Allein im Archäologenmekka

Sophie Rotermund von Anarchaeologie.de und ich vor unseren Abschlussthesen.

Vor kurzem war ich auf der MOVA Tagung, die dieses Jahr in Halle stattfand. Ich habe selber bei einem Vortrag mitgewirkt, sodass ich die meiste Zeit viel zu aufgeregt war, um irgendwo intensiv aufzupassen, geschweige denn mitzuschreiben, um hier einen ansatzweise produktiven Artikel präsentieren zu können.

Dennoch möchte ich einen Moment mit euch teilen, den ich besonders genossen habe. Den Empfang im Landesmuseum für Vorgeschichte, werde ich vermutlich niemals vergessen. Haufenweise Archäolog*innen tummelten sich im Museum, und genossen gemeinsam den Abend. Doch bevor ich mich in das Getümmel stürzte wollte ich mir das Museum einmal ansehen, denn ich hatte es bislang noch nie in das archäologische Mekka an der Saale geschafft.

Bei dem Empfang herrschte ein angenehmer Trubel, während ich alleine durch das Museum streifte.

Während die Anwesenden ein oder zwei Reden lauschten, und sich anschließend auf das Buffet stürzten genoss ich es, die Ausstellung ganz für mich alleine zu haben. Zwar bekam ich an diesem Abend nichts zu essen, aber diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen. Dabei wurde ich nicht enttäuscht.

Die Inszenierung der Vorgeschichte

Eine Freundin hatte mir den Tipp gegeben, die Beschilderung gar nicht erst zu beachten, weil ich mich eh nur aufregen würde, von daher las ich mir keinen einzigen der Museumstexte wirklich durch, sondern versuchte die Inszenierung zu genießen. Nicht grundlos gibt es an diesem Museum ja auch immer wieder Kritik. Das ist ein guter Rat, denn dieses Museum lebt von der Ästhetik verschiedener Inszenierungen, die auf die Betrachter*innen wirken. Die Ausstellung unterscheidet sich also in gewisser Hinsicht von einer klassischen, archäologischen Ausstellung. Die Ausstellungstücke sind zwar archäologisch, aber die Art, wie sie angeordnet sind, würde ich eher in den Bereich Kunst oder Design verorten. Dazu gibt es immer wieder kleine versteckte Dinge, die nur der Besucher erblickt, der die Augen aufhält. Mein Tipp ist, in diesem Museum genau hinzusehen und die Wucht der Inszenierung einerseits auf sich wirken zu lassen, aber andererseits auch zu ignorieren, um diese Kleinigkeiten zu entdecken. Aber nicht nur die Art der Inszenierung macht diese Museum zu dem was es ist, sondern auch zahlreiche Funde, welche ebenfalls dazu beitragen, dass dieses Museum besonders bekannt ist.

Etwas versteckt, aber hoch interessant! Ein Kindersschädel mit einem Wasserkopf.

Was gibt es da denn so zu entdecken?

Ein riesieger Elefant durchschreitet die Wand

Besonders beeindruckend, ist ein Riesengroßer Waldelefant, der respekteinflößend durch die Wand zu treten scheint. Das riesige Tier ist neben einigen Neandertaler*innen dargestellt. Der liebevolle Detailreichtum der Darstellung ist dabei besonders auffällig.

Nicht weit entfernt von dem Elefanten, der mit seiner überwältigenden Größe auch ganz schön einschüchternd wirkt, steht die Darstellung des denkenden Neandertalers. Diese Figur ist tatsächlich ein wenig enttäuschend, wenn man sie schon oft auf Bildern gesehen hat. Es ist zwar eine tolle Skulptur, und eine unglaublich gelungene Darstellung eines Vormenschen, aber er sieht einfach nur genauso aus, wie auf den Fotos. Es gibt nichts zusätzliches, keine Details, die man noch entdecken könnte, wenn man sich den Neandertaler länger ansieht.

Was denkt dieser Neandertaler?

Die Art wie der Neandertaler hier inszeniert ist, regt allerdings zum Denken darüber an, wie diese Menschen wohl ihre Welt gesehen haben, worüber sie nachgedacht haben und was sie sich vorstellten. Beantwortet wird diese Frage nicht. Und so bleibt der Museumsbesucher mit dieser Fragestellung im Kopf alleine zurück. Wer also dieses Gedankenspiel einmal weiter spielen möchte, dem empfehle ich einen Blick in “Denken wie ein Neanderthaler” von Thoma Wynn und Frederick L. Coolidge zu werfen.

Wie haben sich die Menschen im Neolithikum selber gesehen?

Zu Besuch im Neolithikum

Wer Fundstücke entdecken will, die begeistern, der wird spätestens im Neolithikum (Jungsteinzeit) glücklich. Meine Augen leuchtenden jedenfalls, als ich vor den Resten einer Figur aus der Zeit der Liniearbandkeramik stand. Vermutlich ist hier eine Frau abgebildet. Darstellungen von Menschen zeigen in gewisser Weise auch immer, wie die Menschen dieser Zeit, sich gegenseitig angesehen haben. Von daher ist dieses Relikt, eines, dass ein ganz spezielles Licht auf das Neolithikum wirft.

Vollständig begeistert war ich allerdings erst etwas später nachdem ich ein neolithisches Jadeitbeil erblickte. Seitdem ich mich vor einigen Jahren mit Steinrohstoffen auseinander gesetzt habe, bin ich begeistert von diesen Steinbeilen, die manchmal sehr weit gereist sind. Meist stammen die Rohstoffe dieser Beilklingen vom Monte Viso in Italien. Überall in Europa tauchen sie auf.

Gerne hätte ich an dieser Stelle mehr erfahren ….

Zumeist werden sie mit der Michelsberger Kultur, aus dem 4ten Jahrtausend v. Chr. in Verbindung gebracht, und gelten als Prestigeobjekte. Wer mehr darüber erfahren will, dem empfehle ich einen Blick in “Revolution Jungsteinzeit” zu werfen. Daniel Bérenger hat sich hier in einem kurzen Artikel mit diesem Phänomen auseinander gesetzt (ab S.213).

An weiteren Beilen und Dechseln scheint es in Halle jedenfalls nicht zu mangeln. Sie regnen quasi von der Decke. Die Inszenierung des Neolithikums durch einen Beilregen darzustellen ist besonders kreativ, und zeigt den Ideenreichtum, mit dem dieses Museum inszeniert ist. Es geht mehr um die Wahrnehmung der Archäologie in Form von optischer Schönheit. Die Gestalter*innen sind dabei wahre Meister der Inszenierung. Allerdings leuchtet mir die Symbolik von regnenden Steinen nicht ganz ein. Ich finde es zwar schön, aber auch ablenkend. Der Raum wirkt unruhig, und der Sinn dieser Anordnung bleibt mir verschlossen.

Er sieht gut aus, aber was soll mir dieser Steinregen sagen?

Die Nebrascheibe

Besonders hervorgehoben ist natürlich die Inszenierung der Nebrascheibe.

Eine leicht leserliche Einführung zum Thema Nebrascheibe

Sie ist in einem dunkel gehaltenen Raum aufbewahrt, der mit einem Sternenhimmel beleuchtet ist. Fast im Dunkeln stand ich Ewigkeiten vor diesem Ding und begutachtete es Millimeter um Millimeter. Ein Privileg, niemand war da der mich an diesem Abend dabei gestört hätte, ich hatte die Nebrascheibe eine ganze Weile lang komplett für mich alleine. Ohne auf andere Besucher*innen achten zu müssen. Jedes einzelne Detail der Scheibe versuchte ich in mir aufzusaugen. Ich hatte zwar schon gelesen, dass das Gold der Scheibe durch die Fundgeschichte zerkratzt wurde, bin aber doch überrascht, wie viele kleine Kratzer sich bei naher Betrachtung auf der Scheibe finden lassen. Schade, aber dennoch tut dies der Faszination gegenüber der Scheibe keinen Abbruch. Wer mehr darüber wissen will kann einen Blick in “Kleine Reihe zu den Himmelswegen Band 1 – Die Himmelscheibe von Nebra” werfen, oder aber viele weitere Publikationen im Museumsshop bekommen.

Ansteckender Enthusiasmus

Dann entscheide ich mich die aktuelle Ausstellung zum Thema Klimawandel anzusehen. Ich bekomme eine Führung angeboten. Und, weil sich die anderen Gäste noch am Buffet bedienen, bekomme ich eine Einzelführung. Der Museumspädagoge der mich begleitet heißt Matthias. Nach kurzer Zeit haben wir einen unglaublichen Draht zueinander gefunden und diskutieren uns durch die Ausstellung. Begeistert von Ideen, Interpretationen und Gedanken des Anderen, und begeistert von den Ausstellungstücken reden wir uns total in Rage und teilen unsere Begeisterung miteinander. So eine intensive und gute Führung habe ich noch nie erlebt.

Eine Imposante Darstellung von einem Kampf zwischen Mammut und Löwe eröffnet die Ausstellung

Besonders beeindruckend finde ich die Affenskelette, die die verschiedenartige Entwicklung der Primaten zeigen. Diese Affen und Äffchen sehen in gewisser Weise alle aus wie wir, nur um viele Prozent niedlicher. Schließlich zeigt mir Matthias auch vorgeschichtliche Ausstellungstücke. Ich habe ein wiedersehen mit einem der Schöniger Speere, die ich zuletzt 2010 bei einem Praktikum gesehen habe. Zu meiner Freude sind auch zahlreiche Beispiele figürlicher Kunst des Paläolithikums hier ausgestellt. Der Kopf von Dolni Vestonice beispielsweise. Eine Figur bleibt mir besonders in Erinnerung, weil sie der Venus von Willendorf so unendlich ähnelte, nur die Armhaltung und die Größe unterscheidet sich geringfügig.

Am Ende der Führung bedankte ich mich bei Matthias, und jetzt möchte ich mich bei den Organisatoren der MOVA Tagung bedanken, die dieses Erlebnis überhaupt erst möglich gemacht haben.

Diese Hausurne wird sehr liebevoll in Szene gesetzt, ist aber leider kaum selbsterklärend für den Besucher

Warum das Landesmuseum trotz allem nicht mein Lieblingsmuseum ist!?

Das Landesmuseum in Halle unterscheidet sich stark beispielsweise vom Landesmuseum in Schleswig. Das Konzept ist flüssiger, und moderner. Während man beispielsweise in Schleswig merkt, dass nur hin und wieder einzelne Ausstellungsbereiche erneuert wurden, und man so das Gefühl hat durch ein unstimmig zusammengestückeltes Labyrinth zu laufen, ist in Halle alles sehr strukturiert. Es gibt überall im Museum den gemeinsamen Nenner, der einen Fokus auf eine Inszenierung der Funde legt. Gleichzeitig sehe ich es aber auch kritisch, dass die Menschen hier eher durch die Inszenierung beeindruckt werden, und die wissenschaftlich interessanten Fakten, wie beispielsweise zum Thema Jadtbeile, meiner Meinung nach zu kurz kommen.

Alle Ausstellungsstücke sind in gewisser Weise inszeniert, wie diese Randleistenbeile.

Und das ist schade, gerade weil mir eines meiner absoluten Lieblingsmuseen in Verucchio gezeigt hat, dass das nicht notwendig ist. Dieses Museum, hat ein weit aus geringeres Budget als das Landesmuseum in Halle, und hat es mit weniger Künstlerischer, als mehr liebevoller Gestaltung geschafft Funde simpel zu erklären. Dadurch rückt die Bedeutung, aber auch die Aussage der gezeigten Funde mehr in den Vordergrund. Das Konzept des kleinen Ortsmuseums ist also besser für das Verständnis der archäologischen Hinterlassenschaften geeignet. Eines ist jedoch bei beiden Museen außergewöhnlich, und zwar die hohe Motivation, und Freude der Mitarbeiter*innen. Auch wenn mein Lieblingsmuseum weiterhin in Veruccio steht, hoffe ich doch immer wieder in das archäologische Paradies zurück zu kehren, denn neben aller Kritik, hat es mir sehr gut gefallen. Und in Sachen Ästhetik gibt es so manches Museum, dass hier noch etwas lernen kann. Denn das Konzept in Halle ist sehr dazu geeignet, nicht einfach Wissen zu vermitteln, sondern Menschen für Archäologie zu begeistern. Und deswegen empfehle ich auch jedem sich hier einmal umzusehen.

Diese Fischschwanzdolche gewinnen alleine durch die Art ihrer Beleuchtung an Ästhetik

17 Gedanken zu „Allein im Archäologenmekka

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