Vorbereitung einer Steinzeitjagd: Die archäologische Entdeckung eines Pfeilschaftglätters und seiner Bedeutung

In der Nähe eines rauschenden Baches auf einer kleinen Anhöhe sitzt eine Gruppe Menschen. Sie haben es sich gemütlich gemacht unter einem kleinen Felsüberhang auf dem Vorplatz der Blätterhöhle – sie reden und lachen. Nebenbei flicken sie ihre Ausrüstung und fertigen neue Pfeile. Die Jäger*innen, von denen man nicht genau weiß, ob sie noch im Mesolithikum (Mittelsteinzeit) oder schon im Neolithikum (Jungsteinzeit) gelebt haben, hinterlassen dabei Spuren, die erst in den letzten Jahrzehnten archäologisch untersucht wurden.

Ein Blick auf einen Fund aus einer Zeit im Wandel

Auf so einem Platz findet man ganz unterschiedliche Hinterlassenschaften aus dieser lang vergangenen Zeit. Bruchstücke von Flint (hier nachlesen, was Flint ist) zum Beispiel, die bei der Werkzeugherstellung als Abfall auf dem Boden liegen blieben. Durch diese Funde wissen wir heute von dieser illusteren Runde, und wir wissen auch, dass dieser geschützte Platz immer wieder von Gruppen zur Rast genutzt wurde.

Hunderte kleine Steinsplitter aus Feuerstein.

Mikrolithen aus Iserlohn-Grürmannsheide aus der Zeit vor 9.000-10.000 Jahren – so klein können die Funde aus archäologischen Fundplätzen dieser Zeit sein. Sie sind daher auch schwer zu finden. Diese kleinen Flintstückchen sind übrigens, genauso wie Funde von dem hier gezeigten Fundplatz im Wasserschloss Werdringen ausgestellt (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).

Es war ein bekannter Ort, um eine Pause zu machen, seine Werkzeuge zu reparieren, und in der Höhle, deren Eingang dicht an diesem Rastplatz liegt, Angehörige zu bestatten. So ein Fundplatz bietet einen besonderen Einblick in diese Lebenswelt, die sich in einer Zeit entwickelt hatte, in der sich die Menschen mit Hundeschlitten zwischen verschiedenen saisonal genutzten Siedlungsplätzen bewegten.

Fokus auf ein duzend Hunde, die einen Schlitten ziehen, der aber nicht im Bild ist. Alles befindet sich in einer Schneelandschaft.

(Bild: Baldur93/Pixabay)

Der Rastplatz lag unter einem Abri – einem Felsvorsprung, der Schutz vor der Witterung bot, und der dann irgendwann abgebrochen und heruntergefallen ist, und so Jahrtausende schützend auf dem Fundplatz lag. Ein wertvoller Fundplatz der jüngeren Archäologiegeschichte, der uns eine Welt zeigt, aus der gar nicht so viel bekannt ist – denn mesolithische Fundplätze sind selten, und der Übergang zur neolithischen Lebensweise birgt aus archäologischer Sicht noch viele ungeklärte Fragen – besonders interessant: Gerade bei dem Fundplatz an der Blätterhöhle zeigt sich, die nomadische Lebensweise hatte sich noch eine ganze Zeit lang erhalten, obwohl es in der Nähe schon Dörfer mit Häusern und Ackerbau gab – man kann sogar zeigen, das die Leute sich kannten. Der Fundplatz ist also ein Jackpot für die Forschung. 2015 gelang dann der Fund von einem Objekt, dass für Archäolog*innen etwas Besonderes ist, da man es selten findet. Ein offenbar verloren gegangenes Werkzeug der Steinzeitmenschen: ein Pfeilschaftglätter.

Was ist ein Pfeilschaftglätter?

Ein Pfeilschaftglätter ist ein Sandsteinwerkzeug, das zum Schleifen verwendet wird. Es handelt sich um zwei gleichförmig bearbeitete Steine, die beide eine Rille haben. Legt man die Steine zusammen, ergibt das ein Loch in der Mitte, mit dem Holzstücke glatt geschmirgelt werden können. Bei dem Fund aus der Blätterhöhle ist die Rinne in der Mitte etwa 9 mm breit und es wird angenommen, dass damit Hölzer, die in Pfeilen verbaut wurden, entrindet und geglättet wurden. Der Sandstein funktionierte dabei so wie Schmirgelpapier.

Ein Pfeil in einem Pfeilschaftglätter. Der Pfeilschaftglätter besteht aus Sandstein.

Pfeilschaftglätter. Eine Replik, die die Verwendung zeigt, ausgestellt im Archäologiemuseum Wasserschloss Werdingen. (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE))

Zur Zeit der Blätterhöhle war dieses Werkzeug keine neue Idee mehr. Bereits vom Ende der Altsteinzeit sind vergleichbare Objekte bekannt. Ein scheinbar sehr effektives Werkzeug – denn bis in die Eisenzeit hinein finden Archäologen diese Schmirgelsteine. Aber – und das macht diese Funde so besonders – Pfeilschaftglätter werden nur sehr selten gefunden. Es handelte sich vmtl. gerade in der Steinzeit, in der die Jagt überlebenswichtig ist, um ein Werkzeug, dass man nur ungern verliert – Denn der Erfolg einer Jagt ist auch von gut gemachten Equipment abhängig.

Eine Pfeilspitze aus gelbgrauen Hornstein.

Eine Pfeilspitze aus der Jungsteinzeit. Meist die einzigen Überreste, die wir von den Jagdwaffen kennen – ein Hinweis darauf, wie die Jagdwaffen hergestellt wurden zu finden ist also etwas Besonderes (Bild: Didier Descouens [CC BY-SA 4.0])

Natürlich kann man mit so einem Schleifstein nicht nur Holz schleifen. Von anderen Fundplätzen ist zum Beispiel auch ein Zusammenhang mit dem Bearbeiten von Knochenwerkzeugen bekannt.

Und warum ist man sich dann hier so sicher, dass man Pfeilschäfte geglättet hat?

Bei der Betrachtung der Oberflächen dieser Schmirgelsteine mit dem Mikroskop wurden vor allem Holzreste gefunden. Und das deckt sich mit ethnologischen Beobachtungen – und während in Bezug auf kulturelle Vorstellungen ethnologische Vergleiche oft eher kritisch zu sehen sind, zeigen sie in Bezug auf die Verwendung von Werkzeugen häufig sehr gute Ergebnisse. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass dieses Objekt einmal so verwendet wurde. Dies zeigen auch weitere Untersuchungen an dem Sandsteinwerkzeug: Eine Untersuchung mit einem hochauflösenden 3D-Scann an einem der weniger bekannten Pfeilschaftglätterfunden zeigte, wie genau die Schmirgelsteine verwendet wurden.

Zeichnung eines Pfeilschaftglätters - Deutlich zu sehen ist die Mittelrinne, welche an den Außenseiten ausgefranst ist.

Die Mittelrinne ist zu beiden Seiten hin abgenutzt (Die Zeichnung zeigt kein real existierendes Fundstück, sondern soll das Prinzip veranschaulichen / Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).

Die Untersuchung machte die Art der Abnutzung des Schleifsteines sichtbar – auffällig ist dabei, dass die Rillen nach außen hin in beide Richtungen größer werden. Durch die Benutzung ist der Hohlraum also etwas ausgefranst. Und da dies in beide Richtungen der Fall ist, geht man davon aus, dass der Schleifstein zum Schleifen in beide Richtungen über den Pfeilschaft hin und her gezogen wurde. Und, weil das auch in der Steinzeit, trotz viel Übung, niemand genau gerade hinbekommt, sind die Öffnungen nach einiger Zeit der Benutzung etwas erweitert.

Was diesen Fund so besonders macht

Die Gruppe, die auf dem Vorplatz der Blätterhöhle ihre Jagd, vorbereitet, würde es sicherlich seltsam finden, dass es Jahrtausende später Archäolog*innen gibt, die sich über einen notwendigen Alltagsgegenstand wie einen Schleifstein sosehr freuen. Doch für Wissenschaftler*innen ist so ein Fundstück – das aus dem Alltag und von dem Handwerk der Steinzeit erzählt – mit Gold nicht aufzuwiegen. Denn so ein Schleifstein gibt einen kleinen Einblick, was denn alles so gemacht wurde, in diesem Moment wo die Steinzeitgruppe sich um ihr Lagerfeuer versammelte.

Eine Hütte aus Ästen steht idyllisch an einem See auf einer grünen Wiese, in der Ferne Bäume.

Das mesolithische Dorf als Rekonstruktion im Steinzeitpark Dithmarschen. Es ist zwar nur eine Interpretation archäologischer Funde, und von denen gibt es nicht so viele – was bei dieser Lebensart alles so passiert ist also eine gute Frage (Bild: Heinrich Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).

Und das ist eine Art Zeitreise, und zwar genau in die Zeit, in der sich alles änderte und die Lebensweise, wie wir sie heute kennen, in der wir z.B. in Häusern leben, und nicht mehr umherziehen begann. Und diese Zeit des Umbruchs genau zu verstehen, mit jedem einzelnen Detail, das hilft uns vielleicht, die Umbrüche der Zukunft zu verkraften. Denn aus dem Gesamtbild dieser Veränderungen können wird über den Menschen mehr lernen und ihn besser verstehen.

Und wenn du jetzt Lust hast mehr über das Leben und Sterben in der Steinzeit, oder die Blätterhöhle zu erfahren, begleite mich doch in meinem Podcast direkt zum Fundplatz und lerne die Wissenschaftler kennen, die dort forschen. (Achtung, Podcast startet sofort beim Anklicken)

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Literatur:

Wolfgang Heuschen, Michael Baales, Jörg Orschiedt: Neue Grabungen in der Blätterhöhle in Hagen und auf ihrem Vorplatz. In: Archäologie in Westfalen-Lippe 2015.

Juan F. Gibaja, Joao Marreiros und Niccolò Mazzucco: Hunter-Gatherers’ Tool-Kit: A Functional Perspective, Cambridge 2020.
Florian Sauer: Ein spätpaläolithischer Pfeilschaftglätter von der Freilandfundstelle Oberweiherhaus (lkr. Schwandorf). In: Archäologisches Korrespondenzblatt 47·2017.
Bernhard Stapel: Spätmesolithikum im Münsterland – Vreden „Stadtlohner Straße“. In: Westfalen in der Alt- und Mittelsteinzeit. Online lesbar unter: https://docplayer.org/60678614-Westfalen-in-der-alt-und-mittelsteinzeit-michael-baales-hans-otto-pollmann-und-bernhard-stapel.html

https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=37364

https://st.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=71235