Homosexuelle und Ehebrecherinnen – Mythen über Moorleichen

Moorleichen sind sehr spannende Zeugnisse vergangener Zeiten. Oft besonders –  anders erhalten als andere menschliche Überreste. Sie wirken manchmal so, als wären sie gerade erst verstorben oder als wären sie noch ein Stück lebendig. Es ist kein Wunder, dass von ihnen eine besondere Faszination ausgeht und das sich Mythen um diese Funde ranken. Schon besonders früh begann die erste Erforschung dieser spannenden Funde. Und zwar mit dem Fund der Moorleiche von Drumkeeragh bei Torfarbeiten.

Ein Gemäld von Lady Hastings, Elizabth of Moria. Die Frau Trägt langes Braunes Haar in das ein weises Tuch gefochten ist, und ein beige Stola über einm Roten scheinbar samtenen Kleid. Di Frau aus dem 16. Jahrhundert hat ein sehr helle Haut und ein Ovalspitzes Gesicht, mit roten wangen und einer Hohen Strin. Sie ist sehr Jung, etwa anfang 20.

Lady Elizabeth Hastings, Frau von John Rawdon, 1st Earl of Moira (Ölgemälde von Joshua Reynolds, aufgrund des hohen Alters gemeinfrei).

Ein Aufseher brachte der Gräfin der Region den Zopf der Moorleiche und sie begann den Fund zu dokumentieren. 1783 wurde diese Moorleiche erstmals von der Gräfin Elizabeth von Moria publiziert. Sie versuchte zunächst die erhaltenen Kleidungsstücke mir ihr bekannten Trachten zu vergleichen, um ungefähr einzuordnen, wie alt die Moorleiche war – scheiterte aber aufgrund des damaligen Forschungsstandes.

Vom Mythos der homosexuellen Moorleichen

Seit dieser Zeit gibt es Mythen, die sich um Moorleichen ranken. Mal werden sie als Opfer an die Götter gesehen, dann wieder als normale Bestattungen, im nächsten Falle vermutet man ein Verbrechen. Es gibt aber auch Interpretationen welche eng an die Sexualität oder das Geschlecht geknüpft sind. Zum Beispiel die Idee, es handelte sich um eine alte germanische Strafe für Homosexuelle, ins Moor geworfen zu werden. Aber was ist dran, an diesem Mythos? Berufen wird sich bei dieser Erzählung oftmals auf die Germania von Tacitus. Und tatsächlich gibt es hier eine Stelle, in der davon berichtet wird, dass es als Strafe galt Menschen im Moor zu versenken. Doch was diese Menschen getan hatten, ist dabei nicht so eindeutig. Bestraft wurde laut Tacitus Feigheit und Fahnenflucht. Aber es wird auch etwas genannt, das mit widernatürlicher Wollust übersetzt werden kann, oder auch damit, dass jemand einen befleckten Körper hat. Was genau damit gemeint ist, ist aber nicht klar.

Die Abbildung des Warrencup. Ein Slberbecher, das ein schwules Paar beim Geschlechtsverkehr zeigt.

Der römische Warrencup stammt aus etwa der gleichen Zeit. Immer wieder wird an seiner Echtheit gezweifelt, aber aufgrund seiner Korrosionsschicht, welche nicht gefälscht werden kann gilt er derzeit als echt (Bild: Marie-Lan Nguyen).

Und das liegt daran, dass nie ganz klar ist, ob Tacitus seine Texte aus Gerüchten zusammengeschrieben hat, oder aus Beschreibungen, die er von anderen gehört hat. Wurde hier eine “germanische” Sicht der Dinge niedergeschrieben oder meint dies ein römisches Verständnis von Wollust? Stimmt überhaupt irgendwas davon? Und wenn ja, was ist widernatürliche Wollust in diesem Zusammenhang? Es kann alles Mögliche sein. Bei den Römern zumindest war Homosexualität in dieser Zeit nicht generell etwas, was als widernatürlich angesehen wurde – Wie zum Beispiel der Warrencup andeutet. Das Beispiel eines Satiregedichtes über Caesar zeigt, dass es durchaus Witzeleien über gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr gab. Aber das ist etwas anderes, als etwas, das als widernatürlich angesprochen werden kann. Warum aber schaffte es eine einzelne dünne Textzeile, deren Hintergrund wir kaum kennen, in unsere Köpfe und blieb dort hängen?

Das liegt nicht zuletzt an Heinrich Himmler:

Ein schwarzweißfoto von Heinerich Himmelr. Er rägt eine Brille und eine Uniform. Sein dünns Haar ist straff nach hinten gekämmt.

Heinrich Himmler hat über seine Organisation, dem Ahnenerbe großen Einfluss auf die Archäologie im Dritten Reich gehabt (Foto: Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 DE).

Dieser nutze im Dritten Reich genau diese Erzählung über Moorleichen, um den Angehörigen seiner SS sehr deutlich zu machen, dass Homosexualität nicht erwünscht ist. Es handelt sich also zu einem Großteil um ein Relikt der NS-Propaganda des Dritten Reiches. Eine historisch legitimierte Einschüchterungsstrategie, welche aber bei genauer Betrachtung jeder Grundlage entbehrt.

Gefälschte Moorleichen

Doch es gibt noch weitere Irrungen und Wirrungen. Verzerrungen die unser Weltbild in Bezug auf Moorleichen prägen. Und das hängt nicht zuletzt mit der Faszination, die diese Funde ausstrahlen zusammen. Beispielsweise die Arbeiten von Alfred Dieck. Dieser, war kein Archäologe, sondern gelangte über seinen Arbeitseifer und seine unbändige Faszination für Moorleichen auch in archäologischen Kreisen zu sehr hohen Ansehen. Der Kriegsversehrte publizierte 1986 sein Werk mit einer Dokumentation aller Moorleichenfunde, die er in jahrzehntelanger Arbeit betrachtet hatte. Dafür bekam er Anerkennung und wurde z.B. Ehrenmitglied der “Archäologischen Kommission Niedersachsen”. Herzlichen Glückwunsch! Wohl verdient! Möchte man da sagen. Die Sache hat nur einen Haken: Mittlerweile ist klar, von den 1.800 dokumentierten Moorleichen waren mindestens 1.000 frei erfunden. Es hat sie nie gegeben. Es stellt sich also die Frage, ob diese Arbeit überhaupt verwertbar ist. Und doch findet sie sich bis heute in archäologischen Arbeiten wieder – Beispielsweise in Bezug auf die Diskussionen über Wikingerkriegerinnen.

Der Mythos Ehebrecherin

Aber nicht nur diese Geschichte rankt sich um Moorleichen. Nehmen wir zum Beispiel das Mädchen von Windeby. Gedeutet wurde dieser Fund im Sinne Tacitus als Ehebrecherin. Sie wurde demnach als Strafe im Moor versenkt.

Die Moorliche von Windby. Ein halb von Erdreich verdeckter Körper. Ein Arm und ein Bein sind zu sehen. Aussrdem sind bei dem Kopf die Augen verbunden.

Die Moorleiche von Windeby (Foto: Bullenwächter (CC BY)).

Das Ganze hat nur zwei Haken: 1. Tacitus schreibt zwar, dass Ehebruch bei den Germanen bestraft wurde. Aber er schreibt nicht wie. Die Strafe lag laut Tacitus im ermessen des betrogenen Ehegatten. Und er macht Beispiele, wie der Frau das Haar abschneiden und sie nackt durch das Dorf jagen. Oder sie verstoßen. Von versenken schreibt er an dieser Stelle nichts. Aber nicht nur das ist seltsam an der Interpretation dieses Fundes aus Windeby. Denn 2.: Die Knochen-Analyse zeigt: Das Mädchen von Windeby war ein Mann.

Die traurige Geschichte von Moora

Aber auch bei anderen Moorleichen kommt die Geschichte der unzüchtigen Frau immer wieder auf, ohne dass dies belegbar wäre. Bekanntestes Beispiel ist Moora, oder auch das Mädchen aus dem Uchtermoor. Eine vermutlich 15-Jährige, die erst in diesem Jahrtausend entdeckt wurde.

Gesichtsrekonstruktion von Moora in zweifacher ausführung- Die Eine rakonstruktion hat rotes haar, die andere braunes.

Zwei Gesichtsrekonstruktionen des Mädchens vom Uchtermoor, genannt Moora (Foto: Axel Hindemith).

Die Analyse der Überreste zeigt: Moora kannte ein schweres Leben, mit Hunger und körperlich harter Arbeit. Den Knochen nach zu vermuten war sie Linkshänderin und hat schwere Lasten auf ihrem Kopf getragen. Die junge Frau verstarb im 7. Jahrhundert v. Chr., also in einer Zeit, in der die Bronzezeit in Nordeuropa zu Ende ging und die Eisenzeit begann. Moora lebte in einer Region, die überregional bestens vernetzt war und in der es fruchtbares Ackerland gab. In dem Moor selbst, in dem die Leiche des Mädchens gefunden wurde, wurden viele Opfergaben gefunden die als Depots versenkt wurden. Es handelt sich dabei meist um Gegenstände. Gleichzeitig führt auch ein Bohlenweg durch das Feuchtgebiet, der nach Radiokarbon Untersuchungen zu Lebzeiten Mooras schon 1.000 Jahre alt gewesen sein muss. Es kann also sein, dass die junge Frau regelmäßig diesen Weg passierte um Wasser zu hohlen. Dabei könnte sie dann verunglückt sein. Auf eine regelhafte Niederlegung, also eine gezielte Bestattung oder eine Opferung der Frau, deutet nichts hin. Im Gegenteil. Es sieht so aus, als ob die Leiche einige Zeit nicht ganz im Moor versunken war, sondern an der Luft lag. Was auch immer passiert ist, dass dieses Mädchen so jung sterben musste. Pergament mit dr Aufschrift: "Die Interpretation Ehebruch erweist sich als Ente."

Und doch, manchmal gibt es Funde die hauchen Tacitus Erzählungen dann ein wenig Leben sein. Zum Beispiel der Fund einzelner Zöpfe. Im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg gibt es zum Beispiel einen langen Zopf, der beim Torfstechen entdeckt wurde. Er konnte auf die Zeit um Christi Geburt datiert werden und stammt damit quasi fast exakt aus der Lebzeit Tacitus. Es erinnert ein wenig, an die Geschichte mit dem abgeschnittenen Haar. Tatsächlich wird hier aber nicht von einem Ehebruch ausgegangen. Das liegt daran, dass es ebenso Überlieferungen darüber gibt, dass Frauen ihr Haar im Moor opferten, um die Götter um etwas zu bitten. Und ein ordentlich gemachter Zopf, der sorgfältig für eine Niederlegung vorbereitet wurde, der lässt sich eher mit diesen Vorstellungen in Verbindung bringen.

Pergament mit der Aufschrift: "Interpretationen sind schnell gesagt und schwer zu belegen."

Gerade wenn ein Stereotyp bedient wird, sind wir schnell dazu geneigt, eine Geschichte als wahr anzunehmen. Aber weder gibt es Nachweise dafür, dass Homosexuelle Menschen im Moor versenkt wurden, noch war Moora eine Ehebrecherin. Moorleichen sind faszinierend. Man kann fast noch sehen, wie der Mensch lebte, dem wir aus einer lang vergangener Zeit begegnen. Das lädt dazu ein, dass wir beginnen Geschichten zu erzählen. Aber diese Geschichten sind von einer Form von Wahrheit, die sich wissenschaftlich auch belegen lässt, oftmals weit entfernt. Diese Geschichte spiegeln eher wider wie wir uns das Zusammenleben zwischen den Geschlechtern vorstellen. Das hat nichts mit dem vergangenen Leben der Verstorbenen, die wir kennen, zu tun. Und wenn wir ehrlich zu uns sind, ist das ganz schön respektlos diesen Menschen gegenüber. Moorleichen sind wunderbare Funde. Man kann viel an ihnen Analysieren und wirklich viel über Einzelschicksale lernen. Dafür müssen wir sie aber als Menschen betrachten und ihnen nicht einfach eine Geschichte überstülpen. Und es ist doch auch eine spannende und sehr traurige Geschichte, dass da ein Mädchen, welches schwer arbeiten musste, in einem Moor tödlich verunglückte und das erst 2.700 Jahre später wieder gefunden wurde.

Literatur:

Frank Both und Mamoun Fansa, Faszination Moorleichen – 220 Jahre Moorarchäologie, Oldenburg 2011.

Thomas Brock: Moorleichen – Zeugen vergangener Jahrtausende, AiD Sonderheft 2009.

Uta Halle ua.: Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz, Bremen 2013.

Tacitus – Germania, aus dem Lateinischen Übersetzt von Adolf Bacmeister, zweisprachige Ausgabe Deutsch – Latein, Hamburg 2017.