Gournia – In den Straßen der Minoer

Gournia liegt an der Küstenstrasse, die zur Ostseite der Insel Kreta führt. Mann muss schon mit dem Auto oder dem Roller dorthin fahren, wenn man sich die Stätte ansehen möchte. Sonnencreme einpacken, und dazu noch gutes Schuhwerk, an dieser Stätte läuft man schließlich über 3000 Jahre alte gepflasterte Straßen und Treppen. Ich empfehle von daher auf Highheels zu verzichten. Außerdem ein kleiner Tipp: Gournia ist ziemlich weit draußen, packe also auf jeden Fall genug zu trinken ein und vielleicht sogar etwas Reiseproviant. Die nächste Gelegenheit etwas zu essen, ist allerdings gleichsam aber auch der Ort, wo ich das beste Essen meines Lebens hatte, etwa 13 km die Küstenstraße richtung Osten. Wie beim Palast von Malia gilt, ohne Vorbildung ist man in der Siedlungsruine aus der Bronzezeit orientierungslos. Deswegen empfehle ich euch nicht alleine zu diesem Fundplatz zu fahren. Aber für Archäofreaks und Geschichtsnerds ist diese kleine Stätte ein niedliches Sahnestückchen, denn die Siedlung ist zwar interessant, aber dieser Fundplatz ist nicht sonderlich groß, man braucht also nicht den ganzen Tag für eine Besichtigung einplanen.

Ein rotes Schild in englisch und griechisch. Zu lesen ist: Gournia - Minoan Sttlemant. 8:00 - 15:00 Montags und Feiertags geschlossen, 2€ Eintritt.

Gournia wurde am 19. Mai 1901 von Harriet Boyed entdeckt. Die Ausgrabungen der jungen Forscherin fanden gleichzeitig mit den viel berühmteren Untersuchungen von Arthur Evans am Palast von Knossos statt. Doch Gournia war ein besonderer Hinweis bei der Untersuchung der ägäschen Bronzezeit. Beide Fundplätze sind gleich alt. Während es sich bei Knossos aber um einen Palast handelt, ist Gournia eine gewöhnliche Siedlung. Eine Siedlung der normalen Bevölkerung an der Mirabellobucht. In der Frühzeit der Erforschung der minoischen Kultur, war diese Siedlung ein Beleg dafür, dass es in der Bronzezeit eine ungeahnt ausgeprägten Kultur mit einer vielschichtigen Gesellschaft gegeben haben muss. Die Archäologin Harriet Boyed Hawes legte deswegen einen der Grundsteine der Erforschung dieser Kultur. Der Fundplatz Gournia zeigt sehr deutlich die Umstände unter denen diese Kultur lebte.

Im Vordergurng ruinen aus weissen Steinen. Im Hintergrund eine blaue Mittelmeerbucht.

Ausblick von Gournia zur Mirabellobucht

Es handelt sich bei Gournia also um eine der ersten minoischen Stätten, die entdeckt wurden. Und zwar in einer Zeit, in der Fotografien noch keine selbstverständliche Technik gewesen sind. Zwar gibt es einige Fotos, aber ursprünglich wurden die Funde  mit Aquarellzeichnungen dokumentiert, um sie für die Wissenschaft festzuhalten. Die Techniken die um 1900 von Boyed Hawes eingesetzt wurden, waren dennoch die Modernsten dieser Tage. Bei dem ersten Fund auf diesem Fundplatz handelte es sich um ein bronzenes Messer. Darauf folgten noch am gleichen Tag zahllose Scherben bronzezeitlicher Keramik. Das Telegramm das Boyed Hawes noch am gleichen Tag in Auftrag gab, um den Fund dieser Stätte zu melden musste über Sitia verschickt werden, es ging am 24. Mai, nach 4 Tagen, bei der American Exploitation Society of Philadelphia ein und verkündete den sensationellen Fund dieser Siedlung. 60 Häuser wurden bei diesen ersten Untersuchungen ausgegraben. Mit dieser Ausrabung wurde das Vorurteil, dass Frauen nicht graben können, eindeutig widerlegt.

Eine tönernde Kanne. Sie ist nicht glasiert und nur mit wenigen aber formschönen schwarzen Strichen verziehrt.

Eine Kanne die in Gournia gefunden wurden. Viele solcher einfach aber hübsch verzierten Alltagsgefäße konnten in Gournia gefunden werden. Diese Kanne (2100 – 1900 v. Chr.) ist ausgestellt im Nationalmuseum Iraklion.

Bei Gournia handelt es sich um eine Siedlung aus der späten Zeit der Minoer (1500 BC nach Hawes). Dabei gibt es das Problem, dass die Häuser dieser Zeit, die Gebäude älterer Perioden überlagern. Das bedeutet, dass sich unter den Ruinen dieser Stadt vermutlich weitere Ruinen befinden, die man nicht ausgraben kann, da man natürlich die jüngeren archäologischen Überreste nicht wegreißen darf. Gebäude älterer Phasen finden sich aber am Rande der Siedlung, die sich dem Anschein nach im Laufe der Zeit in ihrer Ausdehnungsform leicht verlagert hat. Dieser Ort wurde in der Bronzezeit vmtl. von einem Tsunami zerstört. Die Katastrophe forderte wahrscheinlich viele Opfer. Dennoch meint Boyed Hawes in einem Gebäude erkannt zu haben, dass der Besitzer nach der Katastrophe zurück kam und Sachen aus seinem Haus geborgen hat, die er noch gebrauchen konnte. Gournia existiert nach diesem Tsunami, der durch den Ausbruch des Vulkans Thera (c.a. 1520 v.Chr.),  nicht weiter, es gibt zwar eine Nachbesiedlungsphase mit einigen wenigen Gebäuden. Von einer Siedlung kann man dabei aber nicht sprechen, es handelt sich nicht einmal um 10 Häuser. Zuvor war Gournia eine der größeren minoischen Siedlungen gewesen und hatte zwischen 600 und 800 Einwohner*innen. Nach der Katastrophe organisierten die überlebenden offenbar eine große Opferung, die sich archäologisch nachweisen lässt. Vielleicht eine Trauerfeier?

Profilwand aus Gournia. Unglaublich viele Scherben stecken durcheinander in dem Profil.

Ein Blick auf die Bodenschichten in Gournia zeigt: Ein unglaubliches durcheinander an Scherben ist zu beobachten. Vmtl. ausgelöst durch eine Katastrophe.

Und wie war das leben vor der Katastrophe? Die Umgebung in der diese Siedlung liegt, war in der Bronzezeit klimatisch ähnlich, wie heute. Es handelt sich um eine beinahe subtropische Küstenregion. Die Küstenlinie ist ab der Bronzezeit bis heute gleich geblieben. Noch im Neolithikum (Jungsteinzeit) war der Wasserstand vmtl. sehr viel geringer. Die Wege zwischen den Inseln im Mittelmeer waren kürzer, diese Veränderung hatte Veränderungen in der Kultur zur Folge, die in der Bronzezeit erst richtig auf blühte. Es ist wahrscheinlich, dass neolithische Vorgängersiedlungen, wie Gournia selbst, dicht an der Küste gelegen sind und von daher bei steigendem Meeresspiegel im Meer verschwanden. Deswegen lässt sich diese Zeit nicht mehr nachweisen. Doch der Fund von neolithischen Scherben, die bei kürzlich vorgenommenen Ausgrabungen, in der nähe des heutigen Küstenverlaufes entdeckt wurden, spricht dafür. Aber, es gibt den Verdacht, dass die frühen Beisiedler*innen der Insel im 6. Jahrtausend aus dem Süden Kleinasiens nach Kreta gelangt sind. Hinweis dafür sind kulturelle Symbole, wie die Verehrung des Stiers, die sich auch in der minoischen Kultur erhalten hat. Gleichzeitig beginnt der kulturelle Aufschwung der Minoer erst nachdem Ende der Vorherrschaft der kykladischen Seefahrer*innen (die Kykladen sind eine nahe gelegene Inselgruppe).

Im Vordergrund die Ruinen vin Gournia, im Hintergund lieg das Mittelmeer, beinde Orte sind nur getrennt durch einen dünnen Grünstreifen der mit Olivenbäumen bepflanzt ist.

Vermutlich im Wasser verschwunden: Die Vorgängersiedlung Gournias aus der Jungsteinzeit.

Interessant an der Lage Gournias ist, die Siedlung befindet sich im Osten der Insel. Eine Region, die sich zu der Zeit der frühen Minoer, (die sog. alte Palastzeit, 2.000 – 1.700 v. Chr.), nicht zentralisiert hat. Das bedeutet, dass im Westen und im Zentralen Kreta eine wirtschaftliche Umwälzung stattfand, die dazu geführt hat, dass große Paläste und Zentrale administrative Anlagen geschaffen wurden. Im Osten leben die Menschen weiter in kleinen Siedlungen zusammen, ohne solche Großbauprojekte zu verwirklichen. Interessant ist dabei, dass Gournia und die westlich nächstgelegene Stätte Malia die einzigen minoischen Orte mit Verteidigungsmauern sind. Die Minoische Kultur ist ansonsten vor allem Dafür bekannt, dass sie wenige bis gar keine Anzeichen von Gewalt, oder gar militärischen Auseinandersetzungen vorliegen. Auch spannend ist die Beobachtung, dass in dem kleinen Ort immer wieder Luxusgegenstände, wie teure Steingefäße, gefunden wurden. Das bedeutet, dass es auch Außerhalb der zentralisierten Orte einen bescheidenen Wohlstand gegeben hat.

Ruinen. Grundmauern aus weissem bruchstein, die nur etwa einen Halben Meter Hoch sind. Sie verlaufen quer zu einem Hügel sodass man sehen kann, wie sich die Siedlung an einem Hügel orientiert.

Vom Meer aus gesehen ist zu sehen, Gournia ist auf einem Hügel erbaut. Und auf dem Hügel stand vermutlich ein kleines Administratives Zentrum für diesen Ort.

Die Siedlung, die Archäologen heute in Gournia erforschen können stammt aus der Neupalastzeit (1.700 – 1.400 v. Chr.). Es handelt sich um einen baulich durchstrukturierten Ort. Wege und Treppenwege führen parallel zu einem natürlichen Hügelverlauf durch die Stadt. Dadurch ist diese in kleine Inseln gegliedert auf denen die Gebäude errichtet waren. Diese sind kleinräumig und drängen sich eng aneinander. Vermutlich sind sie in der Bronzezeit zweistöckig gewesen. Überreste zeigen, die Gebäude waren verputzt und bemalt. Auf dem Hügel liegt ein kleiner Palast. Er ist kaum mit den Palästen an anderen Orten der kretischen Bronzezeit vergleichbar, es handelt sich eher um ein Plästchen. Aber es ist zu erkennen, dass er einige bauliche Merkmale, wie Lager- und Repräsentationsräume, mit den großen Palästen gemeinsam hat und, dass er in einer aufwendigen Quaderbauweise errichtet wurde. Ganz im Gegensatz zu den anderen Gebäuden der kleinen Siedlung, die aus Bruchsteinen und Lehmziegeln bestehen. Dieses Gebäude ist etwas größer als die anderen Häuser in Gournia, etwa 50 mal 37 m. Es wird alternativ z.B. auch Regierungsgebäude oder Rathaus bezeichnet. Welche Funktion es hatte ist allerdings unklar. Die Deutung als politisches Zentrum des Ortes wird mit dem Fund besonders vieler Siegel in dieser Baustruktur interpretiert. Überragt wird dieser Palast nur von einem kleinen Heiligtum, das an einen besonderen Friedhof grenzt.

Ein Großes von Steinen ummauertes Areal.

Oben auf dem Siedlungshügel unterscheiden sie die Gebäude Stark. Sie sind wie hier zu sehen eindeutig größer.

Insgesamt hat Gournia ein Ausdehnung von nur 185 x 135 m. Es ist also eher ein Dörfchen, dass sich an den Hügel kuschelt. Alles in diesem Ort kommt einem aber merkwürdig vertraut vor, wenn man einige Zeit in den Dörfern Kretas verbracht hat. Zwar sind nur Teile von den Gebäuden erhalten und es lässt sich maximal das Erdgeschoss erahnen. Doch die kleinen Gassen die sich durch den Ort ziehen, wirken zwar alt, aber nicht 3.500 Jahre alt. Das macht die Geschichte des Ortes so berührend. Man schaut in einen Spiegel, eine Siedlung in der die Menschen im Grunde gar nicht so anders lebten wie wir heute. Normale Menschen, in einem Küstenort. Und dann kommt ein Tsunami und spült alles weg. Alleine für diesen Gedankengang empfehle ich bei einem Kretaurlaub einen Abstrecher nach Gournia zu machen. Denn dieser Fundplatz macht nachdenklich. Er erinnert einen an die Dinge die wirklich wichtig sind im Leben. Ein Unglück wie dieses kann schließlich immer wieder passieren.

Eine Gasse die gepflastertr ist führt durch eine Ruinenstadt.

Bis heute führen die bronzezeitlichen Gassen Gournias durch die Ruinen die von der Siedlung übrig geblieben sind.

Die Häuser der Minoer in Gournia waren alle sehr individuell gebaut. Es gab keinen Bauplan, oder ein typisches Gourniahaus, dass man architektonisch abgrenzen könnte. Gemeinsam haben die erhaltenen Grundmauern vor allem, dass die Gebäude klein sind. Die Keller dienten meist als Lagerräume und Treppenstufen deuten auf weitere Etagen hin, die leider nicht erhalten sind. Auffällig ist, dass die Treppenstufen meist von der Straße aus in ein höhere Stockwerk führen. Sie verlaufen also nicht im inneren der Gebäude. Vermutlich waren nur die unteren Stockwerke aus Stein gebaut. In den Stockwerken wurden die Räumlichkeiten aus leichterem Materialien wie Lehm und Holz errichtet. Der Blick in die Häuser macht das leben in die Bronzezeit bis heute lebendig. einzelne Möbel, wie zum Beispiel in die Mauern eingelassene Wandschränke, oder Fest positionierte Futtertröge für das Vieh lassen sich auch heute noch in Gournia entdecken. Solche Funde sind Spuren der vielen kleinen und großen Geschichten, die sich in dieser Siedlung einmal abgespielt haben. Die Spuren des minoischen Lebens haben sich hier so gut erhalten, dass es man den Eindruck hat noch gestern wäre sie bewohnt gewesen.

Ein Ummauerter Flur als Grundriss im Boden erhalten

Die Gebäude in Gournia sind sehr verschieden. Hier sehen wir zum Beispiel ein Teil einer Töpferei.

Töpferscheiben, Webgewichte, Angelhaken, Gegenstände des Alltag wurden bei Ausgrabungen in Gournia entdeckt. Und doch fällt es schwer die Dinge einander zu zu sortieren. Das Problem ist, dass es schwierig ist eine Differenzierung abzuleiten, über eine Gesellschaft in der die Menschen in ähnlich gebauten Häusern lebten, die aber doch zu unterschiedlich sind, als das man sie Kategorisieren können. Die archäologische Methodik kommt bei diesem Fundplatz also zum Teil an seine Grenzen. Klar ist, dass Fundgut zeigt, es gab Handwerker*innen in der Siedlung, die die wichtigen Produkte des bronzezeitlichen Alltags selber herstellen konnten und auch Lebensmittel konnten von Gournia aus beschafft werden. Die Siedlung war also nicht abhängig von anderen minoischen Orten. Klar ist aber auch, in Gournia gibt es noch viele Fragen zu beantworten. Und das ist ein Grund mehr, sich diesen wunderbaren Fundplatz einmal näher an zu sehen. Also falls du mal in Kreta bist und ein Kontrastprogramm zum dekadenten Fundplatz Knossos brauchst, dann solltest du dir Gournia ansehen, und einen Blick in die Überreste des bronzezeitlichen Alltags werfen. Eine unaufgeregte manchmal nahezu verlassene Stätte, die dennoch sehr lebendig wirkt.

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Literatur:

Reiner Albertz ua., Frühe Hochkulturen, Ägypert – Sumerer – Assyrer – Babylonier – Hethiter – Minoer -Phöniker – Perser, Berlin 2003.

Harriet Boyed Hawes, Gournia – Vasiliki and Other prehistoric sites on the Isthmus of Hierapetra Crete, Philadelphia 1908.

J. Lessley Fitton, Völker der Antike – Die Minoer, Stuttgart 2004.

7 Gedanken zu „Gournia – In den Straßen der Minoer

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    • Man wird eher eingeschlossen. Ich denke, das wird nicht gehen, die Anlage ist umhegt, und wird nachts geschlossen. Aber in der direkten Umgebung ist das sicher möglich.

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