Heute gibt es einen Gastartikel – Einen anonymen Gastartikel, denn die Person, die hier schreibt, hat Angst vielleicht irgendwann ein Problem zu bekommen. Wir kennen und schon lange, und es ist eine dieser Lebensgeschichten im Kollegium, die echt anstrengend sind:
Moin ihr alle. Ich habe Archäologie studiert. Es war immer schon mein Traum gewesen, und ich wollte ihn verfolgen. Mein Vater war Akademiker, meine Mutter nicht und wir hatten wenig Geld, da mein Vater nach seinem Abschluss nur unterbezahlte Nebenjobs gefunden hatte. Aber ich hatte ein gutes Abi in der Tasche und als junger Archäologiestudent kann man ja graben und sich so sein Studium selbst finanzieren. Auf den Grabungen habe ich viel fürs spätere Berufsleben gelernt, eigentlich mehr als an der Uni selbst. Irgendwann scheinfrei, ging ich eigentlich dauernd graben, die Magisterarbeit schrieb ich eher so nebenbei. Fertig wurde sie erst, als ich einen Job als studentischer Mitarbeiter bekam und dadurch an der „Bücher-„Quelle“ saß. Trotzdem hatte ich schon eine jahrelange Grabungserfahrung, als ich meinen Magisterabschluss machte. Meine Note reichte nicht für ein Forschungsstipendium oder Ähnliches, aber grabende Archäolog*innen wurden damals sehr gesucht.
Die Zeit nach dem Magister
Anfangs schien es wie am Schnürchen zu laufen. Während meine Freund*innen nach ihren Magisterabschlüssen (wir waren damit so ziemlich die Letzten) erstmal arbeitslos wurden oder etwas ganz anderes machten, hatte ich keine zwei Wochen nach meinem Magisterabschluss meine erste Grabungsleitung. In der Landesarchäologie, also im öffentlichen Dienst. Ich hatte ja schon mega viel Grabungserfahrung. Keine reichen Eltern zu haben, kann also auch mal ein Vorteil sein. Mit Mitte 20 fand ich es noch überhaupt nicht schlimm, dass die Verträge grundsätzlich befristet waren, mit Laufzeiten, die von einem Tag (!) bis maximal einem halben Jahr variierten. Ich war stolz, 2300 Euro netto nach Hause zu tragen, wollte auch nicht immer an derselben (Arbeits-)Stelle arbeiten, wollte Erfahrungen sammeln und so weiter. Dreimal habe ich woanders gearbeitet, dreimal bin ich wieder zurück zum „Amt“ gegangen. Die Landesarchäologie versprach Sicherheit.
Doch dann begann das Leben zu stottern
Leider wurde nie etwas aus dem Traum von der Entfristung bei jener heimatnahen Landesbehörde. Im Gegenteil, es schlichen sich immer mehr lange Phasen der Arbeitslosigkeit ein. Die wurden dann teilweise mit unbezahlter (Forschungs-)Arbeit gefüllt, ich wollte ja erstens irgendwann promovieren, zweitens im Thema bleiben, und drittens kann ich ganz ohne Archäologie irgendwie nicht.
Irgendwann wurden die Grabungsprojekte zwar wieder häufiger, aber dafür auch kürzer (wie kurz?). Statt lange durchgängige Grabungen mit fast ebenso langer Aufarbeitungsphase kamen dann viele Kleinprojekte, in denen kaum Zeit für die Aufarbeitung mehr eingeplant war. Das Bundesland, eines von jenen, wo das Land noch alle Grabungen selber machte, musste als Standort ja schließlich mit seinen Nachbarn konkurrieren. Dort war die gesetzlich vorgeschriebene bauvorgreifende Archäologie, lohndrückenden Grabungsfirmen sei Dank, für Investor*innen deutlich billiger.
12 Jahre immer wieder unbezahlte Arbeit
Das führte letztlich dazu, dass ich die Grabungsaufarbeitung in der Zeit der Arbeitslosigkeit geschrieben habe, bis der nächste Vertrag kam. Der Vorgesetzte meines Vorgesetzten setzte dies sogar regelrecht voraus und rief mich auch während der Arbeitslosigkeit mit Terminen für Grabungsberichte an, die „unbedingt einzuhalten“ waren. Und weil man ja so als Archäologe in seinem Traumberuf weiterarbeiten wollte, habe ich das mitgemacht. 12 lange Jahre lang… und etwa 350 Arbeitsverträge lang.
Das Verständnis für diesen Wust an Verträgen bei Krankenkassen, Arbeitsagentur und Rentenkassen hielt sich verständlicherweise in Grenzen. Aber auch beim eigenen Arbeitgeber hielt sich das Verständnis für meine Situation in Grenzen. Als aufgrund eines Vertragswechsels der Monatslohn mal mit mehr als 10 Tagen Verspätung kam und ich gleichzeitig eine dicke Reparaturrechnung fürs Auto hatte, rief ich in der hausinternen Lohnbuchhaltung an. Antwort:
„Was wollen Sie eigentlich? Bei Ihrem Gehalt können Sie ja wohl Rücklagen bilden!“.
Rücklagen vielleicht. Aber ein neues Auto zu kaufen, um das auf vielen Fahrten zu den Grabungen (Dienstwagen, was ist das bitte?) verschlissene zu ersetzen, kam nicht in Frage. Kein Autohändler der Welt gibt einem bei diesem Vertragswirrwarr Kredit. Mit Wohnungen verhält es sich ähnlich, zum Glück hatte ich bereits eine.
Was ich in der ganzen Zeit nie hatte, war ein Schlüssel zur Dienststelle. Den bekamen die befristet Beschäftigten nämlich generell nicht. An der Tür zur Dienststelle mussten wir immer wie Bittsteller klingeln. Respekt sieht anders aus…
Und dann wurde alles besser
Die Wende kam dann, als mich – unabhängig voneinander – die Arbeitsagentur und mein direkter Vorgesetzter aufforderten, mich bei einem anderen Landesamt in Deutschland zu bewerben. Ersteres ist deren Pflicht, letzteres rechne ich meinem damaligen Vorgesetzten noch immer unendlich hoch an. Bei einer anderen Landesbehörde wurden dringend Archäolog*innen für ein internationales Projekt gesucht. Ich bewarb mich, fuhr hin und bekam wider mein Erwarten die Stelle. Und das gleich für zwei ganze Jahre! Nach den 12 Jahren Kettenbefristung kam mir das fast vor wie eine Anstellung auf Lebenszeit!
Auf den ersten Blick war es beim „neuen“ Landesamt wie beim „Alten“. Aber nur auf den ersten! Gleich nach meiner Unterschrift auf den Arbeitsvertrag bekam ich einen Schlüssel zur Dienststelle ausgehändigt. Während ich noch ungläubig und mit (Freuden-)Tränen in den Augen da drauf starrte, als sei es ein Lottoschein mit sechs Richtigen, erklärte mir die nette Sekretärin, dass Kettenbefristungen hier verboten seinen, weil „unethisch“, mir klappte die Kinnlade runter, und dann forderte sie mich noch auf, doch jetzt endlich die Abnahmefahrt für meinen Dienstwagen zu machen, da der Prüfer schon warte. Außerdem solle ich ja schließlich noch die vom Arbeitgeber gestellte Wohnung für die nächsten zwei Jahre beziehen. Dann bekam ich noch ein Diensttelefon in die Hand gedrückt – auch das hatte ich bei der vorherigen Arbeitsstelle nie gehabt.
Es ist nicht alles perfekt, aber alles besser
Im Laufe der ersten Wochen und Monate dort fühlte ich mich wie frisch verliebt. Archäologie konnte wieder Spaß machen! Das „neue“ Amt nahm ich bei der leisesten Kritik meiner neuen Kolleg*innen sofort in Schutz. Bald stellte ich zwar fest, dass auch dort nicht alles perfekt war, aber dafür mehr als 1/3 der Mitarbeitenden einen ganz gewissen „Migrationshintergrund“ hatten – und zwar exakt aus jenem Bundesland, wo ich zuvor selbst gearbeitet hatte.
Das internationale Projekt war mein Fuß in die Tür zum Nachbarland, dessen Sprache ich ohnehin bereits sprach. Nach Ablauf der zwei Jahre habe ich den Wechsel dann perfekt gemacht, einen Halbjahresvertrag bei einem diesem Amt unterschrieben und bin ins Ausland gezogen. Gleiche Bedingungen, gleicher Lohn, es wurden sogar die gleichen Formblätter verwendet, schöne Zeit.
Dann kam Corona…
und damit wurde alles heruntergefahren. Mein Vertrag wurde wider Erwarten nicht verlängert. Es folgte eine halbjährige Durststrecke mit erneuter Arbeitslosigkeit und dann einer miserabel bezahlten Stelle bei einer privaten Ausbeuter-Grabungsfirma, wo ich weniger verdient habe als Grabungsfacharbeiter*innen bei meinen sämtlichen vorherigen Arbeitgebern.
Bis der Anruf vom „zweiten Landesamt“ kam. Ich höre es noch wie heute. Die wollten mich zurück. Unbedingt. Sofort. Genauso selig wie beim ersten Mal und wieder im schönsten Frühling, unterschrieb ich den Vertrag, übernahm Schlüssel, Auto und Laptop. Dann bekam ich im Nachbarland ein neues Angebot und ging dorthin wieder zurück. Mit Aussicht auf Entfristung, was den Ausschlag gab, den wohlfühlte ich mich schon zuvor. Aus der Entfristung dort wurde dann zunächst nichts, wegen Sparmaßnahmen der Kommune. Dafür enthielt ich von einem anderen Amt wieder ein Angebot. Erst ein halbes Jahr, aber als ich zögerte, wurde es ein ganzes. Mittlerweile meldeten DIE sich und nicht mehr ich. Ich nahm das Angebot an, sagte aber halb scherzhaft:
„Wenn ihr mich nicht endlich entfristet, gehe ich in einem halben Jahr eh wieder zurück!“
Dann kam im Oktober 2022 meine Chefin zu mir ins Büro. Ich dachte erst, ich hätte was verkehrt gemacht, weil sie so ernst wirkte. Dann meinte sie: „Wir haben soo viel zu tun in nächster Zeit und möchten nicht, dass Du wieder weggehst. Deswegen würden wir Dich gerne ab sofort unbefristet anstellen. Dann musst Du aber auch wirklich ganz bestimmt hier bleiben“. Ich hatte nicht nur an jenem Tag Tränen in den Augen, ich habe es auch jetzt noch, wenn ich nur daran denke.
Pingback: Das gebrochene Versprechen an unsere Kinder und die Generation Hafermilch in der Archäologie | Miss Jones
Pingback: DIY or Die – Punkrock oder Selbstausbeutung? | Miss Jones