Ich sage es immer wieder, ihr stellt die interessantesten Fragen. Bei dieser Frage jedoch sah ich mich am Ende meiner Kompetenz. Warum: Sprachforschung ist nicht Bestandteil der prähistorischen Archäologie. Wir beziehen uns auf Objekte und Gegenstände, die wir finden und versuchen mithilfe dieser zusammenhänge Rückschlüsse auf eine Zeit zu machen. Und in vielen Kulturen, die wir untersuchen, gibt es keine Schrift, und damit keine Sprache die wir im Nachhinein rekonstruieren können. Von daher bewegt sich die Frage in einem mir unbekannten Feld. Bei den Wikingerkulturen ist das alles ein bisschen anders. Hier gibt es immer wieder Inschriften und auch Runensteine sind allbekannt. Aber: Im Gegensatz zu beispielsweise römischen Texten gibt es hier keine langen Texte, sondern nur kurze Inschriften. Deswegen ist es ungleich schwieriger dies zu erforschen.
Aber als allererstes stellt sich eine ganz andere Frage:
Wikinger, was heißt das eigentlich?
Wikinger ist ein Oberbegriff, der oftmals sehr schnell verwendet wird, ohne genau zu definieren, dass es sich um ein weit verbreitetes Phänomen handelt, dass in Nordeuropa seinen Ursprung findet. Zunächst fallen sie durch Überfälle auf, die in die Geschichte eingehen. Dies begann 793 am Kloster Lindesfarne. Doch wer Wikinger als wild gewordene Krieger oder Kriegerinnen sieht, der tut diesen Menschen unrecht. In der Hauptsache sind sie Händler*innen, Siedler*innen, Seefahrer*innen und Bäuer*innen des Frühmittelalters. Sie verbreiten sich schnell. In Skandinavien, Norddeutschland, Grönland, Frankreich, England, Island. Und darüber hinaus. Im Osten gründeten sie zum Beispiel Kiew. Sie gelangten bis nach Sizilien, Istanbul, Bagdad, fuhren über das Meer und hatten zeitweise auch eine Siedlung in den heutigen USA. Funde aus Wikingergräbern zeigen weite Kontakte. So gibt es beispielsweise den Fund einer Buddhafigur in einem schwedischen Grab aus dem 6. Jahrhundert. Der gesamte
Raum wurde in verschiedenen Regionen von verschiedenen Königreichen und Regierungsformen beherrscht. Das macht es im Grunde schwierig hier von einer gemeinsamen Identität zu sprechen. Vielmehr ist es ein zusammenhängendes vergleichbares Phänomen das über 300 Jahre lang existiert, aber bei genauerer Betrachtung regional sehr unterschiedlich ist.Und wie haben sich in diesem bunten Konglomerat nun die Sprachen entwickelt?
Die Sprachforschung geht davon aus, dass bereits im 8. Jahrhundert, also zu der Zeit der ersten großen Überfälle, verschiedene altnordische Dialekte in Skandinavien gesprochen wurden. Diese können in zwei Gruppen unterteilt werden. Eine altwestnordische und eine altostnordische Sprache. Der westliche Dialekt ist die sprachliche Grundlage aus der sich später Isländisch und Norwegisch entwickeln. Das ist nur logisch, denn Island wurde von Norwegen aus besiedelt. Die ostnordischen Sprachen sind die gemeinsame Grundlage für Schwedisch und Dänisch. Die Sprachen waren dabei nicht in dem Sinne abgegrenzt wie wir es heute kennen, wenn wir über
eine Landesgrenze fahren. Unterschiede in der Sprache waren eher schwammig und änderten sich regional nach und nach. Wenn man durch die Landschaft von Ort zu Ort gehen würde, würde man dies vmtl. zunächst kaum bemerken. Die Berührungspunkte der verschiedenen Dialekte waren dabei insoweit ähnlich, dass sich Isländer*innen immer noch mit Schwed*innen unterhalten konnten. Erst in der Zeit um 1100 begannen sich aus den Dialekten Dänisch und Schwedisch herauszubilden. Die Sprachen Norwegisch und Isländisch trennten sich etwa erst um 1300 voneinander. Das dann aber sehr deutlich.
Woher wissen wir das?
Die Wikinger haben uns Runeninschriften hinterlassen, anhand derer sich die Sprachen miteinander vergleichen lassen. Bis zum 8. Jahrhundert ist dabei das ältere Futhark in Gebrauch. Ein Runenalphabet aus 24 Buchstaben. Ab dem 8. Jahrhundert kommt dann das jüngere Futhark in Mode. Eine Schrift die nur noch 16 Runen kennt. Ein Problem der Sprachforschung: Es gibt in dieser Zeit Buchstaben, die gleich mehrere Laute bedeuten können. Gleichzeitig fehlen Buchstaben für wichtige Laute wie e und o, die es aber mit Sicherheit in der Sprache gibt. Das war für die Wikinger*innen nicht weiter tragisch, denn eine standardisierte Rechtschreibung, wie wir sie heute kennen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Man schrieb einfache so, wie man es für richtig hielt – für mich als Legasthenikerin, klingt das wie ein goldenes Zeitalter. Auch Satz und Leerzeichen
sind selten gewählte Mittel, sodass immer wieder fraglich ist, ob bei einer Übersetzung die Wörter an der richtigen Stelle getrennt wurden. Zumal es Runensteine gibt auf denen anscheinend Buchstaben die den Verfasser*innen nicht kannten in den Wörtern einfach fehlen. Das ist im Grunde so, als ob jemand den Buchstaben “B” nicht kennt, und ihn dann einfach auf dem Grabstein von Oma Berta weglässt. Die Übersetzung eines Runensteins ist also immer auch Auslegungssache. Da Runensteine oftmals sehr persönliche Zeugnisse über bestimmte Menschen sind, oder aber Urkunden darstellen handelt es sich um einen möglichen Verwirrungsfaktor bei der Betrachtung dieser Kultur. Doch finden sich Beschriftungen nicht nur auf Runensteinen, sondern auch auf einer Vielzahl von Gegenständen – von Schwertern über Kämme, bis hin zum Spazierstock. Wikinger*innen beschrifteten alles Mögliche.Bezieht die Sprachforschung die alten Sagas mit ein?
Ja, natürlich werden bei der Betrachtung der Entwicklung der Sprachgeschichte auch Sagas berücksichtigt. Bei diesen Texten handelt es sich um Romane, fantasievolle Prosa, mit einem pseudohistorischen Hintergrund, die überwiegend aus Island kommen. Doch bei der Betrachtung dieser Erzählungen gibt es Probleme. Sie entstehen erst relativ am Ende der Wikingerzeit. Die Edda von Snorri Sturluson wird beispielsweise erst zwischen 1179 und 1241 verfasst. Und das natürlich in der Sprache die in dieser Zeit gesprochen wird. Auch die Geschichten sind keine Originalwiedergabe der vergangenen 300 Jahre, sondern stehen im Kontext dieser Zeit. Im 11. Jahrhundert vollzieht sich in Skandinavien ein Wechsel hin zu einer Schriftkultur in der dann nicht nur Romane, sondern auch Verwaltungsaufgaben und ähnliches, schriftlich festgehalten werden. Für die Umsetzung wird weitestgehend das lateinische Alphabet
verwendet, aber mit zwei Buchstaben ergänzt, um alle skandinavischen Laute niederschreiben zu können. Es ist der gleiche Zeitraum, in dem man nach und nach aufhört von Wikingerkulturen zu sprechen. Die Geschichten der Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden beginnen. Dabei handelt es sich für die durchschnittliche Landbevölkerung um keinen großen Umbruch. Es ist eher eine Entwicklung die nach und nach aus der Zeit heraus entsteht. Ein weiteres Problem bei der Betrachtung der Sagas ist: Zwar wurden sie in dieser Zeit verfasst, aber die ältesten erhaltenen Abschriften dieser Texte sind vergleichsweise jung. Das älteste Exemplar der Heimskringla stammt beispielsweise aus dem 17. Jahrhundert. 500 Jahre abschreiben heißt aber auch 500 Jahre stille Post spielen, in denen sich eine Saga und auch die dargestellte Sprache verändert haben kann. Das sind Faktoren, die einen Unsicherheitsfaktor darstellen bei der Rekonstruktion dieser frühmittelalterlichen Sprachen.
Ab wann sprechen wir von den modernen skandinavischen Sprachen?
Bei der schwedischen und der dänischen Sprache ist das ähnlich wie im deutschen, mit der ersten Bibelübersetzung im 16. Jahrhundert, der Fall. Die Idee das Wort Gottes nicht mehr auf Latein zu verkünden hat auch diese Regionen der Welt erfasst. Auch hier wurde so das erste Mal ein Buch in einer Hochsprache verfasst. Norwegen war erst ab 1814 unabhängig. Erst zu diesem Zeitpunkt wird hier eine erste Hochsprache aus den regionalen Dialekten gebildet. Ein skandinavisches Land fehlt bislang in der Betrachtung: Finnland. Die finnische Sprache hat keine gemeinsamen skandinavischen Wurzeln, und in Finnland sind Wikinger auch weitestgehend unbekannt. Es handelt sich um eine gesonderte Entwicklung einer Sprache die am ehesten mit dem ungarischen vergleichbar ist.
Eins noch: die Wikinger waren ja auch anderswo um sich niederzulassen, gibt es davon sprachliche Spuren?
Runeninschriften finden sich überall dort wo Wikinger gewesen sind. Beispielsweise hinterließ ein Wikinger namens Halfdan ein Graffiti in der Hagia Sophia. Einzelne
Brocken der altnordischen Sprache haben es durch viele Kontakte bis heute auch in anderen Sprachen überlebt. Zum Beispiel in England. Hier hat es eine phasenweise Herrschaft dänischer Wikingerkönige gegeben. Und aus dieser Zeit gibt es einige Worte, die bis heute in der englischen Sprache verwendet werden. So kommt die Bezeichnung Window für Fenster oder auch das Wort Birth für Geburt ursprünglich aus dem altostnordischen Sprachgebrauch.
Und für alle die nun wirklich tief in das Thema einsteigen wollen: Die Uni Leipzig hat für ein Seminar über altnordische Sprachen eine Literaturliste Online gestellt, mit deren Hilfe man sich schlau lesen kann:
https://home.uni-leipzig.de/histspra/SS%202019%20Homepage/04-040-2003%20Entwicklungsstufen…%2004-040-2004%20historische%20Variet%C3%A4ten/Altnordisch%20-%20Literatur.pdf
Literatur:
Jesse Byock: Altnordisch 1 – Die Sprache der Wikinger, Runen und isländischen Sagas, Los Angeles 2017.
Arnulf Krause: Runen. Geschichte – Gebrauch – Bedeutung, Wiesbaden 2017.
http://zbsa.eu/zbsa/publikationen/neu-erschienen/helgoe-revisited
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