Gastbeitrag von Doris Gutsmiedl-Schühmann – die kennt ihr schon, zum Beispiel von ihrem Gastbeitrag über Margarethe Bieber. Sie Forscht z.B. im Projekt AktArcha. Also, schön, dass Doris wieder an Bord ist:
Als mich Miss Jones gebeten hat, für die Aktion Berufsfeld Archäologie zu Gleichberechtigung im Beruf zu schreiben, habe ich gerne zugesagt – nicht zuletzt, weil mich dieses Thema selbst immer wieder beschäftigt. Ich arbeite in der Wissenschaft, in Forschung und akademischer Lehre, und würde mir ein Arbeitsumfeld wünschen, in dem Chancen möglichst gleich verteilt sind. Leider ist das oft nicht der Fall – und oft ist es schwer, die Gründe dafür zu finden. Was wir aber sehen können, sind die Auswirkungen.
Chancen(un)gleichheit lässt sich bis zu einem gewissen Grad auch messen: Etwa, wenn Angehörige einer bestimmten Personengruppe einen Wissenschaftszweig von einer Karrierestufe zur nächsten überproportional stark verlassen. Das wird auch gerne „leaky pipeline“-Effekt genannt. Für Wissenschaftlerinnen ist dieser Effekt in allen Fächern nachzuweisen: In manchen mehr, in anderen weniger: doch immer sind es Frauen, die überproportional oft die Wissenschaft verlassen. Die Archäologien sind hier keine Ausnahme, wie uns Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. In den letzten 25 Jahren lag die Frauenquote in den archäologischen Studiengängen über alle Studierende hinweg regelhaft bei über 50%, überstieg aber nie die 60%-Marke. Der Frauenanteil bei den Studienanfänger*innen hingegen war immer höher als bei den Studierenden aller Semester: Dies lässt darauf schließen, dass mehr Frauen als Männer das Studium vorzeitig verlassen.
Ein Blick auf die DISCO II Studie
Nach dem Studium geht es leider mit den ungleich zwischen Männern und Frauen verteilten Karrierechancen weiter. Die länderübergreifend angelegte Studie „Discovering the Archaeologists of Europe II“ (DISCO II) 2012-2014 stellte für Deutschland fest, dass 43 % der im Beruf stehenden Archäolog*innen Frauen, 57% Männer waren. Damit ist die Frauenquote im Beruf im Vergleich zur ersten DISCO-Studie 2006-2008 zwar gestiegen – in dieser Erhebung waren nur 32,7 % der berufstätigen Archäolog*innen Frauen – doch von der Geschlechterverteilung unter den Studierenden sind diese Zahlen immer noch deutlich entfernt. Das lässt darauf schließen, dass nach dem Studienabschluss mehr Männer als Frauen den Weg in die archäologische Berufstätigkeit fanden.
Und noch ein weiteres interessantes Detail findet sich in der DISCO II-Studie. In dieser Studie wurden die Mitarbeitenden in archäologischen Institutionen und Organisationen in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe bildeten die Mitarbeiter*innen mit archäologischen Aufgaben, die zweite Gruppe bildeten Mitarbeiter*innen mit anderen, nicht-archäologischen Aufgaben. Die Beschäftigten in der ersten Gruppe sind zu 43% Frauen (siehe oben), die Mitarbeiter*innen in der zweiten Gruppe sind zu 63% weiblich. Es arbeiten in archäologischen Organisationen mehr Frauen auf Stellen mit nicht-archäologischen Aufgaben als auf Stellen für Archäolog*innen. Die Daten der DISCO-Studien wurden leider nicht detailliert genug erhoben, um abschätzen zu können, wie viele dieser Mitarbeiter*innen mit anderen, nicht-archäologischen Aufgaben selbst einmal ein archäologisches Fach studiert oder ein Archäologiestudium abgeschlossen haben. Mein persönlicher Eindruck ist jedoch, dass es eher Frauen sind, die diese Berufswege wählen. Vielfach bedeutet das zwar einerseits, dem Prekariat der Wissenschaft zu entkommen, und auf einen planbareren Berufsweg bauen zu können, andererseits heißt es in der Regel aber auch, von vielen, wenn nicht allen Aspekten archäologischen Arbeit Abschied nehmen zu müssen.
Nahezu jeder berufliche Werdegang in der Archäologie beginnt mit einem Studium. Daher ist es kaum möglich, über Gleichberechtigung und Chancengleichheit im Beruf zu schreiben, ohne auch auf die Studienbedingungen zu schauen.
Die Probleme beginnen schon im Studium
Archäologiestudiengänge wurden – wie andere Studiengänge auch – vor allem für Studierende entworfen, die sich ohne finanzielle oder familiäre Verpflichtungen, ohne Sorgearbeit oder ohne Sorge um die eigene Gesundheit voll und ganz auf ihr Studium konzentrieren können. Das entspricht bei einem Großteil der Studierenden jedoch schon lange nicht mehr der Lebensrealität: Die Toolbox Gender und Diversity in der Lehre der FU Berlin fasst dieses Problem in einem Erklärfilm gut zusammen.
Wer nicht in das Schema des unabhängigen Studierenden passt, versucht oft, diesen vermeintlichen Mangel mit Selbstausbeutung zu kompensieren, und verlegt – wenn möglich – die (über)lebensnotwendigen Nebenjobs in die Abendstunden oder aufs Wochenende. Häufig sind Studierende aus Arbeiter*innenfamilien, Studierende mit Migrationsgeschichte oder ältere Studierende davon betroffen. Zudem kann es sich nicht jede*r leisten, unbezahlte Praktika oder schlecht bezahlte Nebenjobs an Universitäten, in Museen oder Denkmalämtern zu übernehmen: Wer sich in einer teuren Universitätsstadt selbst finanzieren muss, braucht ein entsprechendes Einkommen. Je besser Studierende in ihren Nebenjobs verdienen, umso weniger Zeit müssen sie dafür aufwenden – und umso mehr Zeit bleibt für das Studium.
Der Bildungstrichter hat negative Auswirkungen auf die Forschungsqualität
Der Bildungstrichter des Hochschulbildungsreports 2020 zeigt eindrücklich, welchen weiteren Weg diejenigen Studiereden bereits zurückgelegt haben, deren Eltern keine Universität besucht haben: Sie werden dort als „Nichtakademikerkinder“ bezeichnet. Von 100 Nichtakademikerkindern beginnen nur 21 ein Studium. Nur 15 von ihnen schließen ein Bachelorstudium ab, und nur 8 erwerben einen Masterabschluss. Nur eines der 100 Nichtakademikerkinder promoviert. Im Gegensatz dazu studieren von 100 „Akademikerkindern“ (also Kindern, bei denen mindestens ein Elternteil studiert hat) 74, und 63 erwerben einen Bachelorabschluss. 45 von ihnen schließen ein Masterstudium ab, und 10 promovieren. Die geringere Übergangsquote von Nichtakademikerkindern insbesondere vom Bachelor- zum Masterstudium sowie von Masterstudium zur Promotion lassen darauf schließen, dass hier auch soziale Selektionskriterien eine Rolle spielen. Vor allem finanzielle Schwierigkeiten wurden in anderen Befragungen hier als Gründe angegeben.
Archäologie ist immer auch Teamarbeit. Die Konkurrenten von heute sind die Kooperationspartner von morgen – und umgekehrt. Gerade die interessanten, vielschichtigen Themen in der Archäologie brauchen eine Zusammenarbeit von vielen unterschiedlichen Spezialist*innen mit ihren jeweiligen fachspezifischen Perspektiven. Sie brauchen aber auch die unterschiedlichen Blickwinkel, die sich aus den diversen persönlichen Erfahrungen und Biografien der Forschenden ergeben. Unterschiedliche Sichtweisen und Herangehensweisen führen zu Dialog und Diskussion im Forschungsprozess, was wiederum die archäologische Forschung an sich voranbringt. Daher nützt es uns allen, wenn möglichst unterschiedliche Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder anderen personenbezogenen Faktoren studieren, einen Abschluss erwerben und in den Archäologien arbeiten.
Es liegt an uns allen, auf Chancen(un)gleichheit zu achten, und auf mehr Gleichberechtigung und Inklusion in den Archäologien hinzuarbeiten.
Literatur und Links:
Toolbox Gender und Diversity in der Lehre: https://www.genderdiversitylehre.fu-berlin.de/grundlagen/erklaerfilm/index.html
Hochschulbildungsreport 2020: Chancen für Nichtakademikerkinder. Von der Grundschule bis zur Promotion – soziale (Selbst-) Selektion benachteiligt Nichtakademikerkinder https://www.hochschulbildungsreport2020.de/chancen-fuer-nichtakademikerkinder Dirk Krause / Carla Nübold, Discovering the Archaeologists of Europe: Deutschland (2008). Abrufbar über das Webarchiv unter https://web.archive.org/web/20100221075723/http://www.discovering-archaeologists.eu/final-reports.html (direkter Link zum PDF: https://web.archive.org/web/20120524101023/http://www.discovering-archaeologists.eu/national_reports/Disco-D-dt-korr-05-final.pdf)
Martin Bentz / Tobias Wachter, Discovering the Archaeologists of Europe: Discovering the Archaeologists of Germany 2012-2014 http://e-archaeology.org/disco-2012-2014-national-report-germany/
Doris Gutsmiedl-Schümann, Prekariat und Selbstausbeutung: Eine kontinuierliche Entwicklung aus dem Studium heraus? Archäologische Informationen 44, 2021, 125-130. DOI: https://doi.org/10.11588/ai.2021.1.89188
Doris Gutsmiedl-Schümann / Michaela Helmbrecht, Geschlechtergerechtigkeit vom Studium bis zum Arbeitsalltag. Blickpunkt Archäologie 3/2017, 166-174.
Meine Erfahrung nach 34 Jahren in einem akademischen Beruf: um im Leben voran zu kommen, reichen formale Bildung und eine gut bezahlte Arbeit längst nicht aus. Man muss es außerdem verstehen, sich auf dem gesellschaftlichen Parkett zu bewegen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, Beziehungen aufzubauen und zu nutzen. Wer aus einer akademischen Familie kommt, lernt dies von Kindesbeinen an. Wer aus einfachen Verhältnissen stammt, ist von Anfang an im Nachteil und kann dies auch mit viel harter Arbeit nicht ausgleichen. Eine Persönlichkeitsbildung, die dies ausgleichen könnte, ist im deutschen Bildungswesen nicht vorgesehen.
Das ist ein interessanter Einwand von dir.
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