Als ich mit dem Studium begonnen habe ich oft Sachen zu hören bekommen: “Wie willst du den damit Geld verdienen?”, “Was willst du denn damit machen?”. “Werd’ doch gleich Taxifahrer!”, und “Du bist der Hartz-IV-Empfänger von morgen” sind nur einige Beispiele. Das sind die typischen Fragen und Aussagen, die sich jeder Student eines etwas kleineren Faches über kurz oder lang anhören muss. Ich für meinen Teil, habe mich meistens einfach geweigert diese Gespräche weiterzuführen. Heute frage ich mich allerdings oft, was die Menschen eigentlich machen, die dieses Fach nicht studiert haben? Vor allem, wenn es ein Problem gibt. Und für alle, die es unverständlich ist, warum es so leicht fallen kann, diese Fragen und Aussagen zu ignorieren. Und für alle, die sich im Alltag damit konfrontiert sehen, habe ich hier meine persönlichen 10 guten Gründe Archäologie zu studieren:
10. Die Wahrnehmung für “Zeit” ändert sich
Im Studium kommt es vor, dass Vergleiche angestellt werden, die sich über Jahrhunderte oder Jahrtausende ziehen. Es ist ein jonglieren mit Orten und Zahlen, an deren Ende zeitliche Dimensionen stehen, die außerhalb der Vorstellungskraft liegen. Irgendwann kommt dann zweifellos der Moment, an dem man nicht nur seine eigene zeitliche Begrenztheit auf diesem Planeten zu begreifen beginnt. Denn die Epochen,
die betrachtet werden, sind um einiges älter als wir selbst jemals werden können. Das Fach Archäologie hat in diesem Sinne also die Kraft, den Menschen in einer größenwahnsinnigen Zeit zurück auf den Teppich zu holen. Bei vielen Diskussionen fängt man an mit den Schultern zu zucken und zu denken “in 200 Jahren kräht da kein Hahn mehr nach”. Und in der Archäologie sind 200 Jahre ein Wimpernschlag. Man lernt also sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
9. Kombinationsgabe wie bei Sherlock Holmes
Beim ZDF wurde jahrelang von den “Detektiven der Geschichte” gesprochen. Und tatsächlich ist das Ermitteln eines Forschungsergebnisses in der Archäologie oft Detektivarbeit. Auf den verschiedensten Wegen werden Dinge miteinander verglichen, Einzelheiten und Details gesammelt um offene Fragen zu lösen. Fundumstände, und interdisziplinäre Untersuchungen können in Kombination mit Vergleichen und scheinbar unbedeutenden Details ein Gesamtbild formen.
Man lernt also im Studium auf eine Art zu denken,die die Dinge miteinander verbindet und dabei gleichzeitig Quellenkritik zu tätigen, um die Wahrscheinlichkeiten von Korrelationen und Kausalitäten abzuwägen. So werden vergangene Kulturen entschlüsselt. Archäologie ist also ein Fach was die Kombinationsgabe alltäglich fördert.
8. Finden nicht Suchen
Oft stoße ich auf den Irrglauben, dass Archäologen Fundplätze suchen. Dabei geht es weniger ums Suchen als ums Finden. Der Unterschied dabei liegt in der Vorgehensweise. Die Existenz vieler Fundplätze ist bekannt. Da jede Ausgrabung aber eine Zerstörung bedeutet, werden die Fundplätze erst bei drohender Zerstörung untersucht.
Für ein geschultes Auge ist es oft möglich einen Fundplatz zu erkennen, ohne das eine Untersuchung angestellt werden muss. Auch wenn nicht zwangsläufig klar ist worum es sich bei dem Fundplatz handelt. Die Spuren, die Menschen hinterlassen, grenzen sich oft optisch von natürlichen Phänomenen ab. Die Archäologie bringt einen also dazu, die eigene Umwelt mit ganz neuen Augen zu sehen.
7. Aus der Geschichte lernt man nichts
Das würde ich so behaupten. Denn wenn wir aus der Geschichte gelernt hätten, dann würden wir mit Flüchtlingen besser umgehen. Dann würden wir die Umwelt besser schützen und vor allem ganz anders miteinander kommunizieren. Aus der Geschichte lernt man nichts, solange man sie nicht begreift. Und das Archäologiestudium ist ein Weg Geschichte zu begreifen. Denn die Archäologie macht Geschichte greifbar.
6. Alles was du weißt kann morgen schon falsch sein
Alles was als allgemein gültig und richtig gilt, kann mit einem neuen Fund widerlegt werden. Man übt im Studium also sehr flexibel zu sein, denn der Mensch an sich hat nicht ansatzweise soviel Wissen wie er glaubt. Das ist auf der einen Seite sehr spannend, denn die Forschungsgeschichte wird dabei immer zum Spiegel der vorangegangenen Gesellschaften, der letzten 250 Jahre.
Auf der anderen Seite ist es sehr anstrengend sich auf dem Laufenden zu halten und sich mit immer neuen Ergebnissen vertraut zu machen. Gerade wenn die geistige Haltung einiger Kollegen nicht zum partizipieren einlädt. Aber dieser Umstand führt letztendlich dazu, das man sein Gehirn darauf trainieren kann Sachen aus vielen und immer neuen Perspektiven zu betrachten, und das hilft einem auch im Alltag weiter.
5. Know how über Know how
Sich Know how fachfremder Regionen anzueignen ist eine der spannendsten Punkte des Faches. Das in der Archäologie benötigte Know how geht in alle Richtungen wissenschaftlichen und auch handwerklichen Geschicks. Ob es sich um die botanische Auswertung von Pflanzenresten, die Aufprallgeschwindigkeit von wikingerzeitlichen Pfeilen, die Statikberechnung eines jungsteinzeitlichen Hausdaches, oder auch um die bodenkundlichen Umstände als taphonomischen Faktor bei der Auswertung der medizinischen Analyse eines Toten auf irgend einem X-beliebigen Schlachtfeld handelt. Es gibt keine Untersuchung, die ohne interdisziplinäre Analyseverfahren auskommt. Dies kann einem gerade zu Beginn des Studiums einen großen Schrecken einjagen, da man die Sorge hat, dass das eigene Gehirn nicht ausreicht um sämtliche Handwerkstechniken und wissenschaftliche Disziplinen aller Zeiten zu beherrschen.
Aber keine Sorge, es gibt für alles Experten und bei einer interessanten Fragestellung ist die Kommunikation mit diesen oftmals sehr partizipativ und lehrreich, und dadurch oft hochinteressant und faszinierend für alle Seiten. Nicht zuletzt lernt man dadurch eine ganze Menge aus allen möglichen anderen Berufsbereichen. Für eine Arbeitgeber wird man dadurch später attraktiv, denn man ist so eine Art eierlegende Wollmilchsau, jemand der einfach unglaublich vielfältige Sachen kann. Das heißt man kann auch in ganz anderen Bereich als in der Archäologie Arbeit finden.
4. Interpretation und Diskussion können alles in Frage stellen
Viele archäologische Befunde müssen immer wieder diskutiert werden. Dies ist ein Punkt der vor allem an Universitäten und auf Tagungen stattfindet. Meiner Meinung nach ist dies leider nicht stark genug ausprägt. Denn oftmals finden diese Diskussionen in einem zu eng gesteckten Rahmen statt. Ziel der Diskussion ist es die Interpretationen zu überprüfen und evtl. veraltete oder wiederlegte Diskurse innerhalb der wissenschaftlichen Theorien zu entlarven.
Diese Diskurse sind oftmals unbewusste Merkmale unserer eigenen Lebensrealität, die wir mit in die Interpretation hineinbringen. Um diese Punkte zu finden kann man in einem guten Archäologiestudium lernen wie eine hintergründige Diskussion funktioniert. Diese Fähigkeiten helfen einem im weiteren Leben, da sie einen zur Selbstreflektion anhalten.
3. Respekt kann man lernen
Irgendwann im Laufe des Archäologiestudiums kommen alle an den Punkt, an dem er*sie bemerken, dass die meiste Zeit des Tages darin besteht, sich mit Menschen auseinander zu setzten, die gestorben sind, lange bevor man selbst geboren wurde. Dieser Punkt kann stellenweise frustrierend sein. Aber er enthält eine wichtige Botschaft: Auch diese Menschen haben Respekt verdient. Alle Menschen haben Respekt verdient. Gerade diejenigen die wir niemals kennen lernen werden, weil sie lange vor unser Geburt gestorben sind. Ihre Lebensrealität ist genauso wichtig wie unsere eigene.
Sie ging unserer Welt voraus und ist quasi einer der vielen Vorläufer der Welt, in der wir heute leben. Ohne Sie gebe es kein heute. Zu lernen tiefen Respekt für diese Menschen zu empfinden hilft auch dabei, mit den eigenen Mitmenschen respektvoll umzugehen. Man lernt erst zuzuhören und dann zu urteilen. Denn bis man z. B. ein Skelett entschlüsselt hat dauert es. Man lernt seine eigene Fehlbarkeit bei diesen Untersuchungen kennen. Man lernt andere nicht vorzuverurteilen.
2. Ohne Empathie keine Interpretation
Eine der wichtigsten Dinge die man im Laufe des Archäologiestudiums lernt ist Empathie. Das bedeutet, dass man sich in einen anderen Menschen hinein versetzen kann. Das Problem ist, dass es einerseits zur Unwissenschaftlichkeit der eigenen Arbeit führen kann. Andererseits ist diese Empathie ab einem gewissen zeitlichen und kulturellen Abstand eine schwere Aufgabe. Zwar ist jede Empathie eine Vermutung, doch das besondere an dieser Form der Empathie ist, dass sie ohne Rückmeldung funktioniert.
Gerade durch diese Umstände wird die Empathie gegenüber Menschen und Kulturen, die man selbst nicht versteht gut trainiert. Und das ist sicherlich eine wichtige Übung für die Herausforderungen die der globalen Gesellschaft heute und in naher Zukunft bevor stehen. Es ist offensichtlich – es gibt überall Kriege und Menschen verstehen sich nicht miteinander. Empathie lernen ist Teil davon diese aufgeheitzte Stimmung zu beruhigen um in Zukunft Lösungen finden zu können. In der Archäologie kann man das lernen.
1. Wie will ich selber leben!?
Diese Frage ist die für mich allerwichtigste während des Archäologiestudiums gewesen. Unzählige vergangene Kulturen beweisen, dass es eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt wie das Zusammenleben und eine Gesellschaft funktionieren könnten. Die menschliche Vergangenheit ist geprägt von sozialer und individueller Vielfältigkeit. Leben die offensichtlich gelebt worden sind und die in ihrem eigenen Sinne auch erfolgreich und lebenswert waren. Hieraus entwickelt sich unweigerlich die Frage, wie man selbst eigentlich leben möchte.
Durch die Beschäftigung mit der Archäologie wird einem irgendwann klar, dass man sich das im Grunde genommen aussuchen kann, solange man Verbündete findet. An dieser Stelle entsteht Gesellschaftskritik und diese Zukunftsorientierung ist das wichtige Element der Wissenschaft Archäologie. Der Schlüssel ist, zu wissen, dass es Vielfalt gibt, dass diese gegen Einfalt hilft und einen Wissensschatz umfasst, mit dessen Erfahrungen wir selbst ein erfülltes Leben haben können. Und ein erfülltes Leben ist unbezahlbar.
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Natürlich gibt es viele Gründe dieses Fach zu Studieren. Das man irgendwie dauernd Teamwork macht ist für die einen der Grund, dass man sich innerhalb des Faches selber stark ausprobieren kann für die anderen. Reich zu werden ist allerdings kein guter Grund, denn das wird nicht passieren. Aber die reine Faszination reicht oftmals aus sein Glück zu finden. Und glücklich werden, dass ist doch ein toller Grund zum studieren. Ich denke auch, dass es viele Leute gibt, die dieses Fach anders verstehen. Wenn dir also noch mehr Gründe einfallen, oder du eine tolle Kritik vorbringen kannst, dann freue ich mich auf tolle Diskussionen unten im Kommentarbereich.
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Tolle Gedanken, die sicher vielen Lust machen werden dieses Studium aufzunehmen. Und zwar nicht nur den aktuellen Abiturienten! 🙂
Danke für die Rückmeldung!
Tatsächlich lohnt es sich sich mit Kulturwissenshaften auseinander zu setzen. Und wenn nur für die eigene geistige Reife. Selbst wenn man gar nicht studiert 😉
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Mahlzeit,
also diese immer wieder kommenden Argumente, “damit kannst du doch später kein Geld verdienen” gehen mir inzwischen auch dermaßen auf den Senkel! Das weiß man vorher doch nie so richtig! Und selbst wenn man dann später nicht im eigentlichen Fach unterkommt, kann man mit einem abgeschlossenen Studium immer noch gut quereinsteigen! Schließlich hat man gelernt zu lernen und die gelernte “Denke” hilft auch auf anderen Gebieten!
Also weiter viel Erfolg und Spaß bei deiner Arbeit!!
Das denke ich auch immer, leider hatte ich bislang kein Glück mit einem Quereinstieg irgendwo