Der letzte Kaffee ist getrunken, die Taschen sind gepackt, die Verabschiedungen ausgesprochen. Die DGUF-Tagung 2016 ist beendet. Der Vortragssaal im Kulturforum Berlin ist wieder verwaist. Es belieben Eindrücke einer großen Bandbreite deutschsprachiger und Internationaler Beiträge die zum Thema „Macht und Archäologie“ eingebracht wurden. Und doch bleibt der Eindruck, dass diese Tagung für viele Teilnehmer wie Balsam auf die Seele wirkt. Seelen die sich, wenn auch nur im Rahmen einiger Fachkollegen, mit ihren Problemen Gehör verschaffen konnten. Das Gefühl nicht ganz allein zu sein, mit Ansichten und Lebensumständen.
Die Diskurse von heute
Alles begann mit dem Vortragsblock „Geschichte(n) der Macht – Erfahrungen aus der Vergangenheit“. Besonders im Gedächtnis bleibt davon der Vortrag von Werner E. Stöckli der am Beispiel von Manching über Diskurse in der aktuellen Archäologie referierte. Es handelte sich um einen Ohrenschmaus für all jene, die im Berufsalltag vergeblich darauf hinweisen, dass die aktuelle Archäologie eben auch von einem aktuellen Weltbild geprägt ist. Das Hauptproblem sind dabei positive und negative Identifikationssymbole. Ethnische Deutungen sind im allgemeinen nicht Sache der Archäologie, finden aber dennoch innerhalb von Interpretationen, oder in Museen statt. Um diese gesellschaftliche Seite zu zeigen, verglich Stöckli Verbreitungskarten der Germanen aus „Putzgers historischen Weltatlas“. Die Verbreitungen unterschiedenen sich in einem nicht unerheblichen Ausmaß deutlich voneinander.
Deutlich zu merken war, dass der Schweizer Archäologe die deutsche Geschichte aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, und es ihm von daher leichter fällt Verzerrungen zu sehen. Ein Problem gibt es dabei gehäuft, wenn Identifikationsfiguren der Geschichte im Befund offenbar zu Kannibalen werden. Es scheint das größte Tabu zu sein, sich vorzustellen die eigenen Vorfahren hätten Menschen gefressen.
Archäologie, eine Männerdomäne?
Doch auch ein anderes Problem der Auslegung, aber auch der Berufswelt bleiben nach dieser Tagung im Kopf. Der Vortag „Bilder von Archäologen, Bilder der Vergangenheit” von Jana-Ester Fries zeigte deutlich, dass die Deutungshoheit innerhalb des Faches in männlicher Hand liegt. Nicht nur die staatliche Archäologie, sondern auch die Wissenschaftler in populärwissenschaftlichen Formaten sind dabei dominiert männlich. In Deutschland gibt es nicht eine einzige populäre Fernseharchäologin. Aber oftmals die hübsche, blonde, und etwas dümmlich wirkende Grabungshelferin im Hintergrund der Szenerie.
Dabei handelt es sich zwar nur um ein problemanzeigendes Symptom, aber es ist ebenso Bestandteil der Interpretationen vergangener Kulturen. Denn Festzuhalten bleibt, dass die Archäologie immer ein Spiegel ist, in dem sich die Gesellschaft, aber auch der Archäologe selbst spiegelt. Während „Er“ die historischen Funde betrachtet, würde „Sie“ sicherlich oftmals zu einem anderen Interpretationsschluss kommen. Eine Darstellung bleibt daher immer eine Interpretation, und je nachdem wie die Machtverhältnisse innerhalb des Fachkollegium aussehen, wird die Vergangenheit durch Blickwinkel der jeweiligen Kolleg_innen verzerrt. Vor allem, wenn die Deutungshoheit bei den männlich dominierten Fachoberschichten liegt.
Diskussion auf Augenhöhe
Die Organisatoren der DGUF-Tagung haben darauf Wert gelegt, dass die Machtverhältnisse in einem gewissen Rahmen aufgebrochen werden. Auf den Namensschildern befanden sich keine akademischen Titel. Diskussionen wurden in Kleingruppen vorgenommen, die sich aus den Interessensgebieten der Teilnehmer ergeben haben. Alle waren dabei gleichberechtigt das Wort zu ergreifen. Studenten diskutierten auf Augenhöhe mit Landesamtsvertretern. Dies ist eine Seltenheit, die auch zum Kontakte knüpfen einlädt. Die Ergebnisse der Disskusion wurden in Stichpunkten Niedergeschrieben welche im Verlauf Online einsehbar sind.
Traurig ist dabei, dass die Vertreter_innen der Archäologie welche in höheren Amtspositionen sitzen meist nur kurzzeitig auf der Tagung anwesend waren. Bei den wirklich bedeutenden Debatten, Beispielsweise die über prekäre Arbeitsverhältnisse, waren sie nicht mehr anwesend. Dabei liegen genau diese Probleme oftmals in ihrem Verantwortungsgebiet.
Wozu ein Privatleben wenn man auch unbezahlte Überstunden machen kann?
Die durch geringe Bezahlung ausgelösten Machtverhältnisse erzeugten dabei die meisten Emotionen unter den Tagungsteilnehmern. Die Diskussion glich zeitweilig einem emotionalem Boxsack, an dem die Wut über die eigenen Lebenssituation hinausgelassen werden musste. Allen Anwesenden war klar:“Es gibt dringend Handlungsbedarf.“
Archäolog_in zu sein, dass bedeutet in vielen Fällen, ein Leben lang in prekären Verhältnissen zu leben. Teils 5 mal im Jahr um zu ziehen, Gehälter zu bekommen, die gerade so die Miete der jeweils neuen, meist teureren Wohnung decken. Keine eigene Familie gründen zu können, keinen richtigen Freundeskreis geschweige denn ein Privatleben aufzubauen. Sich kein Geld für einen Traum, oder ein Haus ansparen zu können. Denn diese Ersparnisse müssen im Falle der immer drohenden Arbeitslosigkeit zunächst wieder ausgegeben werden. Es bedeutet sich im Zweifel immer wieder neuen 3 – Monats-Verträgen zu unterwerfen, und sich dabei über eine Endlosschleife von Werkverträgen der Scheinselbstständigkeit strafbar zu machen. Archäolog_innen, die nicht in die Position kommen einen Festvertrag an einem Landesamt zu erhalten, leben von daher oftmals in permanenter Existenzangst. Und dies unter dem Eindruck, sich vor der Öffentlichkeit dafür rechtfertigen zu müssen, Geld für einen Beruf zu verlangen, den viele andere Menschen auch gerne hätten.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, gerade weil die heutigen Archäolog_innen der oberen Behördenstufen oftmals diese Probleme nicht verstehen. Es handelte sich lange um ein Fach, dass ohnehin schon wohlhabende studiert haben. Menschen denen die Problematiken prekärer Lebenssituationen also nicht bekannt sind. Beispiele von Professoren, die Studenten erstaunt fragen, warum sie neben dem Studium arbeiten gehen. Von drei Exkursionsteilnehmern, die sich eine Pommes teilen müssen, und der Dozent fragt erstaunt ob sie denn nach dem anstrengenden Tag keinen Hunger hätten, sind dabei die Spitze eines sehr großen Eisberges.
Am Ende der wütenden Äußerungen der Tagungsteilnehmer, bleibt dabei die Frage, was in der Handlungsperspektive davon übrig bleibt. Die Ideen beliefen sich von einer „Wall of shame“, für die unverschämtesten Jobangebote bis hin zur Gründung einer eigenen Archäologen-Gewerkschaft.
Augenhöhe statt Arroganz
Die Frage ist, inwieweit lassen sich evtl. archäologieinteressierte und ehrenamtliche Archäolog_innen mit in dieses Boot holen, die oftmals auch Teil dieser Entwicklung sind.
Die fehlende Bürgernähe oberer Denkmalschutzbehörden war ein ebenso leidenschaftlich diskutiertes Problem auf der Tagung. Am Beispiel von der Verteufelung von Sondengängern über mehrere Dekaden, und dem heutigen Sinneswandel, wurde aufgezeigt wie sinnvoll eine Zusammenarbeit mit historisch interessierten Menschen sein kann.
Ehrenamtliche Archäolog_innen sind nicht nur hilfsbereit und offen gegenüber diverser Thematiken, oftmals sind sie das Fundament einer guten Öffentlichkeitsarbeit, welche für die Rechtfertigung und die Existenz des Faches von grundlegender Bedeutung ist. Letztendlich ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit von Bürgernähe und Begegnungen auf Augenhöhe gekennzeichnet. Avantgardistische Arroganz ist in diesem Sinne mehr als schädlich. Dies wird auch in den Tübinger Thesen aus dem Vorjahr deutlich. Die Aufgabe wird in der Zukunft sein sich mit der Kommunikation auf Augenhöhe auseinander zu setzen, und dabei vor allem auch die neuen Medien mit einzubeziehen. Und dabei nicht belehrend sondern Partizipativ aufzutreten.
Oftmals stellt die Archäologie aus Sicht des Steuerzahlers nichts weiter als einen Kostenfaktor dar. Von daher war Öffentlichkeitsarbeit und das einbeziehen ehrenamtlicher Helfer, im Endeffekt eines der Thematiken, welches sich durch die gesamte Tagung zog. Die Öffentlichkeit ist aktuell einer der größten Machtfaktoren. Nur über ein Bedachtes Vorgehen kann gerechtfertigt werden, warum sich beispielsweise der Bau eines wichtigen Gebäudes verzögert.
Das Bewusstsein dafür, dass ehrenamtliche Helfer in diesem Sinne zwar wichtig sind, aber auch Faktor zum Drücken der Personalkosten, und damit Bestandteil der prekären Lebensverhältnisse vieler Archäolog_innen sind, kam dabei zu kurz. Dabei kann es allerdings nicht darum gehen diese Interessen gegeneinander auszuspielen, sondern sie sollten sich gegenseitig stärken. Es kann also nur darum gehen gemeinsam an die Öffentlichkeit zu gehen, um die aktuellen Probleme zu thematisieren.
Archäologie als Zukunftsweisendes Fach
Das eine Vielfalt an Archäolog_innen, mit verschiedenen Hintergründen, wichtig ist, und das es sich um einen Beruf mit eine großen Verantwortung gegenüber der Zukunft handelt, wurde im letzten Block der Tagung deutlich. Ljuben Tevdovski aus Skopje referierte in seinem Vortrag „Archaeology and politics in the light of the contemporary challenges of the European continent“ über die Auswirkungen die historische Interpretationen in der Vergangenheit bereits hatten. Er zeigte auf in welchem Verhältnis die Geschichte als Identifikationssymbol innerhalb des Nationalismus aufgebaut wurde. Aber auch in welcher Form eine moderne, anscheinend ausschließlich zukunftszugewandte Zeit, sich auf Symbole der Vergangenheit beruft. Auf seiner Letzten Folie wies Tevdovski darauf hin, dass viele Gesellschaften gelebt wurden, bis sie vergessen waren. Dann wurden sie wieder Gelebt, bis man sie erneut vergaß, nur damit sie überraschend wieder erschienen.
Dies machte klar, dass die Archäologie, über den Umgang mit ihren Befunden, eine bedeutende Mitverantwortung für die Zukunftsgestaltung ins sich trägt. Sich diesen Punkt bewusst zu machen, und die Deutungshoheit der Befunde dementsprechend zu überprüfen, ist eine zukunftsweisende gesellschaftliche Aufgabe. Letztendlich ist es die von Archäolog_innen hergestellte Interpretation, in der sich die Gesellschaft spiegelt um sich zu inspirieren. Vor dieser verantwortungsvollen Aufgabe zu stehen, sollten sich in der Zukunft mehr Kolleg_innen bewusst werden.
Abschließend ist zu sagen, dass einzig eine Diskussion über die derzeitigen, massiven Zerstörungen archäologischer Denkmäler im Nahen Osten fehlte. Diese hätte sicherlich aufgrund der Größe des Themas den Rahmen gesprengt. Und dennoch ist die Frage, wer die Deutungshoheit über ein Kulturerbe hat, eine entscheidende. Gerade wenn man auf die aktuellen Diskussionen zum Umgang mit den Zerstörungen im UNESCO Weltkulturerbe Palmyra blickt. Die Frage nach der Macht in der Archäologie wurde oftmals mit einem leisen Ruf nach Gleichberechtigung und Augenhöhe beantwortet. Doch wie werden sich diese Punkte in Zukunft realisieren lassen werden?
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