Dieser Artikel basiert auf der Frage von einer Leserin:
Eine sehr tolle Frage fand ich und begann die Suche nach Antworten auf diese Frage. Da es Jahre her ist, dass ich Klassische Archäologie studiert hatte, musste ich dabei gefühlt ganz bei null anfangen. Aber: Die Frage war interessant genug, dass ich Lust bekam am Ball zu bleiben. Ich erinnerte mich nur daran, was mein Prof. in der Vorlesung damals sagte. Eine „Hochkultur“ scheint es im Griechenland dieser Zeit nicht gegeben zu haben. Er sagte: „Sehen sie dies aus einer anderen Perspektive. Stellen sie sich vor sie sind ein Bauer auf dem Land, der auf einmal keine hohen Steuern mehr abgeben muss, und im Ausgleich dafür auch von niemanden mehr herumkommandiert wird. Ist das wirklich ein Rückschritt?“
Aber zunächst stellt sich die Frage: Wer waren die Mykener und wie endete ihre Kultur? Und natürlich ergibt sich die Frage: Wann beginnt dann das, was als das alte Griechenland bezeichnet wird?
Bei den Mykenern handelte es sich um eine Kultur der ägäischen Bronzezeit. In diesem Abschnitt der griechischen Geschichte wird das Land von Herrschaftssitzen aus regiert. Nach über 500 Jahren mykenischer Kultur wird die griechische Region in der Zeit zwischen 1.120 und 1.100 v. Chr. von schweren Erdbeben heimgesucht. Die großen Paläste, nehmen dabei erheblichen Schaden. Es gibt zwar Spuren einer Nachnutzungsphase, also einer Zeit in der die Menschen versucht haben die kaputten Gebäude weiter zu bewohnen, doch die Kultur schaffte es nicht sich wieder zu erholen und verschwand in der Zeit um 1.050 v. Chr. vollständig.

Eine mykenische Wandmalerei (Gemeinfrei/historisch)
Etwa gegen 700 v. Chr., also 350 Jahre später beginnt die archaische Epoche in Griechenland. Das ist die Epoche die als Vorstufe gilt von dem, was wir als das klassische Griechenland kennen. Die Epochenbezeichnung wurde von dem griechischen Wort Arche, dass bedeutet Anfang, abgeleitet. In dieser Zeit gibt es die ersten Werke mit hoher künstlerischer Qualität. Es ist die Zeit der Stadtstaaten. Sie werden in Oligarchien oder von Einzelherrschern (Tyrannis) beherrscht. In dieser Zeit gibt es große Bautätigkeiten in der griechischen Welt.
Und was geschah jetzt in der Zeit dazwischen!?
Forschungsgeschichtlich gesehen, wurde hier sehr lang herum gerätselt und man sprach von einer Fundlücke zwischen dem 12. und dem 10. Jahrhundert vor Christus. Aufgrund dieser vermeintlichen Fundlücke wurde auch von den Dark Ages gesprochen. Doch in den letzten 50 Jahren zeigte sich, dass es sehr wohl Funde aus diesem vermeintlich dunklen Zeitalter gibt. Ausgrabungen in Argos, Lefkandi und Euböa zeigten, dass es zunächst eine Phase gegeben hat, die man als spätmykenisch bezeichnen kann. Die Zeit ab 1050/1000 v. Chr. bis 700 v. Chr. wird dann als Geomoetrische Epoche bezeichnet. Ein Zeitalter der Fürsten oder Gutsherren, die nur eine regionalen Machtbefugnis haben. Die Ilias und die Odyssee geben einen Einblick in die Lebenswelt der Geometrischen Epoche.
Aber wie konnte dieser abrupte Zeitenwechsel entstehen?
Klar ist, dass der gesamte Mittelmeerraum einen Umbruch erlebt. In der Zeit wo aus der Bronze die Eisenzeit wurde, verschwinden blühende Kulturen und Städte. An einigen Orten werden Erdbeben und Vulkanausbrüche verantwortlich gemacht, sowie ökologischen Katastrophen durch die Erschöpfung übernutzter Böden. Es kommt zu Hungersnöten und Seuchen, Kriege ergänzten das Chaos, dass den Anstoß für eine Gewaltspirale im gesamten Mittelmeerraum gab. Was die Ursache und was die Wirkung war lässt sich dabei heute nicht mehr aufschlüsseln. In diesen gefährlichen Zeiten entsteht schließlich die Seevölkerwanderung. Menschen, aus allen Winkeln des Mittelmeerraumes, bilden Banden und Piratengruppen. Schon viele Regionen wurden als die Herkunftsregion der Seevölker vermutet. Tatsächlich aber, sprechen die Aufzeichnungen und kulturelle Überlieferungen, wobei es sich in der Hauptsache um Zeichnungen der Ägypter handelt, dafür, dass Menschen der verschiedensten ehemaligen Mittelmeerkulturen sich hier vereinigten.

Diese Wand des Totentempels Ramses III. Hier ist eine Seeschlacht dargestellt, auf der sich viele Merkmale der Seevölker erkennen lassen (Foto: Olaf Tausch [CC BY 3.0])
12. Jahrhundert v. Chr.
Die mykenische Welt löst sich langsam auf. Es handelt sich um die Zeit der Seevölkerwanderung, auch dorische Wanderung genannt. DNA Analysen aus Palästina zeigten, dass die hier im 12. Jahrhundert eingewanderten Philister genetisch aus dem Ägäischen aber auch aus dem Iberischen Raum kamen. Die Philister wurden von Pharao Ramses III im heutigen Gazastreifen angesiedelt, weil sie als Piraten unaufhörlich das Mittelmeer unsicher gemacht hatten. Auf diese Art entstand politische Ruhe. In ägyptischen Hieroglyphen dieser Zeit werden die Philister als Peleset bezeichnet. Davon leitete sich die heutige Bezeichnung Palästina ab. In diesen Texten ist für die Herkunft der Peleset auch das Wort Keftiu genannt. Dieses Wort ist in älteren Schriften mit den Minoern in Verbindung zu bringen. Sie wurden in früheres Zeiten auch auf Abbildungen gezeigt, weil sie Handel mit den Ägyptern trieben.

Eine Statue Ramses III im Rockefeller Museum (Foto: Davidbena [CC BY-SA 4.0]).

Mumie von Ramses II (Bild: Gemeinfrei).
Sein Vorgänger Ramses der II ist der Pharao, der am ehesten mit der Geschichte über den Auszug aus Ägypten in Verbindung zu bringen ist. Die kanaanitischen Siedlungsgründe in der Umgebung der neu angesiedelten Philister sind Archäologisch belegt. Es ist sehr gut möglich, dass hier der Ursprung der Geschichte von David gegen Goliath liegt. Die Philister mit ihren europäischen Wurzeln hatten eine höhere Körpergröße, als die Kanaaniter, die als die jüdische Ursprungskultur gelten. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Gruppen scheint zunächst für Probleme gesorgt zu haben, doch später lösten sich die Philister in den Kulturen, die sie umgaben, auf und passten sich an.
Das 12te Jahrhundert wurde für die in Griechenland zurück gelassenen Menschen mit dem trojanischen Krieg einläutet, für den sie Truppen in heute türkische Gebiete entsandten. Gleichzeitig beginnt der Zerfall von Mykene. Dieser Prozess war kein plötzliches Ereignis, sondern die mykenische Kultur verschwindet nach und nach, aus vielfältigen Gründen. Erhaltene Schrifttafeln, die in Linear B verfasst sind, deuten drauf hin, dass die an Planwirtschaft erinnernde Ökonomie der Mykener zunehmend versagt. Die Menschen sagen sich nach und nach von diesem nicht mehr funktionierendem Herrschaftssystem los. Im 11. Jahrhundert wird es dann tatsächlich etwas stiller um die Griechen. Sie verschwinden von den Darstellungen der anderen Mittelmeerkulturen. Doch der aufmerksame Blick in Museen über die griechische Geschichte zeigt: Leben und Kultur hat es auch in den Dark Ages in Griechenland gegeben. Diese Zeit ist nur nicht in der Intensität erforscht und weniger bekannt als die Zeit der Klassik oder die der Mykener. Um dennoch die Spuren dieses Lebens zu betrachten, kann man sich, wie bei anderen schriftlosen Kulturen auch, Artefakte ansehen, die bei archäologischen Ausgrabungen zutage kamen:

Frauenfiguren aus dem Nationalmuseum in Heraklion (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Die Minoisch/Mykenische Glaubenswelt, die sich immer wieder stark auf weibliche Göttinnenfiguren bezogen hat, führt sich auch in den folgenden Jahrhunderten weiter fort. Eine Spur davon sind Tonfiguren von Frauen. Ihre Darstellung ist nicht mehr so kunstfertig. Aber sie werden mit modernen Haarprachten dargestellt und sie sind oft Barbusig, wie ihre Vorgängerinnen. Die hier gezeigten Figuren stammen alle von der Mittelmeerinsel Kreta. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass die religiösen Vorstellungen der Minoer von den Mesopotamischen Mythologien geprägt gewesen sind. Zu dieser Region hatte die kretische Kultur Handelskontakte. Die mythologischen Welten beider Kulturen ähneln sich in einigen Details immer wieder auffallend. Die Handelskontakte gingen verloren, aber die religiösen Ideen lebten in Griechenland weiter.

Göttinnenfiguren aus der Zeit 1100-1000 v. Chr. ausgestellt im Nationalmuseum Heraklion (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Eindrucksvoll zeigt sich dieser Wandel vor allem wenn man die Darstellungen der Göttin mit den erhobenen Armen betrachtet. In der Mitte des Bildes befindet sich beispielsweise die Göttin von Karphi. Sie hält die Arme nach Oben gereckt und entspricht damit ihren minoischen Vorläufern. Aber sie ist auch eine Figur ihrer Zeit, das erkennt man an den Füßen. Am Ende der minoischen Zeit wird damit begonnen bei Figuren Füße und Beine losgelöst vom Körper herzustellen. Die Beine werden erst im Nachhinein an der Figur befestigt. Es zeigt sich klar, dass das Leben in Griechenland weiter ging und das es sich so wie andere Kulturen auch, ganz normal weiter entwickelte. Alte Vorstellungen (wie diese Göttin), trafen so auf neue Modeerscheinungen (wie die losgelösten Füße) nach und nach entwickelte sich so auch die griechische Mythologie weiter.

Die reitende Göttin aus dem Nationalmuseum Heraklion (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
In der Folgezeit entwickelt sich bis zum 9. Jahrhundert v. Chr. dann aber auch eine neue Darstellung einer neuen Göttin, welche auf einem Pferd reitet. Die Menschen der geometrischen Epoche haben leider keine Aufzeichnungen darüber hinterlassen, wen sie mit diesen Figuren darstellen wollen. Anhand der etwa 200 Jahre später erstmals von Hesiod niedergeschriebenen Mythen, kann man sich aber überlegen, welche Göttin hier dargestellt sein könnte. Am wahrscheinlichsten ist dabei Artemis. Zwar sind diese Figuren 200 Jahre älter als die griechische Mythologie, die wir heute kennen, aber religiöse Vorstellungen entwickeln sich nur langsam und Hesiod schreibt die Mythen mit so einer Selbstverständlichkeit nieder, dass man davon ausgehen kann, dass sie in seiner Zeit fester Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses sind. Das macht eine Verehrung der Artemis 200 Jahre vor seiner Zeit sehr wahrscheinlich.

Hausmodell aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. ausgestellt im Nationalmuseum Heraklion (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Manchmal helfen bei der Rekonstruktion des Lebens aber auch Bestattungen. Dieses Hausmodell eines einräumigen Gebäudes mit einer reich verzierten Tür diente als Grabgefäß. Das tönerne Hausmodell stammt aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. und gibt uns eine vage Vorstellung von dem Leben in der geometrischen Epoche. Einzelne Merkmale, die in der Architektur bekannt waren, lassen sich an so einem Fund erkennen. Das Grab wurde in der Umgebung von Knossos gefunden. Deutlich ist zu erkennen, warum man es der geometrischen Epoche zuordnet und woher diese ihren Namen hat. Die geometrischen Muster auf der Tür sind nicht nicht nur Kunstvoll sondern auch akkurat ausgeführt.

Ein Krater aus der Umgebung von Knossos, ausgestellt im Nationalmuseum Heraklion (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Noch deutlicher wird das Phänomen der geometrischen Bemalung, bei einem Blick auf die Keramik des 9. Jahrhunderts. Dieser Krater ist gleich mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher geometrischer Muster verziert. Deutlich zu erkennen ist auch, dass selbst der Grundkörper des dargestellten Menschen aus geometrischen Formen besteht. In diesem Falle handelt es sich um zwei entgegen gerichtete Dreiecke. Die Abbildung zeigt einen Mann auf der Jagd. Er trägt dazu einen Schild und einen Speer. Auf der anderen Seite der Keramik ist wiederum ein Jäger dargestellt und ein Tier, das von einem Speer verletzt wurde. Außerdem werden noch weitere Tiere gezeigt. Es ist unklar warum genau diese Jagdszene auf der Keramik gezeigt wird, aber sie führt uns die Welt der Geometren direkt vor Augen. Betrachtet man diese Darstellungsart mit der Gestaltung der etwas älteren Tür und diese mit der zu Beginn gezeigten Minoischen Bügelkanne, so kann man deutlich erkennen wie sich der Geschmack der Menschen kontinuierlich und Stück für Stück weiter entwickelt hat. Neben dieser übergeordneten Entwicklung, sind lokale Moden und Geschmäcker zu beobachten.

Griechische Keramik aus dem 8. und 7. Jahrhundert vor Chr. ausgestellt im Nationalmuseum Heraklion (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Betrachtet man nun Keramik aus den beiden darauf folgenden Jahrhunderten, so fällt auf wie sich dieser Stil langsam weiter entwickelt. Es entsteht langsam dass, was wir alle, als typische griechische Keramik kennen. Diese Entwicklung ist also nicht vom Himmel gefallen, sondern Bestandteil einer Entwicklungsgeschichte aus einer Zeit, die vergessen wurde. In der es Siedlungen in Luftigen höhen gab, die alles ander als friedlich wirken. Die Zeit des 8. Jahrhunderts war auch die Zeit, in der es dann erste Schriftsteller gab. Beispielsweise wurde Hesiod am Ende des 8. Jahrhunderts geboren. Ihm folgte Homer, der die Ilias und die Odyssee verfasste. Geschichten also, die in der geometrischen Epoche einzuordnen sind. Nicht weil es wahre Geschichten sind, sondern weil sie der Lebenswelt ist dieser Autoren entspringen und sie zeigen was man sich in dieser Lebenswelt alles Vorstellen konnte. Aber auch welche Alltäglichkeit dazu gehörten. Dazu kommt, dass Hesiod auch einige seiner eigenen Erlebnisse niedergeschrieben hat. Er regte sich über die gierigen Adligen seiner Zeit auf, berichtete von Seereisen und davon wie er seine Gedichte in griechischen Städten vortrug. Diese Aufzeichnungen machen einen Blick direkt in die späte geometrische Zeit möglich.

Krater des Athener Malers (Foto: Marcus Cyron [CC BY-SA 3.0]).
Literatur:
Cline, Eric C., 1177 B.C. The Year civilazation collapsed, New York 2014.
Coldstream, Nicolas J., Greek Geometric Pottery. A Survey of Ten Local Styles and their Chronology, Bristol 2008.
Sakellarakis, J.A., Heraklion – Das Archäologische Museum, Athen 2006.
Sinn, Ulrich: Einführung in die Klassische Archäologie, München 2000.
Sternbrag, Heike: Der Kampf der Seevölker gegen Pharao Ramses III. In: AIDA – Archäologie, Inschriften und Denkmäler Altägyptens Band 2, Rahden/Westfalen 2013.