Es ist das 12. Jahrhundert vor Christus. Auf Kreta geben einige verbliebene Personen der Stadt Gournia endgültig ihr Zuhause auf. Seit Jahrhunderten gab es hier eine lebendige und reiche Gemeinde. Doch dann kam sie, die Katastrophe, ein Tsunami hatte alles verwüstet.

Ausblick von Gournia zur Mirabellobucht (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Diejenigen, die überlebten, versuchten zwar den Ort wieder aufzubauen, doch die Stadt war nach dieser Katastrophe auf ca. 10 neu errichtete Häuser zusammengeschrumpft. Schließlich gaben die Minoer von Gournia ganz auf, sie zogen in höher gelegene sicherere Gebiete.

Blick von der Siedlung zum Hafen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Um die Frage zu klären, warum es so weit gekommen ist, lohnt es sich einen Blick auf die bronzezeitlichen Hafenanlagen zu werfen.
Aber zunächst: Was war Gournia für ein Ort?
Gournia ist wie Malia eine bronzezeitliche Siedlung mit einem direkten Anschluss zum Mittelmeer. Die bronzezeitliche Siedlung kuschelt sich in der Nähe der Mirabellobucht an einen Hügel, der in einem geschützten Tal liegt. Die Siedlung gehört zu den kleineren Orten der Minoer, doch sie liegt an einem wirtschaftlich interessanten Punkt auf der Landkarte. Vom Meer aus gesehen durchzieht die Insel Kreta direkt hinter Gournia ein kleines Tal, das sich bis auf die Südseite der Insel zieht. Durch dieses Tal ist einerseits eine schnelle Überquerung der sonst bergigen Insel möglich. Der Hafen liegt am Beginn der kürzesten Strecke, die von der Nord- auf die Südseite der Insel führt.

Gournia von weitem (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Zum anderen sind in diesem Tal viele Farmen der Bronzezeit belegt, die vermutlich zum Reichtum des minoischen Hafens beigetragen haben. In der Siedlung selber gibt es Spuren von der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Die Weinherstellung an diesem Ort konnte beispielsweise schon relativ kurz nach der Entdeckung der Städte durch Harriet Ann Boyd Hawes belegt werden, ebenso eine Keramikproduktion. Es ist also möglich, dass sich Gournia hinter diesem Hafen gründete, weil es sich um eine äußerst günstige Position handelt.
Und was weiß jetzt man über den Hafen von Gournia?
Untersuchungen aus den Jahren 2008 und 2009 zeigen: Die Siedlung hatte eine ausgebaute Hafenanlage auf einer kleinen Halbinsel, die sich in das Meer schiebt. Gebäudereste legen davon Zeugnis ab. Ein Problem bei der Erforschung ist: Die kleine Halbinsel ist in den letzten 3.000 Jahren zu Teilen vom Meer weggerissen worden.

Die Minoer nutzen die Halbinseln, die sich in die Mirabellobucht schieben, um Hafenanlagen zu erreichten (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Unterwasserarchäologische Untersuchungen mit Taucher*innen zeigten aber, wie gut Gournia seinen Hafen ausgebaut hat. Gefunden wurden nicht nur die Reste von Hafengebäude oder Teile von Treppen. Auch weitere Mauerlinien ziehen sich bis heute direkt an der Mittelmeerküste entlang. Bereits zu Beginn der Erforschung von Gournia entdeckte Harriet Ann Boyd Hawes ein Hafengebäude direkt an der Küste. Schon vor mehr als 100 Jahren konnte sie dort ein Haus freilegen, das vermutlich ein administratives Zentrum für den Hafen war. Der Grund für diese Interpretation: Ein Büro wurde entdeckt. Die Minoer waren eine sehr ordentliche Kultur, die gut strukturiert war. Und auch wenn sich die Methoden zu der Erforschung in den letzten 100 Jahren stark verbessert hat, ist dieser Hafen noch lange nicht endgültig entschlüsselt.

Der Ausblick von der Siedlung Gournia aus auf den Hafen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
In aktuelleren Untersuchungen konnte ein gepflasterter Weg nachgewiesen werden, der von der Siedlung Gournia, zu der Hafenanlagen führt. Für die Menschen aus Gournia war das notwendig, denn die Siedlung liegt gut 400 m von der Küste entfernt.
Zwei seltsame Verteidigungsmauern
Der Weg zur Stadt ist mit zwei Verteidigungsmauern in Richtung Mittelmeer ausgestattet gewesen. Um die Stadt durch die Verteidigungsmauern hindurch betreten zu können, muss man diesen Weg entlang laufen. Eine seltsame Konstruktion, sind die Minoer, doch eher dafür bekannt, dass sie wenige, bis gar keine, militärischen Auseinandersetzungen aufweisen. Doch Gournia ist nicht irgendein Ort – er liegt weitab der großen Paläste wie Knossos und ist eine eher einsam gelegene kleine Siedlung, mit eigenem Charakter. Vermutet wird deswegen, dass diese Ortsbefestigung einen eher rituellen Charakter hat, als einen tatsächlich militärischen Zweck. Diese Interpretation passt besser zu der sanftmütigen Kultur der Minoer, weiß aber auch auf den ganz eigenen Charakter der Siedlung hin. Der archäologische Befund zeigt zusätzlich, dass diese Verteidigungsmauern mit einem Schrein verbunden waren.

Die massive Terrasse, die für den Hauptschrein im Ort gebaut wurde, unterstreicht die Relevanz der Religion in dieser Siedlung (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Der Weg, der einen durch die Hafenmauern führt, bringt einen schnurstracks zu diesem religiösen Ort, der sich auf einer massiv gebauten Terrasse befindet. Vielleicht war es ja Sitte, dass Neuankömmlinge von See aus erst einmal religiös begrüßt wurden, oder aber es war verpflichtend, dem Ortskult zu huldigen – möglich ist auch, dass hier eine besondere Religiosität herrschte aufgrund der Gefahren, die die Seefahrt mit sich bringt. Bekannt ist, dass in Gournia die Religion von sehr großer Bedeutung war – Das Ortsheiligtum bildete die Spitze der Skyline und thronte über der gesamten Siedlung. Die Interpretation, dass die Wehranlagen einen rituellen Charakter haben, ist also durchaus plausibel. Aber nicht nur der Schrein spricht für einen eher symbolischen Charakter der Mauern. Denn diese sind offenbar nicht wehrfähig. Anders gesagt: Sie wurden nicht so gebaut, dass sie tatsächlich physikalisch schützende Eigenschaften hatten.

Aussicht von einem der höchsten Punkte der Minoischen Siedlung (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Dass diese Festungsmauern nicht wehrfähig gewesen ist, zeigt die größte Katastrophe, die sich auf dem bronzezeitlichen Kreta ereignet hat. In der spätminoischen Periode ab 1.200 v. Chr. werden zunehmend Siedlungen aufgegeben. Das Leben verlagert sich in sicherere Gebiete. In den Jahrhunderten zuvor war es zu Naturkatastrophen gekommen. Der Vulkan Thera, heute bekannt als Santorini, war ausgebrochen. Eine riesige Tsunamiwelle wurde ausgelöst und fegte über die Kretische Nordküste hinweg. Besonders hart getroffen: Küstenorte. Erdbeben erschwerten das Leben dort in der Folge zusätzlich. Gournia wurde nach der großen Katastrophe, nach einer kleinen Nachbesiedlungsphase, aufgegeben. Eine funktioniere Hafenbefestigung hätte das Aufgeben der Siedlung, und einen Rückzug an sicherere Orte unnötig gemacht.

Man kann sich kaum vorstellen, wie gewaltig eine Tsunamiwelle sein muss, damit das Meer in dieser Entfernung, wie hier auf dem Bild gesehen, noch alles verwüstet (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Eine Festungsmauer, mit einer militärischen Funktion hätte den Schutz geboten, den die Überlebenden nun an anderen Orten suchten. Bei dieser Argumentation muss man aber beachten, dass nach derzeitigem Forschungsstand nicht abschätzbar ist, inwieweit die Mauer durch die Naturkatastrophen beschädigt wurde. Doch hätte man die Wehranlage wieder aufbauen können, wenn sie denn wehrfähig gewesen wäre – was genau passiert ist, bleibt derzeit rätselhaft. Aber vielleicht werden uns zukünftig Forschungen diese Frage beantworten. Es könnte ein interessanter Schlüssel sein, um die Wichtigkeit von Küstenschutz aufzuzeigen, anhand von diesem Beispiel, wo eine florierende und reiche Kleinstadt nach Jahrhunderten aufgegeben werden musste. Und es wäre auch ein weiterer Schlüssel um das verschwinden, der zuvor so erfolgreichen Kultur der Minoer zu begreifen. Eine Forschungslücke, die dich ja vielleicht so sehr interessiert, dass du selbst dazu arbeiten möchtest. Ich bin jedenfalls auf die Forschungen der Zukunft gespannt.
Literatur:
Stylianos, Alexiou: Das antike Kreta, Würzburg 1967.
Mike Prent, Creatan Sancuaries and Cults – Contiuity and Change from late Minaon IIIC to the Archic Period. In: Religions in the Graeco-Roman World 154, Boston 2005.
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