Ein Monument aus einer lang vergessenen Zeit: Die Lübbensteine

Es war einmal ein Riese, der Steine sammelte. Gemütlich steckte er sich ein paar besonders schöne Steine in die Hosentasche und setzte seinen Spaziergang fort. Der Riese ging durch die Landschaft, die wir heute als Niedersachsen kennen und bemerkte dabei nicht, dass da ein Loch in seiner Hosentasche war. Ein paar seiner Steine fielen so aus der Tasche hinaus und landeten auf dem Erdboden. Sie liegen dort bis heute, auf einer Anhöhe, die man Annenberg oder Corneliusberg nennt, westlich von Helmstedt bei Braunschweig.

Die Lübbensteine von weiten. Auf einem Hügel liegen versteut knubbelige Steine herum

Sie sehen wirklich aus wie einfach aus der Tasche gefallen. Von daher ist die Legende schon ziemlich zutreffend.

Legenden über Riesen als Hinweis für Steinzeitarchitektur

Das diese Legende über die Lübbensteine natürlich nur eine schöne Sage der Region ist, die maximal als niedliche Kindergeschichte dient, ist lange bekannt. Aber es ist dennoch ein Teil der Megalithanlage, die Lübbensteine genannt wird. Bei vielen dieser Großsteinbauten aus der Jungsteinzeit gibt es solche Geschichten, mit denen sich die Menschen, die lang nach der Steinzeit, aber lange vor unserer Zeit, zu erklären versuchten, was das für seltsame Monumente sind, die in der Landschaft herumstehen.

Die Lübbensteine

Die Lübbensteine bei Helmstedt

Oft sind es Geschichten von Riesen, denn wer sonst sollte diese riesigen Steine bewegen. Die allermeisten dieser Monumente im norddeutschen Raum sind heute leider verschwunden. Bezeichnungen wie “Riesenweg” oder eine Ortslegende über Riesen sind meistens die letzten Hinweise auf solche Großsteinanlagen. Die wurden im Mittelalter oft zerstört – man brauchte das Steinmaterial als Baumaterial. Oft wurden sie genutzt, um Feldsteinkirchen zu bauen.

Die Lübbensteine bei Helmstedt

Bei den Lübbensteinen ist das anders. Die Lübbensteine liegen bis heute auf der kleinen Anhöhe. Möglich, dass sie verschont bleiben, weil sie außergewöhnlich geformt sind. Möglich, dass man Respekt vor ihnen hatte. Möglich aber auch, dass sie lange unentdeckt blieben. Denn eines haben Megalithanlagen gemeinsam: sie wurden in der Jungsteinzeit überhügelt – und das heißt, im Mittelalter sahen sie aus wie ein Teil der Landschaft. Es sei denn Wind und Wetter hatten die großen Steine freigelegt. Und die Lübbensteine wurden erst 1439 erstmals schriftlich erwähnt. Möglich, dass sie erst in dieser Zeit aufgefallen sind, weil sie zuvor von einem Erdhügel verdeckt gewesen sind.

Blick auf die Anlage Lübbensteine

Bei dem Teil, der sich dann Freigelegt hat, kann man schon auf die Idee kommen, das in der Mitte sei keine Grabkammer, sondern vielleicht ein Tisch. Oder das Ganze sei eine Form der Wohnarchitektur. Es ist also nicht offensichtlich, dass es sich um ein Grab handelt, wenn man es nicht weiß.

Bereits 1665 beschreibt erstmals jemand diese Steine akademisch – ein friesischer Professor für Rechtswesen namens Conring. Dieser macht etwas, was oft in der Geschichte passierte – er interpretierte die Archäologie so, wie er die Weltgeschichte gerne hätte. Als friesischer Patriot erklärte er diese Steine, die schon damals auf den Namen Lübbensteine hörten, zum Kulturerbe des Friesenhäuptlings Lübbo. Dieser solle hier einen Landsitz gehabt haben, den er brauchte, um mit seinem Gefolge den heiligen Ludgerus in Helmstedt zu besuchen. Die Lübbensteine waren dabei schon vor dieser Zeit Ort der Götzendienste der heidnischen Friesen gewesen – nun aber bekamen sie durch den Friesenhäuptling ihren Namen.

Plündern macht Fundplätze nicht besser

Auch wenn das natürlich wissenschaftlicher Humbug ist, aus einer Zeit lange bevor sich die Archäologie entwickelte, zeigt diese Geschichte doch, wie immer wieder Monumente politisch verdreht werden. Dafür braucht man im Zweifel nur ein paar Steine auf einem Acker. Für die Lübbensteine bedeutete dies aber auch – sie wurden immer bekannter. Und Bekanntheit ist nicht unbedingt immer gut für archäologische Fundplätze. 1696 wurden die Grabkammern der Megalithanlage erstmals geplündert. Das war zwar nicht die einzige Plünderung, aber seit dem gilt das Grab als leer. Das heißt, ab diesem Zeitpunkt war es nur noch sehr schwer möglich, hier etwas zu erforschen.

Leere Megalithik. In der Grabkammer der Lübbensteine lieg nur etwas Müll aus Plastik.

Leer – Der Blick in die zweite Grabkammer der Lübbensteine.

Die Plünderung war vor der Entwicklung der ersten archäologischen Methoden. Das erste Bild der Lübbensteine wurde erst 1720 gemacht und da ist die Anlage bereits eine Ruine. Geschichten wie diese führten übrigens dazu, dass man heute nur noch Ausgrabungen macht, wenn es nicht anders geht. Jede Ausgrabung ist eine Zerstörung, so schlimm wie eine Plünderung. Was weg ist, ist weg, und kann später

Zwischenraum bei den Lübbensteinen

Heute ist es schwer noch Aussagen über die Lübbenseine zu treffen. Mann kann aber noch Teile der Grabarchitektur erkennen.

nicht nochmal ausgegraben werden. Oft hat man sich im Nachhinein gewünscht, man hätte gewartet, bis man eine bessere Technik gehabt hätte, mit der man mehr hätte erforschen können. Deswegen wartet man heute auch ab. Es gibt nur Ausgrabungen an Stellen, wo die Sachen so oder so zerstört werden würden. Denn wir wissen ja jetzt noch nicht, welche noch viel besseren Techniken wir in 100 Jahren bei Ausgrabungen habe werden.

Warum die Lübbensteine so knubbelig geformt sind

Die Geschichte der Lübbensteine geht also als Ruine weiter, die die Menschen mit ihren Vorstellungen von einem vorgeschichtlichen Kulturerbe verbinden. Deswegen gibt es hier ab 1809 Universitätsvorlesungen. Gegen 1836 kommen dann auch erste Universitätsprofessoren auf die Idee sich zu fragen, was das für ein seltsames Gestein ist, aus dem die Lübbensteine bestehen. Denn Megalithen sind in Norddeutschland

Die Grabkammer mit dem massiven Deckstein. Dieser ist geformt wie ein Knubbeliger Perlenfries. Aber irgendwie unregemäßieg.

Die Frage ist offensichtlich: Warum ist z.B. der Deckstein so knubbelig geform?

bekannt. Aber diese Megalithen haben eine seltsame Struktur. Die Idee damals: Die Megalithanlagen wurden in grauer Vorzeit eingegraben. Deswegen kennt man sie nicht aus Tacitus. Der hätte sie ja schließlich beschreiben müssen, wenn der sie gekannt hätte. Aber: Erst nach Tacitus kamen die Steine wieder ans Tageslicht. Und im Falle der Lübbensteine war irgendetwas Chemisches im Boden, was die Steine in dieser Zwischenzeit seltsam verformt hat.

Die Lübbensteine an der Aussenkannte

Irgendwie wirkt jeder einzelne Stein seltsam verbogen und verformt.

Es ist überraschend, wie nahe diese frühen Forscher der Realität gekommen sind. Heute weiß man: Die Lübbensteine hatten bereits diese auffällige Form, als sie in der Zeit zwischen 3.500 und 3.000 v. Chr. von den Menschen der Trichterbecherkultur verbaut wurden. Es handelt sich um 2 Megalithgräber, die Nordsüd ausgerichtet waren. Ausgestattet mit Grabkammern für ein Gemeinschaftsgrab, in dem alle Mitglieder des Ortes nach ihrem Tot beigesetzt wurden – und: Es ist die südlichste Grabanlage dieser Kultur, die existiert. Gebaut wurde diese Anlage aus Knollenquarzit. Ein Gestein, das bei Helmstedt häufig vorkommt, denn es gibt Braunkohlemoore in der Umgebung. Helmstedt war deswegen auch lange ein Braunkohlerevier. Da stellt sich die Frage:

Was ist Knollenquarzit? Und warum heißt er auch Braunkohlequarzit?

Bei Knollenquarzit handelt es sich grob gesagt um verklumpten Quarzsand. Im Boden gibt es Schichten, die nennt man Sedimente. Und hier in der Region gibt es ein Braunkohlesediment und darüber eine Schicht Sand. Dieser hat die chemische Formel SiO². Dann kam es zu einer Verwitterung, das heißt in diesem Falle: Feuchtigkeit gelange in diese Erdschicht. Der Sand verklumpte und es entsteht dabei gleichzeitig

Deswegen sehen die Steine teils so klumpig aus.

Kieselsäure. Da es in der Braunkohle direkt daneben einen hohen Salzgehalt gibt, entsteht zwischen diesem Salz und der Kieselsäure eine chemische Reaktion. Das Salz wird von der Säure ausgefällt. Das ganze SiO² Sediment verschiebt und verbiegt sich dabei, während der Quarz sich immer stärker verklumpt. Er entwickelt sich schließlich zu einem massiven Stein. Durch die Ausfällungsprozesse entsteht dabei gleichzeitig eine Oberfläche, die so gnubbelig aussieht und gleichzeitig wirkt wie von Zuckerguss überzogen.

Die verknubbelten Steine im Fokus ein besonders knubbelieger.

So hübsch kann das Ergebnis eines Prozesses der anorganischen Chemie sein. So etwas Beeindruckendes hätte ich als Steinzeitmensch auch verbaut.

Dieses Steinmaterial sieht natürlich toll aus. Und so ist es kein Wunder, dass die Menschen der Trichterbecherkultur dieses Gestein für ihre Grabanlage wählten. Man geht sogar davon aus, dass hier nicht nur ein Bestattungsplatz war, sondern auch ein Ort für Rituale. So besonders wirken die Lübbensteine. Ausgrabungen der 30er Jahre brachten aber leider wenig Aussagekräftiges zutage. Bis heute erhalten ist aber der tolle Blick, den man hier über die Landschaft hat. Man steht zwischen Elz, Elm und

Im Hintergrund die weite Landschaft.

Blick von den Lübbensteinen aus in die weite Landschaft.

Dorm. Und deswegen sind die Lübbensteine auch ein beliebtes Ausflugsziel der Menschen aus der Umgebung. Heute wird versucht, die Megalithanlage möglichst gut zu pflegen. Die Megalithen sind mittlerweile restauriert und es gibt an einigen Stellen Betonstützen, um den Eindruck dieses einzigartigen Ortes zu erhalten. Es ist die einzige Megalithanlage aus Knollenquarzit, die mir bekannt ist. Und vielleicht finde ich sie deswegen besonders atemberaubend.

Die Grabkammer in der Mitte gesehen von weiten.

Es ist einfach ein herrlich schöne Grabarchitektur der Jungsteinzeit.

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Literatur:

https://archive.org/details/bub_gb_JtALJvShow0C/page/n372/mode/1up

https://denkmalatlas.niedersachsen.de/viewer/piresolver?id=28966723

https://www.stadt-helmstedt.de/tourismus-kultur/helmstedt-erleben/luebbensteine.html

https://dfg-viewer.de/show?id=9&tx_dlf%5Bid%5D=https%3A%2F%2Fpublikationsserver.tu-braunschweig.de%2Fservlets%2FMCRMETSServlet%2Fdbbs_derivate_00011900%3FXSL.Style%3Ddfg&tx_dlf%5Bpage%5D=248

https://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Sammlungen-Grundlagen/GG_Sammlungen/Objekt_Quartal/0310_knollenquarzit.html?nn=1554996

Lübbensteine