Auch wenn ich es schon lange zuvor gewusst habe, habe ich mich dennoch darauf gefreut. Es war ein lange gehegter Traum von mir, eines meiner Top 10 Reiseziele auf meiner Traumliste: Knossos. Zwar war mir bekannt, dass die Rekonstruktionen, die Arthur Evans hier angefertigt hat, unfassbar übertrieben sind. Krass wahrheitsverzerrend und hanebüchen unwissenschaftlich. Aber trotzdem – es war mein Herzensreiseziel, denn Knossos ist wohl einer der wichtigsten Fundplätze der Archäologiegeschichte. Doch:
Schon bei der Anfahrt wird klar: hier ist Nepptown!
Denn dass es so viele Souvenirstände vor einem archäologischen Denkmal gibt, das ist nun doch eher selten. Überall, wirklich überall, sind Touristen. Okay zugegeben, ich bin ja auch einer und nein, ich konnte es mir natürlich nicht verkneifen Miss Jones Fotos mit Hut zu machen. Und es gib vmtl. kaum einen Ort, der sich für so einen Quatsch besser eignet als Knossos.
Aber: ich war schnell genervt von den anderen Gästen. Nirgendwo einen Moment der Ruhe, keinen Moment, wo man, wie in Gournia, einfach entspannt den Minoern bzw. der Bronzezeit begegnen kann. Stattdessen: Gedrängel, ganze Kreuzfahrgruppen, die sich an einem vorbeischieben, voran, eine Frau mit einem Knopf im Ohr, die mit einer Box den Kreuzfahrtgästen eine Führung gibt. Die irgendwas über den Palast erzählt, was noch nicht einmal stimmt.
Schlecht gemachte Touren in einer noch schlechter gemachten Rekonstruktion
Tatsächlich ärgert es mich aber besonders, dass hier so viele Gäste hinkommen, die glauben ihnen wird authentisches gezeigt. Dabei sind die Sachen, die hier irgendwie mit Beton zusammengeklebt wurden, ein absolutes Chaos. Es wurde alles während der Ausgrabung zusammengebastelt. Alles, wirklich alles ist zu kritisieren.
Arthur Evans hat, bevor die Analysen überhaupt möglich gewesen wären, alles einfach so zusammengebaut, wie er sich vorgestellt hat, wie es in einem bronzezeitlichen Palast aussah. Nicht wenige dieser Rekonstruktionen soll er sich im Drogenrausch erdacht haben. Rauschmomente, in denen er angeblich echten Minoerinnen aus der Bronzezeit begegnete. Das Ergebnis davon ist immer wieder archäologischer Humbuk. Fairerweise muss man hinzufügen: Es war zum einen sein
gekauftes Privatland, wo er machen kann, was er will – und: Die Ausgrabungen sind mehr als 100 Jahre her – man kannte damals noch nicht ansatzweise so viele wissenschaftliche Methoden wie heute. Selbst der Umgang mit solch riesigen Fundplätzen wurde damals erst entwickelt. Man konnte in der Zwischenzeit dazu lernen und moderne Verfahren entwickeln. Aber natürlich nur, weil in der Vergangenheit Sachen gemacht wurden, die sich als kontraproduktiv erwiesen haben und man so im Sinne von Try and Error herausgefunden hat, was Funktioniert und was eben nicht. Knossos ist ein Paradebeispiel für solche Fehler, aus denen man gelernt hat.
Aber es ist eben voller Fehler dadurch. Dazu gehören die teils auch die Wandmalereien. Heute ziehen die farbenfrohen Rekonstruktionen viele Gäste an. Und das ist natürlich ein tolles Aushängeschild für die Archäologie. Aber andererseits sieht man den Funden überall an, es handelt sich um zusammengegossenen Beton. Disneyworld ist authentischer als Teile der Rekonstruktionen, die dadurch aber auch einen eigenartigen Charme bekommen. In Knossos, da sieht man die Welt so, wie man sich vor 100 Jahren vorstellte,
wie man bei den Minoern gelebt hat. Man hat diese Vorstellung hier gebaut, wie eine seltsame Vorform eines Themenparks. Was man leider nicht sieht, das ist Wissenschaftlichkeit. Die eindrucksvollen Ruinen sind Fotokulissen für Touristen, die ein tolles Instagrambild wollen. Verloren geht dabei die Kultur und die Geschichte selbst. Und das ist schade.
Das Kind ist in den Brunnen gefallen
Und ich glaube, das ärgert mich am meisten. Die heutige Kulturverwaltung, oder auch die griechische Archäologie – wer auch immer – kann nichts an diesem Zustand ändern. Arthur Evans hat mit seiner Ausgrabung vor 100 Jahren Fakten geschaffen, die er mit Beton manifestiert hat. Er hat so nachhaltig gearbeitet, dass es Gerüchten zufolge 600 Jahre dauern wird, alles insoweit zu untersuchen, bis man weiß, was original ist, was
Fälschung und was im falschen Zusammenhang zusammengesetzt wurde. Es ist an den heutigen Forscher*innen nach und nach behutsam, alles wieder zurückzubauen. Alles genau zu überprüfen, zu fragen: welcher Teil vom Fundplatz gehört wirklich an welche Position? – und teilweise ist das auch gar nicht mehr möglich. Es bleibt in diesem Falle also für immer dieses Disneyworld, das nur eine Fantasievorstellung der Minoer abbildet.
Es ist ein Beispiel dafür, warum man in der Archäologie gewissenhaft arbeiten sollte. Alles genau dokumentiert, bevor man etwas verändert. Warum man heutzutage nicht am Fundplatz selbst alles irgendwie wieder zusammenpuzzelt. Gleichzeitig ist Knossos aber auch eines der wichtigsten Zentren der minoischen Kultur gewesen. Der Palast ist archäologisch einer der relevantesten Fundplätze überhaupt. Doch durch die schlechten Rekonstruktionen lohnt sich der Besuch für Archäologiebegeisterte eigentlich nicht.
Und dennoch bin ich froh, dass ich da war. Ganz einfach, weil ich von den schlechten Rekonstruktionen viele gute Fotos machen konnte. Das hilft dabei, euch hier immer wieder von den Minoer zu berichten. Aber vor allem, weil ich so lange davon geträumt hatte, es einmal selbst zu sehen. Von daher kann ich euch nur den Tipp geben: Knossos ist kein Must see – sondern eine Touristenfalle. Aber um Forschungsgeschichte zu verstehen, ist es ein guter Ort. Entscheidet also selbst, ob es ein Ort für euch ist, oder ihr doch lieber gut bearbeitete Fundplätze bevorzugt.