Schlechte Arbeit, schlechte Ausbildung, schlechte Archäologie

Die Auswirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf die Archäologie: Schlechte Arbeit, schlechte Ausbildung, schlechte Archäologie

Ein Gastbeitrag von Kristin Oswald

Das Arbeitsleben in Deutschland wird von vielen Gesetzen bestimmt. Ein sehr spezifisches Gesetz, das in der breiten Gesellschaft weniger bekannt ist, ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, kurz WissZeitVG. Es reguliert wissenschaftliche Arbeitsverträge an Hochschulen und nimmt damit erheblichen auf die deutsche Forschungslandschaft allgemein und auch auf die archäologische Forschung.

Das WissZeitVG und seine Folgen

In Deutschland sind knapp 250.000 Wissenschaftler*innen an deutschen Hochschulen beschäftigt. Davon sind laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung etwa 50.000 Professor*innen und knapp 200.000 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen ohne Professur, der sogenannte akademischen Mittelbau. Hinzu kommen Menschen, die bspw. Lehrveranstaltungen anbieten, aber kein Angestelltenverhältnis haben.

Eine Skizze, auf der mit Strichmännchen die verschiedenen Bereiche des Mittelbaus gezeigt werden. Wie Professoren ohne Vertrag, der Lehrauftrag. Vieles ist aber kaum Leserlich. (Ich habe einfach kein besseres Bild gefunden)

Ohne Mittelbau funktioniert gar nichts (Grafik: Wissenschaftsthurm – falls Copyright Problem bitte melden).

Um sich für eine Professur zu qualifizieren, muss man nach dem Abschluss des Studiums eine Doktorarbeit (auch Promotion genannt) abschließen. In vielen Fächern, auch in der Archäologie, folgt dann häufig noch eine Habilitation. Die Zeit, während der man diese beide Forschungsarbeiten schreibt, nennt man Qualifikationszeit. Erst danach kann man sich auf eine Professur bewerben.

Mann steht vor einer blauen Wand. Er hat keinen Kopf, dafür besteht er aus einem Stapel Bücher.

Zusammengefasst gesagt: Diese Archäologische Karriereleiter ist verdammt viel Arbeit (Bild: Geralt (Pixabaylizenz)).

Dieses Konzept an sich ist verständlich, auch in anderen Berufen braucht man Erfahrungen und Abschlüsse, um auf der Karriereleiter aufzusteigen. Das Problem am Wissenschaftssystem ist, dass fast nur die Professor*innen unbefristete Stellen haben. Die allermeisten anderen Forschenden an Hochschulen sind nur befristet angestellt. Zugleich werden pro Jahr aber nur etwa 1.500 Professuren frei und neu besetzt. Es bekommen also jährlich weniger als ein Prozent der Forschenden eine unbefristete Stelle. In den Geisteswissenschaften, zu denen auch die Archäologie gehört, sind das Verhältnis von Professuren und Mittelbaustellen und damit die Chance auf eine Professur etwas besser, aber nicht viel.

Foto einer Aktion, bei der sich viele Wissenschaftlerinnen ein Bild von Hanna vor ihr Gesicht halten.

Unter #IchbinHanna protestieren Jungforscheri*innen, auch mit der Unterstützung von z.B. Verdi gegen die aktuellen Umstände. Wer Hanna ist, das kommt in ein paar Tagen in einem anderen Artikel (Bild: Verdi).

Eigentlich sollte die Einführung des WissZeitVG 1999 verhindern, dass Wissenschaftler*innen ihr Berufsleben lang immer wieder befristete Verträge bekommen. Seitdem ist der Anteil an unbefristeten Stellen allerdings immer weiter gestiegen, das Gesetz hat also seinen Zweck nicht erfüllt. Warum? Das WissZeitVG legt fest, wie lange Forschende für eine Promotion und Habilitation an einer Hochschule angestellt sein dürfen, nämlich jeweils sechs Jahre. Danach ist eine weitere Anstellung auf einer Forschungsstelle ohne Professur weitgehend unmöglich.

Man stelle sich vor, in deutschen Unternehmen hätten nur die Abteilungsleiter*innen unbefristete Verträge und alle, die nach 12 Jahren kein*e Abteilungsleiter*in geworden sind, müssten die Branche wechseln!

Eigentlich sollte das WissZeitVG die Hochschulen dazu anregen, mehr unbefristete Stellen zu schaffen. Die Hochschulen sollten also hochqualifizierte Forschende möglichst schon während oder nach diesen 12 Jahren und auch ohne Professur fest anstellen, anstatt sie ewig mit befristeten Verträgen hinzuhalten. Nur passiert das nicht. Stattdessen werden einfach immer wieder neue Forschende befristet eingestellt. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, sind die wenigsten dieser befristeten Stellen in Vollzeit oder längerfristig. Eine halbe Stelle für ein Jahr ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Dann beginnt die Suche nach dem nächsten Vertrag, oft in einer anderen Stadt.

Schild mit Aufschrift "Home sweet home", daneben Blümchen.

Das bedeutet, ein richtiges Zuhause hat man im Zweifel Jahre, wenn nicht jahrzehntelang nicht, weil man immer nur bis zum nächsten Umzug plant. Das auszuhalten, dafür muss man gemacht sein (Bild: Tumisu).

Begründet wird diese Regelung sowohl von den Hochschulen als auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, das für das WissZeitVG verantwortlich ist, mit Exzellenz und Innovation. Demnach würde der Wettbewerb innerhalb des akademischen Mittelbaus um Stellen und Professuren dafür sorgen, dass sich in den ständigen Bewerbungsverfahren die besten Wissenschaftler*innen durchsetzen, bis am Ende für die Professuren nur noch die exzellentesten Forschenden übrig bleiben.

Ein Mann schaut auf ganz viele an die Wand gepinnte Zettel.

Es soll so Spitzenforschung gefördert werden – ein Trugschluss (Bild: Pexels).

Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die diese und andere Scheinargumente widerlegen. So hat beispielsweise der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages gezeigt, dass im Wissenschaftssystem durchaus nicht immer die besten Kandidat*innen ausgewählt werden. Zugleich sorgen permanenter Wettbewerb und Leistungsdruck nicht für bessere Arbeit. Im Gegenteil. Damit einher gehen: ständige Überstunden, permanente Suche nach der nächsten Stelle, häufige Wohnortwechsel sowie Versagensängste. Nicht nur werden finanzielle Sicherheit, dauerhafte Beziehungen oder Familiengründungen dadurch fast unmöglich. Auch kreative, konzentrierte, hochwertige Forschungsarbeit ist kaum umsetzbar unter ständiger Überbelastung und Existenzangst. Zudem ist da die stetige und berechtigte Angst vor Machtmissbrauch. Passt dem*der vorgesetzten Professor*in die eigene Einstellung nicht, kann es schnell passieren, dass die eigene Stelle nicht verlängert wird und man wieder vor dem Nichts steht.

Zeichnung von Goldie Nagy 2020. Eine Familie. Ein Man und ein Junge aus dem 19ten Jahrhundert, haben sich mit weiteren Familinmitgliedern zu einem Familienfoto Aufgestellt. Neben ihnen sitzt eine Frau, dirch die ein Blitz geht. Auf der anderen Seite Des Blitzes handelt es sich um eine Steizeitfrau. Ein weiterer Mann und ein Weiteres Kind haben sich auf disr Seite ebenfalls zum Famlilienfoto aufgestellt. Doch leben sie in der Steinzeit.

Das muss man sich mal auf der zunge zergehen lassen – wir sollen z.B. Fmilien vergangener Zeiten erforschen, haben selbst aber kaum die Möglichkeit eine zu Gründen, um wircklich zu Wissen was Familie bedeutet – Wie soll das klappen? (Bild: Goldie Nagy).

Das WissZeitVG hat also für hunderttausende Forschende in Deutschland einen unerträglichen Zustand geschaffen. Sehr viele von ihnen verlassen deshalb entweder Deutschland für Forschungsstellen im Ausland oder kehren der Forschung ganz den Rücken. Die Wissenschaft verliert also jedes Jahr tausende sehr gut ausgebildete Wissenschaftler*innen. Seit einigen Jahren aber ist noch eine Option hinzugekommen: Protest. Unter dem Hashtag #ichbinhanna solidarisieren sich immer mehr Forschende, berichten von ihren erschreckenden Erfahrungen und sorgen damit für mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Vorschläge zur Verbesserung des Systems gibt es zur genüge, aber in den letzten Entwürfen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist davon kaum etwas zu finden. Doch aufgrund des demografischen Wandels erreicht der Fachkräftemangel auch die Wissenschaft, immer weniger Menschen bewerben sich auf Forschungsstellen und so bleibt die Hoffnung, dass der Druck von unten etwas verändert.

Was bedeutet das WissZeitVG für die Archäologie?

Für Archäolog*innen sind Universitäten nur eine unter mehreren beruflichen Möglichkeiten. Sie sind daneben auch an Museen, in den Landesämtern für Denkmalpflege der Bundesländer und den Denkmalschutzbehörden einzelner Kommunen oder in Grabungsfirmen tätig. Jedoch lässt sich nicht genau sagen, wie viele Menschen in der Archäologie in Deutschland arbeiten. Eine ungefähre Schätzung: Ich vermute, dass an den ungefähr 300 Sammlungen mit archäologischen Objekten ungefähr 2000 Archäolog*innen arbeiten. Hinzu kommen freie Museumspädagog*innen mit archäologischem Hintergrund, nehmen wir an das sind 200. Es gibt 17 Landesämter für Archäologie und Denkmalpflege plus eine unklare Anzahl an unteren Denkmalschutzbehörden. Hier würde ich die Anzahl an Archäolog*innen auf ungefähr 500 schätzen. Nach einer Umfrage und Hochrechnung der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte gibt es 103 Grabungsfirmen mit etwa 3000 Mitarbeiter*innen plus mindestens 90 selbstständig tätige Archäolog*innen. Das wären insgesamt also etwa 6000 Menschen, die in archäologischen Berufen außerhalb der Universitäten arbeiten.

Ein Schild in drei Sprachen. Es ist beschriftet mit "Archäologische Zone - Eintritt Verboten". Das Schild ist an einem Holzzaun befestiegt. Es Stammt aus dem Pfahlbaumuseum am Ledrosee in Norditalien.

Laut dem Deutschen Archäologen-Verband gibt es an ca. 30 Unistandorten Institute und Bereiche für Archäologie, darunter 25 für die Ur- und Frühgeschichte und etwa 40 für Klassische Archäologie, Vorderasiatische Archäologie, Ägyptologie und Provinzialrömische Archäologie, also insgesamt ca. 65 Institute plus Sonderforschungsbereiche, Exzellenzcluster usw. Hier schätze ich die Gesamtzahl an Archäolog*innen auf etwa 600. Da das WissZeitVG nur für Hochschulen gilt, betrifft es damit etwa 10 Prozent aller Archäolog*innen. Das klingt erst einmal relativ wenig. Dieser geringe Anteil hat aber große Auswirkungen:

Die Auswirkung des WissZeitVG auf andere Bereiche der Archäologie

Erstens gibt es manche archäologischen Disziplinen fast nur an den Universitäten und Museen, etwa Ägyptologie oder Vorderasiatische Archäologie. Die Forschung zu diesen Themen ist also sehr stark an die Hochschulen gebunden, auch wenn Menschen mit einem Abschluss in diesen Fächern durchaus bspw. in Grabungsfirmen arbeiten können. Aber sie können in Grabungsfirmen eben nicht archäologisch zum Mittelmeerraum, zu Asien, Amerika oder Afrika forschen. Dass sich solche Forschungsdisziplinen weiterentwickeln und neue Erkenntnisse erbringen können, ist also von den Universitäten abhängig. Und hier wirkt sich das WissZeitVG aus. Wenn Forschende wegen befristeter Verträge immer wieder die Universität wechseln müssen, fehlt es an Kontinuität und Stabilität. Das gilt beispielsweise für langjährige Unigrabungen außerhalb Deutschlands, die immer wieder von neuen Forschenden durchgeführt werden müssen. Dadurch kann auch bei einer guten Grabungsdokumentation viel Wissen verloren gehen.

Wir legen ganze Städte aus alten Zeiten frei. Pompeji zum Beispiel, hier wird seit über 1000 Jahren gegraben. Tauscht man an so einem Projekt alle paar Monate das Personal aus, dann geht dabei viel Wissen verloren. Die Arbeitsqualität wird schlechter.

Zweitens leidet unter dem WissZeitVG die Ausbildung der Studierenden in allen archäologischen Disziplinen, denn ein Studium ist immer nur an einer Hochschule möglich. Für die Studierenden bedeutet das, dass sie sich an immer wieder neue – gestresste, überforderte, ausgebrannte – Lehrpersonen gewöhnen müssen und abhängig von den wenigen Professor*innen und deren Wohlwollen sind. Zudem kann die Qualität der Ausbildung selbst unter den häufigen Wechseln leiden. Schlechte Arbeitsbedingungen an den Hochschulen führen also zu schlechten Studienbedingungen. Diese führen zu schlechter ausgebildeten Absolvent*innen und damit schlechter vorbereiteten Mitarbeiter*innen. Damit betrifft das WissZeitVG auch die 90 Prozent der Archäolog*innen außerhalb der Universitäten und damit auch Museen, Denkmalämter, Grabungsfirmen usw.

Zum Weiterlesen

Ich bin natürlich nicht die erste, die sich über die Arbeitsumstände in der Archäologie oder über die Auswirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetztes Gedanken gemacht hat. Zudem hängen zahlreiche weitere Themen damit zusammen, die ich hier nicht ansprechen konnte und die nicht nur für die Archäologie gelten, bspw. unbezahlte Praktika, Diskriminierung, unbezahlte Tätigkeiten im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit, fehlende Anerkennungskulturen, Standesdünkel, Abhängigkeit von externer Forschungsförderung usw. Deshalb findet ihr unten noch einige Leseempfehlungen.

Anmerkung

Ich selbst habe an der Universität Hamburg eine befristete Stelle in einem Forschungsprojekt. Dieses wird direkt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Der letzte Neuentwurf für das WissZeitVG sieht vor, dass nur noch Forschende mit einem Doktortitel solche drittmittelfinanzierten Stellen bekommen dürfen. Ich hätte meine Stelle dann also nie bekommen, egal ob ich dafür gut geeignet bin (was ich natürlich hoffe).

Leseempfehlung:

Amrei Bahr, Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon #IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Suhrkamp 2022.

Anarchaeologie (2023): Neoliberale Wissenschaftspolitik bleibt neoliberal – die Debatte um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. https://anarchaeologie.de/2023/04/16/neoliberale-wissenschaftspolitik-bleibt-neoliberal-die-debatte-um-das-neue-wissenschaftszeitvertragsgesetz/

Arbeitsgemeinschaft Theorien in der Archäologie e.V. (AG TidA) (2021): Offener Brief des Vereins AA Theorien in der Archäologie (Tida) zum Thema #Ichbinhanna. https://www.agtida.de/offener-brief-der-ag-theorien-in-der-archaeologie-tida-zum-thema-ichbinhanna/

Chartered Institute for Archaeologists Abteilung Deutschland (2021): CIfA Deutschland positioniert sich zur Bewegung #IchBinHannah. https://cifa-deutschland.de/fachpolitik/stellungnahmen-und-kommentare

Doris Gutsmiedl-Schümann, Raimund Karl, Thomas Meier, Christiane Ochs, Sophie-Marie Rotermund, Stefan Schreiber (2021): Prekariat und Selbstausbeutung zwischen einer Kultur des Jammerns und „Self-Empowerment“ – Einführung zur Diskussionsrunde des Forums Archäologie in Gesellschaft (FAiG). Archäologische Informationen Band 44. https://doi.org/10.11588/ai.2021.1.89186

Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (2021): #IchBinHanna und die Antwort des BMBF – Was dabei vergessen wird: Das Gesetz kreiert ein wissenschaftliches Prekariat.

#IchbinHanna und die Antwort des BMBF – Was dabei vergessen wird: Das Gesetz kreiert ein wissenschaftliches Prekariat

Kristin Oswald (2016): Sterben auf Raten. Wissenschaftlicher Nachwuchs in der (Klassischen) Archäologie. https://kristinoswald.hypotheses.org/1854

Stefan Schreiber (2021): Archäologie am Abgrund – Abgründe der Archäologie: Menschenregierungskünste zwischen Prekarisierung und Selbstausbeutung, in: Archäologische Informationen Band 44. https://doi.org/10.11588/ai.2021.1.89190