Seit einiger Zeit geht es durch die Medien. Skandale in der Archäologie und immer wieder finden wir die in Koblenz. Ihr habt mir schon öfter geschrieben, ich solle mir das einmal ansehen, und deshalb habe ich mir jetzt mal die Zeit genommen mich zu Fragen: Koblenz – was ist los mit dir?
Der erste Skandal 2020
Wirbelsäulen. Gestapelt in Blumentöpfen als Dekoration im Amt. Das hatte einige Gäste des Amtes stark schockiert. Es handelte sich um eine Dekoration, die im Zuge eines Abschiedes einer Kollegin angefertigt wurde. Der Hintergrund: Bei Knochenanalysen ist das ein gängiges verfahren. Es gibt einen Arbeitsschritt, bei dem die Wirbel aufeinander gestapelt werden.
Man kontrolliert so, ob es Rückenkrankheiten gab, ob alle Wirbel erhalten sind uvm. Und am Ende hat man ein Wirbeltürmchen. Das sieht tatsächlich recht hübsch aus, wird aber normalerweise wieder abgebaut nach der Untersuchung. Und das ist in Koblenz nicht passiert. Hier wurden die Wirbel formschön in Blumentöpfe gesteckt und mit Blättern verziert.
Ist euch Archäofreaks jedes Pietätsgefühl abhandengekommen?
Ja! Also in diesem Falle ja! Aber auch sonst. Auf der Roots Tagung in Kiel bspw. begann ein Kollege seinen Vortrag mit „I love bones. Okay, that is nothing new for you. We are all here because we love Bones!” und ja, das stimmt. Aber: Das heißt, man muss insbesondere mit menschlichen Überresten stilvoll umgehen. Dass es da Ausrutscher gibt, ist jedem im Kollegium, glaube ich, schon einmal passiert.
Doch normalerweise gibt es da das Team, in dem jemand darauf aufmerksam macht, damit das nicht passiert. Und doch: Die Diskussion über eine diesbezügliche Fachethik läuft seit Ewigkeiten und das nur sehr schleppend. Das dies den Koblenzern nun angelastet wurde, habe ich damals eher in diesem Zusammenhang gesehen. Doch dann kam der nächste Skandal:
Rechtsradikale Chats
Das kann offenbar nicht nur die Polizei, sondern auch die Amts-Archäologie. Folgendes ist passiert: In der Amts-Archäologie gibt es eine Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Helfern. Das ist überall in Deutschland so, das könnt ihr auch machen, wenn ihr Lust drauf habt. So auch im Amt in Koblenz. Eine Gruppe ehrenamtlicher Helfer sind Sondengänger. Das sind Menschen, die gerne ein Metallsuchgerät benutzten. Das ist illegal – es sei denn, man hat eine Erlaubnis.
Diese Erlaubnis wird vom Amt vergeben, für jedes Grundstück einzeln. Diese Sondengänger hatten eine Chatgruppe bei WhatsApp, die von einem der zuständigen Beamten koordiniert und geleitet wurde. Unter dieser Leitung kam es dann zu homophoben, sexistischen und rassistischen Äußerungen. Außerdem wurde ein anderer zuständiger Kollege aus dem Amt in dieser Gruppe bedroht.
Ist das normal bei euch im Fach?
Ja. Also nicht ganz, aber leider kann man beobachten, dass in der Sondlerszene zum Teil ein sehr männlich dominates martialisches Bild vorherrscht. Das kann man nicht generalisieren, aber das gibt es. Und in diesen Bereichen sind immer wieder fließende Übergänge zu rechtsextremen Menschen, oder ihren Mitläufern und Nachplapperern zu sehen. Das ist ein Problem, an dem die Amts-Archäologie oft wenig ändern kann. Denn es handelt sich um Hobbygruppierungen, welche sich außerhalb der Amts-Archäologie organisieren. Ich weiß, dass einige von euch Sondengänger sind und dass ihr das auch anders seht. Ich habe eure Nachrichten gelesen, wie peinlich es euch ist.
Wie gerne ihr mich eigentlich mal mitnehmen würdet, aber euch nicht so recht traut. Und auch den meisten Mitgliedern der Gruppe, die hier aufgeflogen ist, war die Angelegenheit peinlich. Das haben sie öffentlich bekannt gegeben, genauso, wie dass sie eine Person herausgeworfen haben und einer anderen die Grenzen aufzeigten. Der Koblenzer Archäologe wurde nach diesem Skandal freigestellt, weil er nicht eingegriffen hat. Mein Gedanke dazu ist: Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, das alle Ämter in Deutschland betrifft – und ich würde mir mehr Austausch dazu wünschen. Denn zu sagen, dass das scheiße ist, ist eine Sache – aber selbst in der Situation zu sein, wo man plötzlich für rechte spinner Verantwortung hat, ist eine ganz andere Sache. Und wir Archäolog*innen müssen mit dem Problem von rechter Seite vereinnahmt zu werden umgehen. Und das auf vielen Ebenen.
Und schon kommt der nächste Skandal
Kurioserweise begann es damit, dass ein Kollege einen anderen der unwissenschaftlichen Arbeit bezichtigte. Das wurde geprüft und verworfen. Dann gab es Hinweise, dass der Beschuldiger selbst nicht sauber arbeitet. Es gab eine Nachricht seiner alten Uni, vertraulich an die Generaldirektion Kulturelles Erbe. Ein Hinweis eines weiteren Kollegen, dass mit seinen Untersuchungen etwas nicht stimmt.
Seit Frühling 2024 kommen nach und nach mehr Details an die Öffentlichkeit, der Kollege ist seit langem freigestellt und noch im Oktober bestritt er in den Medien die Vorwürfe. Doch es zeigt sich: Der Kollege hat Schädeldatierungen gefälscht, seine Dissertation, zum Teil Fundorte usw. und das heißt seine Arbeiten müssen nun alle nachuntersucht werden.
Seit so langer Zeit ist das schon bekannt? Warum dauert das so lange?
Ein Archäologe am Landesamt betreut unzählige Befunde, Ausgrabungen und Projekte. Das dauert, die ganzen Projekte überhaupt zu finden. Dann muss man alles nachrecherchieren. Man muss die Schädel neu beproben, um z.B. neue C-14 Datierungen zu machen. Alle Fundorte aufsuchen, im Zweifelsfall die echten Fundorte finden – oder wie in einem Fall, den Antiquar, der ihm den Schädel verkauft hat, der dann an einen angeblichen Fundplatz gemogelt wurde. Derzeit arbeiten die Universität Köln, das Landesdenkmalamt Schleswig-Holstein und ein kulturanthropologisches Institut aus Mannheim daran.
Es wurden von der Politik also externe, neutrale, Stellen beauftragt, um den Ruf des Amtes durch die Aufarbeitung wieder herzustellen. Und die müssen sich jetzt erstmal einarbeiten. Und was sie zu betrachten haben, ist nicht wenig – denn seit 1997 hat der Kollege Befunde gefälscht. Offenbar schon bei seiner Diss. Das, das nicht schon lange aufgefallen ist, ist dabei bemerkenswert. Sein Doktorvater wurde nämlich wegen Betrugs verurteilt, schon in den 90ern. Dieser hatte einen Bekanntheitsgrad für C-14-Datierungen, die er durchgeführt hat. Dann zeigte sich: Er hatte seine Maschine für C-14-Untersuchungen nie benutzt. Alle Datierungen waren frei erfunden. Auch die Datierungen für die Diss. von dem jetzt beschuldigten Kollegen, um den sich der aktuelle Skandal dreht. Die Beiden kannten sich nicht nur – sie scheinen gemeinsame Sache gemacht zu haben.
Was hat er denn gefälscht? Und warum ist das niemanden aufgefallen?
Der Kollege hat nicht alles gefälscht. Das macht die Analyse seiner Arbeit in der Aufarbeitung natürlich noch komplizierter. Aber es fällt auf: Er hat Funde gefälscht, welche zu archäologischen Sensationen wurden. Medienwirksame Funde. Also Geschichten, mit denen man sich in die Geschichtsbücher schreibt. Vielleicht, auch das ist eine Vermutung, hat der Kollege dieses Problem, das manche Feuerwehrleute haben, die selbst Feuer legen, um dann die Retter zu sein.
Aber durch die Fälschungen war er eben der Held, der die tollen Fundplätze findet. Denn: Der Kollege hätte eigendlich keinen anderen Anlass haben können so zu Handeln – Er hatte Beruflich nämlich alles erreicht, was man in der Archäologie errichen kann und stand ganz oben auf der Karriereleiter. Wenn das der Fall ist, dass er eine psychische Not hat, will ich ihn nicht als bösen Menschen hinstellen, sondern einfach darum bitten, dass er Hilfe bekommt. Und weil er immernoch behauptet, das die Anschuldigungen ihm gegenüber gelogen seien, und das recht verzweifelt wirkt, hoffe ich umsomehr, das er psychologische Hilfe bekommt, alleine schon um mit dieser verzweiflung nicht alleine zu sein. Deshalb nenne ich auch seinen Namen hier nicht. Die Probleme, die sich hier zeigen sind ohnehin auch strukturell und müssen vom gesamten Kollegium besprochen werden. Und mal ehrlich: Jeder im Kollegium möchte einmal einen ganz großen Fund haben. Forschung ist oft von Forschungsförderung abhängig. Man braucht Medienberichte, um daran zu kommen. Und die bekommt man nur mit Sensationen. Das akribische Erforschen von Scherben ist teils viel wichtiger, aber: Es erzeugt keine Aufmerksamkeit. Also übertreibt man. Und das Übertreiben wird einem in der Archäologie zum Teil auch wirklich leicht gemacht.
Prüft etwa keiner, was ihr so verkündet?
Jein. In Koblenz wird erst seit 2013 das das 4-Augenprinzip angewendet, bei dem alle Befunde noch einmal geprüft werden. Aber selbst wenn das passiert. Wir haben oft zu wenig Geld. Man kann z.B. oft nicht ausreichend Skelette untersuchen, um seine Aussage valide zu untermauern. Jede C-14-Probe, jede DNA-Analyse kostet. Und wenn das Geld fehlt, werden halt nur wenige Funde untersucht. Das macht die Forschung fehleranfällig. Hinzu kommt: Teils handelt es sich bei den Funden um Rettungsgrabungen, wo es manchmal zu wenig Zeit gibt um Sachen strukturiert aufzuschreiben.
Das heißt, ein Bagger hat durch Zufall etwas archäologisches gefunden. Es ist schon alles auseinander gerissen, wenn der Archäologe kommt. Das heißt, der Kontext ist schon kaputt. Und wenn man dann rettet, was zu retten ist, macht man leicht Fehler. Dass man sich dann bewusst oder unbewusst einen Befund so zurechtlegt, dass man eine Sensation hat, ist verlockend. Vor allem, wenn man alleine am Fundplatz ist. Dann ist man die einzige Person, die den Zusammenhang gesehen hat. Das hat mit viel Verantwortungsbewusstsein zu tun, dann alles richtig in Bezug zueinander zu setzen, und so zu dokumentieren, dass nichts verloren geht. Der Clou ist: Normalerweise gilt in der Wissenschaft alles als belegt, was wiederholbar ist – aber eine archäologische Grabung kann man nicht wiederholen. Was weggebaggert ist, ist weg. Deshalb gilt jede archäologische Ausgrabung als Zerstörung. Damit will ich aber nicht rechtfertigen, was der Koblenzer Kollege für einen Schaden angerichtet hat. Im Gegenteil ist hier mehr schief gelaufen auf struktureller Ebene, als man glauben kann – und was mich aufregt, die Sachen sind zum Teil sogar schlecht gefälscht.
Welchen Schaden hat er denn angerichtet?
So ganz ist das noch nicht klar. Aber seine beiden größten Sensationen waren keine. Der Neandertaler von Ochtendung ist nicht 170.000 Jahre alt, und auch kein Neandertaler. Es ist ein gewöhnlicher Homo sapiens aus dem 7.-8. Jahrhundert. Genauso wie das Schlachtfeld von Riol – das es garnicht gab. Das erschüttert vor allem die anliegende Gemeinde, die ihr Selbstverständnis auf diesem Fund aufgebaut hat. Hier soll es eine Schlacht zwischen Germanen und Römern gegeben haben.
23 Schädel hatte der Archäologe gefunden. Heute weiß man: von diesen Schädeln datieren nur zwei in den fraglichen Zeitraum. Der Fundort ist unklar, weil unzureichend dokumentiert und es gibt den verdacht, dass ein paar Speerspitzen gar nicht zu diesem Zusammenhang gehören. Es ist bei diesen Funden also nicht so, dass wir die gesamte Menschheitsgeschichte neu schreiben müssen. Aber ärgerlich ist es schon, dass es so weit gekommen ist. Vor allem hat der Ruf der Archäologie Schaden genommen. Deshalb begrüße ich es, das jetzt alles aufgearbeitet wird.
Und was meinst du mit schlecht gefälscht?
Das ist nicht der erste Fall archäologischer Fälschungen. Über Alfred Dieck, habe ich zum Beispiel schon einmal am Rande berichtet. Dietz hatte die Befunde echt aussehen lassen, indem er Befundzeichungen dazu gefälscht hat. Der wichtigste Teil der Archäologie ist immer die Dokumentation der Gesamtsituation, mit Fotos und Zeichnungen, um alles überprüfbar zu machen – denn wiederholbar ist es ja nicht. Und das fehlte. Besonders macht mich das beim Schlachtfeld von Riol stutzig. Das hätte schon lange auffallen müssen, das die Befundzeichnungen, die Beschreibung der Fundorte hier fehlt – denn es handelt sich dabei um die Diss. des jetzt aufgeflogenen Archäologen. Aber auch in Bezug auf den Neandertalerschädel ist die Geschichte sehr fraglich. Der Archäologe will ihn durch Zufall bei einem Sonntagsspaziergang gefunden haben. Und das durchaus schon in einer Zeit in der es Fotohandys gab. Aber es fehlt der Fundort, und alle weiteren Details, die ein Archäologe standardmäßig abspielen muss, wenn er ausgebildet ist – auch wenn er gerade kein Werkzeug dabei hat.
Das hätte lange auffallen müssen – und es ärgert mich um ehrlich zu sein auch, dass der so blöde war, dass er zu seinem Sensationsfund nicht mal eine einfache Fundzeichnung dazu gefälscht hat. Aber eigentlich heißt das: Hier sehe ich wieder Probleme struktureller Natur. Das wir uns gegenseitig nicht genau genug prüfen. Und auch, dass je weiter Oben Jemand auf der Karriereleiter steht, um so weniger traut sich irgendwer diese Person zu kritisieren. Mit Kritik riskiert man nämlich seine eigene Karriere. Ich vermute, dass das auch einer der Gründe ist, warum ich selbst keine Arbeit in der Archäologie finde – ich spreche Probleme nämlich gerne offen und ehrlich aus. Aber dafür brauchen wir andere Strukturen in unserem Berufsumfeld. Das sich da etwas ändern muss, hat sich jetzt wieder gezeigt.
Literatur:
https://gdke.rlp.de/service/presse/detail/archaeologische-verdachtsfaelle-werden-systematisch-abgearbeitet-2
https://mdi.rlp.de/service/pressemitteilungen/detail/schneider-wollen-wissenschaftlichen-schaden-abwenden
https://www.tagesschau.de/inland/regional/rheinlandpfalz/swr-archaeologie-skandal-in-koblenz-weitet-sich-anscheinend-aus-100.html
https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/leitender-mitarbeiter-von-gdke-soll-funde-manipuliert-haben-100.html
https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/trier/forschungen-zu-roemischen-schlachtfeld-bei-riol-sollen-manipuliert-sein-100.html
https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/landesarchaeologe-koblenz-seit-laengerem-unter-betrugsverdacht-100.html
https://www.rlptoday.de/rheinland-pfalz/rlp-koblenz/archaeologe-funde-skelett-faelschung-koblenz-generaldirektion-kulturelles-erbe-4045974
https://www.stern.de/panorama/archaeologie-skandal–etliche-schaedel-wohl-bewusst-falsch-datiert-35257794.html
https://www.stern.de/panorama/archaeologie–beamter-unter-betrugsverdacht—funde-wohl-gefaelscht-35136614.html
https://www.deutschlandfunk.de/archaeologe-soll-schaedel-bewusst-falsch-datiert-haben-102.html
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/archaeologe-in-rheinland-pfalz-soll-funde-bewusst-falsch-datiert-haben-110043489.html
https://www.sueddeutsche.de/wissen/koblenz-installationen-aus-menschlichen-wirbelsaeulen-in-blumentoepfen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201223-99-799697
https://www.allgemeine-zeitung.de/politik/politik-rheinland-pfalz/archaeologe-hat-mutmasslich-mit-seinen-funden-betrogen-4044764
https://www.morgenpost.de/panorama/article407816887/bewusst-manipuliert-archaeologie-skandal-erschuettert-wissenschaft.html
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/skandal-in-der-archaeologie-der-knochenfaelscher-von-koblenz-a-73db70b2-ae78-4b2c-9361-5dfdf529e744