Oktopusse – sind einfach sensationelle Tiere, die aufgrund ihrer Intelligenz und Anpassungsfähigkeit beeindrucken. Das sehe nicht nur ich so, auch die Minoer hatten in der Bronzezeit offenbar eine gewisse Zuneigung zu den intelligenten Meerestieren. Ihre Darstellung auf Keramikgefäßen gibt uns interessante Einblicke in die Kunst, Symbolik und den Alltag der Minoer. Aber was steckt eigentlich hinter den vielen kunstvoll mit Oktopussen bemalten Töpferwaren dieser Zeit? Ein Blick auf griechische Töpfe:

Eine Oktopusflasche aus der neuen Palastzeit (Ausgestellt im Nationalmuseum Herklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Schon früh in der minoischen Kultur sind Oktopoden (das ist der korrekte Plural von Oktopus) zu beobachten. Sie finden sich bereits ganz zu Beginn auf der Keramik der bronzezeitlichen Kultur. Zunächst als stilisierte Darstellung mit vielen Kringeln, anstelle der acht Arme. Gegen 1900 v. Chr. entwickelte sich diese erste Keramik mit Oktopusbemalung auf Kreta, das ist die Zeit der Alten Paläste (wie z.B. der Alte Palast von Malia), in der auch die Siedlung Mu existierte. Diese Phase brachte zahlreiche Oktopusdarstellungen hervor, die zu einem festen Bestandteil der minoischen Kunst wurden. Der Oktopus wird zu einem Motiv, das diese Welt lange begleiten sollte. Als 200 Jahre später ein Erdbeben die Region erschüttert, beginnt eine zweite große Phase bei den Minoern, in der sie ihre Siedlungen und Paläste auf den alten Grundmauern neu aufbauen. Diese Epoche wird die neue Palastzeit genannt. Knossos, oder auch Malia haben in dieser Zeit ihre größte Blüte. Und in dieser Zeit wird die Oktopuskeramik richtig populär.

Oktopoden finden sich in dieser Zeit neben anderen maritimen oder floralen Motiven auf allen möglichen Keramiken. Hier sehen wir beispielsweise Vorratsgefäße. (Aufgenommen im Nationalmuseum Heraklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Man nennt es maritime Keramik, denn es gibt auch andere Meeresmotive, die in dieser Zeit auf Keramiken gezeigt werden. Aber der Oktopus ist ein Motiv, dass sich in ganz besonderer Weise zeigt. In der neuen Palastzeit ist er oftmals sehr natürlich dargestellt. Er findet sich auch auf den verschiedensten Gegenständen. Im Alltags-, im Prunk- oder auch rituellen Kontext. Es ist ein allgegenwärtiges Bild in dieser Zeit. Funde aus Ägypten zeigen, diese Keramik ist so edel, sie wurde exportiert – und kann so auch genommen werden, um zu versuchen, das Gesellschaftssystem der Zeit zu verstehen. Ein weiterer Hinweis auf diesen Export sind Oktopuskeramiken, die im Hafen von Knossos gefunden wurden. Die Oktopusdarstellungen wurden so populär, sogar frühe Produktpiraten imitierten diese Keramikform. So gibt es den Fund einer melischen Töpferwerkstatt, in der offenbar versucht wurde, die Keramik zu fälschen. Allerdings gelingt dies im Vergleich der Qualität nur ungleich schlechter.

Diese Keramik wurde im Hafen von Knossos geborgen (aufgenommen im Nationalmuseum Heraklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Im Laufe dieses Zeitabschnittes, in der minoischen Kultur, verändern sich die Oktopusdarstellungen nach und nach, dabei bleiben sie aber sehr naturalistisch. Doch während zum Beispiel die Saugnäpfe ursprünglich als Kreis mit einem innenliegenden Punkt gezeigt wurden, werden sie im späteren Verlauf der Kultur nur noch als Punktreihe gezeichnet. Es ist die erste Entwicklung dieses Motivs hin zu einer eher stilistischen Darstellung.

Aus dieser späteren Phase stammt auch dieses Vorratsgefäß. Der Oktopus wird hier ganz ohne Saugnäpfe gezeigt, aber immer noch in einer sehr natürlichen Bewegung. (Aufgenommen im Nationalmuseum in Heraklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die neue Palastzeit endet gegen 1450 v. Chr. bei einer weiteren Naturkatastrophe. Der Vulkan Thera hat weite Teile der minoischen Gebiete verwüstet, das kann man zum Beispiel am Hafen von Gournia sehen. Die Kultur soll sich nie wieder von diesem Ereignis erholen. Doch der Oktopus bleibt auch nach dieser Katastrophe ein bedeutendes Motiv. Aber: Vermutlich ändert sich in dieser Zeit die Bedeutung des Meerestieres. Während der Oktopus zuvor als Alltagsmotiv in der Kunst vorherrschte, wird er nun vermehrt auf Bestattungsgefäßen gefunden. In dieser Zeit scheint der Oktopus eine neue, tiefere Bedeutung zu erhalten – als Begleiter in die Welt der Toten. So finden sich die Tentakeltiere in der Hauptsache auf Bestattungsgefäßen, den sogenannten Larnax.

Ein solcher Larnax aus einer frühen Phase dieser kulturellen Entwicklung (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Ab dem 13. Jahrhundert v. Chr. werden dann auch Sirupflaschen hergestellt, auf denen Oktopusse abgebildet sind. Der Herstellungsort ist bekannt. Eine Töpferwerkstatt in Chania konnte archäologisch nachgewiesen werden. Die Beobachtung der Sirupflaschen dieser Zeit zeigt, der Oktopus wird zunehmend stilisierter und weniger natürlich gezeigt. Die Darstellung der Arme erinnert zunehmend eher an das, was wir heute als Mäander kennen und nicht mehr an eine natürliche Darstellung von Tentakeln. Es gibt dabei keine wirkliche Richtlinie, wie die Oktopusse auf der Keramik dargestellt werden, aber immer noch gilt: Die kretische Oktopuskeramik war qualitativ ein sehr hochwertiges Produkt.

Eine Sirupflasche mit einem stark stilisiertem Oktopus. (Aufgenommen im Nationalmuseum Heraklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Aber auch an diesen Sirupflaschen zeigt sich der Bedeutungswandel des Okopusmotives in der ausgehenden Bronzezeit. Denn 96 % solcher Sirupflaschen wurden im Grabkontext als Beigabe gefunden. Die anderen 4 % sind Funde, welche direkt in den Ruinen der Töpferwerkstätten gefunden wurden. Der Oktopus ist nun also nicht mehr Teil des Alltages der kretischen Bevölkerung. Anstelle dessen entwickelt er sich zu einem Begleiter des Todes. Man kann hier vielleicht interpretieren, dass es sich um eine Vorstellung handelt, welche mit dem Leben nach dem Tode zusammenhängt. Vielleicht gehen die Menschen dieser Vorstellung nach, nach ihrem Ableben über oder in ein Meer. Wirklich überprüfen lässt sich das nicht. Aber auch die Vorstellungen vom Tod in benachbarten Kulturen dieser Zeit haben immer wieder maritime Elemente. Nicht umsonst sprechen wir beim Ableben bis heute davon, über den Fluss Jordan zu gehen. Vielleicht liegt für die Minoer die Welt der Toten ja hinter dem Meer?

Ein weiteres Grabgefäß mit Oktopusbemalung. (Aufgenommen im Nationalmuseum Heraklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Bleibt eigentlich nur die Frage: Warum gerade war der Oktopus so beliebt? Die Tentakeltiere könnten aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Beweglichkeit ein Symbol für die komplexen Netzwerke der minoischen Gesellschaft gewesen sein – sowohl auf der See als auch in den sozialen Strukturen. Ihre Präsenz in Bestattungsgefäßen könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Oktopus als ein Übergangs- oder Transformationssymbol verstanden wurde – zwischen Leben und Tod, zwischen der Welt der Menschen und der Götter. Das ist zwar eine naheliegende Erklärung – aber wir werden es nie genau wissen. Vielleicht, fanden die Minoer diese klugen Tiere auch einfach nur hübsch, oder aber es gab eine Sage oder Märchengeschichte, die den Oktopus zu einer Heldenfigur machte.

Eine Sirupflasche aus Chania (aufgenommen im Nationaluseum Heraklion) (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Vielleicht hat auch ursprünglich einmal ein Oktopuseintopf existiert, und man hat die Keramik, in der dieser Verkauft wurde, mit einem Oktopus bemalt, quasi als Werbung – und das fanden die Minoer dann so hübsch, das sie ihn auf alle möglichen Keramiken gemalt haben, sodass immer neue Bedeutungen entstanden. Wir werden es leider nie herausfinden. Am Ende bleibt die Faszination, die von diesen kunstvollen Keramiken ausgeht. Unabhängig von ihrer symbolischen Bedeutung sind sie ein faszinierendes Zeugnis der minoischen Kultur und ein Meisterwerk der bronzezeitlichen Kunst. Diese Töpferwaren, treffen einen bis heute ins Herz, wenn man sie im Originalbetrachten darf, und da scheint es unerheblich zu sein, dass wir vielleicht nie vollständig entschlüsseln können, was sie bedeuteten.
Literatur:
Lucia Alberti, THE FUNERARY MEANING OF THE OCTOPUS IN LM IIIC CRETE*. In: Studies in Mediterranean Archaeology for Mario Benzi, Oxford 2013.
J.A. Sakellarakis, Heraklion – Das archäologische Museum, Athen 2006.
Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Im Labyrinth des Minos – Kreta – Die erste europäische Hochkultur, München 2000.
Tolles Thema! Die gemalten Octopusse gefallen mir sehr gut!
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