Ab und zu ist es interessant auf Fachtagungen zu fahren, und das nicht aufgrund der tollen Kontakte, die man dort schließen kann, oder der Tagungskekse. Tatsächlich gibt es manchmal kleine Erlebnisse, die den Besuch einer Tagung zu einem besonderen Ereignis machen. So landete ich im Frühling bereits bei einem Empfang im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Im Sommer, bei der Tagung des DarV, verschlug es mich zu einem Empfang im Schloss Wilhelmshöhe, in Kassel, in die Antikensammlung. Der Empfang war mehr als gelungen. Nicht nur dass einzigartige Panorama, dass sich aus der Antikennsammlung heraus über Kassel erblicken lässt. Nein, auch die Verpflegung die wir genießen durften war sensationell.
Man muss allerdings sagen, der Aufstieg zur Antikennsammlung ist nicht ganz einfach, und wer zu Fuß von der Straßenbahnstation kommt, der muss einen steilen Weg erklimmen. Die Straßenbahn hält dafür an einer der vermutlich niedlichsten Bahnstationen die ich jemals gesehen habe. Und für diesen Anblick, und für die Aussicht, die man auf dem Weg genießen kann, lohnt sich dieser Weg bereits. Die Antikensammlung an sich, ist dabei ein Highlight für alle Skulpturen- und Figurenfanatiker. Für mich ist dieses Ziel mehr ein Versuch mein mittlerweile etwas in die Jahre gekommenes Studium der Klassischen Archäologie wieder aufzuwärmen, mit dem ich mich seit Jahren leider viel zu selten auseinander setzen darf. Weil diese Sammlung aber so unglaublich viele faszinierende Exponate zeigt, habe ich für euch diese Herausforderung angenommen.
Am Schloss Wilhelmshöhe angekommen wartet noch ein Ausblick auf euch. Der Ausblick in die andere Richtung zeigt einen unverstellten Blick auf den Herkules der 2013 zum Weltkulturerbe gekürt wurde. Das Kasseler Wahrzeichen steht in 596 Metern über der Stadt. Es handelt sich um eine 22 m hohe Skulptur, die auf einer 25 m hohen Pyramide steht. Die Herkulesfigur gehört dabei zu einem Oktogonschloss auf dem sie errichtet wurde, und zu den Wasserspielen welche den Hang hinab laufen, auf dessenSpitze das Oktogon errichtet wurde. Das gesamte Bauwerk ist allerdings nicht auf dem sichersten Untergrund gebaut, weswegen hier andauernd renoviert werden muss. Die Statue zeigt einen sich ausruhenden Herkules. Diese Darstellung, und der Herkules als Wahrzeichen, wurde in den letzten 300 Jahren vielfältig wahrgenommen, und dabei auch politisch vereinnahmt. Das war nicht immer ganz ernsthaft, weil diese Installation von Beginn an ein Sanierungsfall gewesen ist. Zahlreiche Baumängel stellten die Standsicherheit von vornherein auf die Probe. Mehrfach wurde dem Bauwerk schon ein baldiger Einsturz vorhergesagt, und die Geschichte der knappen Kassen für Sanierungsmaßnahmen begann. Aber, immerhin, bislang steht der Herkules auf der Pyramide auf dem Oktogon. Es ist also in gewisser Weise die Elbphilharmonie von Kassel.
Die Kupferstatue wurde nach dem Vorbild des Herkules Farnese gestaltet. Dabei handelt es sich um eine Skulptur, welche heute in Neapel ausgestellt ist, und bereits 1546 bei Ausgrabungen in den Caracallathermen gefunden wurde. Im Palast von Cesarta wurde ein sehr ähnlicher Herkules entdeckt. Man kann davon ausgehen das beide Skulpturen, auf eine Bronzestatue des Bildhauer Lysippos zurück gehen, welche als Original diente. Dieses Original wird auf 320 v. Chr.. datiert. Damit ist es eine von vielen hellenistischen Skulpturen, welche nicht nur von den Römern kopiert wurden, sondern zum Beispiel auch von den Kasslern. Seit 1993 befindet sich ein Gipsabdruck eines Herkules Farnese in der Antikensammlung im Schloss Wilhelmshöhe. Und nur um euch zu verwirren, man könnte also sagen es handelt sich bei diesem Gipsabdruck um eine Kopie der originalen Kopie des Originals.
Leider kaum ein Ort für die ganze Familie
Leider ist die Antikennausstellung eher an Archäologiefreaks und Geschichtsnerds adressiert. Die Artefakte sind zwar alle mit Rahmendaten beschriftetet und es gibt die ein oder andere Erklärung, ein Zusammenhang oder Bedeutungsrahmen erschließt sich aber zumeist nur denjenigen Besucher*innen, die sich bereits ein wenig in die Materie eingearbeitet haben. Teils ist es also mehr eine Hinstellung, denn eine Ausstellung. Auch für Kinder findet sich derweil wenig Angebot. Die Vitrinen sind gefüllt mit den interessantesten Stücken, aber es gibt keine gesonderten Möglichkeiten für Kinder sich den Bildungsgehalt der dahinter steht zu erschließen, wenngleich es einen Audioguide gibt. So muss ich dieses Museum, wie auch das Landesmuseum in Kassel ebenfalls als nur bedingt Familien freundlich einstufen. Und das ist gerade angesichts der Exponate sehr schade. Aber es gibt hier immerhin Programme für Schulklassen.
Alles in allem handelt es sich um eine klassische Vitrinenausstellung, mit einer großen Vielfalt an interessantesten Exponaten verschiedener archäologischer Epochen des östlichen Mittelmeerraumes. Die ersten Skulpturen wurden bereits 1688 in Kassel gezeigt. Es handelte sich um Repliken die von Venedig für zwei Jahre zur Verfügung gestellt wurden. Ein Dankeschön an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, der die Venezianer in ihrem Konflikt mit dem Osmanischen Reich unterstützte. Der Landgraf hatte danach anscheinend Blut geleckt, und begann immer mehr antike Skulpturen für seine Sammlung zu erwerben. Die Wissenschaft Archäologie steckte damals noch in den Kinderschuhen, von daher wurden die Figuren zwar in Kassel Wissenschaftlich registriert, aber es gibt in der Regel keine genauen Angaben über die Provinienz (Herkunft) der Objekte. Heute ist dieses Wissen für die Erforschung der Antike allerdings sehr wichtig, sodass dies nun zu Problemen führt. Die Sammelleidenschaft wurde fortgeführt, allerdings dem anscheinen nach zumeist mit nicht allzu vertiefenden Sachverstand. So fanden sich Anfang des 20. Jahrhunderts neben den Originalen, reihenweise Fälschungen, die teuer eingekauft worden waren. Das verwundert. Denn diese Antikensammlung war auch Wirkungsstätte von Johann Joachim Wickelmann, der als der Begründer der Klassischen Archäologie gilt. Aber zu Beginn der Erforschung der Antike, war das Wissen natürlich um einiges geringer als heute. Wer sich die Antikensammlung ansieht, der begibt sich also auch gleichzeitig auf eine forschungsgeschichtliche Reise. Im Schloss Wilhelmshöhe befindet sich die Antikensammlung allerdings erst seit 1973. Zuvor war sie an verschiedenen anderen Orten in Kassel ausgestellt. Im Krieg nahmen die Skulpturen dann schaden, vor allem dadurch, dass sie in Zeiten der Not nicht fachgerecht behandelt werden konnten. Als die Skulpturen in das Schloss WiIlhelmshöhe kamen, wurden sie zunächst ausgiebig restauriert.
Die Vielfalt der Exponate ist in dieser Sammlung besonders erwähnenswert. Sie macht das Museum für Freund*innen der Archäologie extrem interessant, weil ich leider nicht alle interessanten Exponate hier präsentieren kann, habe ich euch keine kleine Bildergalerie zusammengestellt, mit einigen der Ausstellungsstücke:
Einige Stücke möchte ich euch allerdings etwas besser Erklären. Zum Beispiel:
Den Apollon des Typus Kassel:
Diese Darstellung des Apollon ist die vmtl. berühmteste Skulptur der Sammlung. Es handelt sich um eine Statue aus weißem Marmor. Die Statue ist vmtl. eine römische Kopie aus der Zeit zwischen 90 und 110 n. Chr., dass Original das hier kopiert wurde, war wahrscheinlich eine griechische Statue aus der Zeit zwischen 460 und 450 v. Chr.. Die Untersuchungen zeigen, dass diese Kopie vmtl. in einer römischen Werkstatt zur Zeit Hadrians vorgenommen wurde. Man geht davon aus, dass es sich um eine Skulptur handelt, die 1721 am Lago di Sabaudia in einem Villengelände der römischen Kaiserzeit gefunden wurde. Landgraf Friedrich II. erwarb diese Skulptur im Jahr 1777 und schaffte die fast 2 m große Darstellung Apollons nach Kassel. Die Art der Darstellung des Apollon erhielt dort seinen Namen. Insgesamt sind mittlerweile 26 Apollonskulpturen des Kasseler Typs, aus römischer Zeit bekannt. Bereits im Hellenismus (4.-1. Jahrhundert v. Chr.) wurde die Profilansicht dieser Figur auf Münzen geprägt, was auf die hohe Bedeutung dieser Darstellung hindeutet. Das es sich tatsächlich um die Darstellung des Apollon handelt wird aus einem Text von Pausanias geschlossen. Die Präzision, mit der diese Repliken der Statue hergestellt wurden, lässt darauf schließen, dass es sich um eine sehr berühmte Darstellung dieses Gottes gehandelt hat, die von herausragender Bedeutung war. Dazu gibt es verschiedene Interpretationen. Zum Beispiel, dass es sich um ein Replik einer Darstellung handelt, welche zu dem Apollontempel der Athena Agora gehörte. Bei Plagen und Seuchen war dies der Anlaufpunkt für die Athener*innen. Es könnte also sein, dass diese Art der Darstellung des Apollon eine Schutzfunktion hatte.
Da stellt sich die Frage: warum Kopierten die Römer eigentlich die Skulpturen der Griechen!?
Wer diese Frage beantworten möchte, sollte einen Blick in die römische Gesellschaftsstruktur werfen. Diese Kopien wurden in Villen gefunden, also in Anwesen, welche den Status hochrangiger Römer aufzeigen sollten. Die hohe Qualität der griechischen Skulpturen wurde von den Römern bewundert, und so zeugte es von Prestige wenn sich jemand eine dieser Skulpturen aus Griechenland leisten konnte, und es geschafft hatte sie nach Italien zu schaffen. Doch Griechenland war bald geplündert. Skulpturen wachsen ja schließlich nicht nach. Die Hellenistischen Skulpturen, waren bei den Römern am beliebtesten, doch der Hellenismus war schon seit 300 Jahren vorbei. So kam es in Mode Kopien anzufertigen. Die Ursprüngliche religiöse Bedeutung der Götterdarstellungen war dabei vermutlich weniger von Bedeutung, als das Prestige, dass sie symbolisierten. Es gib Berichte aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. darüber, dass die Kopisten einen großen Markt deckten, und die Nachfrage das Angebot weitaus überstieg.
Apollon, ein bunter Gott
Auf der Oberfläche des Apollon wurden bei der Restaurierung 1973 Farbreste entdeckt. Der Apollon war vermutlich wie alle Skulpturen der Antike bemalt gewesen. Auffällig ist allerdings, dass die Farbe, welche auf dem Bogen gefunden wurde, erst nach 1850 dort hin gelangt sein kann, denn die hier verwandte Farbart wurde erst zu dieser Zeit erfunden. Die rote Farbe, welche in den Haaren und auf den Lippen entdeckt wurden scheinen allerdings wirklich Antik zu sein. Ein Problem ist allerdings, dass bei einer Restaurierung im 18. Jahrhundert die Gesichtszüge der Skulptur nachgezogen und vertieft wurden. Das heißt nicht nur, dass antike Farbspuren dabei entfernt wurden, sondern auch die Gesichtszüge der Skulptur wurden im Detail verändert. Die Ritzungen wurden nachgezogen, nachgemeisselt und nachgebohrt, sodass der Originalzustand der Darstellung nicht mehr authentisch rekonstruierbar ist.
Eine kleine Terrakotte, die verdammt viel Charme ausstrahlt
In der Ausstellung in Kassel befinden sich auch zahlreiche Terrakotten. Eine Darstellung eines Schauspielers der einen Korbtragenden Sklaven spielt, hat mich auf den ersten Blick in den Bann gezogen. Ich musste ein wenig kichern, als ich die Terrakotte erblicke. Deswegen wollte ich euch unbedingt etwas über diese Figur berichten. Sie gehört zu der Terrakottensammlung, die ab 1687 zu der Antikensammlung hinzugefügt wurde.
Was sind denn jetzt Terrakotten?
Terrakotten sind kleine Figuren aus billigem Ton, welche aufgrund dieser Eigenschaft nur bedingt mit den großen Marmorskulpturen vergleichbar sind. Dennoch handelt es sich um ungemein sympathische Funde. Die Funktionen dieser kleinen Figürchen, werden dabei vielfältig interpretiert, und oftmals dem einfachen Volk zugerechnet. Es kann sich beispielsweise um bloße Alltagsgegenstände, Dekoobjekte, Kinderspielzeug, oder kleine private religiöse Darstellungen handeln. Es gibt auch Terrakotten, welche als Votivgaben (Opfergaben) in Heiligtümern gelandet sind. Deswegen finden sich Terrakotten sowohl in Häusern, als auch in Gräbern, oder an heiligen Stätten. Alles im allen liegen diese kleinen Darstellungen aber viel dichter an den Dingen, die normale Menschen zur Zeit der Römer täglich gesehen haben, von daher finde ich sie interessanter als die Skulpturen der Oberklasse.
Die Terrakotte, die mich in ihre Bann gezogen hat, ist eine Darstellung einer Theaterszene. Das griechische Theater wird manchmal als Bestandteil der Dionysosverehrung gedeutet. Sklaven stehen in diesem Theaterkontext meistens Symbol für einen Charakter der möglichst viel Unfug macht, und seinen Herren damit zur Weißglut treibt. Ein korbtragender Sklave wird vermutlich bei der Beschaffung von Lebensmitteln gezeigt. Eine Situation, die andeuten könnte, wie sich der Sklave mit den Lebensmitteln die er für seinen Herren besorgen sollte den Bauch voll schlägt. Mir gefällt das rebellische dieser Figur. Aber auch, die tolle Farberhaltung. Terrakotten sind nicht so idealtypisch, sondern haben Ecken und Kanten. Sie zeigen farbenfroh Ausschnitte aus dem Leben der Menschen, und aus der Wahrnehmung des Lebens aus Sichtweise der einfachem Menschen. Gerade diese Darstellung, lässt einen sofort schmunzeln.
Diese kleine, sehr detailreich gearbeitete Figur ist nur 12 cm hoch. Es ist leider nicht bekannt in welchen Kontext diese Figur gefunden wurde. Aber es fällt auf, wie charakteristisch dieser Mann mit kurzen Beinen und breitem Körper dargestellt wird. Besonders beeindruckt mich die Darstellung der Maske, die er trägt. Die Details versetzen einen direkt in die Wahrnehmungswelt der Antike. Datiert wird die Figur in das 4. Jahrhundert v. Chr.. Es ist eine attische Terrakotte aus Griechenland. Die Terrakotte ist quasi ein Stück Satire aus dieser Zeit, die man sich hier ansehen kann, um gemeinsam mit den Menschen vor 2.400 Jahren zu lachen.
Kleine filigrane Schätze
Besonders für die Archäologie, sind Fundstücke aus filigranem Material. Dazu gehört Glas. Im Schloss Wilhelmshöhe sind einige Glasgegenstände aus verschiedensten Zeiten ausgestellt.
Eines der Glasgegenstände hat mich besonders beeindruckt. Es handelt sich um ein Fläschchen aus blauem Glas, mit einem kugelförmigen Körper der zusammengedrückt wurde. Ein Faden aus weißem nicht durchsichtigen Glas ist als Zierelement vom Boden der Flasche über den Körper gelegt worden, sodass er spiralförmig verläuft. Dadurch wirkt die Flasche sehr edel. Diese Flasche wurde in Norditalien gefunden, und datiert in das 1. Jahrhundert n. Chr.. Dabei hat diese Flasche einen Zwilling. Eine zweite blaue kleine Glasflasche, die in dieser Form, Farbe und Verzierung und sogar in der Datierung vergleichbar ist, wurde bei einer Ausgrabung gefunden. Das Überraschende an diesem zweiten Fund ist, dass er in Nordsyrien in einem Grab gemacht wurde. Das Grab wurde in Yahmour bei Tartous entdeckt. 1967 war dieser Zwilling im Nationalmuseum Beirut ausgestellt.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um eine syrische Flasche, oder auch um einen syrischen Flaschentyp handelt. Denn in Syrien lag zu dieser Zeit das Zentrum der Glasmacherkunst. Hier wurde im 1. Jahrhundert v. Chr. die Glasmacherpfeife erfunden, , welche das herstellen solcher mundgeblasenen Gefäße überhaupt erst ermöglicht. Das kräftige Blau der kleinen Flasche, ist vermutlich der Mode ihrer Zeit entsprungen. Kräftige Farben waren im 1. Jahrhundert n. Christus modern. In der Glasverarbeitung, im 2. Jahrhundert wird dieser Trend dann von hellen Tönen und farblosem Glas abgelöst. Ob es sich hier aber um ein Parfüm oder Salbfläschen handelt ist unklar. Die spannendste Frage aber bleibt, wie kommt das Syrische Glas in ein 2100 Jahre altes Grab in Norditalien?
Was mich in Kassel besonders begeistert hat:
Für mich als besondere Freundin der Vorgeschichte war allerdings eine kleine Figur aus Tell Halaf der absolute Höhepunkt der Ausstellung, und der Grund dafür, warum ich über Stunden das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen habe.
Eine Idolfigur aus Tell Halaf
Mich berühren alle Funde aus Tell Halaf besonders, vor allem seit dem ich vor einigen Jahren auf der Ausstellung in Berlin, die wieder zusammengesetzten Exponate mit eigenen Augen gesehen habe, die von Max von Oppenheim nach Deutschland gebracht wurden. Im November 1943, sind diese Artefakte durch einen Angriff mit Phosphorbomben zerstört worden. Aus kleinsten Teilchen wurden die Skulpturen wieder zusammen gesetzt. Damit sind diese Figuren für mich immer ein Symbol, wenn es wieder erneute Zerstörungen von Kulturgütern gibt, wie zum Beispiel vor wenigen Tagen im Nationalmuseum in Rio de Janeiro. Es ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber auch ein kleiner tropfen Hoffnung, kann morgen früh eine Blume zum blühen bringen. Die doppelte Tragik an Funden aus Tell Halaf ist, dass dieser Ort in Syrien liegt. Und in dieser Region, sind kulturelle Schätze ja bekanntermaßen auf verschiedene Weise bedroht. Tell Halaf ist in meinem Herzen dadurch zu einem Schlagwort für “Besonders schutzbedürftige Kulturgüter” geworden.
Hier in Kassel war es nun also ein kleines Idol, dass mich wieder mit dieser einzigartigen Kultur in Berührung brachte. Dieses Idol hat eine typische Form aus dem 5/6. Jahrhundert v. Chr.. Aufgrund ihrer Körperhaltung wird diese Figur als Brüstehalterin bezeichnet. 1929 wurden in Tell Halaf gleich mehrere solcher Tonidole gefunden. Es handelt sich um Frauendarstellungen eines besonderen Typs, welcher immer in der Körperhaltung, in der Art des Tons, und in der Darstellung der Kleidung vergleichbar ist. Auch sind diese Figuren meist bemalt, was Kleidung andeuten könnte, und oftmals tragen sie eine Kopfbedeckung. Einige wenige dieser Frauenfiguren sind zwischen den Beinen zusätzlich noch mit männlichen Geschlechtsorganen ausgestattet, wenn man den Beschreibungen von Max von Oppenheim glauben darf. Eine weitergehende Analyse dieser Figuren, vor allem aber unter möglichen Gesichtspunkten der Queerarchäologie würde ich mir wünschen. Gerade weil es nicht die ersten Idolfiguren sind, und nicht die erste Kultur, bei der ich dieses Phänomen bemerke. Einen kurzen Bericht über das Phänomen der bislang kaum erforschten Zweigeschlechtlichkeit bei einzelnen Idolfiguren findet ihr z.B in dem Buch “Situation Gender in European Archaeologies”.
Was macht die Kasseler Antikensammlung anders?
Tatsächlich fällt es mir gar nicht so leicht einen Vergleich zu finden, auch wenn es auffällig ist, dass das andere Museum, dass ich mir in Kassel angesehen habe sehr ähnlich ist. Das hessische Landesmuseum, hat ebenfalls in der Hauptsache durch die Exklusivität der ausgestellten Stücke überzeugt, glänzte dabei aber nebenbei immer wieder durch Inszenierungen. Die Antikensammlng hingegen verzichtete auf fast alle Ablenkungen von einer herkömmlichen Vitrinenlandschaft. Es handelt sich um eine sehr nüchtern gestaltete Ausstellung, welche rein auf das Darstellen von Funden der Antike basiert. Der Begriff “Sammlung” passt in diesem Sinne auch besser als der Begriff Museum. Fairer Weise muss ich dazu sagen, dass ich mir nur die Antikennsammlung, und nicht die Galerie angesehen habe, da mein Interesse der Archäologie galt. Über die Darstellungsart der weiteren Ausstellung, kann ich also keinerlei Aussage treffen. Wohl aber ist mir aufgefallen, dass sich der Besuch der Antikensammlung für Geschichtsfanatiker durchaus lohnt. Und das hier sicherlich auch Schulklassen, bei gut gemachten Schüler*innenprogrammen auf ihre Kosten kommen können.
Diese Ausstellung im Schloss Willhelmshöhe ist dennoch in einem Ausmaß klassisch gehalten, dass es in der deutschen Museumslandschaft schon fast antiquiert wirkt. Es gibt zwar sehr schöne gut gemacht erläuternde Texte zu den wichtigsten Ausstellungsstücken, aber eine moderne Darstellung sieht heute meistens anders aus. Doch das entspricht im Grunde genommen dem Stil, welcher ein Museum, dass sich mit Antike auseinander setzt, haben kann. Es ist damit sehr vergleichbar mit den Museen, beispielsweise in Griechenland. Von der Machart des Museums her, fühlte ich mich zeitweilig nicht nur von den Ausstellungstücken her, sondern auch von der Art der Ausstellung in den Mittelmeerraum versetzt. Von daher wirkt das Museum einerseits konservativ und elitär, andererseits aber auch über alle Maßen Mittelmeerraum-verliebt. Letztendlich, ist es aber ein einzigartiges Erlebnis, sich die Antiken in einem Schloss anzusehen, während im Hintergrund die blaue Stunde über Kassel die Nacht einläutet.
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Literatur:
Bundeskunsthalle, Abenteuer Orient – Max Oppenheim und seine Entdeckung des Tell Halaf, Bonn 2014.
Gercke, Peter Gercke, Apollon und Athena – Klassische Götterstatuen in Abgüssen und Rekonstruktionen, Kassel 1991.
Gercke und Zimmermann-Elseify, Peter Gercke und Nina Zimmermenn-Elseify – Antike Steinskulpturen und Neuzeitliche Nachahmungen in Kassel – Bestandskatalog, Kassel 2007.
Schröder, Joachim Schröder, Der Herkules 300 Jahre in Kassel – Vom Wahrzeichen zu Welterbe, Kassel 2017.
Sinn, Ulrich Sinn, Antike Terrakotten, Kassel 1975.
Spartz, Edith Spartz, Antike Gläser, Kassel 1967.
Palincas, Nona Palincas, Living for Others: Gender Relations in Prehistoric and Contemporary Archaeology of Romania. In: Situation Gender in European Archaeologies, Budapest 2010.
von Oppenheim, Max Freiherr von Oppenheim, Tell Halaf, Erster Band, Berlin 1943.
http://www.antikeskulptur.museum-kassel.de/show.html?gruppe=1&nr=3