2018 war ich auf der MOVA Tagung, die in Halle stattfand. Wir waren alle auf einen Empfang im Landesmuseum für Vorgeschichte eingeladen. Haufenweise Archäolog*innen tummelten sich im Museum und genossen gemeinsam den Abend.
Ich bin abseits vom Getümmel durch das Museum gelaufen und hatte es teils ganz für mich alleine. Und das habe ich dort entdeckt:
Die Inszenierung der Vorgeschichte
Eine Freundin hatte mir den Tipp gegeben, die Beschilderung gar nicht erst zu beachten, weil ich mich eh nur aufregen würde, von daher las ich mir keinen einzigen der Texte durch, sondern versuchte die Inszenierung zu genießen. Nicht grundlos gibt es an diesem Museum ja auch immer wieder Kritik. Das ist ein guter Rat, denn dieses Museum lebt von der Ästhetik verschiedener Inszenierungen, die auf die Betrachter*innen wirken. Die Ausstellung unterscheidet sich also in gewisser Hinsicht von einer klassischen, archäologischen Ausstellung. Die Ausstellungstücke sind zwar
archäologisch, aber die Art, wie sie angeordnet sind, würde ich eher in den Bereich Kunst oder Design verorten. Dazu gibt es immer wieder kleine versteckte Dinge, die nur der Besucher erblickt, der die Augen aufhält. Mein Tipp ist: In diesem Museum genau hinzusehen und die Wucht der Inszenierung einerseits auf sich wirken zu lassen, aber andererseits auch zu ignorieren, um Kleinigkeiten zu entdecken. Aber nicht nur die Art der Inszenierung macht dieses Museum, zu dem, was es ist, sondern auch zahlreiche Funde, welche ebenfalls dazu beitragen, dass dieses Museum besonders bekannt ist.
Was gibt es da denn so zu entdecken?
Besonders beeindruckend, ist ein riesengroßer Waldelefant, der respekteinflößend durch die Wand zu treten scheint. Das riesige Tier ist neben einigen Neandertaler*innen dargestellt. Der liebevolle Detailreichtum der Darstellung ist dabei besonders auffällig.
Nicht weit entfernt von dem Elefanten, der mit seiner überwältigenden Größe auch ganz schön einschüchternd wirkt, steht die Darstellung des denkenden Neandertalers. Diese Figur ist tatsächlich ein wenig enttäuschend, wenn man sie schon oft auf Bildern gesehen hat. Es ist zwar eine tolle Skulptur, und eine unglaublich gelungene Darstellung eines Vormenschen, aber er sieht einfach nur genauso aus, wie auf den Fotos. Es gibt nichts zusätzliches, keine Details, die man noch entdecken könnte, wenn man sich den Neandertaler länger ansieht.
Die Art, wie der Neandertaler hier inszeniert ist, regt allerdings zum Denken darüber an, wie diese Menschen, die uns garnicht so unähnlich waren, wohl ihre Welt gesehen haben, worüber sie nachgedacht haben, wie sie gekocht haben, was sie für Fertigkeiten konnten und was sie sich vorstellten. Beantwortet wird diese Frage nicht. So bleibt der Museumsbesucher mit dieser Fragestellung im Kopf alleine zurück. Wer also dieses Gedankenspiel einmal weiter spielen möchte, dem empfehle ich einen Blick in “Denken wie ein Neanderthaler” von Thoma Wynn und Frederick L. Coolidge zu werfen.
Zu Besuch im Neolithikum
Wer Fundstücke entdecken will, die begeistern, der wird spätestens im Neolithikum (Jungsteinzeit) glücklich. Meine Augen leuchtenden jedenfalls, als ich vor den Resten einer Figur aus der Zeit der Liniearbandkeramik stand. Vermutlich ist hier eine Frau abgebildet. Darstellungen von Menschen zeigen in gewisser Weise auch immer, wie die Menschen dieser Zeit, sich gegenseitig angesehen haben. Von daher ist dieses Relikt, eines, dass ein ganz spezielles Licht auf das Neolithikum wirft.
Vollständig begeistert war ich allerdings erst etwas später, nachdem ich ein neolithisches Jadeitbeil erblickte. Seitdem ich mich vor einigen Jahren mit Steinrohstoffen auseinandergesetzt habe, bin ich begeistert von diesen Steinbeilen, die manchmal sehr weit gereist sind. Meist stammen die Rohstoffe dieser Beilklingen vom
Monte Viso in Italien. Überall in Europa tauchen sie auf. An weiteren Beilen und Dechseln scheint es in Halle jedenfalls nicht zu mangeln. Sie regnen quasi von der Decke. Die Inszenierung des Neolithikums durch einen Beilregen darzustellen ist besonders kreativ und zeigt den Ideenreichtum, mit dem dieses Museum inszeniert ist.
Es geht mehr um die Wahrnehmung der Archäologie in Form von optischer Schönheit. Die Gestalter*innen sind dabei wahre Meister der Inszenierung. Allerdings leuchtet mir die Symbolik von regnenden Steinen nicht ganz ein. Ich finde es zwar schön, aber auch ablenkend. Der Raum wirkt unruhig, und der Sinn dieser Anordnung bleibt mir verschlossen.
Die Nebrascheibe
Besonders hervorgehoben ist natürlich die Inszenierung der Nebrascheibe. Sie ist in einem dunkel gehaltenen Raum aufbewahrt, der mit einem Sternenhimmel beleuchtet ist. Fast im Dunkeln stand ich Ewigkeiten vor diesem Ding und begutachtete es Millimeter um Millimeter. Ein Privileg, niemand war da der mich an diesem Abend dabei gestört hätte, ich hatte die Nebrascheibe eine ganze Weile lang komplett für mich alleine. Ohne auf andere Besucher*innen achten zu müssen. Jedes einzelne Detail der
Scheibe versuchte ich in mir aufzusaugen. Ich hatte zwar schon gelesen, dass das Gold der Scheibe durch die Fundgeschichte zerkratzt wurde, bin aber doch überrascht, wie viele kleine Kratzer sich bei naher Betrachtung auf der Scheibe finden lassen. Schade, aber dennoch tut dies der Faszination gegenüber der Scheibe keinen Abbruch.
Warum das Landesmuseum trotz allem nicht mein Lieblingsmuseum ist!?
Das Landesmuseum in Halle unterscheidet sich stark beispielsweise vom Landesmuseum in Schleswig. Das Konzept ist flüssiger und moderner. Während man beispielsweise in Schleswig merkt, dass nur hin und wieder einzelne Ausstellungsbereiche erneuert wurden und man so das Gefühl hat durch ein unstimmig
zusammengestückeltes Labyrinth zu laufen, ist in Halle alles sehr strukturiert. Es gibt überall im Museum den gemeinsamen Nenner, der einen Fokus auf eine Inszenierung der Funde legt. Gleichzeitig sehe ich es aber auch kritisch, dass die Menschen hier eher durch die Inszenierung beeindruckt werden, und die wissenschaftlich interessanten Fakten, wie beispielsweise zum Thema Jadtbeile, meiner Meinung nach
zu kurz kommen. Und das ist schade, gerade weil mir eines meiner absoluten Lieblingsmuseen in Verucchio gezeigt hat, dass das nicht notwendig ist. Dieses Museum, hat ein weitaus geringeres Budget als das Landesmuseum in Halle und hat es mit weniger Künstlerischer, als mehr liebevoller Gestaltung geschafft, Funde simpel zu erklären. Dadurch rückt die Bedeutung, aber auch die Aussage der gezeigten Funde mehr in den Vordergrund. Das Konzept des kleinen Ortsmuseums ist also besser für das Verständnis der archäologischen Hinterlassenschaften geeignet. Eines ist jedoch bei beiden Museen außergewöhnlich: Die hohe Motivation und Freude der
Mitarbeiter*innen. Auch wenn mein Lieblingsmuseum weiterhin in Veruccio steht, hoffe ich doch immer mal nach Halle zurückzukehren, denn neben aller Kritik, hat es mir sehr gut gefallen. Und in Sachen Ästhetik gibt es so manches Museum, dass hier noch etwas lernen kann. Denn das Konzept in Halle ist sehr dazu geeignet, nicht einfach Wissen zu vermitteln, sondern Menschen für Archäologie zu begeistern. Und deswegen empfehle ich auch jedem, sich hier einmal umzusehen.
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