Es sind Geschichten von holden Recken, wilden Kämpfern und nationalduseligen Narrativen, die immer wieder mit „den Germanen“ in Verbindung gebracht werden. Geschichten und Sichtweisen, welche sicherlich vor allem durch die Instrumentalisierung in der Deutschen Geschichte ins Unermessliche aufgepumpt wurden.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Doch da stellt sich eine Frage: Wie waren die Germanen wirklich? Was bleibt übrig, wenn man den Muff von 1000 Jahren aus den Reenactmentkostümen rechtsverdrehter Märchenerzähler ausbürstet? Hierzu habe ich für euch heute einen Buchtipp, der sich lohnt:
„Die wahre Geschichte der Germanen“ von Karl Banghard
Zunächst eines vorweg. Wer in diesem Buch einen in Fachsprache verklausulierten Aufsatz sucht, der ist hier fehl am Platze. Vielmehr handelt es sich um ein gut geschriebenes populärwissenschaftliches Werk, eine Einstiegsliteratur für alle diejenigen, die kein Studium der Archäologie absolviert haben. Dennoch ist es auch für die ersten Semester ein gutes Buch. Oder auch für diejenigen im Kollegium, die sich mit ganz anderen Kulturen auseinandersetzen und sich einlesen möchten.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Es ist anders gesagt für jeden verständlich. Gleichzeitig ist es humorvoll geschrieben, und bringt dadurch Spaß beim Lesen. Zwar lässt der Humor in der Mitte des Buches etwas nach, wird aber gegen Ende durchaus intelligenter – beispielsweise mit der Frage „Gibt es ein richtiges Germanenbild im falschen?“. Und mit solchen Anspielungen auf allbekannte Zitate bringt das Lesen von vorne bis hinten Spaß.
Ist so ein Buch wirklich notwendig?
Ja – Ohh ja! Das zeigt sich in vielerlei Facetten. Nicht nur, dass es ein popkulturelles Bild dieser Kulturzeit gibt, welches immer wieder in verschiedener Weise überhöht und sehr seltsam dargestellt wird – es fehlt auch an zugänglichen, leicht verständlichen Texten, für diejenigen, die sich wirklich für dieses Thema interessieren. Wer sich einlesen will, um vielleicht auch dem Onkel, der immer komischere Sachen über „die Deutschen“ erzählt, etwas Kluges entgegenzusetzen, der wird mit diesem Werk mit Fakten beliefert.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Immer wieder klärt Banghard, ausgehend von der Fund- und Befundlage über den Forschungsstand auf. Also über das, was wir über „die Germanen“ wirklich wissen, und was nicht – und auch was konstruiert wird. Und das ärgert einige – anders gesagt – es ärgert die richtigen. Diejenigen, die ihre überdrehte Deutschtümelei nicht in diesem Werk finden. Also noch einmal deutlich, und nur weil ich es mag AfDlern Niespulver unter die Nase zu halten: Wer auf dieses Buch verschnupft reagiert, genau für die ist das Niespulver bestimmt – und für alle anderen ist genau das ein blumiger Duft in der Nase. Da einige in diesen Reihen aber schon gemerkt haben, dass man sich nur schwer an dem Belegbaren abarbeiten kann – denn es ist ja belegbar -, ist zu beobachten, dass in der Hauptsache der leicht flapsige Stil des Autors in den Kommentarspalten mit den vollgerotzten Taschentüchern beworfen wird. Doch genau dieser Stil ist es, der einen immer wieder zum Schmunzeln bringt. So heißt es gleich auf der ersten Seite:
„Wer Arminius, den Helden der Varusschlacht, als ersten Deutschen bezeichnet hätte, hätte dafür von ihm wohl eine aufs Maul bekommen“
Banghard belässt es allerdings nicht bei solchen Aussprüchen, er erklärt auch, wie er zu seinen Aussagen kommt. In diesem Fall, ist es die Einordnung des Wortes „Deutsch“ in die Geschichte des Wortes, welches in der angesprochenen Zeit vmtl. eine herablassende Äußerung über das niedere Volk gewesen ist. Das weitere Werk geht dann chronologisch und an Fundplätzen entlang durch den Teil der Geschichte, der eben nachweisbar ist. Und so wird ein rundes Bild der Eisenzeit gezeichnet.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Es geht durch alle Themen, z.B. wie wurde gelebt, gewohnt, was wurde gegessen. Nebenbei werden gut ein dutzend der Gruppen gezeigt, die man als Germanisch ansprechen kann. Dies zeigt ein diverses Bild kultureller Vielfalt, und keine Eintönigkeit der wilden Recken – Dadurch wird deutlich, dass es „den Germanen“ im Grunde genommen nicht gibt. Wer sich also davon getriggert fühlt, dass „die Germanen“ keine homogene Urdeutschen-Boygroup waren – dem sei dieses Buch als kleines Desensibilisierungstraining empfohlen.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Der Begriff „Germane“ wird im ganzen Buch als Vereinfachung genutzt, auch wenn der eine unscharfe Zuschreibung seitens der Römer war. Also keine kulturelle Selbstbezeichnung oder Identität. Vielmehr wird diese Lebenswelt lang vor unserer Zeit, in ihrer ganzen Diversität, anschaulich. Doch an dieser Stelle gibt es einen Wermutstropfen bei der Betrachtung dieses Buches:
Es gibt kaum Bilder
Zwar verfügt das Buch über Farbtafeln mit 23 Abbildungen, doch zeigen diese im Grunde ausschließlich Szenen von Reenactor Gruppen in verschiedenen Freilichtmuseen. So weit, so gut – aber allzu oft vermisst der Text eine bildliche Erläuterung. Wie sah denn die erklärte Pfostenstellung aus, von dem aufgefundenen Haus? Und wie muss ich mir den ein oder anderen Fund vorstellen? Zeichnungen, also Skizzen, hätten diesem Buch gutgetan.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Auch um für den Laien besser optisch zu untermalen, worüber wir an der einen oder anderen Stelle überhaupt reden – doch es gibt leider keine erläuternden Skizzen. Und das ist beim Lesen wiederholt schade. Auch wenn die Bilder der plüschigen Highland Rinder, durchaus eine kleine Entschädigung dafür sind. Um sich die Sachverhalte aber wirklich bildlich vorzustellen, reichen die 23 Bilder leider nicht aus.
Doch die vielen Details und der Humor geben einem einen guten Eindruck der Epoche
Und dabei wird auch thematisiert, dass die kulturellen und religiösen Übergänge eben fließend gewesen sind – dass man hier nicht einfach irgendwie ethnische Grenzen ziehen kann, sondern dass sich Objekte und scheinbar auch religiöse Vorstellungen eher fließend in dem Kulturraum bewegt haben. Genauso wie die Menschen selbst. Besonders interessant ist der Blick, den Banghard auf die Ernährung wirft. Er zeigt auf: Es wurden überraschend viele Wildpflanzen festgestellt. So konnte beispielsweise die Moorleiche von Zweeloo in den Niederlanden hinsichtlich ihrer letzten Mahlzeit untersucht werden.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Ergebnis: Es gab Hirsebrei mit Brombeeren. Und der Hirsebrei war angebrannt – oder um es, mit dem Humor Banghards zu sagen – verfügte über starke Röstaromen. Der Archäologe nutzt also einen Humor und eine Fülle an Forschungsergebnissen, um sich valide durch die Zeit zu hangeln. Und dabei zeigt er einen ganzen Berg archäologischer Fundplätze auf 250 Seiten. Und das schafft er, ohne, dass es langweilig wird. Ohne, dass „Der Germane“ einfältig, oder auch überspitzt gezeigt wird. Es ist ein seriös recherchiertes Buch, das Spaß beim Lesen macht.
Es ist ein gutes Buch – das der Archäologiefan in seinem Regal haben sollte
Das besondere ist dabei, dass es sich auch als Nachschlagewerk eignet – auch wenn leider ein Register in diesem Buch fehlt. Gerade für diejenigen, die sich nur selten mit der Thematik auseinandersetzen, aber eine valide Wissensgrundlage in Bezug auf das Thema Germanen haben möchten. Und doch kann sich hier nicht nur „der Geschichtslehrer“, oder „der Archäologiestudie“ informieren – vielmehr ist das Buch auch geeignet für alle Arten von Geschichtsfans, und durch den Humor, gerade auch für Teenager. Von der Museumsnerdine bis hin zur Reenactor*in sind alle eingeladen, sich hier Know-how abzuholen. Ein besonderer Pluspunkt ist dabei das letzte Kapitel, das chronologisch korrekt, die Irrungen und Wirrungen der Germanenforschung und ihrer Instrumentalisierung, sowie den politisch missbrauch bis heute thematisiert.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die Schulwandbilder, die unsere Köpfe auch nach 1945 nach prägten, werden dabei genauso angesprochen, wie die Popkultur. Und dieser Abschluss macht das Gesamtwerk rund, und griffig bis ins Heute. Und dreimal dürft ihr raten, wes Geistes Kind diejenigen sind, die an dieser Stelle die Kritik üben, das letzte Kapitel sei überflüssig oder zu lang. Zusammengefasst ist dieses Werk gerade deshalb gut, weil es eben dieses letzte Kapitel gibt. Und weil es den ewig-gestrigen frech ins Gesicht lacht.

(Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Anmerkung: Ich habe für diesen Artikel ein Rezensionsexemplar erhalten – und nein, ich wurde nicht dafür bezahlt, dieses Buch gut zu finden, ich hätte es auch schlecht finden dürfen. Vielmehr finanziert sich Miss Jones über eure Trinkgelder und ist damit unabhängig. – ihr könnt mit diesem Paypal-Link dafür sorgen, dass ich für euch auch in Zukunft tolle Geschichten aus der Geschichte erzählen kann.