Die Beiden sind schwer verliebt, sie küssen sich. Ein Homo Sapiens und seine Neandertalerin. Es ist 100.000 Jahre her, aber ihre Kinder werden lange vor unserer Zeit unsere direkten Vorfahren sein. Es sind unsere Urururur….. Großeltern. Wie die meisten wissen, bis heute haben wir ein bisschen Neandertaler DNA in uns. Dass sie also Sex hatten, ist klar, aber woher wollen wir wissen, dass der Sex freiwillig war – dass die beiden sich geliebt haben? dass sie Zärtilch miteinander umgegangen sind? Um das zu beantworten, geht es heute um die Frage:
Woher wissen wir, sich Homo Sapiens und Neandertaler geküsst haben?
Natürlich wissen wir nicht viel über die Romanzen zischen Homo Sapiens und Neandertaler. Wir wissen nicht, wie romantisch und liebevoll sie waren. Oder aber ob es Streitigkeiten beim Zusammentreffen gab, worüber man geredet hat. Ob man zum Beispiel einen Wasserfall als romantische Ort gesehen hat – eine bestimmte Kleidung als attraktiv, oder ob es romantische Dates zu zweit gab. Man weiß nicht einmal, wie lange es schon händchenhaltende Paar gibt. Die Funde der Altsteinzeit sind in vielerlei Hinsicht schwer zu entschlüsseln.

Die Begegnung von Homo sapiens und Neandertaler. So dargestellt in der Ausstellung 2 Millionen Jahre Migration. (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Aber einer ist klar: Es wurde geknutscht! Und das kann man beweisen, denn: Beim Küssen tauschen wir Viren aus. Das Virus Methanobrevibacter oralis ist dabei ganz offenbar vom Neandertaler zum Homo Sapiens gewandert. Das konnte man durch Zahnsteinanalysen zeigen. Ein Beleg, der uns zeigt: Es gab Küsse! Das klingt also danach, dass es liebevolle Begegnungen gab, da stellt sich die Frage:
Küssen sich wirklich Menschen in allen Kulturen?
Die Antwort ist: Jein! Man kann Küsse beobachten – übrigens auch bei Menschenaffen. Es ist also ein Verhalten, welches tief in uns drinnen steck. Auch entwickeln sich natürlich Krankheitserreger nur entlang von Strukturen oder Phänomenen, die regelhaft auftreten. Das sichert das Überleben der Krankheitserreger – hätte es Küsse also nicht regelmäßig gegeben, dann hätten sich also auch keine Erreger entwickelt, die sich auf diese Weise verbreiten. Ein Beispiel für einen solchen Erreger ist Herpes. Seit 5.000 Jahren gibt es Herpes, wie die Viren-DNA zeigt. Also kann man sagen, seit 5.000 Jahren verbreitet der Mensch dieses Virus durch Küssen.

Ja! auch Menschenaffen küssen (Bild: Pixabay).
Doch daraus Romantik zu rekonstruieren, ist nicht unbedingt richtig. Denn es gibt nicht nur knutschende Liebespaare, sondern z.B. auch den der Mutter zu ihrem Kind. Oder aber den Freundschaftskuss. Es ist immer ein Ausdruck der Nähe – der Verbundenheit. Daraus hat sich in vielen Gesellschaften irgendwann entwickelt, dass es geregelt ist, wen man küsst. Z. B., dass man nur Küsse innerhalb einer Partnerschaft austauscht. Das muss nicht immer so geregelt sein. Aber eine andere Person zu küssen, kann dementsprechend ein Affront sein, oder ein Übergriff.

Nicht jeder archäologische Fund ist plastisch so eindeutig in der Darstellung, die dieser Fund, der der Kultur der Chimu im heutigen Peru zugeordnet werden kann (Ausgestellt: Humboldtform Berlin/Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Überraschend ist dabei: Eine Untersuchung von 2015 zeigte, dass im Vergleich von 168 Kulturen, nur bei gut der Hälfte Küssen, als eine übliche Praxis, in einem romantischen Zusammenhang gesehen wird. Und auch wenn es schwierig ist, heutige Kulturen vergleichend auf die Vergangenheit zu übertragen, ist diese Zahl doch so massiv, dass man bei archäologischen Funden von z.B. Herpes im Zahnstein, nicht zwangsläufig auf ein Liebesabenteuer schließen sollte. Doch bei vielen aus der Archäologie bekannten Darstellungen, kann man nicht umhin zu sagen:
Das sieht echt romantisch aus – Figuren aus lang vergangener Zeit
Die älteste bekannte Darstellung eines Liebesaktes stammt aus dem Natufien (11.000 Jahre alt) – es handelt sich um eine Figur aus Calcit. Und in dieser Darstellung wird seit langen überlegt, ob sich das Paar, welches sich in inniger Umarmung hält, nicht vielleicht auch gerade küsst. Die Ain Sakhri Lovers (so heißt die Figur) sehen dabei etwas phallusförmig aus, was die ganze Szenerie eindrucksvoll unterstreicht.

Die Ain Sakhri Lovers (British Museum (CC BY-NC-SA 4.0)).
Die Figur stammt aus der Phase der frühsten Sesshaftwerdung und zeigt, wie es auch in dieser Zeit Intimität gab. Wirklich deutlich zu sehen ist der romantische Kuss dann auf kleinen Tonplaketten aus dem mesopotamischen Raum. Babylonische Tonmodelle aus der Zeit gegen 1800 v. Chr. zeigen immer wieder intime Begegnungen von Paaren in ihrem Bett. Auch dabei: Küsse, die eindeutig romantischer Natur sind. Und dass man Küssen mit Romantik in Verbindung brachte, das kann man auch in recht frühen Texten nachlesen:
Ein Blick in Liebesromane
„Meine Oberlippe wird feucht, während meine Unterlippe zittert! Ich werde ihn umarmen, ich werde ihn küssen.“ – das steht in einem der ältesten bekannten Texte, der einen Kuss beschreibt. Und dieser Text ist zwischen 3.900 und 3.500 Jahre alt. Er stammt von einer Tontafel, die in Sippar gefunden wurde.

Ein Mesopotamisches Tonmodell aus der Zeit um 1800 v. Chr. (Bild: (CC BY-NC-SA 4.0).
Aber es gibt auch altägyptische sowie frühe indische Texte, die romantische Küsse beschreiben und die sind sogar bis zu 4.500 Jahre alt. Solche Texte geben natürlich einen Einblick in das sehr private Leben lange vor unserer Zeit. Es zeigt: Romantik und Zärtlichkeit waren in diesen Kulturen relevant. Aber: Nicht in allen Kulturen wird das so gesehen. Das heißt aber nicht, dass es in diesen Zeiten weniger Zärtlichkeiten gibt, nur das Küssen gehört eben nicht zwangsläufig dazu. Vielleicht hat sich das ja so entwickelt, weil man vom Küssen auch krank werden kann – also:
Küsse nicht einfach jeden
Schon früh gibt es ebenso Berichte darüber, dass Küssen krank machen kann. Wir wissen ja heute, dass man sich dabei einen Herpes hohlen kann. Auch z.B. das Epstein Barr Virus kann mit Küssen übertragen werden. Tatsächlich sprechen frühe medizinische Keilschriften aus dem mesopotamischen Raum bereits davon, dass man mit küssen Krankheiten übertragen kann.

Tiberus – versuchte als Kaiser das Küssen zu verbieten (Ausgestellt: Römisch-Germanisches Museum Köln/Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).
Zum Beispiel berichten diese Texte von bu’šānu – eine Krankheit, die den Mund und den Rachenraum befällt. bu’šānu heißt frei übersetzt so viel wie „Beule“ oder „Pustel“ – Es handelt sich vermutlich wirklich um Herpes. Und diese Beulen waren später, im Antiken Rom ebenso bekannt. Kaiser Tiberius fand das so ekelig, dass er das Küssen bei Staatsveranstaltungen verbieten ließ. Allerdings ohne Erfolg. Das Geknutschte ging trotzdem weiter. Vielleicht, weil man Liebe und Zärtlichkeit einfach nicht verbieten kann. Um nun also auf die Frage vom Anfang zurückzukommen – Neandertaler und Homo sapiens haben sich geküsst. Das ist Fakt. Küssen ist eine zärtliche Geste – auch das ist Fakt. Aber: Ob es dabei um eine Romantische oder Freundschaftliche, oder gar kulturelle Zärtlichkeit handelte, das können wir nicht prüfen. Da aus dieser Verbindung aber Kinder entstanden sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass es eine Art der Romantik gab, die sich auch durch Küssen ausgedrückt hat.
Literatur:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.adf0512
https://www.smithsonianmag.com/science-nature/humanitys-first-kiss-was-earlier-than-we-thought-180982206/
https://www.britishmuseum.org/collection/object/H_1958-1007-1
https://www.britishmuseum.org/collection/object/W_1923-0106-1