Holstentor – wie ein Wahrzeichen entstand

Die Trave fließt eifrig in Richtung Ostsee an diesem jungen Ort, der in den letzten Jahren ein aufstrebendes Handelszentrum geworden ist. Noch gibt es keinen Namen dafür, was einmal Hanse heißen wird. Es sind also Händler*innen, die diese Siedlung immer erfolgreicher machen und die, die Stadt aufbauen, die einmal als die mächtigste aller Hansestädte gelten wird. Ich möchte euch, in diesem Teil der Serie mitnehmen nach Lübeck zu einem einzigartigen Wahrzeichen der Hanse: dem Holstentor.

Das Holstentor im Regen. Der Himmel ist grau, und das Tor mit den zwei Türmen leuchtet Rot vor der Stadt Lübeck.

Das Holstentor ist heute ein Wahrzeichen. Aber wie hat die Geschichte dieses Kulturerbes eigentlich angefangen?

Das Knarren der Handelskarren, die über eine Holzbrücke in die Stadt gelangen, ist ab 1216 zu hören. Ihr Name “juxta holzaetaebryggae”, das heißt soviel wie Holstenbrücke. Sie war einst ein Geschenk des dänischen Königs. Auf der anderen Seite des Flusses wartet der Empfang durch einen Turm, der als Stadttor dient. Lübeck beginnt schnell zu florieren. 1250 entschließt die Stadt Lübeck schließlich, eine Stadtmauer zu errichten. Etwas moderneres wird gebraucht und die Befestigung auf die andere Seite der Trave verlagert.

Modell eines Turmes aus Ziegelmauerwerk. Ein Torbogen führt untern durch den Turm hindurch. Er ist mit zahlreichen Türmchen geschmückt.

Daran, dass auf der Seite der Trave, auf der die Altstadt liegt, auch mal ein Turm lag, erinnert heute in kleines Model an dieser Stelle.

Eine neue Stadtbefestigung entsteht, eine Mauer auf einem Landstück, das ebenfalls ein Geschenk des Königreichs Dänemark war. Die Befestigung ist zunächst nicht sehr stabil. Die Dethmarschenchronik berichtet: in nur einem Sommer wurde das neue Tor auf der anderen Seite der Brücke errichtet, es ist zunächst auch nur als Vortor gedacht. Aber: Nun gibt es ein Tor auf beiden Seiten der Brücke – aus Gehaltslisten ist bekannt, dass beim Überqueren der Brücke nun eine Zeitlang auch auf beiden Seiten Zollgebühren erhoben werden.

Das Leben im Lübeck der Hanse

Die Stadt Lübeck entwickelt sich rasant. 20.000 Menschen leben im 13. Jahrhundert in der mittelalterlichen Metropole. Tendenz steigend. Der immer wichtiger werdende Handelsverbund Hanse, der Geld und begehrte Handelswaren in den Ort bringt, lockt genauso wie der Ruf der Freiheit in der Stadt. Lübeck und die anderen Hansestädte sind auf Nord und Ostsee omnipräsent. Von Russland bis London reichen die Verbindungen. Pelze, Salz, Getreide, Holz oder Tuche, alles wird über See gehandelt. Zunächst auf Koggen, später auf einer Schiffsform, die Holk genannt wird. Immer unter der Gefahr, von Piraten ausgeraubt zu werden. Vitalienbrüder, die die Meere unsicher machen.

Ein Siegelabdruckbild, gezeichnet. Zwei Männer in mittelalterlicher Kleidung sitzen auf einem Boot. Dieses hat Segel, die nicht gehisst sind, und Drachenköpfe wie ein Wikingerschiff. Die Wellen sind stark und die Männer rudern.

Schon auf diesem Siegel aus dem Jahr 1280 ist die Bedeutung der Seefahrt für die Hansestadt deutlich zu erkennen.

Der Reichtum lockt ungebetene Gäste auch über Land direkt nach Lübeck. Und so wird eine gute Stadtbefestigung immer wichtiger. Die Zeiten werden härter, das subjektive Unsicherheitsgefühl wird in Lübeck größer, als 1460 Schleswig-Holstein in die Verwaltung des dänischen Königs fällt. 1462 wird die Befestigung an der Holstenbrücke zu einem Zwinger ausgebaut – die Sicherheitsstufe am Stadttor damit erhöht und das Gebäude, dass wir heute als Holstentor kennen entsteht.

Die Architektur

Der Bau stockte einige Male. Das Problem: der Untergrund hier an der Trave ist feucht. Eichenbohlen werden in den Boden gerammt, um ein Absinken des Gebäudes zu verhindern. 1470 wird zunächst der Südturm gebaut – 3 Meter dick sind die Ziegelmauern. Es gibt Schießscharten, um die Stadt mit Kanonen verteidigen zu können.

Die Holstentormauern von außen. Sie sind dick, geziegelt und sehr massiv.

Es ist von innen deutlich zu sehen, wie massiv hier gebaut wurde, und wie schwer das ganze Gebäude ist.

Und schon in dieser Zeit beginnt der Südturm im feuchten Untergrund zu versinken. Das Fundament war nicht so gut vorbereitet wie gedacht. Ein Problem, dass in der Zukunft noch für viel Kopfzerbrechen sorgen wird. 1472 werden die ersten Terrakottafriese angebracht, im Winter 1478/79 steht schließlich der Dachstuhl. Ab da dauert es noch ein paar Jahre bis der Turm fertig ist, die noch fälligen Aufgaben sind Kleinarbeiten, die neben dem Betrieb des Tores vorgenommen werden können. Ab 1477 ist das neue Holstentor deswegen, zunächst noch ohne Dach, in Betrieb. Und ab diesem Moment, wird das alte Holstentor, das direkt an der Brücke stand, abgerissen. All das passiert in einer Zeit, in der eine ganz bestimmte Architektur in Lübeck modern wird: Gebäude aus Backstein. Verziertem Backstein. Bauornamente mit glasierten Steinen dekorieren die Gebäude genauso wie Terrakottaornamente, die nicht glasiert sind.

Das Ziegelmauerwerk des Holstentores von außen. Ein Terrakottafries läuft um das Gebäude, es besteht aus Platten, die an den Mauern angebracht sind, und die Symmetrische Blumenmuster zeigen.

Diese Terrakottafriese werden als Dekoration am Holstentor angebracht.

Eine ganz besondere Kunst. Backsteine werden dabei in Modeln, das sind sozusagen Gussformen, produziert, welche Musterungen erzeugen. Ein Baudekor aus Terrakotten entstand dadurch. Ganze Reliefs und Friese können so erzeugt werden. Der mit dem Bau beauftragte Hinrich Helmstede scheint die einzelnen Merkmale des Tors ganz bewusst ausgewählt zu haben. Denn: der gesamte Bau scheint eine architektonische Hommage zu sein. Auch andere Vortore hatten eine ähnliche Bauweise.

Das Kleverttor in Xanten. Es ist geziegelt, hat zwei Türme und einen Giebelbau, der über den Stadteingang führt.

Das Klevertor von 1393 in Xanten. Mit seinen beiden Eulentürmen ist es dem Holstentor mehr als nur ähnlich (Bild: Frank Vincentz (CC BY-SA 3.0)).

Zum Beispiel in Xanten oder Zülpich bestanden Tore dieser Zeit aus zwei Türmen und einem Giebelbau. Eine Bauweise die frühestens bereits im 2. Jahrhundert in Mittel/Nordeuropa auftaucht und die im 14. Jahrhundert sehr modern ist. Vor allem im niederländischen Raum, im Rheinruhrgebiet, aber eben auch in Lübeck. Doch bei aller Vergleichbarkeit hat jedes dieser Tore eine abgewandelte Gestaltung und damit einen Wiedererkennungswert.

Nach außen hin soll der Bau abschrecken

Das Holstentor war also von vornherein ein Monumentalbau mit absichtlich geplanter einzigartiger Lübecker Optik.

Sicherheit und Identität

Hier wurde mehr als eine Stadtbefestigung errichtet. Das Holstentor war ein Machtsymbol. Die benachbarten Dänen sollten von dem massiven Bau schon durch das Angesicht so erschreckt werden, dass sie es gar nicht erst wagen würden anzugreifen. Noch wichtiger aber bei der Planung, war der Gedanke ein subjektives Sicherheitsgefühl bei der eigenen Bevölkerung zu erzeugen.

Die Innenseite des Holstentores. Es ist hell, es gibt viele Fenster.

Nach innen hin sieht das Tor ganz anders aus. Zur Stadtseite hin wirkt es schützend, aber freundlich.

Das Gefühl, beschützt zu werden. Die Gewissheit, dass sich die eigene Familie, und vor allem die hier gelagerten Handelswaren auf sicherem Gebiet befinden. Ein wichtiger Faktor für die Familien im Mittelalter, die internationalen Seehandel betrieben. Dabei wurde aber noch an einen dritten Faktor gedacht. Das Stadttor wurde zum Identifikationssymbol. Es sollte schon von weither den Stolz der Hansestadt anzeigen und auch deren Gläubigkeit. Das Stadttor wirkt also stellenweise sakral, um zu zeigen, wie gottesfürchtig man hier ist, aber auch imposant, um zu zeigen, wie reich Lübeck ist. Nach außen sollte das Stadttor einschüchtern, nach innen ein sicheres Gefühl geben.

Malerei von einer Stadt hinter einermauer hinter einem Fluss. Rote Dächer ragen in die Höhe und hohe Kirchtürme.

Sieht sicher aus. Lübeck in der Schedelschen Weltchronik von 1493.

Die zur Stadt gewandt Seite wurde deswegen freundlicher verziert. Das Holstentor wurde schnell Bestandteil eines ausgeklügelten Wallsystems. Das lässt sich heute kaum vermuten, denn das Gebäude ist in unserer Lebenswelt ein isoliert stehendes Gebäude. Es war aber von vornherein als Bau einer Stadt Umwallung geplant und gedacht worden und von daher in die Stadtbefestigungen eingebaut. Es werden Zeiten kommen, da verschwindet das Tor hinter tiefen Wallanlagen, denn Lübecks Befestigungen wurden immer massiver. Aber das erzähle ich euch nächsten Freitag, in Teil Drei dieser Reihe.

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Literatur:

Wulf Schadendorf: Das Holstentor zu Lübeck – Der Bau und seine Geschichte. Niederdeutscher Verband für Volks- und Altertumskunde 2, Lüneburg 1978.

Wulf Schadendorf: Das Holstentor – Symbol der Stadt Gestalt, Geschichte und Herkunft des Lübecker Tores, Lübeck 1977.

Manfred Finke: UNESCO Weltkulturerbe – Altstadt von Lübeck – Stadtdenkmal der Hansezeit, Hannover 2006.

https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2005/5/bollwerk-hanseatischer-macht.php