Die Forschungslücke: der männliche Klappstuhl

Die ältesten Möbelstücke Nordeuropas stammen aus der Bronzezeit. Und das wir sie kennen, ist wirklich bemerkenswert. Es handelt sich um Klappstühle, oder besser gesagt: Klapphocker. Hocker, welche von der Konstruktion her einfach aussehen, und ein wenig an Klappstühle erinnern wie sie aus Pharaonengräbern bekannt sind, die sogar zeitgleich angelegt wurden. Oft wird in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit einem Hocker aus Tutanch Amuns Grab gemacht. Die Sache hat nur zwei Schönheitsfehler: Der Hocker des prachtvollen ägyptischen Grabes besteht aus Elfenbein. Die nordeuropäischen Sitzgelegenheit bestehen hingegen aus Holz. Zudem sind bei den nordeuropäischen Klapphockern je zwei Seiten mit Holz verstärkt, bei dem ägyptischen Vergleichsstück ist das nicht der Fall. In Nordeuropa sind meist nur die Beschläge erhalten, die die Hocker geschmückt haben. Es gibt aber auch ein paar Holzreste die zu diesen Klappstühlen gehören.

Eine rekonstrucktion des Klapphockers von Daensen. Eine einfache Konstruktion mit zwei kreutzförmig verlaufenden Stöcken, welche auf und zuklappbar sind.

Eine Rekonstruktion des Klapphockers von Daensen. (Foto: Archäologisches Museum Hamburg CC BY-SA 3.0)

Dazu muss man sagen, dass es insgesamt nur sehr wenige erhaltene Klappstühle aus der Bronzezeit gibt. Betrachtet man die Fundplätze, so sind Klappstühle ohnehin in der Hauptsache in besonderen Kontexten bekannt. Westlich von Itzehoe fand sich beispielsweise der Klappstuhl von Vaale, und zwar in einem Baumsarg. Solche Bestattungen sind häufig sehr gut erhalten. Es handelt sich um ausgehöhlte Baumstämme, in denen ein Mensch platziert wird, und der quasi mit dem Toten in der Mitte verschlossen wird. Und zwar oftmals luftdicht verschlossen. Das chemische Milieu in so einem Baumstamm ist für den Erhalt von bestimmten organischen Materialien, wie z.b. Haare aber auch Holz äußerst günstig. Doch diese Bestattungen verzerren ein wenig das Bild der Bronzezeit, denn, Baumsärge waren teuer und deswegen nur bestimmten Leuten vorbehalten. Wir sehen also keinen Querschnitt der Gesellschaft, sondern eine Art Oberschicht und es kann sein, dass Klapphocker deswegen nur in solch reichen Kontexten bekannt sind. Aber immerhin wissen wir durch diese Luxusbestattungen: Es gab diese Möbel in der Bronzezeit. Aber was haben Klappstühle jetzt in den Genderwochen verloren?

Ein Klapphocker ohne Stoffbezug. Die Nägel wo die sitzfläche befestigt war sind noch zu zu sehen.

Die vollständig erhaltene Holzkonstruktion des Klapphockers von Guldhøj. (National Museum of Denmark CC BY-SA )

Klappstühle sind ein eher selten diskutiertes Phänomen in der Archäologie. Als ich 2008 ein Unireferat dazu anhörte war es ein wenig seltsam, was der Kommilitone so alles über Klapphocker zu erzählen hatte. Er nannte verschiedene Beispiele. Den Klapphocker von Guldhøj Beispielweise. Oder auch den Klappstuhl von Daensen. Alles in allem oft weniger gut dokumentierte Funde. Das liegt nicht zwangsläufig daran, dass die Archäologen schlecht gearbeitet haben, sondern daran, dass die ersten Klapphocker schon sehr früh in der Forschungsgeschichte entdeckt wurden und die Forschung stand zu dieser Zeit noch recht am Anfang. Die modernste Publikation, aus der mein Kommilitone damals zitieren konnte war vor 10 Jahren schon über 30 Jahre alt, ist aber bis heute der aktuellste Forschungsstand. Tatsächlich ist das etwas seltsam, denn solche Klapphocker waren praktisch für Reisen, und Mobilität ist ein sehr modernes Forschungsfeld.

Ein rundes Beschlagblech, dass mit spiralen verziert ist, und an dem vier Anhänger hängen. Alles besteht aus Bronze.

Oftmals finden sich von Klapphockern nur solche Beschläge (Archäologisches Museum Hamburg (CC BY-SA 3.0)).

Die bisherige Forschung zeigt: Klappstühle wurden in Bestattungen von Männergräbern gefunden. Aufgrund dieser Tatsache wurden die Klappstühle der Bronzezeit als Männlich definiert. Und zwar trotz der Tatsache das es nur wenige Funde dieser Art gibt. Noch nicht einmal 20 Klapphocker sind bekannt. Und das bedeutet: Alle Beobachtungen können auch auf einem Zufall beruhen. Zudem führt dies zu einem Zirkelschluss. Gräber mit Klappstühlen wurden als Männergräber definiert, ohne eine Analyse der menschlichen Überreste nur aufgrund der Klappstühle. Hinzu kommt: Es gibt in der Bronzezeit Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, zugunsten der Männer. Gut möglich ist es also, dass Frauen häufiger keine Zierelemente an ihren Klappstühlen hatten, und wir diese deswegen nicht nachweisen können. Es ist also einerseits möglich, dass tatsächlich ausschließlich Männer mit Klappstühlen bestattet wurden, oder eben nicht.

Und angesichts dieser Umstände kann ich mir diesen kleinen Hinweis auf den Film “Der Schuh des Manitu” nicht verkneifen:

Mein Kommilitone beendete seinen Vortrag damals jedenfalls, mit einer Interpretation dieser Befunde aus dem 19. Jahrhundert, die bis heute aktuell ist, da es so wenig Forschung auf diesem Gebiet gibt. Diese Interpretation besagt: Weil Klappstühle nur aus Männergräbern bekannt sind, durften Frauen in der Bronzezeit nicht sitzen. Die Frage, die sich also stellt, ist: lässt sich eine so überzogene Interpretation von Möbelstücken überhaupt rechtfertigen? Durften sie sitzen die Frauen in der Bronzezeit? Um dies schlüssig zu beantworten, wäre eine Arbeit notwendig, die alle existierenden Klapphockerfunde mit neuen Methoden miteinander vergleicht. Hierbei sollten, nur um wirklich alle Optionen zu überprüfen, DNA Analysen an den Menschenresten vorgenommen werden. Denn vielleicht wurde ja auch die ein oder andere Bestattung aufgrund eines Zirkelschlusses schon im 19. Jahrhundert falsch gedeutet.

Ein Pergament mit der aufschrift: Und? Wer durfte jetzt sitzen in der Bronzezeit?

Aber unabhängig davon, ob es nun auch Klappstühle in Frauen oder in nur in Männergräbern gab. Ja, es gibt in dieser Zeit ungleiche Geschlechterverhältnisse, und nein, es gibt keine Möglichkeit wie Archäologen untersuchen können ob Frauen sitzen durften, oder aber welche anderen Gesetzmäßigkeiten die Menschen damals befolgten. Eine solche Interpretation ist eher ein Spiegel der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, und eine Überinterpretation von wenigen Fundstücken. Und das ist bezeichnend für die frühe Archäologie. Ein gutes Beispiel dafür was passiert, wenn Deutungen übertrieben werden. Derzeit gibt keine moderne Aufarbeitung der Klappstuhlthematik. Doch es wäre ein tolles Thema für eine Abschlussarbeit, einen neuen Forschungsstand zu erschaffen. Vielleicht hast du ja Lust dazu?

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Literatur:

Kubach-Richter: Nadel, Schwert und Lanze – Tracht und Bewaffnung des Mannes. In: Bronzezeit in Deutschland, Stuttgart 1994.

Ein Rundgang durch die Zeiten, Archäologisches Museum Helms-Museum, Helms-Museum Nr. 101.

Zahi Hawass, Auf den Spuren Tutanch Amuns, Kairo 2013.

Anmerkung: Aufgrund der Coronaschließungen ist es mir derzeit leider nicht möglich Zugriff auf die Publikationen des 19. Jahrhunderts, und auch nicht in die aktuellste Publikation von Willi Wegewitz zu erhalten, deswegen habe ich mich in der Hauptsache auf eigene Uniaufzeichnungen bezogen, die sich aber wiederum auf diese Literatur beziehen.

6 Gedanken zu „Die Forschungslücke: der männliche Klappstuhl

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