Moses in Bern – Oder: Ein Bildnis, das sagt “Du sollst dir kein Bildnis machen”

Der Rauch ist verzogen, überall sind die Geräusche einer Großbaustelle zu hören. Bern baut seine Stadt nach dem Großen Feuer wieder auf. Besser, schöner und vor allem feuersicher soll es werden. Noch 1405 im Jahr des Brandes wird damit begonnen ein Neues Rathaus zu errichten und auch die Zytglogge entsteht. Ställe und Viehhaltung werden aus der Stadt verbannt. Der Ort genau geplant. Nach den Standards der modernsten Feuersicherheit entstehen überall im Stadtgebiet Brunnen. Einer dieser Brunnen steht an einem sehr prominenten Ort:

Der Mosesbrunnen am Münsterplatz

In der Zeit des Wiederaufbaues werden erst einmal überall einfache Holzbrunnen errichtet. Ein neues Straßenraster entsteht und einer der Holzbrunnen steht an einem Ort, in dessen unmittelbarer Nähe gegen 1421 der Grundstein für den Berner Münster gelegt wird. Der zunächst einfache Holzbrunnen steht nun also an prominenter

Ein Brunnen mit einer Figur vor einer Akkarde. Dahinter liegt deutlich sichtbar ein Kirchenschiff des Münsters.

Bis heute ist ein Brunnen am gleichen Standort (Bild: AnBuKu (CC BY-SA 4.0)).

Adresse. Der Berner Münster wird ein kunstfertiger Ort. Berühmte Figuren zieren sein Innenleben und sein Portal. 1484 bekommt Bern dann auch ein eigenes Kirchenrecht. Und gegen 1520 bekommt auch der Brunnen vor der Münsterkirche ein erstes Steinbecken. Es ist eine Zeit, in der, die Stadt alle 11 Brunnen ausbauen lässt. Und dann kommt die Reformation nach Bern:

Der Bildersturm von 1528

Die Berner stürmen in ihre Münsterkirche. Sie zerschlagen die kunstvollen Figuren, die im Münster biblische Szenen veranschaulichen. Die Figuren sind seit dem verschwunden – bis sie bei einer archäologischen Ausgrabung in einem alten Brunnenschacht entdeckt werden. Heute befinden sich die Figuren, die so gefunden wurden, im Bernischen Historischen Museum. Im 16. Jahrhundert ist von der prachtvollen Kunst nur noch das schmuckvolle Portal erhalten. Doch vor der

Das Berner Münsterportal aus einer Froschperspektive. Zu sehen ist der vorgelagerte Schutzzaun, dahinter liegen bunte Figuren, viele sind mit Gold bemalt.

So schmuckvoll wie das Portal war vmtl. einmal der gesamte Innenraum des Münsters.

Münsterkirche steht immer noch der Brunnen. Und dieser soll 20 Jahre nach der Reformation instand gesetzt und ausgestaltet werden. Bern beauftragt vor allem Hans Gieng damit, Figuren anzufertigen, mit denen die Stadtbrunnen geschmückt werden sollen. Zwischen 1542 und 1546 entstehen zum einen diese Skulpturen und zum anderen eine offizielle Brunnenordnung. Auch der Brunnen gegenüber des Münsters wird nun mit einer Figur geziert. Eine Figur, die die besondere Geschichte des Ortes reflektiert. Es ist ein Moses, der auf das zweite Gebot zeigt:

Du sollst dir kein Bildnis machen

Der von Hans Gieng erschaffene Moses hält die Tafel mit den 10 Geboten in den Händen. Er schaut den Münster an und deutet dabei auf eben dieses Gebot. Der Moses ist also ein Bildnis, das sagt, dass man sich kein Bildnis machen soll. Die Skulptur ist eine direkte Rechtfertigung für den Bildersturm vor 20 Jahren. Ich persönlich habe den Eindruck, dass das ein fast passiv-aggressives reformistisches

Der Moses von Hintern gesehen wie er auf die Kirche Blickt.

Die Figur ist so platziert, dass sie ihre Botschaft in Richtung Münster richtet (Bild: AnBuKu (CC BY-SA 4.0)).

Statement gegen den ursprünglich katholischen, nun evangelischen, Kirchbau ist. Es wirkt, als würde der Moses trotzig sagen “Da – lest mal eure eigenen Texte”. Denn die prunkvollen Figuren des Münsterportals, die der Brunnenskulptur gegenüberliegen, haben den Bildersturm überlebt. Die Mosesfigur interagiert also direkt mit dem Berner Münster. Zunächst der Brunnen “Brunnen by her Nollen hus” genannt. Doch die

Die Justitia in der Mitte des Portals wurde hier anstelle einer Maria aufgebaut.

Bezeichnung Mosesbrunnen setzte sich in den folgenden 40 Jahren nach und nach durch. Auch die Symbolik überzeugt. So wird diese Art der Mosesinszenierung 1557 erstmals in Moudon nachgeahmt. Dieser Brunnen ist damit der erste der Berner Brunnen, der einen kunsthistorischen Einfluss auf andere Orte hat. 1575 wird dann auch das schmuckvolle Berner Münsterportal im protestantischen Sinne umgestaltet und die Maria durch eine Justitia ersetzt.

Die ungeliebte Fontäne

Im 18. Jahrhundert wird ein Brunnen nach dem anderen instand gesetzt. Und der Mosesbrunnen wird dabei gleich ganz demontiert. 1740 kommt der Tag, an dem die Figur von Hans Gieng entfernt und dann auch die Brunnensäule demontiert wird. Die Figur soll in einem so schlechten Zustand gewesen sein, dass man sie angeblich nicht mehr restaurieren konnte. Sie gelangte zunächst in private Hände. 1851 wird sie ins Zeughaus gebracht, wo sie 1852 zuletzt gesehen wurde. Anstelle des Mosesbrunnes

Der Brunnen aus der Luft fotografiert. Man sieht, dass er praktisch an einer Kreuzung gegenüber des Münsters gelegen ist.

Der Blick vom Münsterturm auf den Brunnen (Bild: Tilman2007 (CC BY-SA 4.0)).

errichtet der Baumeister Daxelhofer eine Fontäne in einer großen Muschelschale. Die Wassersäule soll dabei eine freischwebende Kugel oder Krone in der Luft gehalten haben. Die Berner finden den 1780 fertiggestellten Springbrunnen kurios, um eine diplomatische Formulierung für hässlich zu finden. Der Daxelhofer Brunnen wird also schon 1790 wieder abgerissen. Der Rat der Stadt entscheidet:

Ein neuer Mosesbrunnen muss her

Nach der Enttäuschung mit der Fontäne ist das Bauamt sehr vorsichtig, welcher Brunnen hier nun entstehen soll. Bildhauer reichen Vorschläge ein, die immer wieder abgelehnt werden. Schließlich wird ein Vorschlag von einem Bildhauer namens Sporrer aus Konstanz angenommen. Noch in 1791 wird der neue Mosesbrunnen, der heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist, fertiggestellt. Ein breitrechteckiges Brunnenbecken mit ovalen Ausbuchtungen und einem Nebenbrunnen entsteht. Dazu

Ein Brunnebecken, in der Mitte steht eine Säule, auf der Säule steht ein Moses im blauweißen Gewand. Er trägt die Gebote in der linken Hand.

Der Figurenbrunnen, bevor er 2014 Restauriert wurde (Bild: Mike Lehmann (CC BY-SA 3.0)).

eine schmuckvolle Säule. Sie ist zum Beispiel mit Widderköpfen, die Lorbeerblätter tragen, geziert. Und es gibt natürlich auch eine neue Brunnenfigur. Sie ist in Anlehnung an den alten Moses gestaltet. Auch dieser Moses zeigt also auf das den Bernern so wichtig gewordenen zweite Gebot. Es gibt nur einen Unterschied: Die alte Mosesfigur soll Hörner gehabt haben. Der neue wird mit Lichtstrahlen dargestellt, die sein Haupt zieren. Der neue Brunnen, der dem alten ähnelt, stellt die Berner zufrieden.

Wein statt Wasser für die neue Zeit

Im 19. Jahrhundert gelten die alten Brunnen als Verkehrshindernisse. So wird z.B. der Läuferbrunnen versetzt. Nicht jedoch der Mosesbrunnen. Dieser verbleibt an Ort und Stelle. 1848 wollen dann die Schweizer Eidgenossen entscheiden, welche Stadt sie zu ihrer Hauptstadt machen. Dazu werden einzelne Städte erkundet. Natürlich gehört auch ein Besuch des berühmten Berner Münsters auf dem Programm. Bern hatte sich zu diesem Anlass etwas Besonderes ausgedacht: So führte der Mosesbrunnen,

Der Moesesbrunnen von Bern. Er ist mit einer figur versehen die Moses mit den Tafeln der 10 Gebote zeigt. Moses deutet auf das erste Gebot. Er trägt ein blaues Kleid, und eine weiß-golden-purpurne Stola.

Der Mosesbrunnen nach der letzten Renovierung von 2014/15.

gegenüber des Münsters, während dieses Besuches kein Wasser, sondern Wein. Das kam sehr gut an und soll der Legende nach das eigentlich überzeugende Argument dafür gewesen sein, dass Bern zur Hauptstadt der Schweiz gemacht wurde. Heute gibt es ein jährliches Weinfest, bei dem aus diesem Brunnen Wein fließt, um an diese Legende zu erinnern.

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Zusatz: Wenn es dir die ganze Zeit schreit “Es heißt das Münster” – Nein! “Der Münster” ist genauso korrekt. Du brauchst mir auch nicht die 500derste Hassnachricht zu diesem Thema schicken, sondern kannst dir selbst einen Duden schnappen um es zu Prüfen.

Literatur:

Paul Hofer: Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Basel 1952.

https://www.europe-sightseeing.com/bern/Brunnen-der-Stadt-Bern.html

https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/sanierung-des-mosesbrunnens

https://www.bernerzeitung.ch/aus-dem-alten-berner-mosesbrunnen-fliesst-neuer-wein-645171388637

Ein Gedanke zu „Moses in Bern – Oder: Ein Bildnis, das sagt “Du sollst dir kein Bildnis machen”

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