„Kann es sein, dass ich Raubkunst auf dem Flohmarkt entdeckt habe?“

Es ist Winter. An der Tür klingelt es. Ein Paket. Komisch, ich habe doch gar keines erwartet. Aber den Namen kenne ich. Eine meiner treuesten Leserinnen, Vivi. Ich freue mich, nehme das Paket an. Als ich es öffne, trifft mich fast der Schlag. Ein goldener Armreif. Wow! Was ist das? Dabei liegt ein Zertifikat und ein Brief. „Liebe Miss Jones … Ich habe diesen Armreif für 5 € auf einem Flohmarkt gefunden.

Kann es sein, dass ich Raubkunst auf dem Flohmarkt entdeckt habe?

Es steht in dem Zertifikat zwar, es sei eine Replik. Aber das nutzen Grabräuber öfter. Ich frage mich, wie kann man das herausfinden? Vielleicht kannst du es herausbekommen? Und wenn es Raubkunst ist, müssen wir sie zurückgeben. Wenn es keine ist, dann kannst du den Armreif gerne behalten. […] Liebe Grüße deine Vivi

Der Armreif neben einer Maßkarte, die zeigt, der Armreif ist genau 10 cm im Durchmesser.

Der Goldarmreif hat mir den Atmen für einen Moment geraubt.

Ich saß relativ lange da. Mit offenem Mund. Dieser Armreif war von unglaublicher Schönheit. Er gehört zu einer südamerikanischen Kultur, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas gehört hatte. Der Originalfund stammt aus der Quimbaya Kultur nahe Montenegro. Er ist zwischen 2.900 und 2.300 Jahre alt.

Wer sind die Quimbaya?

Die Quimbaya lebten etwa gegen 600 v. Chr. in Siedlungen, die sich in der bergigen Region des heutigen Kolumbiens erstrecken. Sie wuschen Gold aus den Flüssen des Gebirges und waren Meister in der Herstellung von Baumwollkleidung. Damit trieben sie Handel mit den benachbarten Kulturen. Vor allem aber waren sie Meister der Goldschmiedekunst. Für einige Kunstgegenstände sind sie sehr bekannt. Beispielsweise für das Fertigen von goldenen Bienen. Leider ist diese Goldschmiedekunst vor allem bekannt, weil Verschwörungsschwurbler in diesen Bienen Flugmaschinen sehen und diesen wird Kontakt mit Außerirdischen zugesprochen.

5 goldene Bienen. Sie sind stark stilisiert und haben aus Spiralen gefertigte Augen.

Einige Goldene Insekten der Quimbayakultur (Bild: Santandergrl (CC BY-SA 4.0)).

Anstelle, dass man dieser Kultur ihre außerordentlich schöne Handwerkskunst zugesteht, glaubt man also, einmal mehr, lieber an Außerirdische. Interessanterweise tut man das einmal mehr bei einer Kultur mit indigenen Hintergrund. Bei den goldenen Bienen aus dem Childerichgrab würde niemand auf die Idee kommen, diese kulturelle Leistung abzuerkennen. Klar – Childerich war ja auch weiß und auch noch der erste nachweisbare fränkische König. Ich freue mich also euch hier einmal ein Stück der Handwerkskunst der Quimbaya zu zeigen, ohne rassistische Verzerrung. Denn das Erste, was bei der Betrachtung der Kunst auffällt, ist: Sie ist atemberaubend schön.

Was ist über die Goldkunst der Quimbaya bekannt?

Bei den Quimbaya sind viele Funde aus Gold erhalten. Das liegt an der Art, wie die Quimbaya mit dem Edelmetall umgegangen sind. Es handelt sich um eine für die Kulturgruppe typische Legierung aus 40–54 % Gold, 33–50 % Kupfer und 4–14 % Silber. Weil man viele Funde dieser Kultur hat, konnte man diese Werte durch vergleichende Messungen feststellen. Der Clue: Aufgrund des Zusatzes von Kupfer haben die Goldgegenstände eine besonders hohe Festigkeit. So haben sich auch kleine, goldene Figuren erhalten. Diese wurden meist mit einem Wachsausschmelzverfahren gestaltet. Meistens sitzende Menschen.

Ein sitzender Mann aus Gold. Er trägt eine Kette, hat einen nackten Oberkörper und eine Art Lendenschurz und links und rechts schmückende Ketten um die Beine.

Eine der bekannten Goldfiguren der Quimbaya (Bild: García (CC BY-SA 3.0)).

Mal werden Männer, mal Frauen dargestellt. Es handelt sich möglicherweise um Figuren mit einer religiösen Bedeutung. Sie sind am häufigsten in den Gräbern dieser Kultur zu finden. Die Goldfunde sind aber auch ein Problem. Die Menschen plündern die Gräber und verkaufen die Goldfunde auf dem Schwarzmarkt. Der Zusammenhang geht dadurch verloren. Es ist deshalb sehr schwierig, diese Kultur zu erforschen. Denn nur der Fundkontext ermöglicht es uns, in der Archäologie, Rückschlüsse über diese Kultur zu machen. Herauszufinden, wie ihre Gesellschaft funktioniert hat, ist der Kontext durch Plünderung zerstört, kann man nichts mehr herausfinden. Man geht davon aus, dass etwa 36.000 Goldobjekte der Quimbaya weltweit auf dem Schwarzmarkt im Umlauf sind. Vielleicht auch der wunderschöne Armreif, der nun auf meinem Tisch lag.

Wie kann man herausfinden, ob es sich um Raubkunst handelt?

Kurzerhand rief ich meinen Kollegen Ilian Finkeldey an. Den kennt ihr schon von seinem Gastartikel über eine Fachtagung, die ich einmal, mit ihm organisiert habe. Ilian ist Experte für Metallanalysen. Genauer gesagt hat er seine Masterarbeit über die Röntgenfluoreszenzanalyse geschrieben. Er schlug vor, ich solle einfach mit dem Armreif vorbeikommen und dann würden wir erst einmal mit der Röntgenfluoreszenz messen, wie die Metallzusammensetzung im Armreif ist.

Im Vordergrund ist der Armreif, im Hintergrund ist eine kastenförmige Maschine.

Der Armreif vor dem Gerät, mit dem wir ihn später analysiert haben.

Weil diese Zusammensetzung bei den Quimbaya ja sehr valide erforscht ist, können wir davon ausgehen, dass es sich um eine Replik, also um eine Nachahmung handelt, wenn die Metallzusammensetzung des Armreifes stark abweicht. Außerdem schauen wir uns einmal das Zertifikat genauer an. Denn so ein Zertifikat kann man leicht fälschen. Vielleicht gibt es aber auch einen Hinweis darauf, wo der Armreif herkommt. Ich verabredete mich also für eine Röntgenfluoreszenzanalyse im archäologischen Institut der Universität Hamburg, aber,

Was ist eine Röntgenfluoreszenzanalyse?

Über diese Art der Analyse habe ich schon mal einen Podcast beim TÜV Nord gemacht. Die Röntgenfluoreszenzanalyse ist vom Prinzip her eine Technik, bei der das Objekt, das untersucht wird, mit Röntgenstrahlung beschossen wird. Dann wird gemessen, welche Strahlung von dem Objekt aus erzeugt wird, also wie diese Strahlung fluoresziert – man könnte auch sagen, wie das Metall durch den Beschuss mit Röntgenstrahlung leuchtet. Verschiedene Metalle strahlen unterschiedlich.

Ilian hebt den Deckel des Messapparates und zeigt den innenliegenden Armreif.

Der Goldarmreif wurde für die Messungen in diese Bleikiste gelegt, damit uns die Röntgenstrahlung nichts anhaben kann.

Deshalb kann man daran erkennen, aus welchen Metallen ein Objekt zusammengesetzt ist und in welcher prozentualen Zusammensetzung die Metalle zueinander stehen. Man misst hierbei die Oberfläche des Objektes, hat also keine Daten darüber, ob tief im Inneren eines Objekts eine andere Metallmischung zu finden ist. Der Vorteil dieser Analyse liegt aber auf der Hand: Das Objekt wird nicht zerstört oder beschädigt. Manchmal reicht diese Analyse bereits, um eine Einordnung zu machen. Wie in dem Falle des Armreifes. Dieser ist ohnehin sehr flach. Zudem wurde er offenbar in verschiedenen Arbeitsschritten gefertigt. Beispielsweise wurden Spiralen als Zierde auf den Armreif gelötet. Um diese Unterschiede genau anzusehen, entschlossen Ilian und ich uns dazu verschiedene Messpunkte zu nehmen, um mögliche Varianzen zwischen den einzelnen Punkten festzustellen.

Der Armreif unter Röntgenstrahlen

Ilian hat erst einmal das Gerät vorbereitet. Weil man hier mit Röntgenstrahlen arbeitet, braucht man dafür eine bestimmte Ausbildung, einen Röntgenschein. Ich durfte deshalb selbst keine Messung durchführen. Ilian hat zunächst das Gerät eingestellt, das den Röntgenstrahl erzeugt, das Gerät sieht ein bisschen aus wie eine Laserkanone aus Star Trek. Dann wurde die Laserkanone in einer Maschine eingespannt, mit einem Bleikasten, der die Strahlung für uns, die vor dem Gerät sitzen, abschirmt. In den Kasten wurde dann der Armreif gelegt. Dann konnten wir messen.

Die Röntgenkanone

So sieht so eine Röntgenkanone aus.

Und gleich das erste Ergebnis war eine Überraschung. Der Armreif besteht in der Hauptsache aus Kupfer, hat aber auch einen hohen Zink- und Cobaltanteil. Die Legierung besteht auch aus Gold, aber der Goldanteil ist vergleichsweise klein. Diese Messergebnisse stimmten überhaupt nicht mit der Mischung überein, die bei Funden der Quimbaya Kultur zu erwarten sind.

Eine Tabelle mit verschiedenen metallgehalten auf einem kleinen schwer zu erkennenden Display.

Das erste Messergebnis war bereits sehr aussagekräftig.

Bei weiteren Messpunkten fand sich dann noch ein relativ hoher Chromanteil. Alles in allem hatten wir also den Beleg: Dieser Armreif ist kein echter Fund der Quimbaya-Kultur. Er ist eine Replik unserer Zeit, darauf deutet vor allem der Zinkanteil hin, da Zink (im Gegensatz zu Zinn) lange höchstens zufällig in prähistorische Legierungen gelangte

Und woher kommt dieser Armreif nun?

Auch das konnten wir entschlüsseln. Und zwar auf dem Zertifikat. Das war nämlich im Gegensatz zu dem Armreif keine Fälschung. Die Galeria Cano fertigt seit 1970 Schmuck an, der sich die prähistorische Kunst Südamerikas zum Vorbild nimmt. Nemesio Cano machte die archäologische Entdeckung eines präkolumbianischen Goldschatzes.

Das Zertifikat. Es ist Gelb und eine Karte Kolumbiens ist abgebildet. Dort steht der Fundort Montenegro Quimbayakultur, und das es ein Replik ist.

So sieht das Zertifikat aus.

Die meisten Fundstücke befinden sich im Nationalmuseum Bogotá, sie wurden aber schon auf Ausstellung weltweit gezeigt. Seit dieser Zeit widmet sich die ganze Familie dem Thema der präkolumbianischen Goldkunst. So kam es dazu, dass der Enkel Guillermo Cano´s einen Juwelierbetrieb gründete, um Repliken und Interpretationen dieser Kunst zu verkaufen. Dieser Schmuck ist handgemacht und es wird teils auch mit den Methoden gearbeitet, die in prähistorischer Zeit verwendet wurden.

Ein goldener Armreif. Er liegt auf violettem Geschenkpapier. Auf dem Armreif sind stilisierte Bienen dargestellt, mit Spiralen.

Ich habe den Armreif damals noch in dem Papier, in dem er eingewickelt war, Fotografiert.

Das ist also trotz allem, sehr wertvolle Kunst. Deshalb hat der Armreif, den Vivi auf dem Flohmarkt für 5 € gefunden hat, einen Wert zwischen 150 und 300 €.  Als ich ihr das geschrieben habe, hat sie gestaunt. Wollte den Armreif aber dennoch nicht zurückhaben – weil sie sagt, der Schmuck sollte an einem Ort sein, wo er wertgeschätzt wird.

Und wenn du jetzt denkst – diese Archäologiestudies haben echt was drauf! Ich finanziere diesen Blog selbst, du kannst meine Arbeit aber mit einer Spende über Paypal unterstützen. Nutze dazu diesen Link.

Und wenn du jetzt Kontakt zu mir oder Ilian haben möchtest, weil du vielleicht weitere ungeklärte Fragen über die Menschheitsgeschichte hast, dann schreibe doch über das Kontaktformular.

Literatur:

A.Perea; P.C.Gutiérrez-Neira; A.Climent-Font; P.Fernández-Esquivel; S.Rovira-Llorens; J.L.Ruvalcaba-Sil; A.Verde; A.Zucchiatt, Pre-hispanic goldwork technology. The Quimbaya Treasure, Colombia, ournal of Archaeological Science, 2013. DOI: 10.1016/j.jas.2012.12.033

https://canojewelry.com

2 Gedanken zu „„Kann es sein, dass ich Raubkunst auf dem Flohmarkt entdeckt habe?“

  1. Pingback: Archaeology 2025-02-01 – Ingram Braun

  2. Pingback: Der Steinzeitpark Dithmarschen Ein toller Ort für groß und klein | Miss Jones

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert