Was ist das Lampedusa-Projekt?

„Was machen sie hier?“ „Was hat denn Archäologie mit heutiger Flucht zu tun?“ „Hat das überhaupt einen Sinn?“ Das sind Fragen, die ich mir oft anhöre. Deshalb gibt es jetzt auch einen Bereich zu diesem Thema, als Zusatzkategorie auf meinem Hauptblog Miss Jones. Hier könnt ihr nachlesen, was ich in meiner eigenen Forschung tue. Ob es diese Art der Archäologie gibt – davon könnt ihr euch hier überzeugen – ob ihr sie für sinnvoll haltet, das dürft ihr selbst entscheiden. Ich finde ja, sonst würde ich das nicht tun, aber du darfst das natürlich total doof finden. Aber, bevor du urteilst, erst einmal:

Worum geht es eigentlich genau?

Ich fahre möglichst regelmäßig nach Lampedusa, um dort Fluchtboote zu beobachten. Es handelt sich um Boote, die meist in Tunesien oder Libyen gestartet sind, um nach Europa zu gelangen. Ich schreibe über diese Boote meine Dissertation. Und das heißt, ich beobachte sie ganz genau.

Ich wie ich ein an Land liegendes Boot betrachte, und unter den Bug klettere.

Dieses Boot z. B. hatte seltsame Kratzer am Bug – sowas schaue ich mir genau an, und dokumentiere es (Bild: Timo Knorr (all rights reserved)).

Als ich eine Aktivistin von einer Seenotrettungsorganisation einmal dabei hatte – sie wollte gerne selbst sehen, was ich tue – meinte sie „Du bist ein bisschen wie so eine Orcaforscherin – für andere sehen Orcas alle gleich aus, aber die Forscherin erkennt jeden Orca nicht nur sofort, sie spricht sie sogar mit Namen an“. Und teilweise geht es mir mit den Fluchtbooten genauso. Ich begrüße sie manchmal auch mit Namen.

Warum machst du das, hast du eine politische Agenda?

Anfangs ja. Ich dachte, wenn die Leute in Europa das sehen, ändert sich ihre Meinung. Aber das glaube ich heute nicht mehr. Vielmehr glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir wissen, worüber wir reden. Zur Meinungsbildung gehört eben auch, sich mit den Sachverhalten auszukennen. Und woher soll man all die Details wissen, wenn sie nie gezeigt werden. Lampedusa ist ein Schlagwort geworden. In den Medien 30 Sekunden, mit 5 Zahlen, das war es. Details bleiben da auf der Strecke, und die meisten Leute wissen nicht einmal, dass Lampedusa in Italien liegt, sondern denken an Griechenland. Ein genaues Bild kann man sich damit nicht machen. Das Ergebnis ist, viele Leute haben viel Meinung und wenig Ahnung, und ich kann es ihnen nicht mal übel nehmen.

Ein total verbeultes Fluchtboot aus rostigem Metall am Ufer von Lampedusa.

So sahen die 2023 genutzten Boote aus – die verbiegen und sinken sehr leicht (Bild: Jonathan Kündiger (All rights reserved)).

Woher soll man denn wissen, dass die 10.000 Personen, die im September 2023 gleichzeitig auf der Insel angekommen sind, einen Moment der Windstille nutzten, weil ihre Boote eine so schlechte Qualität hatten, dass eine Welle reicht, um sie zum Sinken zu bringen, wenn das absolut nirgends erzählt wird. Wenn Salvini im Fernsehen dann noch etwas von Kriegsakt faselt. Ich möchte also alles genau zeigen, und so aufklären. Meine Agenda ist also mein Zollstock, mein Maßband und mein Lasermessgerät. Lasst uns also ganz sachlich bleiben.

Glaubst du wirklich, dass Aufklärung etwas bringt?

Jein. Es gibt Menschen, die sind nahezu gegen jede Form von Bildung immun. Aber der Rest, der ist vielleicht ja sogar gerne informiert – wobei ich das immer weniger glaube, weil mir sooooo krass viele Medien abgesagt haben, mit dem Argument, dass das Thema einfach wirklich niemanden interessiert. Aber was mir wichtiger ist, es wird eine Zeit geben, in der die Enkel der heutigen Flüchtenden fragen werden, was passiert ist. Sie haben ein Recht auf die Wahrheit.

Spiralförmiges Denkmal mit Namen darauf

Auf der Insel selbst gibt es bereits eine Gedenkkultur und viele Denkmale für diejenigen, die im Mittelemeer ertrunken sind (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).

Diejenigen, die ertrunken sind, haben ein Recht darauf, dass man an sie erinnert. Und auch die Menschen auf Lampedusa haben ein Recht dazu, dass sie gesehen und gehört werden, dass man ihre Sorgen und Nöte versteht, heute auf sie aufmerksam macht und sie für die Zukunft festhält. Und weil ich den Menschen zuhören und helfen möchte, ohne sie zu bevormunden, arbeite ich auch mit dem örtlichen Archiv zusammen, und habe über die Zeit begonnen, kleine Freundschaften mit den Insulanern aufzubauen. Ich mag diese Gemeinde sehr – es ist ein bisschen ein Zuhause für mich.

Wie oft bist du denn auf Lampedusa?

Im Kopf jeden Tag. Weil ich fast jeden Tag an meiner Dissertation schreibe. Aber in Realität derzeit nur einmal im Jahr für ein paar Wochen. Und das ist leider sehr wenig Zeit, aber ich habe bislang nebenbei gejobbt, um meine Arbeit bezahlen zu können. Und das heißt, ich kann nicht einfach so kommen und gehen, wann ich will.

Ein Portemonnaie, in das hinein gesehen wird, und in dessen Scheintasche Zwiebeln stecken.

Wenn ich nur Zwiebeln im Portemonnaie habe, muss ich halt die Kochen (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).

Seit neuestem habe ich ein Stipendium ergattern können, das gibt mit mehr Freiheit. Aber nicht genug finanzielle Ressourcen öfter dort zu sein als zuvor – allerdings habe ich mittlerweile so viele unbearbeitete Daten hier herumliegen, dass ich das auch gar nicht schaffen würde. Warum es so lange gedauert hat eine Förderung zu bekommen – Das Projekt ist den einen zu politisch, den anderen bin ich zu alt, und den nächsten zu behindert. Und ’nen Goldesel habe ich eben auch nicht, um das zu bezahlen. Dennoch ist das mein Herzensprojekt, und ich liebe jede Sekunde, die ich daran arbeiten kann. Blöd ist, ich habe viel Zeit verbraucht – denn bis zu dem Stipendium sah mein Leben so aus: Ich versuchte so intensiv eine Forschungsförderung aufzutreiben, dass der damit zusammenhängende Papierkrieg 40-45 Stunden die Woche frisst. Und dann bleibt neben meinem 30 Stunden Job und Miss Jones, wenig Zeit für meine eigentliche Arbeit über Lampedusa. Und das hat sich jetzt geändert – aber ich muss gerade so viel auf hohlen, dass ich kaum Zeit für etwas anderes habe.

Ist das nicht auch gefährlich, was du machst?

Jupp – that´s live – das ist Archäologie. Es ist natürlich gefährlich auf marode Boote zu klettern, oder aber die Objekte, die teils in ätzende Substanzen eingeweicht sind anzufassen. Ich hatte schon blaue Flecken, Schürfwunden, Schrammen, Ausschläge, Schnittwunden und Verätzungen. Aber auch andere archäologische Arbeiten sind gefährlich. Deshalb wieder einmal der Appell: Achtet auf Schutzausrüstung und bereitet euch auch auf eure Abenteuer gut vor! Manchmal sind es die kleinen Dinge in der Vorbereitung, die einen Retten. Einmal habe ich zum Beispiel meine Schuhe nicht richtig geprüft, und weil die Sohle auf den scharfen Felsen Lampedusas durchgescheuert waren, habe ich den Halt verloren und bin schwer gestürzt.

Ich sitze im Bauch eines Fluchtbootes und schaue in die Tiefe. Das Boot ist gut 90 cm hoch und alles ist au Holz gebaut.

Und so sehr ich dieses Bild liebe. In diesem Boot habe ich mir einen wirklich schlimmen Ausschlag geholt, weil alles voller Benzin und Glasfasern war – was man auf den ersten Blick gar nicht bemerkt hat (Bild: Timo Knorr (all rights reserved)).

Gott sei Dank mit wenigen Verletzungen, aber seid bitte nicht so dumm wie ich, achtet auf die Ausrüstung. Viel mehr Angst davor, dass mir etwas passiert habe ich allerdings davor, dass meine Arbeit jemand anderen schädigt. Deshalb bitte ich euch – wenn ich nicht gemerkt habe, dass etwas in meiner Arbeit jemand anderen Schaden zufügen könnte, sagt mir bitte sofort Bescheid. Nichts liegt mir ferner, aber ich bin auch nur ein Mensch, der Fehler macht – und manchmal in meinem wissenschaftlichen Eifer vielleicht etwas zu begeistert von einer neuen Entdeckung.

Was können wir hier lesen?

Sicherlich nicht alles, es soll ja meine Diss. werden. Aber: Ich würde gerne die tollen Momente mit euch teilen, in denen ich etwas beobachtet habe, was ganz neu ist. Kleinigkeiten zeigen, die ganz unwichtig wirken, aber die Gesamtsituation erklären. Schöne Momente und auch traurige Momente mit euch teilen. Nicht wie in meiner wissenschaftlichen Arbeit. Sondern oft ganz persönlich wie in einem Tagebuch. Und ich hoffe euch dabei auch so anzusprechen, dass ihr das aushalten könnt.

Ein Metallboot mit einer raus gebrochenen Innenversteifung. Das Boot ist mit Wasser vollgelaufen.

Das hier ist z.B. Boot X7-2023. Bei diesem Boot musste ich auch mal weinen. Weil es in einem so schlechten Zustand an der Küste angelandet ist, ich aber Hinweise auf mindestens 2 Kleinkinder an Board gefunden habe (Bild: Geesche Wilts (CC BY-NC 3.0 DE)).

Denn eines werde ich oft gefragt: Wie ich mit der psychischen Belastung bei dem Thema klarkomme. Und meine Antwort ist ganz einfach: Ich empfinde es nicht als psychisch belastend. Und vielleicht schaffe ich es ja, dass ich euch mit meiner Herangehensweise mitnehme, und wir uns das ganze Thema „Grenze“ so sachlich bis liebevoll ansehen. Aber natürlich wird es hier auch einen Artikel zum Thema psychische Belastung geben.

Wie kann ich die Arbeit unterstützen?

Teilen, teilen, teilen. Ich brauche mehr Aufmerksamkeit für das Projekt. Ich brauche keine kleinen Spenden, die Trinkgelder, die ihr mir hier schickt, werden genutzt, um den Blog zu finanzieren – ich brauche im Grunde genommen große Sponsoren, und die bekomme ich nur, wenn es mehr Leute interessiert, was ich tue. Wenn ihr spenden wollt, finde ich das nett, aber wenn es um Seenot gehen soll, dann schaut doch erst einmal bei den Seenotrettungsorganisationen vorbei.

Ich sitze auf dem Bug eines Bootes und messe ihn.

Ich finde Unterstützung toll. Bislang habe ich vieles alleine gemeistert, und bin auch ganz alleine weit ab von irgendwas unterwegs, um Boote zu finden (Bild: Timo Knorr (all rights reserved)).

Die retten aktiv Leben – und Leben gehen einfach vor. Ihr könnte mich auch unterstützen, indem ihr Fragen stellt, vielleicht wird da ja auch der ein oder andere Artikel draus, denn ich bin so in meinem Tunnelblick, dass ich manchmal gar nicht weiß, was ihr wisst, oder eben auch nicht. Und etwas anderes könnt ihr machen: ladet mich zu Vorträgen ein. Und ansonsten freue ich mich, wenn ihr auch diese Artikel hier fleißig lest.

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