#DHMMeer – Europa und das Meer

Als ich zunächst von der Blogparade #DHMMeer las, für die ich diesen Artikel nun verfasse, dachte ich an das Meeresrauschen, an die Welt meiner Kindheit, an die Welt meiner Schulzeit, an das Leben am Strand. Doch dann fiel mir auf, dass ich diese Geschichte nicht erzählen kann. Das ich nicht über Europa und das Meer erzählen kann, ohne, dass es in mir schreit. Europa und das Meer, dass könnte eine schöne Geschichte sein, eine Geschichte voller Geschichten und Faszination. Lehrreich, verbindet es ein Stück vom Gestern, und ein Stück von Heute! Europa und das Meer; Es könnten viele Geschichten sein, die so beginnen, Geschichten der Geschichte, Geschichten der Gegenwart, doch nur eine, die ich zurzeit erzählen kann:

Am Anfang steht das Rauschen

Hier bin ich aufgewachsen

Ich bin in Wedel aufgewachsen, dass ist eine kleine Stadt in Schleswig Holstein, westlich von Hamburg, die Elbe entlang. Zwar ist es nur die Elbe, doch bei dem vermeintlichen Ufer, dass man auf der anderes Seite sieht, handelt es sich nur um eine Insel, und so hat man das Gefühl bereits am Meer zu sein. Die Luft riecht salzig, und immer wieder fahren Containerschiffe so groß wie Wolkenkratzer an einem vorbei. Ihre Nebelhörner sind so laut, dass sie gelegentlich die Häuser erzittern lassen. Und sie blasen das Nebelhorn, immer wenn sie an der Schiffsbegrüßungslage vorbei fahren, immer wenn diese ein Schiff begrüßt oder verabschiedet. Ich war 6 Jahre alt, als wir mit einem Schulausflug die Anlage besichtigten. Ein kleiner Raum, mit einem Regal voller Kassetten. Für jede Nationalhymne der Welt eine. Jedes Schiff wurde, über Lautsprecher, mit seiner eigenen Hymne begrüßt, und dann durchgesagt, woher es kam, und wohin es wollte. Ein Bananendampfer aus Panama, Bettwäsche aus China, und meine Tagträume, in denen ich eines Tages selber all diese Orte sehen würde. Das Meer war das Tor zu einer ganz anderen, viel größeren Welt, als die die ich kannte. Das Meer, war für mich die Verbindung zu Menschen die anders aussahen, anders sprachen und anders rochen, und doch genauso Menschen waren wie ich. Die absolute Freiheit in der Gemeinsamkeit, dass uns dieses Nass miteinander verband, und das ist der Beginn einer Geschichte die ich euch nicht erzählen kann.

Die Schiffsbegrüßungsanlage Wilkomm-Höft wurde nach dem 2. Weltkrieg errichtet um ein Zeichen für Völkerverständigung zu setzen.

Der Strand, ganz in der nähe, hat dabei eine ganz besondere Bedeutung. Ich habe meine halbe Jugend hier verbracht. Direkt nach der Schule fuhr ich hier her, machte meine Hausaufgaben, ging Schwimmen. Das Rauschen der Wellen schien mich mehr zu verstehen, als andere Menschen. Und mich hat in meiner Schulzeit kaum jemand verstanden, und ich habe auch niemanden anderen verstanden, wie ich in diesem Artikel ja bereits schreibe. Aber, dass Wasser war da. Es ist für mich die Anwesenheit aller Träume und Gedanken, aller Tränen der Freude und der Not aller Wesen, zu allen Zeiten. Es war das mein Element, und meine Welt. Oft genug genoss ich es einfach, das Geschrei der Möwen, die Nebelhörner, und dieses wunderbare Rauschen ganz für mich alleine zu haben. Mit einem guten Buch in der Sonne zu liegen, mit den Füßen im Wasser. Das war eine Verbindung, die ich verstand. Ich hätte euch gerne von diesen Abenteuern erzählt, aber es schreit sosehr in mir, dass das nicht geht.

Echtes Karibikfeeling in Norddeutschland

Die Octopodenkeramik

Doch wie dem so ist, ich wurde älter zog in die Stadt und begann zu Studieren. Der Strand lang nun unter dem Pflaster. Relativ zu Beginn meines Studiums beschäftigte ich mich dann mit Kreta. Mein persönliches Highlight waren die Keramiken mit maritimen Abbildungen. Sie zeigten mir, dass das Meer, dass mich schon mein Leben lang begleitet hat, schon in früheren Zeiten von besonderer Wichtigkeit gewesen ist. Die Octopodenkeramik wurde mein kleines Lieblingsthema.

Beispiele für Keramik mit maritimer Bemalung. Auch Octopoden sind zu erkennen. Ausgestellt im Heraklion museo archeologico.

Ich verliebte mich schnell in diese Keramik, und stand zwei Jahre später zum ersten mal im Agoramuseum in Athen vor einem Original. Es war im Mai 2010, die Zeit der großen Wirtschaftskrise in Griechenland, ich sah jeden Tag unendliches Leid auf der Straße, und versuchte mich ab und an mit dem Besuch des ein oder anderen Museums abzulenken. Und so entdeckte ich eine Flasche bemalt mit einem wunderschönen Octopus. Kaum hatte ich sie entdeckt setzte ich mich vor der Vitrine auf den Boden, und betrachtete sie ununterbrochen. Ich war so ergriffen von der filigranität in der dieser Octopus gemalt war, von den liebevollen Pinselstrichen, sie ich zu erkennen glaubte, dass mir einige Tränen über das Gesicht liefen. Und dabei bin ich mir im Nachhinein gar nicht so sicher, ob ich vielleicht weinte, weil ich nicht mehr damit umgehen konnte, jeden Tag so viele unglaublich arme Menschen auf der Straße zu sehen.

Mit Octopus bemalter Sarkophag. Gesehen im Heraklion museo archeologico.

Die Keramiken im Marinestil sind in der Regel mit sehr lebendigen Darstellungen von Meeresbewohnern, zumeist Octopoden verziert. Dieser Keramikstil war in der Zeit der Minoer, am Ende der Spätminoischen Phase der Späten Paläste beliebt. Diese Keramiken treten zwischen 1500-1450 v. Chr. auf Kreta auf. Die Motivik, die auf mich eine leicht gruselige Ausstrahlung hat, wirkt dabei ein wenig wie ein Fanal. Denn gegen 1450 verändert sich die Kultur der Minoer abrupt, was auf eine Naturkatastrophe, zurück geführt wird. Es handelte sich vmtl. um einen Vulkanausbruch, welcher Tsunamis verursachte, die über die Gebiete der Minoer hinweg fegten. Das ist einer der vielen Geschichten die zu Europa und dem Meer gehören, auch der Schrecken der Tsunamis, und das Meer als Naturgewalt. Aber eine Geschichte, über die ich euch im Moment nicht so viel erzählen kann, weil es eine andere Geschichte gibt, die viel wichtiger ist.

Das Meer kann wunderschön sein, wenn das Wetter es so beschließt

Freiheit, Hoffnung, Tod!

Es gibt so viele Geschichten, die ich euch über das Meer erzählen kann. Für mich war es immer eine Form von Freiheit gewesen. Etwas, dass den Menschen beeinflusste, was ihn verband. Handel, wie der der Hanse, hatte die Stadt in der ich mich zu hause fühle zum Tor zur Welt gemacht. Eine Freiheit, die man riechen kann, wenn man sich nur an die Küste stellt und schnuppert. Wasser ist ein Element, dass Menschen verbindet, von Hafen zu Hafen, und das seit Jahrhunderten. Die Hanse ist dabei nur ein Moment der Geschichte in der dies begriffen wurde. Dieses Handelsgeflecht verwob Nordeuropa miteinander, und war Ursache für Aufschwung und Untergang von ganzen Städten. Stade beispielsweise wurde aus der Hanse heraus geworfen, weil die Stadt nicht mit den Vereinbarungen des Handelsbundes einverstanden war. Andere Menschen sind uns uns bis heute in Erinnerung geblieben, weil sie die Hanse zum Feind hatten. Klaus Störtebecker überfiel vermehrt Hansekoggen. Der Legende nach nannten er und seine Leute sich “Likedeeler” also Gleichteiler, weil sie ihre Beute gerecht miteinander, aufteilten. Eine ganz besondere Geschichte von Grausamkeit, Raub, Verbrechen und Solidarität. Aber wiederum eine Geschichte, die heute keinen Platz auf dem Meer findet.

Ein Modell einer Hansekogge aus Holz.

Schiffsmodel aus dem Schwedenspeichermuseum in Stade. hier wird die Geschichte des Späten Mittelalters erklärt.

Doch die Handelsnetze kamen nicht aus dem nichts. Und die Hanse, war nicht das erste Handelsnetz der Geschichte Europas. Sie hatten berüchtigte Vorgänger. Die Wikinger zum Beispiel. Die Wikinger fuhren nicht nur über das Meer um anzugreifen, sondern sie hatten ebenso ein großes Handelsgeschick. Mythen und legenden rankten sich nach dem Überfall auf das Kloster Lindesfarne um die Früh mittelalterlichen Seefahrer*innen. Doch im Kern lässt sich festhalten, dass nicht die bloße Narration gewalttätiger männlicher Recken ist, die hier erwähnenswert ist. Viele unserer Vorstellungen sind dabei zusätzlich noch eingefärbt von nationalistischen Tendenzen, wie ich auf der Fachtagung “Odin mit uns!” festgestellt habe. Die Wikinger waren Räuber, und Eroberer. Sie entdeckten Island, Grönland, und besuchten sogar Amerika. Aber sie waren eben auch normale Menschen, mit Häusern, Ritualen, Feldbau, und vor allem mit Handel.

Der Erfolg der Wikinger im Frühmittelalter, war vermutlich eher ihren technisch innovativen Booten zu verdanken, welche weiter entwickelt waren als die Ihrer Nachbar*innen. Außerdem war der europäische Kontinent geschwächt, durch Kriege, durch die Spuren der Völkerwanderdungszeit, und durch die neu Einzug haltenden Glaubensvorstellungen in der Mitte des Kontinentes. Das Meer war in dieser Zeit die schnellste Reisemöglichkeit. Durch dieses Zusammenspiel kamen die Wikinger zu ihrem legendären Ruf. Die Geschichten welche sich die Menschen in Haithabu über das Meer erzählt haben, mögen zahlreich sein. Doch im Europa heute, hat diese Betrachtung des Meeres kaum mehr platz. Denn es ist eine andere Geschichte, die heute wichtig ist.

Der rekonstruierte Teil der Wikingerstadt Haithabu von weitem. Einige Holz-Lehm-Häuser sind von weitem auf einer Blumenwiese zu sehen. Sie sind von einer Palisade aus Holz umgeben und mit Schilf gedeckt.

Das Museumsdorf Haithabu

Aber Schifffahrt, und das weite Reisen, begann das alles nicht schon viel früher? Ich möchte nur einmal an die Bronzezeit denken. Das Mädchen Von Egdvet. Eine junge Frau, bestattet im heutigen Dänemark, und unglaublich gut konserviert. Sie trägt nicht nur den ältest bekannten Minirock der Welt, sondern war auch gut genug erhalten, um Isotopenanlysen möglich zu machen. Die Ergebnisse gleichen einer Sensation. Die Frau ist eine weitgereiste Person. Dabei ist nicht ganz klar wo sie genau herkam. Der Schwarzwald oder auch Tschechien wären denkbar, aber auch z.B. die Britischen Inseln. Aber was war das für eine Welt, die Bronzezeit in Europa?

Die didaktische Installation zur erklärung welche Orte durch die Wikinger in Kontakt standen. Die Internationalen bezieheungen im Frühmittelalter werden mit Schriftzügen dargestellt, die Städtenamen zeigen. Auf dem Bild zu sehen sind weise Plastikbuchstaben, sie gehören zu den Worten Bagdad, Mainz und Bukharest. Ein weiterer Ortsname der auf Gar endet ist abgeschnitten. Zwischen den Ortsnamen sind kleine Erklärungatäfelchen angebracht.

Internationale Bezüge der Wikinger

Im Süden und im Mittelmeer sind uns die Minoer mit ihren Octopoden ja bereits bekannt. Doch auch im Norden gibt es interessante Spuren. Und dabei spreche ich jetzt nicht von Einbäumen, und verloren gegangenen Paddeln des Neolithikums, welche sich auf der jütischen Halbinsel durchaus finden lassen. Nein ich spreche von Tanumshede. Tanumshede, ist ein Fundplatz an dem es Felsritzungen der Bronzezeit gibt, und welche zur besseren Sichtbarmachung rot ausgemalt wurden. Diese Felsritzungen zeigen Strukturen, welche aussehen wie Boote. Ich fand diese Bilder so cool, dass ich sie in meiner alten Wohnung nachgemacht habe. Klar wissen wir nicht, wie diese Boote genau aus sahen, wie sie Konstruiert wahren, inwieweit sie seetauglich gewesen sind, und in welchem Kontext sie benutzt wurden. Aber eines wird deutlich, es gab so etwas wie Boote, und zwar weiter entwickelt als Einbäume. Welche Geschichten sich also in der Bronzezeit abspielten, wäre ein toller Inhalt, welche unter der Überschrift Europa und das Meer fassbar währen. Aber, es ist im Moment nicht die Zeit eine solche Geschichte zu erzählen, denn die Geschichte von heute, trennt uns von er Faszination, die eine frühzeitliche Seefahrt auslösen kann. Und vor allem, von dem Gedanken, dass Europa schon in der Bronzezeit interkulturell tiefer verbunden gewesen sei könnte, als wir es heute annehmen.

Meine eigene Badezimmerinterpretation von Tanumshede

Dabei gibt es so viele Geschichten, die Europa über das Meer, oder wechselweise auch das Meer über Europa erzählen kann. Schiffswracks aus der Antike zeigen im Mittelmeer, wie florierend der Handel gewesen sein muss. Von Getreide, bis Cannabis, alles wurde gehandelt, daneben Fischerboote, und die Schiffe des Militärs. Seeschlachten, und Mythen über Seeschlangen. Der kulturelle Einfluss, den das Meer auf die Europäer hatte ist unverkennbar. Und das liegt vermutlich auch an der Geographie, denn Europa besteht förmlich aus Land, dass in den skurrilsten formen in das Meer hinein ragt, und so finden wir auf der Europakarte je weiter wir noch Norden, Westen oder Süden kommen, um so mehr Küstenlandschaften, die ihres gleichen suchen. Kaum eine Kultur, welche dies Ignorieren konnte. Das Meer hat die Kraft Menschen miteinander zu verbinden. Und das zeigt sich schon ganz zu Beginn der hochkulturellen Geschichte, die Stromkulturen an Nil, Euphrat und Indus. Auch sie nutzten die Wasserwege, als Wege für den Austausch von Waren und Ideen. Das Meer dazu zu nehmen war nur ein kleiner Schritt für die Menschheit. Diese Geschichte von zusammenleben, und Gemeinschaft, aber auch von Streit, und Seeschlachten, von der Wanderung von Gegenständen und Ideen hätte ich euch gerne erzählt, aber sie scheint nicht mehr auf diese Welt zu passen.

Mein Alltagsweg, mit der Fähre zu dem “Tor zur Welt”, dem Hamburger Hafen.

Eine Welt, die verrückt zu spielen scheint. Teile des Bodens, auf dem ich aufwuchs werden irgendwann für immer in den Fluten verschwinden, wenn der Meerespegel steigt, dass erscheint vielen als Horrorversion. Vielleicht ist es aber auch nur sein Stück vom Kreis des Lebens. Vom Menschen selbst verschuldet, der Klimawandel. Das ist eine wichtige Geschichte. Es betrifft unermesslich viele Menschen. Die Geschichte, wie Inselbewohner damit umgehen, dass sie wissen, dass ihr Zuhause verschwinden wird, ist eine sehr traurige. Dabei betrifft es nicht nur ein paar kleinere Bevölkerungsgruppen auf Mirkonesien. Auch große Küstenabschnitte in Europa sind betroffen. Wie viele Menschen sterben werden, umgesiedelt werden müssen, ihren Besitz und ihr Zuhause verlieren werden, dass ist jetzt noch nicht abschätzbar. Es ist nur das Wissen, dass wie ein Damoklesschwert über den Menschen hängt. Eine Geschichte die das Leben, auf der Insel, auf der ich derzeit Wohne, zu einem Tanz auf dem Vulkan werden lässt. Es wird eine Geschichte der Zukunft sein. Aber ich kann euch auch diese Geschichte nicht erzählen, weil es eine Geschichte im jetzt gibt, die viel wichtiger ist:

Der letzte Küstenzipfel Europas vor Afrika

Es ist eine Geschichte vom Sterben. Denn das, was uns verbinden könnte, trennt uns! Und ich habe es mit eigenen Augen gesehen:

Ein Schiffsfriedhof; Die Reste von Flucht und Tod auf dem Mittelmeer

Lampedusa,

so heißt die Geschichte, die ich erzählen muss, wenn ich mit euch heute über Europa und das Meer rede! Europa im Heute, das ist ein goldener Käfig, der seine größte Schönheit und Kraft, das Meer, zu einer tödlichen Grenze ausbaut. Eine Festung, die ein Lebenselixier und Wachstumsmotor zu einem Mordinstrument werden lässt. Am meinem ersten Abend auf Lampedusa saß ich im Dunkeln an einer kleinen Bucht. Weit her hörte ich Schiffe, kleine, große, mittlere. Waren es Fischer? Wahren es Flüchtlinge? Waren es Sterbende? Die Augen fest auf den unsichtbaren Horizont gerichtet schrien die Gedanken in meinem Kopf. Aber ich war dazu verdammt an einer Küste zu sitzen, und das Rauschen zu hören, dass mich sonst mein Leben lang immer so beruhigt hatte. “Irgendwo da stirbt gerade ein Mensch, und ich kann nicht das geringste dagegen tun.” Dieser Gedanke ist in meinem Kopf seit dieser Nacht, jedes Mal wenn ich auf das Meer blicke.

Eine Bucht an einer Steilküste. Es gabt zwischen den klippen einen kleinen Strand. Am Horizont sind letzte Sonnenstraheln zu sehen.

Eine der vielen kleinen Buchten auf Lampedusa

Diese Menschen, sie Sterben auch, wenn ich nicht an der Küste sitze. Sie sterben jeden Tag, und deswegen schreit es jeden Tag in mir, weil ich hilflos bin, und nichts daran ändern kann. Andern können nur alle Gemeinsam etwas an dieser Politik. Europa und das Meer, das ist heute die Überschrift für eine Geschichte über den Tod. Den gewollten Tod von hunderttausenden flüchtenden. Dem Tod von verzweifelten Menschen. Menschen die so voller Angst sind, dass sie diesen Tod auch noch in Kauf nehmen, wenn ihre Überlebenschance bei 1 % liegt. Weil das immer noch 1 % mehr ist, als sie sonst hätten! Das Mittelmeer ist zum Werkzeug geworden, zum Werkzeug des wegschauens, des nicht hinsehen. Des Verdrängens darüber was der westliche, der europäische Wohlstand, an anderen Stellen der Welt für Schäden verursacht. Es ist das Ausgrenzen der Opfer des eigenen Fehlverhaltens. Es ist die Geschichte von Europa im Heute.

Diese Menschen wurden gerettet

Ich habe mich also auf Lampedusa umgesehen, weil ich eine Geschichte von heute erzählen wollte. Eine Geschichte von einer Grenze, und grenzenlosem Leid im Meer. Ich entdeckt Boote, ich entdeckte Nussschalen, überfüllte Schlauchboote, Schuhe, Gegenstände, Essensrationen. Was wurde aus diesen Menschen? Leben sie? Was ist mit dem Baby, zu dem dieser Strampler gehört? Wo sind die Menschen, die 72 linke Schuhe und 74 rechte Schuhe auf einem Boot hinterlassen haben? Eine Babyflasche, ein Koran. Wer hat ihn gelesen? Und dieses Boot, es lag unter Wasser, eindeutig, denn in allem was in diesem Boot liegt wächst Schwamm. Was geschah mit diesen Menschen? Was hat das eine Boot für Löcher an Deck? Hat jemand darauf geschossen? Wie viel Angst müssen diese Menschen haben, die alles riskieren. Das tut sich kein Mensch an, der nicht muss. Die Debatten in den Parlamenten machen mich nur noch wütend. Fadenscheiniger Humanismus, und mit Menschlichkeit bemaltes Morden.

Ein Bug eines Holzbootes. Grosse Löcher sind in den Bug gerissen.

Dieses Schiff sank im April 2015. Laut Medienberichten kenterte es. 400 Menschen starben dabei.

Mehr sind diese Diskussionen nicht für mich. Politiker die Postengeschacher betreiben über das Schicksal von Menschenleben hinweg. Aber es gibt Menschen, denen ein Menschenleben noch etwas bedeutet. Helfer, die jeden Tag Menschenleben retten, und die Aktuell von diesem Europa kriminalisiert werden. Und weil es dieses Europa im hier und jetzt und heute ist, dass das Meer nutzt, um Verbrechen zu begehen, ist das die einzige Geschichte die ich euch erzählen kann. Weil es in mir schreit, und keiner, der nie selber in diese Augen sah, diese Augen voller Panik und voller Angst, voller Leid und Tod, wird jemals auch nur ansatzweise verstehen, welche Katastrophe jeden Tag im Meer passiert. Und wie laut es in mir schreit!

Eine schwarze Frau läuft Barfus an einem Rettungwagen Vorbei. Ein Sanitäter legt einen Arm um sieh und macht mit der anderen Hand eine beruhigende Handgeste. Die Frau hat einen Gesichtsausdruck, zwischen glück, trauer, angst, befreiung. Man kann sehen, das sie nicht glauben kann, das sie noch Lebt.

Eine Frau wird von einem Sanitäter beruhigt, als sie ihre ersten Schritte in Europa macht.

Erst spät wurde mir eines klar: Ich hätte nach Lampedusa fahren können, und einen Strandurlaub verbringen können. Aber ich bin dort hingefahren, und habe gesehen, was ich gesehen habe. Seit dem bin ich nicht mehr der Mensch, der ich vorher war. Die EU hat dem Meer die Schönheit genommen. Eine Kultur geschaffen, in der unterlassene Hilfeleistung gefordert wird. In der das Meer Menschen verschluckt, die nie wieder gefunden werden. Und diese Kultur hat mir das Gefühl genommen, das das Meer für Frieden und Freiheit steht. Welcher Hafen ist in dieser Kultur noch ein Tor zur Welt? Und was ist das für eine Welt, in der die Dekadenz einiger wichtiger ist, als das Leben vieler? Ich hätte euch sehr gerne eine Geschichte von einem schönen Europa mit einem verbindenden Meer erzählt. Eine Geschichte von Austausch, von Solidarität und Liebe. Aber ich habe diese Dinge gesehen, und seit dem, ist Europa und das Meer für mich eine Geschichte von Mord und Grausamkeit!

Ein Schlauchboot in grau in dem ganz viele Schwimmwesten liegen die Orange leuchten.

120 Menschen wurden auf diesem Schlauchboot gefunden. Wie viele dieser Boote werden wohl nie gefunden?

Und manchmal wenn ich heute an den Strand gehe, und die Orte meiner Kindheit und Jugend besuche, dann sehe ich wieder diese Menschen vor meinem inneren Auge, die mehr tot als lebendig sind, und deren Schreie vor Kraftlosigkeit schon lange verstummt sind. Das Rauschen. Es erschien mir immer wie die Anwesenheit aller Träume und Gedanken, aller Tränen der Freude und der Not aller Wesen zu allen Zeiten. Ich denke an  die Kulturen vergangener Zeiten, an Häfen, Hanse, Wikinger, Minoer, und dann denke ich an das Heute, und wenn ich genau hinhöre, dann hat das Heute, das Meeresrauschen traurig gemacht, denn es klingt nicht mehr wie früher! Und ich frage mich nur, wie lange, das Meer wohl noch so traurig klingen wird. Und ob sich die Generation meiner Enkel wohl schämen werden, wenn sie es hören, dieses Rauschen!?

Diese Nussschalen sollten Denkmäler werden. Um nachfolgenden Generationen von den Verbrechen an der Festung Europa zu berichten!

Und wenn du jetzt denkst, was für ein wichtiger Blogartikel, dann schicke der Autorin doch ein kleines Trinkgeld mit diesem Paypallink

Nachlesen:

Meine Erfahrungen auf Lampedusa habe ich bereits im Augustin veröffentlicht. Auf einem Workshop im November an der Uni Hamburg werde ich voraussichtlich die archäologische Seite von Fluchtspuren und meine Erfahrungen aus Lampedusa vorstellen.

Wenn du ein Mensch bist, der sich jetzt denkt; aber was soll denn werden wenn die alle hier rein kommen, dann habe ich hier einen wunderschönen Artikel für dich.

Und wenn du gerne Menschen in Not helfen möchtest, dann schau doch mal bei Sea Watch vorbei.

Wenn du ein wenig über die Minoer nachlesen möchtest, dann empfehle ich dir einmal einen Blick in das Buch “Im Labyrinth des Minos – Kreta – die erste europäische Hochkultur” zu werfen.

Und falls du denkst “Tanumshede, das klingt nach einem Interessanten Abschnitt der Bronzezeit, wo kann ich mehr dazu nachlesen?!” Dann würde ich dir empfehlen mal bei grosssteingraeber.de vorbei zu sehen.

 

9 Gedanken zu „#DHMMeer – Europa und das Meer

  1. Liebe Miss Jones,

    Kindheitserinnerung, Historie mit Minoer, Wikinger und Hanse und dann … dann Traurigkeit auf Lampedusa – ein trauriges, menschenverachtendes Europa!

    Vielen herzlichen Dank für dein #DHMMeer – das harmlos begann und drastisch im Jetzt mit dem Tod auf dem Meer endet!

    Herzlich,
    Tanja von KULTUR – MUSEUM – TALK

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