Die Aschesäule am Bundestag hinterlässt uns eine Frage:
Was ist angemessen?

Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS), hat schon so manches Mal für Aufsehen gesorgt. Und bislang, konnte ich den Humor dahinter, oder die Aussagen immer verstehen. Doch als die Gruppe vor 2 Tagen eine Aschesäule vor dem Bundestag errichtet hat, hielt sich dieses Verständnis in Grenzen. Der Grund: Die Säule ist gefüllt mit den Überresten von Menschen, die Opfer der Shoah geworden sind. Es sollte damit Aufmerksam gemacht werden auf so viele Dinge, auf die auch dringend aufmerksam gemacht werden sollte. Darauf, dass die Opfer der NS-Zeit immer mehr in Vergessenheit geraten. Darauf, dass es Orte des Schreckens gibt, bei denen nicht bekannt ist, wo sie sich befinden. Darauf, dass es viele Bereiche dieser Schreckenszeit gibt, die nie aufgeklärt wurden. Und auf vieles Mehr. All diese Punkte kann ich unterstützen. Und doch schockierte mich diese Aktion zutiefst.

Metallsäule vor dem Bundestagsgebäude. Die Säule staht af dem Platz für dem Reichsatg. Sie ist zu teilen mit einerm schwarzen Stoff verhüllt.

Mittlerweile wieder verhüllt: Die Säule vor dem Bundestag (Foto: ZPS)

Mein Gedanke dazu ist: Menschenreste haben Respekt verdient. Die Frage inwieweit man die Gebeine eines verstorbenen präsentieren und zeigen darf, ist für jede Epoche immer eine wichtige Frage. Denn Tote können sich nicht dagegen währen, wie wir sie behandeln. Wir wissen nicht, ob es in ihrem Sinne geschieht. Hinzu kommt, dass eine solche Darstellung wie in solch einer Säule dazu geeignet ist die Menschen wieder zu einem Objekt zu machen. Und mit wieder meine ich, dass diese Menschen Opfer einer Zeit geworden sind, in denen mit ihnen Umgegangen wurde, als wären sie Objekte. Den Vorwurf einer solchen Darstellung kann man an vielen Stellen machen. Meine Abschlussarbeit habe ich über die archäologischen Methoden zur Erforschung von NS-Lagern geschrieben. Dabei stieß ich zum ersten Mal auf dieses Phänomen. Die zahlreichen Fotos, die nach der Befreiung der Lager gemacht wurden, von halbtoten und toten Menschen, auch sie zeigen sehr oft dieses Bild. Auch, wenn dies vermutlich nicht beabsichtigt war. So gibt es zum Beispiel Bilder von Krankenschwestern, die die Opfer dieses Grauens versorgen. Die Schwestern werden dabei aktiv gezeigt, wie sie ihre Arbeit machen. Die Betroffenen sind auf diesen Bildern aber oft hilflos und auch unnötiger wiese nackt oder in Lumpen gekleidet dargestellt, als wären es immer noch keine Individuen. Diese Bilder haben uns alle geprägt. Seit dem mir dieser Aspekt des Gedenkens klar geworden ist, ist es mir ein Anliegen immer daran zu erinnern, dass die Opfer der Shoah Individuen gewesen sind. Menschen die genauso schlau, liebenswert, blöd, mit eignen Marotten und mit eigenen Vorlieben ausgestattet gewesen sind wie ich. Millionen einzelner Geschichten von Menschen, die Akteure ihres eigenen Lebens gewesen sind und eben keine Objekte. Und genau mit dem Respekt und der Liebe, die jeder andere Mensch auch verdient hat, sollten sie und auch ihre Asche behandelt werden.

nichts, weises Bild, kein Inhalt, keine Abbildung

Aus Respekt möchte ich an dieser Stelle kein Bild zeigen.

Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt. Es ist gut möglich, dass ein großer Teil der Asche, die vor dem Bundestag aufgestellt wurde, die Asche jüdischer Menschen ist. Im Judentum ist es ohnehin nicht angemessen Tote zu verbrennen, denn die Körper werden für die Wiederauferstehung noch gebraucht. Zusätzlich ist es undenkbar ein Grab zu exhumieren. Dieser Umgang ist respektlos gegenüber dieser religiösen Auffassung. Deswegen bin ich dafür, dass diese menschlichen Überreste eine Bestattung bekommen, bei denen verschiedene Vertreter der möglichen Opfergruppen anwesend sind. Eine liebevolle und respektvolle Bestattung. Das ZPS schreibt in seiner Entschuldigung, dass sie sich fragen, was sie nun tun sollen. Ich halte das für einen angemessenen Umgang in dieser Situation. Dass das ZPS sich entschuldigt hat und jetzt nach einem angemessenen Umgang fragt, zeugt von sehr viel Größe.

Pergamentblatt mit der Aufschrift: Was ist angemessen?

Aber ich muss auch sagen: Das ZPS hat zu Teilen recht mit dieser Aktion mit der Überschrift “sucht nach uns!”. Vergessene Orten liegen dicht unter der Erdoberfläche, unbekannte Massengräber, unbekannte Lager, unbekannte Stätten der Zwangsarbeit. Das sollte so nicht sein. Und tatsächlich finde ich, die Situation ist noch um einiges Bedrückender, denn es gibt ganze Außenlager deren Standorte vergessen wurden. In meiner BA-Arbeit berichtete ich über einen Fall, bei dem ein Förster im Wald einen Teich für Frösche anlegen wollte und dabei plötzlich auf die Reste eines Konzentrationslagers gestoßen ist. Eines der vielen Außenlager, die nur für eine Zeit und eine bestimmte Aufgabe existierten und die dann lange vor Ende des Krieges wieder aufgegeben und vergessen wurden. Eines der Lager in denen es Erschießungen gab. Was man weiß ist: irgendwo in der Nähe oder auch weiter weg, muss es noch ein Massengrab oder gleich mehrere geben, aber niemand weiß wo. Das einzige, was man sicher sagen kann, ist: hier irgendwo sind Menschen verschwunden. Von solchen Orten gibt es tausende. Erst Kürzlich berichtete ich von diesem Tatort:

Das Problem dabei ist nicht nur, dass viele glauben man wisse ja alles über das Dritte Reich, was nicht stimmt. Die Problematik ist auch nicht, dass viele glauben, wir hätten genug für die Erinnerungskultur getan, was meiner Meinung nach auch nicht stimmt. Das Problem ist tatsächlich; diejenigen, die für den Umgang mit solchen Bodenfunden zuständig sind, sind Archäolog*innen. In der Ausbildung und im Studium kommen Themen wie Lagerarchäologie aber selten bis gar nicht vor, mit der Ausnahme einiger Universitäten. Tatsächlich gibt es diese Reste aber überall und die Fragen, die sich jetzt das ZPS stellen muss, tauchen in der Archäologie immer wieder auf. Und das ganz ohne eine angemessene Ausbildung. Zwar gibt es mittlerweile einige Expert*innen auf diesem Gebiet, aber diese sind rar gesät.

Maschendrahtzaun vor KZ Baracken auf einer grünen Wiese

Lager hinter einem Zaun (Foto: Broitman)

Tatsächlich hätte ich mich selber sehr gerne auf genau dieses Themenfeld spezialisiert, bin aber aufgrund der Arbeitsmarktsituation davon abgerückt. Denn für diese Arbeit, die sehr viel Verantwortungsbewusstsein, Kraft und mentale Stärke erfordert gilt: Arbeit gibt es mehr als genug – Es gibt nur niemanden der sie bezahlt. Dabei braucht es gerade auf diesem Fachgebiet kompetente und zuverlässige Archäolog*innen, die sich speziell mit dem Umgang der Überreste der Shoah auseinandersetzen und für jeden Einzelfall eine angemessene Lösung finden. Und das spätestens dann, wenn wieder ein Förster in seinem Froschteich ein KZ findet. Denn wie geht man mit so etwas richtig um? Mein Eindruck ist, dass diese Frage auch innerhalb der Archäologie immer wieder weggeschoben wird. Das man sich auf die schönen Bodenfunde konzentriert und z.B. die Nebrascheibe feiert. Aber das ändert nichts daran, dass wir eben auch Spuren von schrecklichen Abschnitten unserer Geschichte im Boden finden. Und auch mit diesen müssen wir uns beschäftigen. Meiner Auffassung nach sollten für diese Aufgabe Arbeitsplätze geschaffen werden. Und deswegen hoffe ich, dass die Aktion des ZPS zumindest den Effekt hat, dass ein Nachdenken darüber entsteht, wie wir mit Tatorten und mit den Überresten der Opfer der NS-Zeit umgehen.

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Literatur:

Stellungnahme des Zentrums für Politische Schönheit: https://politicalbeauty.de/

(Wer meine BA-Arbeit lesen möchte kann sich gerne melden, ich stelle sie auf Anfrage zur Verfügung)

2 Gedanken zu „Die Aschesäule am Bundestag hinterlässt uns eine Frage:
Was ist angemessen?

  1. Sehr geehrte Miss Jones, die zentrale Frage Ihrer Überlegungen scheint zu sein: Wie geht man mit den Überresten der Opfer der Shoah um? Ihren Überlegungen kann ich mich weitgehend anschließen. An einem Punkt muss ich Ihre Überlegungen jedoch anzweifeln. Sie schreiben, dass es undenkbar im Judentum sei, ein Grab zu exhumieren. Da habe ich bei meinen Nachforschungen über die jüdische Gemeinde in Neuruppin/Brandenburg ein Gegenbeispiel gefunden.
    1816 haben die ersten jüdischen Familien, die sich in Neuruppin niederließen, einen Friedhof angelegt. Acht Jahre später reklamierte die Stadt das Gelände für sich und der Friedhof musste aufgegeben werden. Mit Billigung des zuständigen Rabbiners wurden die bereits Bestatteten exhumiert und auf einem neu angelegten Friedhof erneut beigesetzt.
    Vielleicht ist dies auch die Lösung für das aktuelle Problem: Die Zusammenarbeit mit jüdischen Autoritäten, die ebenfalls ein Interesse daran haben, dass die Geschichte der Shoah erforscht wird.
    Dieses Problem stellt sich meiner Ansicht nach bei den frühen/wilden Konzentrationslagern nicht. In ihnen wurden in der Regel Regimegegner und persönliche Feinde der Wachmannschaft gefangen gehalten oder sogar ermordet. Die religiösen Rücksichtnahmen greifen hier meiner Ansicht nach nicht. Was jedoch immer greift ist der Respekt vor den Toten, was ein Ausstellen ihrer Überreste unmöglich machen sollte.

    • Erstmal Moin!

      Und danke für deine Rückmeldung. Ich denke du hast zu weiteren teilen Recht. Ich sehe aber auch, dass es eben sehr unterschiedliche Gräber gibt. Also das es zu jedem eines solchen Falles einer Recherche bedarf, welche Bestattungsmethode in Betracht kommt. Also das meinte ich mit individueller Entscheidung für jeden Einzellfall. Denn manchmal haben wir auch Gräber wo mehrerer Gruppen gemischt drinnen liegen.

      Ich wünsche Herzliche Grüße!

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