überhaupt ein Thema in der Archäologie?"

Dafür gibt es viele Gründe. In der Hauptsache betrachten Archäolog*innen Kulturen der Vergangenheit. Kulturen die Schriftzeugnisse hinterlassen haben und Kulturen die keine Schriftzeugnisse hinterlassen haben. Und das Weltweit. Lange wurde in der Forschungsgeschichte davon ausgegangen, das die Geschlechterverhältnisse immer gleich waren. Die Frage, die sich aber stellt, ist, stimmt das? Und woher wissen wir das? Wie können wir was überprüfen? Und oft genug gibt es nur falsche Antworten, oder aber die Forschung hat gerade erst begonnen. Das bedeutet auch, in den Genderwochen wird kein abschließendes Bild gezeigt, von dem, was wir über das Leben in vergangenen Gesellschaften wissen oder vermuten. Das ist derzeit nämlich kaum möglich. Und die Forschung, die wird natürlich auch nach dieser kleinen Aktion weiter gehen.

Eine Brille Liegt auf einem dicken aufgeschlagenen Buch.

Die Forschung wird weitergehen. Für Bücherwürmer ein Trost, für alle diejenigen, die schnelle Antworten wollen, habe ich leider keine gute Nachricht an dieser Stelle (Foto: Sankowski).

Heutzutage handelt es sich bei der Frage nach Geschlechterrollen in der Archäologie oftmals um ein Wechselspiel zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Es gibt naturwissenschaftliche Untersuchungen welche an einem Skelett das biologische Geschlecht mehr oder weniger exakt bestimmen können. Aber auch schon bevor es diese Methoden gab haben Archäologen das Geschlecht von menschlichen Überresten, die sie gefunden haben, bestimmt. Die Methoden, die es heute gibt, sind also das Ergebnis einer fortwährenden Entwicklung. Zu Beginn der Forschungsgeschichte geschah dies oftmals anhand der Beigaben. Das heißt, ein Grab wurde anhand dessen Interpretiert, was für Gegenstände bei der Beisetzung mit dem Menschen niedergelegt wurden. Und wie es mit Interpretationen so ist, sie sind fehleranfällig, zudem gibt es Interpretationen in der Forschungsgeschichte, die massiv überzogen sind. Das bedeutet aber nicht, dass diese Geschlechtsbestimmungen gar keine wissenschaftliche Grundlage haben.

Und wie hat das mit den Beigaben funktioniert? Verkürzt gesagt könnte man sagen, man hat sich angesehen welche Gegenstände im Grab einer Person gewesen sind. Dabei hat man mit der Brille der Zeit, in der die Forscher*innen vor 100 oder auch 200 Jahren lebten, auf eine solche Bestattungen geblickt. Mit Brille meine ich, dass Annahmen, die man über Gesellschaften hatte, oftmals aus Versehen auf die gefundene Person projiziert wurden. Ein Phänomen von dem ihr in den nächsten Wochen noch öfter hören werden. Fanden sich zum Beispiel Webutensilien in einem Grab, war die Deutung schnell, dass es sich um eine Frau handelt. Lagen Waffen in dem Grab ging man schnell von einem Mann aus. Klar, es wurden alle Gegenstände angesehen und aufgrund der Vergleiche mit weiteren Gräbern aus ähnlichen Zeiten und Regionen solche Rückschlüsse gemacht. Aber dennoch ist diese Methode Fehleranfällig. Und das liegt daran, dass Geschlechterrollen sich verändern und zwischen verschiedenen Kulturen unterscheiden.

Zwei Frauen weben und knüpfen Teppiche. Die Frauen sind nur von hinten vor ihren Webstühlen zu sehen. Sie tragen Kopftücher.

Dass Frauen diejenigen sind, die Stoffe herstellen, scheint nur allzu normal zu sein. Aber es ist eine Zuschreibung die durch kulturelle Ideen entstanden ist. Es gibt keinen biologischen Zusammenhang zwischen Weiblichkeit und einem Webstuhl (Foto: Wiggler).

Geschlechterrollen, das ist grob gesagt, das was eine Kultur daraus macht, dass Menschen sich biologisch voneinander unterscheiden. Und das kann ganz unterschiedlich sein. Denken wir zum Beispiel an das Grab in dem ein Webgewicht gefunden wurde. In der europäischen Geschichte wurde Weben sehr lange als Aufgabe der Frauen angesehen. Daher kommt die Assoziation mit einer Frau. In anderen Kulturräumen ist dies anders. Bei den Dogon in Mali ist es zum Beispiel fest in der Gesellschaft verankert, dass das Weben die Aufgabe des Mannes ist. Die Frauen sind für das Färben dieser Stoffe verantwortlich. Schaut man mit der Brille dieser Kultur also auf das Grab mit dem Webgewicht, dann würde man hier eher einen Mann vermuten. Das Problem der Archäologie ist an dieser Stelle, dass die Zeiträume die untersucht werden, teils sehr lange her sind. Gesellschaften haben sich seit dem immer wieder verändert. Und wir wissen einfach nicht welche Merkmale zu einer Geschlechterrolle gehört haben. Denn die Rollenverteilung, so wie sie in einer Gesellschaft praktiziert wird, ist ein kulturelles und kein natürliches Phänomen.

Ein Toiletteniktogramm mit einem Mann und einer Frau

Dieses Bild ist zum Beispiel nicht in allen Kulturen zu verstehen. Hosen und Röcke werden nämlich nicht von allen Kulturen und Zeiten mit den Geschlechtern männlich und weiblich assoziiert (Foto: Wikimediaimages).

Und so kommt es auch, dass immer wieder festgestellt wird, dass die Interpretation von Archäolog*innen vergangener Tage falsch gewesen sind. Ein Bestandteil davon sind zum Beispiel DNA-Analysen. Ein Besonders interessanten Fall präsentierte vergangenes Jahr Luise Olerud auf der studentischen Fachtagung SABA in Bamberg. Sie untersuchte mit diesem Gedanken exemplarisch Bestattungen eines Gräberfeldes der Schnurbandkeramischen Kultur. Eine Kultur, die in der Jungsteinzeit in Mitteleuropa lebte und die nach der Dekoration ihrer Keramik benannt wurde. Die Bestattungen in dieser Kultur wurden in Hockerlage vorgenommen, die Menschen wurden also in einer Art Embryonalstellung niedergelegt. Auffällig war dabei schon immer, dass einige dieser Menschen auf der linken und andere auf der rechten Körperseite liegen. So entstand die Interpretation, dass dies mit den Geschlechtern der Personen zusammenhängt. Auf der Linken Seite liegend wurden diesem Gedanken nach Männer, und auf der rechten Seite liegend, Frauen bestattet. Louise Olerud stellte in ihrer Arbeit die Frage: Stimmt das? Sie ließ DNA Untersuchungen vornehmen. Das Ergebnis war, dass die Seite, auf der ein Mensch lag, nicht mit dem Geschlecht in Verbindung steht. Gleichzeitig bemerkte sie aber andere Auffälligkeiten, wie zum Beispiel das sich Tierzähne nur als Beigaben in Frauengräbern dieser Kultur fanden. Und für die Archäologie sind das wichtige Hinweise bei der Rekonstruktion der Gesellschaftsstruktur.

Ein Pergament mit drei Skeletten in Hockerlage. Sie alle liegen auf der Rechten schulter und haben angewinkelte Beine. Es handelt sich um Bestattungen der Schnurbandkeramiker.

Bislang wurde immer angenommen, dass die Seite, auf der der bestattete Mensch liegt, mit dem Geschlecht zusammenhängt.

Solch ein Ergebnis ist also für das Verständnis von Gesellschaften der Vergangenheit extrem wichtig. Zwar wirkt es auf den ersten Blick eher banal, ob jemand nun links- oder rechtsseitig bestattet wurde, aber so ein Umstand wird als Basis für die Interpretation einer Gesellschaftsstruktur verwendet. Eine Kultur die Männer und Frauen in einem Ausmaß gezielt unterschiedlich bestattet wird mit einer größeren Differenz in den Geschlechterrollen betrachtet, als eine Kultur in der sich die Bestattungen geringer voneinander unterscheiden. Letztendlich hat eine solche Forschung also eine Auswirkung darauf wie wir das soziale Leben der Gesellschaften der Menschheitsgeschichte beurteilen. Und dabei ist es interessant, dass hier von zwei Geschlechterrollen geredet wird. Denn nicht in allen Kulturen gibt es zwei Geschlechter. Im alten Babylon gab es zum Beispiel drei. Durch Tontafeln ist bekannt, dass in dieser Kultur Eunuchen eine Art eigene Geschlechterrolle hatten.

Pergament mit der Aufschrift: Das Wissen darüber, wieviele Geschlechter es in einer Gesellschaft gab, und was diese Rollenverteilung bedeutete ist ein wichtiger Baustein bei dem Verständniss einer Kultur.

Es gibt also verschiedenste Arten wie eine Gesellschaft sich strukturieren kann. Dies kann z.B. Auswirkungen auf das Schönheitsempfinden haben, und/oder auf die Aufgabenverteilung innerhalb einer Gesellschaft. Man kommt der Lebenswelt einer Gesellschaft näher, wenn man versucht sich damit zu beschäftigen, wie sie sich strukturiert hat. Das gelingt aber nicht immer. Ein Problem dabei kann auch sein, dass man aus Forschungsperspektive zu sehr eine Aufgabenteilung sehen will die sich an Geschlechtern orientiert. Es ist gut möglich, dass gefundene Differenzen zwischen den Geschlechtern überbewertet werden. Oder aber das andere Merkmale, an denen sich eine Gesellschaft orientierte, wie zum Beispiel Status oder Reichtümer, weniger erkannt werden, die der entsprechenden Gesellschaft aber besonders wichtig waren. Und manchmal kommen dann noch Ideologisch aufgeladene Sichtweisen hinzu, die unser Bild der Geschichte verzerren. Gesellschaften sind komplex, unterschiedlich und schwierig zu entschlüsseln.

Viele Zeichenpuppen aus Holz auf einem schwarzweißbild.

In allen Zeiten waren Menschen mehr als gesichtslose Puppen. Identitäten sind vielschichtig, und Geschlechter sind nur ein Bestandteil davon (Foto: Mimzy).

Die Genderwochen sind also einer von vielen Wegen sich Gesellschaften in der Vergangenheit näher anzusehen. Zu verstehen wie diese Rollen erforscht werden, zu verstehen, was wir eigentlich wissen können und was nicht. Und das ist heute für uns relevant. Wie oft beispielsweise wird heutzutage damit argumentiert, dass der Mann in früheren Zeiten die Frau vor dem Säbelzahntiger beschützen musste? Dabei wird es dem Säbelzahntiger relativ egal gewesen sein, ob er nun einen Mann oder eine Frau gefrühstückt hat. Aber diese Geschichte ist eines der vielen Narrative, die dem Blick mit der Lupe nicht ganz standhalten.
Also schauen wir kurz einmal genauer hin: Bei ganz frühen Hominidenarten ist es zwar noch Möglich, dass Säbelzahntiger sie gejagt haben. Aber das Ungleich-Verhältnis zwischen unseren Vorfahren, zum Beispiel dem Australopethicus Africanus vor über 2,5 Millionen Jahren, und den Urzeitkatzen war so groß, dass eine Verteidigung durch eine weitere Person vollständig aussichtslos gewesen wäre. Im späteren Verlauf der Geschichte beginnen Säbelzahntiger und Menschen dann um Nahrung zu konkurrieren. Dass sie sich gegenseitig gejagt hätten, ist archäologisch nicht belegt. Wohl aber, dass Menschen irgendwann die Stärkeren in dieser Konkurrenz geworden sind. So ist es zu beobachten, dass mit dem Auftreten des Homo Heidelbergensis vor 400.000 Jahren die Säbelzahnkatzen langsam verschwinden. Es scheint als hätten sich die Katzen immer weiter zurückzezogen.

Der Schädel eines Säbelzahntigers

In Nordamerika überlebte der Säbelzahntiger allerdings sehr viel länger. Hier starb er erst vor ca. 10.000 Jahren aus (Bild: Wallace CC BY-SA)

Die Geschichte mit dem Säbelzahntiger bedeutet für unsere Gesellschaft aber etwas ganz anderes. Wir orientieren uns unter anderem auch an der Vergangenheit, bzw. daran wie wir Geschichten über die Geschichte erzählen. So versuchen wir unsere Lebenswelt zu verstehen. Es ist die Suche nach Erklärungen dafür, warum es heute ist wie es ist. Im Zentrum steht dabei die Vorstellung, wie es war, das Leben der Menschen vor unserer Zeit. Das können die Genderwochen zwar nicht allumfassend beantworten, aber es wird Einblicke in die Geschichte geben. Die zu erwarten sind, die unerwartet sind, die oftmals mehr Fragen stellen als Antworten geben, die zeigen wie unterschiedlich Menschen sind. Und zum Abrunden der Genderwochen gibt es dann noch etwas Besonders:

Eine Dokumentation bei ZDF Terra X – eine Sonderfolge zum Thema Gender. Sie zeigt Einblicke in modernste Forschungen. Ich kann euch sagen, der Film ist wirklich gut! Mit dem Knowhow aus den Genderwochen habt ihr dann vmtl. doppelt und dreifach Spaß dabei euch die Dokumentation „Mächtige Männer – Ohnmächtige Frauen? Neue Fakten aus der Vergangenheit“ anzusehen.

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Literatur:

Mauricio Anton: Saberthooth, 2013 Bloomington – Indiana.

Heidrun Mezger: Zur Weberei der Dogon in Mali – Eine komparative und historische Perspektive. In: KÖLNER ETHNOLOGISCHE BEITRÄGE 38, Köln 2011.

Nathan Wassermann: Akkadian Love Literature of the Third and Second Millennium BCE, Wiesbaden 2016.

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