Vom Skelett zum Geschlecht

Archäolog*innen finden eines häufig: Überreste von menschlichen Skeletten. Und eine Frage, die sich dabei natürlich immer wieder dabei stellt, ist: Wen haben wir denn eigentlich gerade gefunden? Wenn man ein Skelett findet, dann geben oftmals Beigaben einen Hinweis auf die Identität des Menschen. Aber auch die Art wie die menschlichen Überreste beispielsweise angeordnet wurden kann aufschlussreich sein. Und oft wird von Beigaben auch direkt auf das Geschlecht der Person geschlossen. Doch ein wissenschaftlicher Beleg ist das nicht. Es ist eine Korrelation und keine Kausalität. Und es gibt Fälle, bei denen Menschen bestattet wurden, mit Beigaben, die gar nicht zu dem biologisch festgestellten Geschlecht passen. Aber wie können wir denn eigentlich wissen, was für ein biologisches Geschlecht die Person hatte, die vor uns liegt?

Ein Insitubild es Knochenfundes in Laer. Die Knochen liegen in der Erde, eine Fundtafel und ein Nordpfeil sind Plaziert, sowie ein Zollstock der die Größe anzeigt.

Eine typische Situation für Archäolog*innen. Man findet Knochen wie hier in Laer. Aber was sagen uns diese Knochen?

Klar, es gibt DNA-Analysen. Aber die sind oft teuer und es ist ein Abwägungsfrage, ob man nun zum Beispiel ein ganzes Gräberfeld auf diese Art betrachten möchte. Denn es gibt noch eine andere Möglichkeit das biologische Geschlecht herauszubekommen: anthropologische Untersuchungen, die Skelettrestanalyse.

Ein Plastikskelett sitzt in einem Bücherregal vor ganz vielen Archäologiebüchern. Das Skelett hält eine Schädeldecke in der Hand.

Tipp für Studierende: So ein Homo Plastikus kann beim Lernen manchmal ganz schön Hilfreich sein. (Ihr Name ist übrigens Leyla).

Bei dieser Analyse wird der Geschichte eines Menschen auf den Grund gegangen, indem man sich Kochen näher ansieht. Knochenkrankheiten sind dabei beispielsweise sehr deutlich zu sehen und ein interessanter Hinweis auf die Lebensrealität der Person. So eine Analyse erfordert viel Erfahrung und bleibt von daher spezialisierten Fachleuten überlassen. Doch für eine erste grobe Einordnung gibt es Hinweise an Skeletten, die auch Archäolog*innen kennen. Hierzu ein paar Beispiele:

Die einfachsten Merkmale der Geschlechtsbestimmung

Ein Merkmal ist das Größenverhältnis der Knochen. Sind sie besonders groß, dann ist die erste Annahme es handelt sich um ein biologisch männliches Skelett. Das ist ab einer gewissen Körpergröße sogar ein sehr deutlicher Hinweis. Ist das Kugelgelenk des Oberschenkels beispielsweise im Durchmesser größer als 5 cm, so handelt es sich biologisch sicher um einen Mann, da solch eine Größe von einer Frau so gut wie nie erreicht wird. Ein anderer deutlicher Hinweis, der ebenfalls leicht zu sehen ist, sind Geburtstraumata.

Zeichnungen eines Beckens einer Frau und eines Mannes nebeneinander gestellt.

Auch in der äußeren Form unterscheiden sich die Beckenknochen von Frau und Mann.

Dabei handelt es sich um die Spuren, die eine Schwangerschaft an einem Becken hinterlässt. Sie entstehen, weil sich das Becken einer Frau im Laufe dieser Zeit bewegt. Die Bänder ziehen dafür stark an den Knochen, wodurch diese massiv beansprucht werden. Dabei können kleine Verletzungen entstehen und auch kleine Knochenwucherungen – und zwar an den Stellen wo die Bänder am Beckenknochen ansetzen. Wenn ein Skelett solche Spuren einer Schwangerschaft hat, dann handelt es sich sicher um eine Frau. Aber: Nicht jede Schwangerschaft hinterlässt solche Spuren. Das heißt auch, leider kann man am Knochen nicht sehen, wie viele Kinder eine Frau auf die Welt gebracht hat. Gleichzeitig heißt es auch nicht, dass eine Frau ohne solche Spuren am Knochen keine Kinder hatte.

Merkmale am Schädel die sich bei biologischen Männern und Frauen unterscheiden

Aber nicht nur am Becken gibt es einige Merkmale, welche sich bei uns Menschen nach dem biologischen Geschlecht unterscheiden, sondern auch an einigen Langknochen. Schaut man sich zusätzlich den Schädel an, gibt es sogar recht deutliche Hinweise auf das Geschlecht einer Person. Beispielsweise die Glabella. Das ist der Teil des Schädels, der zwischen der Nasenwurzel und den Augenbrauen sitzt. Dieser Bereich ist bei Männern oft stärker, und schärfer geformt als bei Frauen. Am Hinterkopf des Menschen gibt es ein weiteres Merkmal, welches je nach Geschlecht anders geformt ist. Den sog. Protuberantia occipitalis externa. So heißt der Hinterhauptstachel. Während Frauen diesen teils gar nicht ausgebildet haben, kann am Hinterkopf eines Mannes ein richtig starker Knochenknubbel ausgebildet sein. Es ist die Stelle, an der die Muskeln von Hals und Gesicht zusammentreffen.

Eine Zeichnung eines Schädels. Die Protuberantia occipitalis externe, und die Glabella sind beschriftet und mit einem Pfeil versehen.

Und eine geschlechtsabhängige Ausprägung gibt es am Schädel, die ein wenig skurril ist. Bei Männern und Frauen ist der Innenohrwinkel unterschiedlich schräg. Dabei handelt es sich um den Winkel, mit dem das Ohrloch aus dem Kopf austritt. Bei Männern liegt dieser Winkel meist unter 45%, während der Innenohrwinkel von Frauen regelhaft weiter ist. Auf das Hörvermögen hat dies keinen Einfluss. Aber es führt dazu, das Archäolog*innen Skeletten manchmal Knete, oder andere formbare Substanzen in die Ohren stopfen. So wird ein Abdruck erstellt, an dem dann der Innenohrwinkel gemessen werden kann. Mein Nerdtipp zur Erheiterung bei Museumsbesuchen ist von daher:

Pergament mit der Aufschrift: "Wenn Du das nächste Mal im Museum bist und ein Schädel ist ausgestellt, schau ihm doch mal ins Ohr, ob Du Knetereste findest...."

Ich selber bin schon einige Male fündig geworden 😉

Eine anthropologische Analyse ist mehr als ein erster Eindruck

Bei einer richtigen anthropologischen Untersuchung wird das Geschlecht natürlich nicht nach dem ersten Eindruck beurteilt. Zunächst werden alle erhaltenen Knochen eines Menschen betrachtet. Da es sich bei dieser Untersuchung um Abgleiche innerhalb statistischer Varianzen handelt, wird eine Tabelle mit rund 50 Merkmalen ausgefüllt. Sie besteht aus den zu untersuchenden geschlechtstypischen Ausprägungen eines Skeletts und den Angaben, ob sich diese hypermaskulin (also extrem männlich), mittelmäßig männlich, eher neutral, mittelmäßig weiblich oder hyperfeminin (also extrem weiblich) ausgeformt haben. Für diese Einordnung gibt es jeweils Punkte. Am Ende werden die Punkte zusammengerechnet und es wird bestimmt, ob ein Mensch überwiegend eher das eine oder das andere Geschlecht hat. Dabei werden einige Merkmale welche einen eindeutigeren Charakter haben als andere stärker gewichtet. Es ist also eine Tendenz, die beschrieben wird. Pergament mit der Aufschrift: Dabei wird aber von einer 95% Bestimmungsgenauigkeit ausgegangen.

Es gibt Skelette, bei denen ist das biologische Geschlecht klar, und es gibt Skelette, da ist das Ergebnis weniger eindeutig, oder aber eine spätere Analyse zeigt, dass die erste Einschätzung falsch war. Und manchmal ist es einfach nicht bestimmbar. Hinzu kommt, Kulturen haben sich unterschiedlich ernährt und auf unterschiedliche Weise gelebt. Diese Faktoren wirken sich zusätzlich auf die Skelette aus. So ist beispielsweise ein Mann, der heutzutage lebt und einen Bürojob hat, körperlich weniger fit, aber vermutlich besser ernährt als ein körperlich hart arbeitender Bauer aus der Vorgeschichte. Solche Umstände beeinflussen die Knochen.

Verbrannte Knochen

Eine Urnenbestattung auf einem Steinbett.

Eine rekonstruierte Urnenbestattung aus der Bronzezeit. Ausgestellt im Steinzeitpark Dithmarschen.

So weit, so logisch. Aber was tut man, wenn man nun ein Urnengräberfeld hat? In Urnen sind die Knochen oftmals ja stark verbrannt. In diesem Falle funktioniert eine Bestimmung natürlich erschwert. Aber Fachleute können auch an diesen Resten manchmal Merkmale finden. Zu beachten ist dabei, dass Skelette schrumpfen und sich verformen, wenn sie im Feuer liegen. Eine Analyse eines Geschlechtes geht also nur, wenn sich Teile des Skelettes gut genug erhalten haben, dass noch Merkmale, die auf das Geschlecht hindeuten, zu finden sind. Da sich die Methoden dieser Analysen stetig verbessern, gibt es immer wieder Ergebnisse aus der Vergangenheit, die als fehlerhaft entlarvt wurden. Manchmal sind es auch DNA-Analysen, die ein ganz neues Licht auf die Geschichte einer Identität aus der Vergangenheit werfen.

Ich hoffe, dass Ihr mit diesem Backgroundwissen darüber, wie überhaupt ein Geschlecht bestimmt wird, noch mehr Spaß mit dem aktuellsten Forschungsstand habt, der in der Doku “Mächtige Männer – Ohnmächtige Frauen? Neue Fakten aus der Vergangenheit”, – ich kann sie echt empfehlen!

Wow – interessant, was Knochen einem so alles Erzählen. Ohne Miss Jones hätte ich das nicht gewusst. Da gebe ich ihr doch gerne ein kleines Trinkgeld über diesen Paypal Link.

Literatur:

Eilin Jopp: Methodern zur Alters und Geschlechtsbestimmung auf dem Prüfstand, Hamburg 2007.

Cordula Maurer: Morphologische und molekularbiologische Geschlechtsbestimmung von Individuen mit Knochenfrakturen einer Skelettserie des 15. – 18. Jahrhunderts aus Süddeutschland (Rain am Lech), München 2006.

https://www.medizin.uni-muenster.de/fileadmin/einrichtung/agfad/empfehlungen/empfehlung_skelett.pdf

https://core.ac.uk/download/pdf/11030697.pdf

Da wegen Corona derzeit viele Bibliotheken nur eingeschränkt nutzbar sind, habe ich auch meine Uniaufzeichnungen bemüht, um einmal näher zu beleuchten, wie diese Methode funktioniert.

Zum Thema Geschlechtsbestimmung am Becken hat das Naturhistorische Museum Wien in der Zwischenzeit einen kleinen Film gemacht:

15 Gedanken zu „Vom Skelett zum Geschlecht

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  10. Ich habe eine Frage: Du schreibst, die Sicherheit bei der Geschlechtsfeststellung am Skelett betrüge 95%. Ich habe mir mal den Wert 85% notiert, finde aber leider meine Quelle nicht mehr. Würdest du mir bitte deine nennen?

    • Die Literatur befindet sich wie immer unter dem Beitrag. Genauer weiß ich das 3 Jahre nach der Veröffentlichung wirklich nicht.

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