Ich möchte euch heute etwas erzählen, was mich letztes Jahr ratlos zurückgelassen hat. Auf einmal klingelte mein Handy, ein Bild von einem archäologischen Fund. “did you know this“. Ich kannte es tatsächlich nicht. Das passiert manchmal. Kolleg*innen und Archäologiefreund*innen aus aller Welt schicken mir mal hier mal da ein Foto von einem Fund. Und meistens antworte ich dann und schicke ebenfalls Fotos. Dann freut man sich gemeinsam über unser schönes Fach – es bleibt aufgrund der Sprachbarrieren oft bei kurzen Nachrichten. Doch diese Konversation verlief anders, als ich erwartet hätte:
“Hello I am from Iran”
Ich habe mich sehr gefreut, denn es gibt einfach Regionen auf der Welt, mit denen haben wir alle nicht so leicht Kontakt. Der Iran gehört dazu. Und voller Freude teilten wir Bilder. Ich und diese andere Person. Dabei schrieben wir sehr nette Nachrichten. Es ist für mich immer eine Freude, wenn ich meine Leidenschaft über viele Grenzen hinweg mit anderen teilen kann. Wir schickten uns kurze Erläuterungen zu Funden aus unseren Regionen. Und dann schließlich schrieb mir dieser Mensch, dass er Fundplätze in Deutschland besonders spannend findet, weil sie den Iranischen so ähnlich seien. Ich reagierte verdutzt, denn die Funde, die wir uns geschickt hatten, waren alles, aber sie waren sich nicht ähnlich. Und dann kam die Nachricht, bei der ich erstmal sehr schwer schlucken musste.
“Weißt du denn gar nicht, dass wir beide zur arischen Rasse gehören?”
Um ehrlich zu sein, hat sich mein Magen ganz schön umgedreht in dieser Situation. Ich sagte, dass die Rassentheorie längst widerlegt sei. Ein Relikt vergangener Tage. Ein Propagandakonstrukt, das vor allem, dazu genutzt wurde, die Menschen hier zu überhöhen. Das, dass in Deutschland für viel Leid gesorgt hat und die Macht von Adolf Hitler gestützt hat. Die Antwort kam prompt: “Aber Adolf Hitler war doch ein toller Mann“. Ich widersprach. Vehement. Dann begann die Person auf der anderen Seite erzürnt zu schreiben. Man würde das doch in der Schule schon lernen, dass wir Deutschen und die Iraner die Herrenrasse seien. Sie hörte nicht auf und betone immer wieder, dass das grundlegende Allgemeinbildung sei. Und dann ist mir eines klar geworden:
Der Iran indoktriniert Teile seiner Bevölkerung mit Herrenrassenbullshit
In Verlauf der Diskussion zeichnete sich das ganz klar ab. Dieser Mensch hatte noch nie gehört, was in der deutschen Geschichte passiert ist. Er hatte nur Aussagen zur Verfügung, die unterstrichen, dass er einer Herrenrasse angehörte, dass er besser war als andere. Viel mehr noch beschäftigte sich diese Person mit Archäologie, genau, weil sie das so toll fand und weitere “Beweise” für die Legitimität einer iranischen Vorherrschaft sucht. Irgendwann im Gespräch wurde mir klar: Den Gedanken, Menschen aus anderen Gruppierungen auf Augenhöhe zu begegnen, kannte dieser Mensch nicht – ich wurde nur auf Augenhöhe betrachtet, weil ich aus Deutschland komme. Die Person kannte genauso wenig, alle möglichen Arbeiten, die sich in der deutschen Nachkriegszeit mit der Aufarbeitung der Geschichte beschäftigen, Arbeiten, die die Rassentheorie kritisieren oder sogar widerlegen. Sie war viel mehr der Auffassung, die Rassentheorie sei der weltweit modernste Forschungsstand. Schnell kamen Aussagen, dass ich unwissenschaftlich sei und dass ich keine Belege hätte. Und die Diskussion wurde immer böser. Ich komplett ratlos. Ich hätte Texte schicken können, das forderte dieser Mensch auch von mir. Aber gleichzeitig saß ich da, und dachte “scheiße, das ist komplett nach Staatsdoktrin” – Was ist, wenn er/sie plötzlich dieser widerspricht, bzw. der Doktrin widersprechende Texte bei ihm/ihr gefunden werden. Wir reden hier vom Iran:
Menschen werden im Iran für weitaus weniger hingerichtet
In etwa zeitgleich begannen die Proteste um Zhina Masha Amini, die im Iranischen Gewahrsam zu Tode kam, in den sie genommen wurde, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig saß. Es begannen Proteste, die bis jetzt nicht abgeflaut sind. Derzeit gibt es immer wieder Hinrichtungen, Jugendliche oder sogar Kinder kommen zu Tode. Sie alle fordern ein bisschen mehr Freiheit. Sie dürfen nichts von den Freiheiten, die für uns selbstverständlich sind – tanzen in der Öffentlichkeit, Alkohol trinken, anziehen, was

Der Tod von Jina (Zhina) Amini hat weltweit Proteste für die Freiheit der Menschen im Iran ausgelöst. Bis heute halten die Proteste auch im Iran an (Bild: Hrkac (CC BY 2.0)).
man will – all das ist verboten. Über die Freiheit der Wissenschaft braucht man da gar nicht erst nachzudenken. Und genau darüber grübele ich seit dem nach. Dieser Mensch, mit dem ich geschrieben hab, war offenbar ein Rassist und hatte nichts mit dem gemein, für das ich stehe. Und trotzdem hatte ich Angst. Angst, er könnte, wenn ich ihm Texte schicke, massive Probleme bekommen. Ich habe mich schließlich entschieden, ihn anstelle dessen zu blockieren. Denn er kann ja nicht wissen, dass ich hier in Deutschland auf Demonstrationen für die Freiheit der Menschen im Iran gehe. Und auch das könnte diese Person in Gefahr bringen – und das ist das Letzte, was ich will. Ich frage mich nun 2 Dinge: War das richtig, die Person zu blockieren? Und 2.:
Was passiert, wenn die Freiheit wirklich kommt?
Seitdem ich dieses Erlebnis hatte, bin ich ratlos. Denn einerseits ist es absolut wichtig, dass Frauen sich kleiden dürfen, wie sie wollen, dass es erlaubt ist zu tanzen und so vieles mehr. Ich will nicht, dass die Menschen dort hingerichtet werden. Doch meine Sorge ist – auch in Hinblick auf die sha-treuen Iraner, die in Deutschland gerade ebenso auf die Straße gehen, dass die Menschen im Iran vom Regen in die Traufe kommen könnten. Seitdem ich diesen Chat hatte, verstärkt sich meine Befürchtung. Denn: Es war nicht einfach irgendeine wissenschaftliche Aussage, die getätigt wurde. Der Rassismus war Teil einer Mentalität und Identität. Durch Indoktrinierung tief in dieser Person verwurzelt. So selbstverständlich wie die Schwerkraft. Und nein, ich will damit nicht sagen, Iraner*innen seien generell Rassisten. Meine Frage ist: Wie tief ist Propagandagedankengut verankert in den Köpfen der iranischen Bevölkerung? Wohin führen solche Diskurse, die tief im Unterbewusstsein schlummern können? Und was macht eine Bevölkerung, die sich selbst für eine Herrenrasse hält? Bei dem Gedanken daran wird mir schwindelig. Es hat mir gezeigt:
Pressefreiheit und die Freiheit der Wissenschaft sind das A und O
Wir haben alle ein scheiß Glück, dass wir in einer Welt leben, wo das nahezu selbstverständlich ist (auch wenn ich viel Kritik an so einigen TV-Dokus habe oder auch an der Zeitung mit den 4 großen Buchstaben). Die Pressefreiheit ist unschätzbar wertvoll, damit wir informiert sind, was passiert – Damit wir mündig sind. Es gibt heute so viele Wissenschaftsbereiche, man kann nicht jede Fachsprache kennen. Und dafür gibt es Wissenschaftsjournalismus. Damit übersetzt wird, was wir wissen müssen. Und in dem Bereich ist die Unabhängigkeit der Medien besonders wichtig, denn eine Interessengebundenheit an dieser Stelle offensichtlich gefährlich. Die Presse ist aber auch eine Kontrollinstanz. Zum einen gegenseitig, sie deckt verzerrte Informationen auf, andererseits aber auch gesellschaftlich: Das heißt, sie darf nicht nur, sie muss sogar darüber berichten, wenn Forschung z. B. unethisch wird. Sie muss dies erklären, damit wir auf Augenhöhe darüber reden können. Damit wir Dinge ändern können, denn im besten Falle hat eine Gesellschaft die Regeln, auf die sie sich im Dialog geeinigt hat. Das kann auch heißen, eine Forschung nicht zu machen, weil die Gesellschaft es nicht wünscht.
Forschungsfreiheit funktioniert ganz ähnlich
Die gleiche Art der Kontrolle durch Kritik und Dialog ist aber auch Bestandteil der Forschungsfreiheit. Das gilt gerade für mein Fach: die Archäologie. Denn die Vergangenheit kann als Legitimation so verdammt einfach missbraucht werden. Deswegen gehört zur Forschungsfreiheit mehr als nur die freie Entscheidung, was man erforschen will. Wichtig ist auch: Das Ergebnis kommt am Ende und ist nicht vorgegeben. Aber das allerwichtigste ist: Die Freiheit, kritisiert zu werden. Und dabei spreche ich nicht nur von der Kontrollfunktion der Presse, sondern auch von der des Kollegiums. Forschung heißt viele Menschen scheitern sich nach vorne. Und eine gute Kritik, die bringt einen weiter und holt einen zurück, wenn man auf dem falschen Dampfer ist. In dieser Hinsicht finde ich es bedenklich, wenn Kolleginnen nicht in der Lage sind, Kritik konstruktiv zu äußern. Oder aber wenn Wissenschaftskommunikation total vernachlässigt und unterfinanziert wird. Wir brauchen diese Arbeit für die gesamte Gesellschaft.
Am Ende bleibt Ratlosigkeit
Doch, wenn es das nicht gibt. Dann passiert das, was ich erlebt habe. Dann müssen die Ergebnisse der Forschung zum Regimenarrativ passen. Archäologie wird zur politischen Legitimation. Ich bin ratlos – ernsthaft ratlos und Frage mich: wie wird die Zukunft des Irans angesichts dieser Gegenwart wohl aussehen. Und gleichzeitig sehe ich, wie wichtig und sinnvoll die Arbeit in der Wissenschaftskommunikation ist. Und gleichzeitig erlebe ich jeden Tag, wie unfassbar schwierig es ist, mit dieser Arbeit ein Auskommen zu finden. Und das kann hier bei uns zu einem Problem werden.
Anmerkung: Um die Person zu schützen habe ich mich entschieden so wenig Informationen wie möglich über diesen Menschen Preis zu geben, und auch das Geschlecht zu verheimlichen.
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