Die Bücherschmuggler von Timbuktu – ein Lesetipp

“Die Bücherschmuggler von Timbuktu – Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes” von Charlie English, ist ein Buch, dass mich schon in den Bann gezogen hat, bevor ich auch nur dazu kam es aufzuschlagen. Timbuktu, dass ist für mich immer der Klang aus der Wüste, der in mir Träume auslöst. Mein größter Traum war, seit ich das erste Mal von der Geschichte Malis gehört habe, dort hin zu Reisen. Denn diese Stadt ist ein Symbol für den Unsinn rassistischer Stereotype, welche afrikanische Menschen für unterentwickelt und dumm halten. Timbuktu ist ein Zentrum einer Jahrtausenden alten Hochkultur.

Die Tränen flossen direkt aus meinem Herz

Diese Geschichte wollte ich euch erzählen in einer Zusammenstellung von den Orten, die ich mich sosehr faszinieren, dass ich den festen Traum habe dort hin zu reisen, um euch eines Tages von davon zu berichten. Für Timbuktu begeisterte ich mich schon lange bevor es Miss Jones gab. Als ich begann erstmals die Idee eines Reiseblogs zu entwerfen, drang dann die Horrornachricht an mein Ohr. Mir war bekannt, dass sich die Stadt in den Händen radikal-islamischer Gruppen befand. Am 28. Januar 2013 sah ich es in den Nachrichten, und war so fassungslos, wie viele Kulturliebhaber*innen auf der ganzen Welt. Der kulturelle Schatz Timbuktus, war zerstört.

Da liegt Timbuktu

Einige Tage konnte ich nichts anders als weinen. War es nicht genau dieser kulturelle Schatz, der nicht nur aus Gebäuden, sondern eben in der Hauptsache aus jahrhundertealten Manuskripten bestand, das Beste und intensivste Argument gegen Rassismus. Der Beweis gegen jeglichen Glauben, der Menschen ob ihrer Hautfarbe für unterentwickelt erklären. Ich weigerte mich zu verstehen, warum Menschen so blöde sind einen solchen Schatz zu verbrennen. Noch dazu, da es sich in der Hauptsache um muslimische Texte handelte. Für mich ist und bleibt die Organisation IS eine faschistische Organisation. Das zeigt sich nicht nur darin, wie sie mit Menschen und Kulturgütern umgehen. Vielmehr sehe ich die Nichtakzeptanz gegen alles was anders ist, als ihre eigene Auffassung. Die Nichtakzeptanz gegen Weltanschauungen welche sich im Grunde nur geringfügig von der eigenen unterscheiden. Dazu kommt etwas, was mir erst diese Geschichte beigebracht hat. Und zwar der tiefe Rassismus der Organisation IS, die gegen Schwarze Muslime, ausschließlich aufgrund ihrer Hautfarbe agiert. Aber unabhängig von der Hautfarbe bleibt festzuhalten: Es waren Muslime die an dieser Stelle gelitten haben, die islamische Kultur, welche um einen Schatz beraubt wurden. Und allein das zeigt mir, dass diese Terrorgruppen kaum ein Interesse an dieser Religion oder Kultur haben. Die Tränen liefen aus meine Herzen, dass zu verbrennen schien wie die Jahrhunderte alten Manuskripte in Mali.

Eine moderne Heldengeschichte

Einige Zeit später kam dann die Nachricht, welche mich wieder zum Weinen brachte. Dieses mal allerdings weinte ich vor Freunde, und vor Rührung. Die Bibliotheken waren verbrannt, aber die allermeisten Manuskripte wurden gerettet, gerettet von den Bürger*innen Timbuktus. Sie hatten es geschafft die Bücher heimlich auf Esel zu laden, und auf diesem Wege die Bücher heimlich aus der Stadt zu bringen, bevor die radikalen Besatzer*innen sie zerstören konnten. Und ich rede hier nicht von ein Paar hundert Büchern, sondern von mehr als 400.000. Seit diesem Moment möchte ich umso mehr nach Mali fahren. Ich möchte diese Menschen kennen lernen, die auf diese einzigartige Weise ihren kulturellen Schatz gerettet haben, und damit eine der wichtigsten Kulturschätze der Menschheitsgeschichte. Ich möchte ihnen danken, denn kaum eine Geschichte hat mich mehr inspiriert als diese, und kaum eine Geschichte unserer Zeit klingt in meinen Ohren mutiger, und schöner. Die Bewohner*innen von Timbuktu sind für mich Held*innen. Und als ich für diese Geschichte recherchierte habe, habe ich dieses Buch entdeckt, dass ich euch wärmstes empfehlen möchte:

Am Anfang steht der Rassismus

Als ich zu lesen begann war ich zunächst skeptisch, denn das Buch beginnt mit der Geschichte. Mit den klassischen weißen Kolonialgedanken und den dazugehörigen weißen Entdecker*innengeschichten. Ich war ein bisschen genervt, doch ich urteilte zu schnell. Denn diese Geschichten sind wichtig. Der Rassismus gegenüber Afrikaner*innen wird auf diese Art in diesem Buch nämlich nicht nur erklärt, sondern auch explizit benannt. Die weiße Arroganzgeschichte gegenüber der Schwarzen Kulturgeschichte wird dabei umso deutlicher. Besonders bei den Beschreibungen von Universitätdozent*innen, welche beim Anblick der Manuskripte von Timbuktu in den 80ger Jahren ihr gesamtes Wissen über Bord werfen konnten. Um so peinlicher ist es forschungsgeschichtlich gesehen, dass diese Manuskripte im Grunde genommen bis heute nicht wirklich anerkannt und erforscht sind, und von daher nicht den wissenschaftlichen Rang haben, den sie verdient hätten.

Wenn der IS an die Tür klopft

Was für Menschen wie mich, die ein Leben lang im Frieden leben durften unvorstellbar ist, ist der Moment, wenn das eigene Zuhause in die Hände von Rebellen fällt. Wenn Krieg ist im eigenen Zuhause. Was passiert dann? Wie geht es weiter? Und vor allem was tust du wenn du einen Jahrhunderte alten Schatz bewachst, aber keine Krieger*n bist sondern Gelehrte*r? Charlie English schafft es mit einem nüchtern präzisen Schreibstil, diese Stimmung in Timbuktu, die Gedanken und Klänge der Stadt so gut einzufangen, dass ich beim Lesen manchmal dachte, dass ich sogar riechen könnte, was geschah. Man kann das Herzklopfen spüren bei den Geschichten über Plünderungen, und die Angst um die Manuskripte. Wie lange würde diese radikalen Islamist*innen die Bibliothek in ruhe lassen, mit dem Gedanken, es seien muslimische Texte. Wann würde das Kulturgut zur Geisel werden? Was ist wichtiger? Die Kultur zu schützen, oder das eigene Leben? Würde eine Flucht gelingen? solche Fragen brannten nach einiger Zeit des Lesens in meinem Kopf, den dieses Buch hat die Kraft, einen mitzunehmen, in diese Situationen, eine Meisterleistung des Autors.

Timbuktu

Ein fesselnder Schreibstil:

Dieses Buch ist nicht nur in einem unglaublich Atmosphäre schaffenden Stil geschrieben, sondern es thematisiert all die Dinge, die sich Europäer*innen heutzutage nicht vorstellen können. Damit ist dieses Buch auch ein Abgesang auf jegliche Form von Kriegsrhetorik einerseits. Andererseits erklärt es dabei auch afrikanische Politik. Die Probleme, die sich ergeben, wenn politische Interessen, wirtschaftliche Ausbeutung, Kolonialgeschichte, Religionen und ethische Konflikte aneinander reiben. Das passiert ohne, dass der Zeigefinger erhoben wird, die Probleme werden neben bei benannt, ganz als währen es Nebensächlichkeiten die der Leser*in ohnehin bekannt währen. Auf diese Art hat das Buch eine angenehme Form der Augenhöhe mit den Leser*innen.

Timbuktu oder Bielefeld

Zwischen den Erzählungen er Geschichte des IS streut Charlie English immer wieder Geschichten aus der Geschichte ein. Geschichten aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Geschichten, in denen das Timbuktu in der Wahrnehmung der Europäer ein wenig wirkt, wie heute die Onlinegerüchte über Bielefeld. Jeder kannte Timbuktu, jeder hatte schon von dieser sagenumwobenen Stadt der 333 Heiligen gehört, doch keiner hatte diese Stadt jemals gesehen. So wurde die Wüstenstadt am Niger teilweise als eine Phantasiestadt betrachtet, oder aber auch als eine mythische Erfindung. Der Weg dahin war und ist zweifelsohne beschwerlich. Die Wüste ist gefährlich, und so mancher Entdecker ließ dort sein leben, oder erlebte grausame Überfälle. Nicht wenige wurden auch als unerwünschte Eindringlinge betrachtet. Bei der Art, wie Europäer*innen die Einwohner*innen Westafrikas betrachteten, und zwar mehr als possierliche Tiere denn als Menschen, maximal niedliche oder gruselige Forschungsobjekte, als mit Augenhöhe, kann ich es niemanden verübeln auf so ein Verhalten mit einer gewissen Gereiztheit zu reagieren.

Ein Blick in die Manuskripte

Und wie schmuggelt man jetzt 400.000 Bücher?

Die Geschichte ging um die Welt, die Bücher wurden gerettet. Und das weil sich eine verschworene Gemeinschaft darum kümmerte unter absolutem Stillschweigen, Seekisten mit Büchern unter anderen Waren zu verstecken. Diese Bücher wurden erst aus den Bibliotheken zu Privatleuten nach Hause gebracht, und dann unter Handelswaren nach Bamako. In detaillierter Weise erklärt Charlie English, wie das möglich war. Und woher kam eigentlich das Geld für diese Aktion? Denn die Seekisten, in denen die Bücher verstaut waren, und auch der Weg nach Bamako, all das kostet Geld. Geld war das Hauptproblem dieser Schmuggelaktion, und die Quellen dafür waren vielfältig. Genauso auch die Streitigkeiten die sich daraus ergaben. Dennoch wurden die Bücherkisten nach und nach aus Timbuktu weg gebracht, immer in der Angst erwischt zu werden. Dabei wurden die Horrorgeschichten aus der Stadt immer schlimmer. Einer Frau wurde ein Ohr abgeschnitten weil ihr Rock zu kurz war, war eine der harmloseren Geschichten. Was wäre geschehen, wenn ein Schmuggler mit einer Bücherkiste erwischt worden wäre?  Ich bin wirklich dankbar, dass wird es nie herausfinden werden! Vielmehr möchte ich aber nicht spoilern, um euch den Spaß an dem Buch nicht zu verderben. Nur soviel noch zu dem Thema: Die Geschichte es Bücherschmuggels ist so spannend, dass ich mir beim lesen vmtl. einen halben Meter Fingernägel ab gekaut habe.

Soviel gewonnen und doch verloren

Am 23. Januar 2013 setzten die radikalen Islamist*innen die Bibliothek schließlich in Brand. Knapp 95% der Bücher waren zu diesem Zeitraum bereits in Bamako. Doch für 5% der wertvollen Texte hat die Zeit nicht gereicht. Es gab Gefechte in dieser Zeit, und die Terroristen, mussten sich eingestehen, dass sie Timbuktu verlieren würden. auf ihrem Rückzug taten sie das, was sie am besten konnten, dass Zerstören wichtiger Kulturgüter. Die Bibliothek, war also ein lohnendes Ziel dieser Art der Propaganda. Charlie English beschreibt dies aus der Perspektive der Buchschmuggler*innen. Er beschreibt, dass was das eigentliche Dilemma von Heldengeschichten ist. In so einem Moment, haben die Protagonist*innen nämlich keinen Blick für all das was gerettet werden konnte, sondern nur einen tiefen Schmerz für das, was verloren ist. Es mag eine abenteuerliche mutige heldenhafte Geschichte sein, ein Kulturgut so zu retten, und doch bleiben diese Texte, die hier verbrannten unwiederbringlich zerstört. Und auch wenn es nur 5% sind, sind auch diese wichtig. Für die Gelehrten Timbuktus, ist das das Gefühl versagt zu haben – trotz des Wissens soviel gewonnen zu haben.

Und am Ende liegt mir das Narrativ doch quer im Magen

Versteht mich jetzt bitte nicht Falsch. Ich finde es wunderbar, dass es ein Buch über diese Heldengeschichte, die wirklich passiert ist, gibt. Und ich habe das Buch bislang ausschließlich hoch gelobt. Und wenn ich dieses Buch nicht tatsächlich sosehr mögen würde, würde ich euch auch gar nicht davon berichten, dass ich es entdeckt habe. Doch es gibt etwas, was mir bei diesem Buch quer im Magen liegt. Es ist das Narrativ. Es ist wieder ein weißer Westeuropäer, dem wir lauschen. Zwar fühlt er sich emotional in die Lage der Menschen ein, hat gut recherchiert, und wirklich informativ, auch über rassistische Probleme berichtet, aber es wird wiedereinmal nur über die Menschen aus der Wüste geredet. Zwar hat English mit ihnen geredet, und dieser wichtigen Geschichte eine weitere Plattform gegeben, mich aber würde es freuen, wenn es die Menschen selber wären, die ihre Geschichte erzählen. Wenn es eine Erzählung wäre, die von den Bücherschmugglern selber nieder geschrieben wurde, oder von Ihren Angehörigen. Sie sind die Protagonisten, ihre Stimme möchte ich hören. Und deswegen möchte ich umso mehr nach Mail fahren. Ich möchte diesen Menschen eine Plattform geben, ihre Geschichte selber zu erzählen.

Nur um es nochmal zu verdeutlichen: Da will ich hin!

Und für wen ist das Buch interessant?

Wenn du gerne Abenteuergeschichten liest, Biographien, oder generell alles was mit  Afrika zu tun hat, dann solltest du dieses Buch auf keinem Falle umgehen. Aber auch wenn du dich für Politik interessierst, oder einfach nur das Weltgeschehen der letzten 10 Jahre etwas näher begreifen möchtest, und dich etwas umfassender informieren willst, dann lies dieses Buch! Es ist sehr spannend und leicht verständlich geschrieben. Außerdem enthält es viele gut recherchierte Informationen, die den Horizont erweitern. Dieses Buch hilft allen weiter, welche sich im goldenen Informationskäfig der westlichen Wohlstandsgesellschaft gefangen sehen, und wissen möchten, was außerhalb des Käfiggitters passiert. Und ich empfehle dieses Buch, gerade weil es uns um diese Informationen bereichert.

Nicht nur Archäolog*innen, und anderen Kulturwissenschaftler*innen sollten sich dieser Lektüre bedienen. Die Frage nach dem Wert des kulturellen Erbes, nach dem Umgang mit der Geschichte, nach Rassismus, und dem Umgang mit Menschen von einem andren Kontinent, dass sind fragen, die in unserer Welt und in der modernen weltpolitischen Lage sehr wichtig sind. Gerade weil es oftmals Europäer*innen waren, welche sich als Radikal-islamistische Terrorist*innen übten. Ich empfehle dieses Buch also vor allem auch Lehrer*innen. Nicht nur um den eigenen Horizont zu erweitern, sondern um das Wissen über aktuelle Themen zu vergrößern. Außerdem ist die Geschichte von den Bücherschmuggler*innen eine Geschichte, die das Potenzial hat Generationen von Schüler*innen in den Bann zu ziehen. Im Grunde empfehle ich also jedem dieses spannende Buch zu lesen.

Weitere verwendete Literatur:

Bondaev, Brozowsky, Jacoby, Russo, Schröter, Rettung der Manuskripte aus Timbuktu. Hamburg 2017.

3 Gedanken zu „Die Bücherschmuggler von Timbuktu – ein Lesetipp

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