Es war einmal ein Sondengänger…

Wie transformieren wir Faszination in wissenschaftliches Interesse?

Gastbeitrag von Pascal Geiger

Pascal Geiger ist u.a. ehrenamtlicher Mitarbeiter beim LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, sowie Webmaster und Beirat der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte. Und wenn er nicht gerade an etwas IT-technischem tüftelt, gilt sein Interesse insbesondere der Beziehung zwischen Laien / Ehrenamtlichen und professioneller Archäologie. In seinem Gastbeitrag legt er seine persönliche Meinung dar und freut sich über Austausch

Wenn ich ein wenig an meine ersten Berührungspunkte mit der Archäologie zurückdenke (und allzu lange ist das noch gar nicht her), dann wundert mich die Entwicklung schon ein Bisschen.

Wie war es eigentlich möglich, dass aus meinem ursprünglichen Interesse für die Schatzsuche ein Interesse an der Mitwirkung in archäologischer Fachpolitik wurde? Wieso habe ich eigentlich mein -wenn man so will- „wochenendliches Abenteuer“ für Vereinsarbeit am Schreibtisch aufgegeben? Und wie zur Hölle ist es nur dazu gekommen, dass ich den spannenden Begriff „Schatz“ gegen die überaus langweiligen Begriffe „Hortfund“ und „Kulturerbe“ ausgetauscht habe?

Aus meiner Faszination für Archäologie ist ein wissenschaftliches Interesse und Verständnis für die archäologischen Wissenschaften erwachsen. Mehr noch: In diesem Rahmen bin ich heute mittlerweile vielseitig ehrenamtlich tätig und damit übrigens auch kein Einzelfall. Ich meine deshalb, dass sich diese Faszination, die viele Menschen für Archäologie empfinden, auch in ein wissenschaftliches Interesse transformieren lässt.
Ist Archäologie langweilig?

Würde man danach fragen, was die Menschen mit dem Begriff „Archäologie“ verbinden, so unterstelle ich, dass mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit die Begriffe: Ausgrabung, Schatzsuche und Abenteuer fallen. Begriffe, die gerne mit einigen Superlativen kombiniert, ebenso in den Medien zum Thema Archäologie verwendet werden. Das gefällt nicht immer.

Eine erneut aufkommende Suche nach dem Bernsteinzimmer oder der nächste Zeitungsartikel zu einem „Schatzfund“ lässt sich von manchem Archäolog*innen deshalb vermutlich kaum noch ertragen. Auch hier kann ich mittlerweile ein Standard-Repertoire an Kritikpunkten zitieren:

• „Na toll, mal wieder kein Wort über den Fundkontext.“
• „Na toll, mal wieder kein Wort über die Genehmigungspflicht (bei Sondengänger*innen).“
• „Es gibt keine Hobby-Archäologen. Schließlich gibt es auch keinen Hobby-Chirurg!“
• „Das vermittelt mal wieder ein völlig falsches Bild von Archäologie!“
Entsprechend frage ich mich, wie denn nun ein idealer Zeitungsartikel im Sinne des
archäologischen Fachs eigentlich aussähe. Wie wär‘s damit:
• Begriffe, wie „Sensation“ werden in Zeitungsartikeln durch „Interessanter
archäologischer Befund“ geändert
• Über den Befund wird durchweg wissenschaftlich und sachlich berichtet
• Der Begriff „Befund“, respektive „Fundkontext“ wird im Anschluss umgehend erklärt
• Wiederum im Anschluss wird dessen Wichtigkeit in den Vordergrund gestellt
• Zuletzt noch ein paar Worte zu Raubgräbern, um die Leser zu sensibilisieren

Natürlich übertreibe ich hier. Aber gerade diesen Vergleich braucht es vielleicht. Das eine Extrem erleben wir nämlich häufiger: Aufreißerische Beiträge mit vermeintlich  unglaublichen Sensationsfunden, tollen Fotos, allerdings nur drei Worten zur Bedeutung und zack, fertig ist ein Beitrag, der viele Leser*innen verspricht. Das andere Extrem wäre eben ein Beitrag, wie oben beschrieben und damit vermutlich weit weniger erfolgsversprechend. Er wäre (für die Otto Normalverbraucher*innen) eher langweilig, bzw. ich behaupte, dass er deutlich weniger Leser*innen gewinnt.

Ja ist die Kritik etwa nicht berechtigt?

Halten wir zunächst einmal fest: Die archäologische Wissenschaft, beispielsweise im Gegensatz zur chemischen Wissenschaft, produziert leider nichts, aus dem sich wirtschaftlich viel machen ließe. Und wer hier jetzt auf die Idee kommt mir Museen und archäologische Pfade als Tourismus-Faktor zu verkaufen, dem setze ich einfach einen dicken fetten Pharmakonzern wie Bayer vor die Nase und bitte ihn dann nochmals um einen wirtschaftlichen Vergleich zwischen Chemie und Archäologie. Machen wir uns nichts vor: Wirtschaftlich ist Archäologie kaum verwertbar. Hier besitzt sie keine ernstzunehmende Lobby.

Die aus öffentlicher Perspektive einzig bestehende Daseinsberechtigung archäologischer Wissenschaft ergibt sich aus unserem allgemeinen Konsens darüber, dass unsere eigene Geschichte erhalten und erforscht werden soll. Wir suchen stets die Antwort auf die Fragen, wer wir sind und woher wir kommen. Archäologie kann hier (neben anderen) einige Antworten liefern. Daraus ergibt sich auch der allgemeine Konsens, dass unsere Geschichte uns nicht alleine gehört. Sie soll auch für nachfolgende Generationen erhalten und erforscht werden können. Dieser Konsens ist die Basis unserer Denkmalschutzgesetze.

Die einzige Lobby, die die Archäologie hat, ist also die Öffentlichkeit. Mir es scheint so, dass manche Archäolog*innen sich aber nicht mehr dessen bewusst sind, dass die Öffentlichkeit überwiegend aus Otto Normalverbraucher*innen besteht. Ich bin mir sogar sicher, dass viele Archäolog*innen vergessen haben, dass auch die eigene Faszination an Archäologie nicht durch den Wunsch am „Erhalt des gemeinsamen Kulturerbes“ entstanden ist. Es ist wohl eher der nackte Aufprall unserer Welt mit der damaligen, der uns fesselt. Ein Beispiel: Der Anblick steinzeitlicher Höhlenmalerei und die unmittelbar erfahrbare Erkenntnis, dass wir eine lange Geschichte hinter uns haben, lässt uns regelrecht staunen.

Es ist Segen und Fluch zugleich. Archäologie lebt davon spannend und unterhaltsam zu sein. Wer mit ein*er Archäolog*in am Tisch sitzt, wird immer ein spannendes Gesprächsthema finden. Hier schneidet der Pharmakologe von Bayer eher schlecht ab. Zugleich ist Archäologie aber eben nicht nur Schatzsuche, Sensation, Abenteuer und „spannend“, sondern auch Wissenschaft und Broterwerb. Selbstverständlich besteht daher auch ein Interesse der Archäologie daran, dass das Image des Archäologen in der Öffentlichkeit nicht zum Romantiker oder Indiana Jones verkommt, der seinem Hobby nachgeht.

Der erhobene Zeigefinger

Bringen wir nun den Titel wieder ins Spiel. Wie schaffen wir es die „Faszination“, die viele Menschen für Archäologie empfinden, in ein Interesse an und/oder Verständnis für archäologische Wissenschaft zu transformieren? Wie kommen wir weg von Indiana Jones zu Albert Einstein?

Wenn es in der Archäologie darum geht aktiv werden zu wollen, statt nur die Früchte der Archäologie zu konsumieren, wird es kritisch. Auf der DGUF Jahrestagung 2018 in München wurde u.a. die Frage diskutiert, ob die Archäologie mit Sondengänger*innen zusammenarbeiten sollte. Ehrlich gesagt bin ich immer wieder überrascht, dass danach noch gefragt wird, denn ich sehe keine Alternative – zumindest nicht, wenn man vor hat (Boden-)Denkmäler effektiv zu schützen. Ein genereller Ausschluss oder ein nur sehr beschränktes Angebot der Zusammenarbeit führt unweigerlich dazu, dass der größte Teil illegal dem Hobby nachgehen und nichts melden wird. Und damit hat die Archäologie absolut nichts unter Kontrolle. Das Ausmaß an Zerstörung wäre um ein Weites größer. Das verursacht bei so manchem Zähneknirschen. Ich habe den Eindruck, dass viele Archäolog*innen das Interesse an Schatzsuche nicht nachvollziehen möchten. Sie halten es stattdessen für selbstverständlich, dass alle ein höher gelagertes Interesse am Erhalt des gemeinsamen Kulturerbes haben oder dieses mindestens uneingeschränkt einsehen müssten.

Dass bei vielen aber zunächst Begeisterung und Faszination im Vordergrund steht und eben nicht unbedingt Habgier und Ignoranz, fällt meinem Eindruck gemäß nicht jedem auf. Tatsächlich können die Otto Normalverbraucher*innen mit Begriffen wie „Gemeinsames Kulturerbe“ oder „Fundkontext“ erst einmal gar nichts anfangen, noch wird ihnen diese Wichtigkeit bewusst sein. Möchte man jedoch ein echtes Bewusstsein hierfür schaffen, reicht es meines Erachtens nach nicht aus, in etwaigen Artikeln immer wieder auf den Fundkontext, dessen Wichtigkeit und auf Raubgräber hinzuweisen. Wenn ich solche Beiträge lese, wirken diese auf mich, wie ein erhobener Zeigefinger und Hilferuf zugleich. Auf der einen Seite möchte man um jeden Preis verhindern, dass noch mehr Leute auf die Idee kommen Schatzsucher*innen zu werden und auf der anderen Seite immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es sich bei Archäologie nicht um Schatzsuche, sondern um Wissenschaft handelt.

Mein Wunsch

Ich hingegen halte das Interesse an Schatzsuche für sehr nachvollziehbar. Es ist etwas
Besonderes einen Gegenstand zu finden und ihn als erste*r nach hunderten oder gar tausenden von Jahren in den Händen zu halten. Wer staunt da nicht? Und wenn Sie, als mittlerweile etablierte/r Archäologe/in ehrlich sind, dann ist es auch dieses Staunen, was Sie zu Ihrem Studium bewegt hat und nicht der unbedingte Wunsch danach 5000 Scherben zu sortieren.

Unproblematisch ist es deswegen aber selbstverständlich nicht, denn dieses Staunen
entwickelt sich bei so manchem zu einem Rausch. Ich denke, es ist daher nicht immer die pure Ignoranz oder Habgier, die zur Zerstörung eines Fundkontextes führt, sondern oft auch ungebremste Begeisterung.

Was meiner Auffassung nach aber nicht gut funktioniert ist der Versuch dieser Begeisterung einen Deckel zu verpassen. Niemand lässt sich gerne einen Deckel verpassen. Stattdessen muss sie gelenkt werden. Hierzu ist gegenseitiges Vertrauen eine wichtige Basis und das beginnt am besten mit einem guten Gespräch und der gemeinsamen Freude für ein gemeinsames Interesse an Geschichte. Es beginnt mit einer offenen Einladung zur Teilhabe und dem Angebot auch die wissenschaftliche Archäologie kennenzulernen. Es beginnt vor allem aber nicht mit dem mahnenden, erhobenen Zeigefinger.

Das alles kostet viel Betreuungsarbeit und bedarf in der Amtsarchäologie an Personal und Geld. Das fehlt. In diesem Fall möchte ich den Amtsarchäolog*innen aber empfehlen: Binden Sie Ehrenamtliche, Sondengänger und andere Interessierte ernsthaft ein. Gründen Sie eine Interessenvertretung oder einen Verein. Informieren Sie transparent über die Situation und bitten Sie um Mithilfe, beispielsweise durch Teilnahme an einer Petition, um bei der Politik Gelder / Personal einzufordern. Ich bin überzeugt davon, dass Sie viel Unterstützung erfahren werden. Das halte ich für eine Basis „auf Augenhöhe“ und auf diese Weise werden Sie auch Verständnis für die Situation erhalten. Das setzt aber ebenso voraus, dass Sie ein ernsthaftes Interesse daran haben möglichst viele für eine legale und gute Zusammenarbeit zu gewinnen.

Ich selber hatte das große Glück stets vielen Archäolog*innen begegnet zu sein, die meine Begeisterung teilten und mir, so gut es ging, keinen Deckel verpassten. Stattdessen wurde ich eingeladen teilzuhaben und die archäologische Wissenschaft kennenzulernen. Daraus ist mein Wunsch erwachsen etwas ernsthaft Nützliches für die Archäologie zu leisten. Ich habe mich seinerzeit für ein Ehrenamt entschieden, die „Schatzsuche“ hinter mich gelassen und mich in den Wunsch „unser gemeinsames Kulturerbe“ zu schützen und zu bewahren verliebt.

Es wird nicht immer klappen. Es wird immer ignorante Raubgräber*innen geben, die ausschließlich ihren persönlichen Vorteil und nur ihr eigenes Gesetz anerkennen. In anderen Fällen wird ein vermeintliches Vertrauensverhältnis brechen. Daran darf es aber nicht scheitern. Ich wünsche mir, dass auch viele andere diese Erfahrung machen können und irgendwann nicht nur Faszination, Begeisterung und Rausch erfahren, sondern sich ein Stück weit in den Wunsch verlieben unsere Geschichte und ihre Zeugnisse erhalten zu wollen, daraus zu lernen und sie anderen zeigen zu können. Ob das gelingt hängt davon ab, ob Sie es schaffen überzeugend einzuladen und für Wissenschaft zu begeistern. Manchmal ist hier ein entspannter Umgang mit dem eigenen Image und ein Format, dass zunächst Spannung und Abenteuer verspricht, vielleicht der beste Zugang. Wie ein Blog mit dem Namen „Miss Jones“ zum Beispiel.

5 Gedanken zu „Es war einmal ein Sondengänger…

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