Majoonsuo – Elternliebe vor 7.500 Jahren

Die Familie ist tief traurig. Sie legen ein Grab an, vorsichtig – liebevoll. Sie graben eine Mulde für das Kind, das sie verloren haben und kleiden diese Mulde dann mit rotem Ocker vollständig aus. In seinem Anorak und den warmen Schuhen aus Hundefell legen sie das Kleine in die rote Mulde nieder, auf ein Bett aus Daunenfedern. Es ist 7.500 Jahre her, dass dieses Kind in der Region, die wir heute Finnland nennen, betrauert wurde. Das Grab gibt bis heute Zeugnis darüber ab, wie erschüttert die Familie war, die das Kind beisetzen musste. Aber woran können wir Archäolog*innen das eigentlich erkennen?

Was gefunden wurde

Der Befund überrascht mitteleuropäische Sehgewohnheiten zunächst. Der Unterschied sind die Bodenumstände, die dazu führen, dass sich ganz unterschiedliche Materialien erhalten – Das ist eine Frage von Temperatur, aber z.B. auch chemischer Bodenzusammensetzung. Während wir es hier in Deutschland gewohnt sind, dass man in einer Grabgrube oftmals noch die Knochen findet und ein paar Beigaben, ist das nicht überall so. Bei dem finnischen Fundplatz Majoonsuo hat sich zwar die mit rotem Ocker ausgekleidete Grabgrube gut sichtbar erhalten, nicht aber die Knochen. Vielmehr

Archäologischer Grabungsschnitt. An der Seite ist eine rot gefärbte große Struktur mit ovaler Form zu sehen.

Die mit Ocker ausgestreute Grabgrube war bei der Ausgrabung deutlich zu erkennen (Bild: Kristiina Mannermaa).

konnten aber Spuren von Haaren und Federn sichergestellt werden. Die chemischen Umstände, sowie der Grad der Feuchtigkeit im Boden und auch die Temperaturen sind in Finnland eben ganz anders als bei uns. Demensprechend erhalten sich auch andere Bestandteile von Körpern. Das kann man gar nicht mal so spezifisch nach Finnland und Deutschland definieren – in der Uni habe ich mal gelernt: im Abstand von 5 m kann sich die chemische Zusammensetzung des Bodens vollständig voneinander unterscheiden, und so auch die Art, wie sich Leichname im Boden mit der Zeit verändern.

Und was genau fand sich nun in diesem Grab?

Bei dem in Finnland gefundenen Kindergrab war es ein Glück der Forschung, dass noch einige Zähne erhalten waren. Wenn Knochen vergehen, halten sich die Zähne meisten bis zuletzt, denn der Zahnschmelz ist der am stärksten kristallisierte Bestandteil des Körpers – aber so kleine Funde dann wirklich bei der Bergung auch nicht zu übersehen – das ist hohes Geschick der Archäologinnen, die hier tätig waren. Und hier konnte man am Zahnstatus, also z.B. an den Milchzähnen, erkennen: Es handelt sich um ein Kind. Aber: das Alter ist nicht zu erkennen, dafür ist der Körper zu stark vergangen. Man

Zwei Pfeilspitzen je von Vorne und hinten fotografiert. und zwei sehr rote Zähne. Auch die Pfeilspitzen leuchten Rot wegen des ockers.

Die Querpfeilspitzen und zwei der gefundenen Zähne. Durch die Lage im Ocker ist alles ganz rot verfärbt (Bild: Ilari Järvinen).

schätzt aber, das Kind war zwischen 3 und 10 Jahren alt. Außerdem hat man dem Kind Pfeilspitzen beigelegt – und zwar ganz charakteristische Querpfeilspitzen – vermutlich lagen ganze Pfeile bei, die auch befiedert waren. Endsprechende Falkenfedern konnten in passender Lageposition erkannt werden – ein weiterer Teil des Befundes, der zeigt, mit welcher Feinarbeit dieses Grab freigelegt wurde. Anhand der Pfeile konnte das Grab auf die Zeit des Mesolithikum vor 7.500 Jahren datiert werden. Was sonst von dem Grab erhalten ist, ist noch sehr viel kleiner:

Die Faserspuren

Da Fasern im Erdreich erhalten waren, aber man bei so einer Ausgrabung einzelne Haare nicht unbedingt findet, wurde die Erde in viele kleine Beutel verpackt. Diese wurden genau dokumentiert, damit man immer wusste, in welcher Positionierung die einzelnen Bodenproben zueinander standen – oder anders gesagt: wo genau welcher Krümel Erde gefunden wurde. Der Inhalt der Beutel wurde dann unter dem Mikroskop angesehen. Es zeigte sich erst dort anhand der Faserspuren das Bett aus Daunenfedern und ein Anorak aus Wasservogelhaut. Dabei muss man sagen: Ein Teil dieser Analyse ist dann wieder Interpretation. So ist bei all der top modernen Labortechnik zum Beispiel klar, dass man Hundehaare im Bereich der Füße des Kindes festgestellt hat. Es liegt also nahe, an wärmendes Schuhwerk aus Hundefell zu denken – aber: Es könnte genauso gut

Hundehaar unter dem Raster Elektronen Microskop

Eines der hier gefundenen Hundehaare unter dem Mikroskop (Bild: Tuija Kirkinen).

ein ganzer Hund eine Beigabe gewesen sein, der dem Kind zu Füssen gelegt wurde bei der Beisetzung. Das kann man anhand der Faserspuren nicht mehr erkennen. Eigentlich kann man nicht einmal genau erkennen, ob es sich um Hunde oder Wolfshaar handelt. Und bei anderen gefundenen Tierhaaren ist das Rätselraten noch größer – denn es wurde auch Maulwurfshaar gefunden. Da stellt sich dann die Frage, ob sich hier, im Lauf der Jahrtausende, ein Maulwurf einmal hindurchgegraben hat und dabei ein paar Haare einfach so verloren hat, oder ob man in prähistorischen Zeiten vielleicht Maulwürfe in irgendeiner Weise verarbeitet hat und das Maulwurfshaar so, als Kleidungsstück oder Beigabe in das Kindergrab kam. Auch stellt sich die Frage, ob es sich bei den gefundenen Resten eines Bastgeflechtes um ein Fischernetz handelte, oder vielleicht einfach um eine Schnur, die zu der Kleidung gehörte.

Was kann man aus so einem Fund lernen?!

Ich finde eine Menge. Ich konnte euch wunderbar zeigen, wie viel des Ergebnisses einer archäologischen Untersuchung, trotz all der naturwissenschaftlichen Analysen, dann doch Interpretation ist. Außerdem konnte ich einige archäologische Vorgehensweisen erklären, von denen ihr vielleicht noch nie gehört habt. Aber vor allem finde ich toll eine alte Interpretation – ein Stereotyp aufzubrechen, das denn tot von Kindern an alten Zeiten betrifft. Denn Kinder kommen in der Betrachtung des prähistorischen Lebens viel zu

Ein Kind liegt in seinem Grab, liebevoll gebettet

Eine Interpretation des in Majoonsuo begrabenen Kindes (Bild: Tom Björklund).

selten vor. Dazu gibt es oft die Erzählung, dass Kinder in früheren Zeiten nicht so sehr geliebt wurden wie heute. Das ist eines der Narrative, die z.b. auch auf Indigene Gruppen übertragen wurden. Ein rassistisches Stereotyp, das als Rechtfertigung genutzt wurde, z.B. dafür, dass Kinder ihren Familien entrissen wurden. Dabei werden Kinder in allen Kulturen von den Eltern geliebt. Und wenn ein Kind stirbt, dann wird es in allen Kulturen liebevoll betrauert und das auf die Art und Weise, wie man es in der jeweiligen Kultur eben macht. So ein liebevolles Kindergrab aus dem Mesolithikum widerlegt dieses alte Narrativ also sehr eindrucksvoll. Wir können hier durch die Zeiten hinweg sehen, wie eine Familie ihr Kind betrauert und verabschiedet hat. Und das so intensiv, dass wir Teil davon werden und mit dieser Familie mitfühlen können – und das sogar noch nach 7500 Jahren.

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Literatur:

Vogelfedern, Pflanzenfasern und Felle in einem Kindergrab aus dem Mesolithikum

https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0274849

https://www.helsinki.fi/en/news/culture/artefacts-made-bird-feathers-plant-fibres-and-fur-buried-child-mesolithic-stone-age