Es ist eine Geschichte von archäologischen Schlagzeilen, die es besser niemals gegeben hätte. Am 9. 4. 2011 begegnete ich diesem Fall das erste Mal. An diesem Tag wurde International in allen großen Medien über ihn berichtet. Den Schwötzi, die Bezeichnung für einen schwulen Ötzi. Auch in der Hamburger Morgenpost wurde die Geschichte erzählt von einem Mann der vor 5.000 Jahren bestattet wurde, und der offensichtlich schwul sei. Mir machte diese Überschrift damals Stirnrunzeln, denn es gibt keine Methode, mit der man Homosexualität an einem Skelett feststellen kann. Aber immer wieder, teils seltsame, Interpretationen. Und das heißt nicht, dass es in der Steinzeit keine Homosexualität gegeben hat, es gibt einfach keine Methode, mit der man die Sexualität eines Menschen untersuchen könnte. Archäologen finden Knochen, diese geben Aufschluss über das biologische Geschlecht oder die Gesundheit, eben all die Merkmale welche Spuren an den Knochen hinterlassen. Die Sexualität gehört leider nicht dazu. Aber immerhin die Zeitstellung stimmte, denn Ötzi lebt in etwa zeitgleich zu der aufgefunden Bestattung.
Das betreffende Grab wurde von der Archäologin Kamila Vesinova in der Nähe von Prag freigelegt. Es handelt sich um ein Grab der Schnurbandkeramiker, einer Kulturgruppe die ganz am Ende der Jungsteinzeit lebte. Die Homosexualität des Mannes sei anhand der Grabbeigaben und der Lageposition des Mannes definiert worden. Er wäre biologisch männlich, hätte aber die Bestattung einer Frau erhalten hatte. Auf Nachfrage der Wissenschaftszeitung Spektrum musste die Ausgräberin dann allerdings einräumen, dass das biologische Geschlecht des Skelettes nie professionell bestimmt wurde. Aber nicht nur deswegen entpuppt sich diese Geschichte als Ente. Denn selbst wenn hier ein Mann nachweislich ein Leben in der Geschlechterrolle Frau geführt hat, dann macht ihn das nicht schwul, dann macht ihn das zu einer sie*. Es handelt sich in diesem Falle um eine transidente Person. Ein Fund eines Beleges für Transgender in der Jungsteinzeit wäre tatsächlich ein hochinteressantes Forschungsergebnis. Wobei man anfügen muss, Transsexualität ist eine moderne Wahrnehmung einer Person, die eine andere Geschlechterrolle lebt, als biologisch angeboren wurde. Wie die Wahrnehmung und die Selbstwahrnehmung einer Transperson vor 5.000 Jahren war und ob es dafür zum Beispiel ein Wort gab lässt sich wiederum nicht untersuchen. In der Ethnologie gibt es die Beobachtung, dass es zu diesem Thema die verschiedensten Wahrnehmungen gibt. Dazu gehört auch, es gibt Kulturen, bei denen die Menschen Geschlechter frei wählen können, ohne das es dabei zu irgendwelchen Diskussionen kommt, oder eine Erwähnung notwendig wäre.
Die Faktenlage in diesem Falle ist aber eindeutig viel zu dünn um eine solche Aussage zu treffen. Und das spätestens seitdem einige Jahre später eine Untersuchung mit DNA-Analysen gezeigt hat, dass das Bestattungsverhalten bei den Schnurkeramikern in Bezug auf die Lagebeziehung der Menschen gar nicht zwangsläufig aufgrund Geschlechts der bestatteten Personen orientiert gewesen ist. Diese ganze Geschichte ist also zusammengefasst sehr schade. Sie spielt mit der Aufmerksamkeitsökonomie. Und sie spielt auch damit, dass wir heute transsexuelle und homosexuelle Menschen in unserer Gesellschaft haben, welche sich mehr gesellschaftliche Anerkennung wünschen. Ein solcher Fund wäre an dieser Stelle ein kleiner Mutmacher. Leider entpuppt er sich als Ente, die Wirbel gemacht hat um nichts. Und das ist unfair für alle beteiligten.
Literatur:
Geller, Pamela: The Fallacy of the Transgender Skeleton. In: Bioarchaeologists Speak Out: Deep Time Perspectives on Contemporary Issues, Arizona 2019.
https://www.genios.de/presse-archiv/artikel/MOPO/20110409/1-steinzeit-schwuler-entdeckt-hier-/HMP2011040819042703.html
https://www.spektrum.de/news/die-geschichte-vom-homosexuellen-hoehlenmenschen/1069279